Bei Mittagsstunde handelt es sich um die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Dörte Hansen. Wir folgen dabei Ingwer Feddersen (Charly Hübner), der mit Ende 40 als Dozent an der Uni Kiel arbeitet, und in einer 3er-Beziehung mit Ragnhild (Julika Jenkins) und Claudius (Nicki von Tempelhof) in einer WG zusammenlebt. Sein norddeutsches Heimatdorf Brinkebüll hat er längst hinter sich gelassen, als er sich dagegen entschied, den Gasthof seines Vaters (Peter Franke, in Rückblenden Rainer Bock) zu übernehmen. Eines Tages überrascht Ingwer seine Mitbewohner mit der Nachricht, dass er an der Uni ein Sabbatical einlegt und für ein Jahr nach Brinkebüll zu seinen Eltern zurückkehr, um sich um die beiden zu kümmern. Während sein Vater, der inzwischen am Rollator läuft, noch immer täglich hinter dem Thresen steht, ist seine Mutter (Hildegard Schmahl, in Rückblenden Gabriela Maria Schmeide) von ihrer fortschreitenden Demenz gezeichnet.
Während seine Eltern vom Alter deutlich gezeichnet sind, ist die Zeit auch an der Ortschaft nicht spurlos vorbeigegangen. Im Gegenteil der ländliche Strukturwandel hat das Dorfleben förmlich ausbluten lassen. Wo früher noch dörfliches Treiben herrschte und die Dorfgeschäfte florierten, fahren heute die Lastwagen über die Landstrasse. Neben einigen greisen Ur-Brinkebüllern besteht die Stammkundschaft von Ingwers Vater inzwischen aus einem Lime-Dance-Verein, den ein ehemaliger Schulfreund Ingwers leitet. Und dann wäre da noch Marret (Gro Swantje Kohlhof), mit der Ingwer aufgewachsen ist, und von der bloss noch ihre Fussabdrücke hinter dem Haus im Beton zurückgeblieben sind.
Von der Frage, was mit der verschrobenen, aber auch lebensfohen Marret geschehen ist, handeln dann auch die vielen Rückbelnden, die mit der Gegenwartshandlung vom heimkehrenden Sohn und seinen Eltern, im Film verwoben werden. Aus den Bruchstücken setzt sich im Verlauf der Erzählung das immer klarere Bild einer norddeutschen Familientragödie zusammen.
Regisseur Lars Jessen hat mit Dorfpunks bereits 2009 erfolgreich einen deutschen Beststellerroman auf die Leinwand gebracht. Bei der Verfilmung von MIttagsstunde ist ihm vor allem hoch anzurechenen, wie gut es ihm und seinem Team gelingt, den Ton des Buches ins Filmische zu übersetzen. Lakonisch und mit viel Melancholie aber weitestgehend frei von Sentimentalitäten erzählt er von Familie, Heimat und den Folgen des Strukturwandels. Seine Figuren gibt er dabei nie dem Spott seines Publikums preis, sondern porträtiert sie mit viel Sympathie und Respekt.
Das gelingt ihm natürlich nicht zuletzt seines grossartigen Schauspielensembles, in dessen Zentrum (mehr noch als im Buch) Charly Hübner als Ingwer Feddersen steht. Mit seiner liebevoll-knurrigen Art ist er der ideale Vermittler zwischen den Welt des Publikums und der Brinkebülls.
Auch visuell kann der Film mit einigen gelungenen Einfällen punkten, mit denen er optisch die Veränderungen der Brinkebülls umsetzt, auch wenn in einzelnen Szenen dann leider doch etwas TV-Feeling aufkommt. Für den Soundtrack hat die deutsche Liedermacherin Maike Rosa Vogel einige Songs auf englisch beigesteuert. Warum sie, die normalerweise ihre Songs auf deutsch schreibt und singt, gerade bei einem Film in dem das Regionale eine wichtige Rolle spielt, englisch singt, ist mir ein Rätsel geblieben.
Der Film nicht nur seine Figuren, sondern auch sein Publikum ernst. Nicht alles wird bis ins kleinste Detail erklärt und vorgekaut. Ab und an muss man auch mal zwischen den Zeilen lesen oder auch damit zurechtkommen, dass gewisse Handlungsfäden kein eindeutiges Ende bekommen.
Leicht enttäuscht war ich vom Ende das dann etwas zu sehr auf die Ästhetik amerikanischer Indiedramen setzt. So endet der Film mit einer Montagesequenz begleitet von einem rührseligen Popsong. Das ist gar nicht unbedingt schlecht gemacht, nur passt es nicht so Rest zum sonstigen Film. Es war mir zu harmonisch, zu glatt, und liess das Knorrige, das eigentlich den Film und seine Figuren auszeichnet, total vermissen.
.
Der Film ist übrigens in zwei Versionen erhältlich: einmal in einer plattdeutschen/hochdeutschen Fassung mit Untertiteln, und einmal in einer komplett hochdeutschen Fassung. Ich hab dummerweise Erstere gesehen. Denke aber, Letztere wäre vorzuziehen. Da das Plattdeutsch gerade auch im Roman eine wichtige stilistische Rolle spielte.