Story 3 - Morgenrot

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Morgenrot

žLittle Star?

Cheryl drehte den Kopf und blickte in die Augen eines hochgewachsenen, edel gekleideten Mannes. Freundlich schaute er sie fragend an. Unweigerlich musste sie lächeln und nickte schüchtern. Das muss er sein. Langsam merkte sie, wie ihre Wangen an Rot gewannen.

Du bist also Henry?
Ja, das bin ich.

Eine Pause.

žIch mach sowas sonst nicht, ist mein erstes Mal.
Meins auch.
Eine Freundin von mir, Sarah, hat mich dazu gebracht, bei dieser Internetgeschichte mitzumachen.Wenn man mir vor einer Woche gesagt hätte, dass ich mich mal mit einem aus dem Internet verabrede, hätte ich das nicht geglaubt.
Wie schön, das es nun dazu gekommen ist. Sollen wir was zu trinken bestellen?
Ja, gern.

Während er in der Karte las, musterte sie ihn genauer. So einen gutaussehenden Mann hatte sie nicht erwartet. Umso mehr verlor sie sich immer mehr in den tiefen Augen ihres Gegenübers, die ihr bald frech schmeichelten. Der weitere Verlauf des Abends war dann ebenso angenehm wie der Einstieg, und endete für sie überraschend nicht vor Morgengrauen. Sie nahmen sich eine Flasche Rotwein aus dem 24-Stunden Laden mit und verbrachten eine leidenschaftliche Nacht miteinander; die wohl mit Leichtigkeit schönste ihres kleinen unbedeutenden Lebens.

Drei Tage später wachte sie auf.

Ihr Kopf brummte, und sie hatte zunächst starke Schwierigkeiten, sich zurecht zu finden. Das war ihr Bett. Sie war also noch zuhaus. Gut. Langsam setzte sie sich auf, fuhr sich mit der Hand durch die langen Haare und blickte sich um. Der Wecker zeigte die Zeit - 19.47, und das letzte Licht des Tages fiel durch die grauen Jalousinen. Ein Wink, und sie hatte die grässlichen Lavender-Vorhänge davor gerissen. Diese Kopfschmerzen. Sie stand auf und ging ins Bad. Das Halogenlicht flackerte auf, und ihr Spiegelbild blickte sie an. Bleich, mit dunklen Ringen unter den Augen. Wie ein waschechtes Groupie. Gottverdammt. So wankte sie wie eine Untote zum Kühlschrank, bereit alles zu plündern, was nicht schnell genug fliehen konnte.

Ein Paket Milch.

Fast schon gierig riss sie die viereckige Verpackung auf und schlang das weiße Zeug lüstern hinunter. Nachdem sie das kleine Paket eifrig geleert hatte, ließ sie es achtlos zu Boden fallen und leckte sich die Lippen. Lecker. Jetzt wurde sie langsam wach, und konnte sich auch schon besser in der Wohnung umsehen. Von ihrem Besucher war keine Spur zu sehen. Vielleicht war das auch gar nicht so verkehrt. Wer weiss, vielleicht wollte sie besser gar nicht wissen, was mit ihm geschehen war. Sie sollte sie sich erst einmal waschen. Ein guter Gedanke.

So ging sie ins Bad und zog sich aus. Ihr T-Shirt roch noch immer nach seinem Parfüm. Das Duschwasser war kalt, aber fast schon herausfordernd aufregend und extrem erfrischend. Es rann über einen Körper, der sich nun mehr etwas anders anfühlte. Angenehmer. Wohliger. Bei diesem Gedanken riss sie den Duschvorhang zur Seite und blickte in den Spiegel. Tatsächlich, sie sah wirklich anders aus. Ihre Hüfte, Brüste, Beine. Sportlicher. Attraktiver. In so guter Form war sie noch nie gewesen. Auch ihre Haare waren etwas dunkler als zuvor. Ein leises, kurzes Lachen erhellte den Raum. Verrückt, was war nur mit ihr passiert?

Nachdem sie fertig war und sich ihre Kopfschmerzen schon etwas gelegt hatten, legte sie ihren weißen Morgenmantel an und begann, ihre langen Haare mit einem Handtuch abzutrocknen. Beim besten Willen konnte sie sich das ganze nicht erklären. Hatte sie die letzten zwei Jahre geschlafen? War ihr langweiliges Dasein als wenig begehrenswerte Büroangestellte Cheryln Ann Winters nur ein Traum gewesen? Falls ja, war es das Ende eines Albtraums. Einer, in den sie nicht freiwillig wieder zurückkehren würde. So fühlte sie sich unbeschreiblich, voller Energie und war ganz erpicht darauf zu sehen, wie ihr neues Ich auf ihre Kollegen wirken würde.
Es klingelte an der Tür. Cheryl stand auf, legte das Handtuch zur Seite und ging in den Flur.

žCheryl, wie siehst du denn aus?

Es war Sophie, eine Freundin aus der Versicherungsabteilung.

Wie?
Na, du siehst so¦ verändert aus. Und wo warst du die letzten Tage?
Sie schob sich an ihr vorbei und Cheryl nahm ihren Duft war unter ihrem Parfüm.
Man, King ist schon total wütend, du kennst ihn ja. Drei Tage weg ohne Arztbescheid einige dachten schon, du wärst entführt worden. Hast dich ja auch nicht gemeldet.
Sorry.. ich¦ ich weiss nicht so recht.
Was meinst du?
Ich bin heute Morgen so aufgewacht, und mehr weiss ich auch nicht.

Sophie grinste. Mit ihrer weißen Bluse und der engen schwarzen Jeans kam sie ihr hübscher vor als sonst.

Hast du ein Glück.

Cheryl legte die Stirn in Falten. Schnupperte.

Ja, Claire hats mir doch erzählt. Von dem Datingtreffen. Muss ja ein ganz Verrückter gewesen sein. Einer zum Pferde stehlen.
Oh, das. Ja, das war sehr¦ angenehm. Sag, willst du was trinken?
Gern.

Während Sophie munter weiter tratschte und ihre Handtasche neben das Sofa stellte, ging Cheryl in die Küche und goss behutsam ein Glas Rotwein ein. Dann kam sie zurück und setzte sich mit gespreitzten Beinen auf Sophies Schoß. Die Nässe auf ihren Beinen drückte sich in den Stoff.

žCheryl¦uhm¦ was tust du da?
Cheryl konnte spüren, wie die junge Frau unter ihr Gänsehaut bekam und verkrampfte.
žDu hast doch Durst, oder?

Mit diesen Worten hob sie das Glas und nahm einen Schluck, dann lehnte sie sich hinunter und küsste ihrer blonden Freundin auf den Mund. Zungen und Rotwein vermischten sich, und sie merkte, wie sie allmählig lockerer wurde. Ihre verkrampften Finger ließen los und sie ging mit ihrer Zunge mit. Dann trennten ihre Lippen sich und Cheryl schaute ihr tief in die Augen.

Cheryl.. ich, ich, wusste nicht dass du¦
žPscht¦.

Behutsam legte sie ihren perfekten Zeigefinger auf ihre Lippen. Sophie war wie gelähmt. Wieder nahm Cheryl einen Schluck und lehnte sich hinunter zu ihr, diesmal jedoch weiter. Ihre Lippen berührten Sophies Hals und öffneten sich, so dass der 1842er Chal de Ri tief in ihren Ausschnitt floss. Vor Wonne schloß sie ihre Augen¦ als Cheryl plötzlich ihre Zähne tief in ihren Hals schlug. Sophie versuchte sich zu wehren, doch mit unmenschlicher Stärke hielt Cheryl ihr Opfer fest und trank, wild atmend. Ihre Beine drückten die junge Frau in den Sitz, so dass sie jede Anstrengung vergeblich blieb. Blut und Wein bildeten ein Rinnsaal zwischen ihren Brüsten, hinter denen das Herz tapfer Schlag um Schlag verlor. Kurz danach war es vorbei und Sophie erschlaffte. Cheryl aber legte den Kopf in den Nacken, leckte sich die Lippen und lächelte.

So müsste jeder Tag beginnen.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Eine sehr gute Geschichte. Vor allem deshalb, weil man mit der Überraschung nicht rechnet, die dann kommt.
Der Stil gefällt mir auch.

Die anderen Stories werde ich wohl morgen lesen.
 

Deathrider

The Dude
Finde die Story gut, aber das Ende nicht sonderlich überraschend. Wird sehr eindeutig darauf hin gearbeitet (erinnert an Ginger Snaps und Cursed, obwohl DAS Werwolffilme sind... Egal. So gehts auch). Trotzdem gut gemacht. Mag Vampirgeschichten.

:top:
 

Maga_Barai

New Member
Vom Schreibstil hab ich nix zu bemängeln, die Beschreibung ist einfach - die Charaktere finde ich ziemlich Oberflächlich (ist ja auch ne kurzgeschichte).

Die Handlung und die Dialoge waren bis auf das Ende unspektakulär und irgendwie "alltäglich", nix besonderes.

Spoiler!!

Man hätte vielleicht näher darauf eingehen sollen das dieser Henry sie ebenfalls gebissen hat (ich nehme doch mal an das er ein Vampir ist, oder?) und dieses Gefühl vom "Vampir sein" näher beschreiben sollen.


Fazit: Gut geschrieben und erzählt, Inhaltlich jedoch bis auf das Ende unspektakulär und fast schon belanglos.

Ein wenig mehr pepp in die Anfangs- und Mittelteil.
Ansich hättest du das 15.000 Zeichen Limit ausnutzen sollen.
 

Joel.Barish

dank AF
Sehr interessante Geschichte. Spannungsreich und mit Überraschungen, nette Geschichte, die man sicherlich ausbauen könnte, so aber ziemlich gut wirkt. Die führst deinen Leser ein bisschen an der Nase herum... wenn man das Ende kennt, wird vieles offensichtlich, aber eigentlich ist es gut aufgebaut.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Nette Wendungen, gut zu lesen. Wird auch Zeit, dass mal etwas mehr Erotik ins Spiel kommt (bei dem Poster).

Allerdings hätte es ruhig länger und ausführlicher sein können, vor allem der Anfang und der Part zwischen dem Bad und dem Treffen.
 

Reese

New Member
blut, brüste. :biggrin: exzellente mischung. vielleicht noch etwas zu zahm und harmlos, aber sonst okay.
 
T

Thomas

Guest
Original von Tyler Durden
Eine sehr gute Geschichte. Vor allem deshalb, weil man mit der Überraschung nicht rechnet, die dann kommt.

Du hast recht. Ich dachte das wird jetzt so ein Schmuddelroman. :ugly:
Nette Story. Gefällt mir. Nur die Sexszenen hätte man näher beschreiben können. *Scherz*
 

j.@.c.K

Liza Saturday
Das ist mal ne klasse Story.

Hier passt meiner Meinung nach einfach alles. Vor allem das Ende hätte ich so nicht erwartet und ich war positiv überrascht.

Was mich als einziges gestört hat, war die Sache mit 3 Tage später, das hätte ich den Leser im Laufe der Geschichte mit der Hauptperson entdecken lassen und nicht mal eben so hingeschrieben.

Aber ansonsten ist hier wirklich alles in Ordnung.
 

Calibane

Well-Known Member
Zweifelsohne eine gelungene Kurzgeschichte.
Zu Anfang schön in die Situation hineingeschmissen.
Man kann wirklich kaum meckern. Eine Prise Erotik (grade in einer solchen Stoyr sehr passend, da kennt jemand das entsprechende Mystik-Genre), unterhaltsam und erst am Ende wirklich ganz durchschaubar.

Starker Erzähler, der geschickt wechselt.
Macht Spaß zu lesen und kommt zu einem guten, bildlichen Ende. Gute Dosierung der stlistischen Elemente, Metaphern, Charakter-Ausleuchtung etc.
Nur diesen Amnesie-Faktor mit etwas schizophrenen Andeutungen hätte man eventuell (?) noch ein wenig klarer erläutern können, wenn ich überhaupt einen Kritikpunkt suche, aber vll. hätte das auch was kaputtgemacht. Wer weiß das schon vorher....

Von dem reinen Unterhaltungs-Faktor gesehen ganz, ganz obend dabei für mich.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Okay, ich oute mich mal - das ist meine Geschichte. Freut mich, das sie doch einigen gefallen hat.

Ganz klare Kritik geht auch von mir selbst an die Ausführlichkeit und an den viel zu kurzen Dialog. Ich hatte wenig Zeit (hab die Geschichte in einer Stunde geschrieben), wollte aber dieses Mal unbedingt wieder dabei sein. Ehrlich gesagt hatte ich wenig Geduld, erst lange herum zu tänzeln - ich wollte direkt zu dem interessantesten Part kommen, dem nächsten Morgen.

Ja, der Mann den sie getroffen hat, war ein Vampir, aber das ist ja eher gleichgültig. Ich wollte eine Geschichte machen über eine sonst eher schüchterne, normale Frau, die durch ein verhängnisvolles Treffen zu einem Vampir wird. Verwirrt, geleitet von Blutdurst und verspitzter Lust, sowie dem Gefühl der absoluten Zufriedenheit. Man kann sich selbst überlassen, ob das Treffen mit dem Mann nun das "Verhängnis" war, oder ob es ihre Freundin war, die leider am falschen Tag an Cheryl's Tür klingelte.

Ich hoffe, dass der Schuss Erotik niemanden über den Geschmack getreten ist, da sowas ja immer schwierig einzusetzen ist.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Glückwunsch zur gewonnenen Runde! :top:
Ja, ein Schuss Erotik ist auch immer gut :wink:

Wann startet die nächste Runde?
Und du musst ein Thema vorgeben.
 
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