Story L - The Unleaked

Clive77

Serial Watcher
„Diese elenden Huren! Ich werde diesen verdammten Tag nicht überleben, aber immerhin bin ich nur halb so beschissen wie diese Onlinenutten und trete mit einem Funken Restwürde ab!“, schimpfte Bugg, während er durch den dichten Regenwald stampfte.
„Ein 135 Kilo schwerer und nur 1,63 großer Mann mit Sonnenallergie, der wegen seiner Arthritis das Zocken auf nur 18 Stunden pro Tag reduzieren musste, ist der einzige Teilnehmer dieser zum Scheitern verurteilten Mission?! Das ist doch erbärmlich!“, fluchte sich Bugg durch das Geäst.
Die Sonne brannte auf seiner weißen Haut, die schon lange kein Tageslicht mehr gesehen hatte. Als er sich über das Gesicht fuhr, um den triefenden Schweiß abzuwischen, tastete er seine Stirn ab. Das Gefühl war ungewohnt. Er wusste, dass etwas fehlte.
„So fühlt sich also Freiheit an! Kaum zu glauben, dass ich ihn mir selber rausgerissen habe“, dachte er.
„SCHEIßE! Das Gefühl ist scheiße!“, schrie er.
Bugg hatte seine Wutausbrüche schon seit Tagen nicht mehr unter Kontrolle. Dass die ganze Community ihn dabei hören und beobachten konnte, kümmerte ihn wenig.
„Ich bin der Star in diesem Spiel!“, rief Bugg leicht halluzinierend. „Hallo, ihr 6,8 Milliarden! Ich werde diese verfickte Mission beenden! Ob ihr es glaubt oder nicht! Das ist nämlich Real Life, Bitches! 2066 kennt man dieses Feeling nicht mehr, oder?! Ich sag euch nur eins: Es ist beschissen! Aber nicht so jämmerlich wie mein, nein unser, bisheriges Leben!“
Bugg pausierte auf einer kleinen Lichtung. Er nahm seinen in Mitleidenschaft genommenen Panamahut ab und wrang ihn aus.
„Was für eine eklige Suppe! Fast so widerlich wie „Life“!“, rief er.
Er blickte auf seine Arme. Die Narben waren noch deutlich zu sehen. Es war für ihn neu, nicht verbunden zu sein und dass „Life“ nicht mehr durch seine Blutbahnen floss, machte ihn nervös.
„Ich bin offline! Und endlich sehe ich klar!“, schrie er in den Himmel, während die tiefstehende Sonne ihn blendete.
„Ich kann euch trotzdem alle sehen! Alle! Ich frage mich, ob das verdammte Kribbeln der Entzug ist oder ist dies doch das wahre Leben?“
Plötzlich registrierte er den Flügelschlag eines Adlers, der über ihm kreiste. Für einen Moment erlag Bugg der Illusion, solch ein majestätisches Tier mit anthrazit-farbenem Gefieder sehen zu können.
„Ich weiß, dass du nicht echt bist! Ihr könnt mich nicht täuschen!“
Der Vogel landete vorsichtig vor ihm und öffnete seinen Schnabel.
„Bugg, wir haben eine User-Frage, die du beantworten möchtest!“, hallte es aus dem Korpus des Vogels.
„Fuck! Muss ich das? Bis jetzt bin ich noch erstaunlich ruhig, besonders was meine gehobene Ausdrucksweise anbelangt. Aber wenn ich mir öfter diesen Mist geben muss, raste ich aus, ihr Bastarde!“
„Schweig! Du bist mein Follower! Deine Seele und dein Körper gehören mir!“, befahl die männliche Stimme aus dem Lautsprecher der Adlerdrohne.
„Na gut! Leg los!“
Der Vogel breitete seine Flügel aus. Ein Hologramm schoss aus seinem Schnabel. Eine übergewichtige Frau mit langen schwarzen Haaren war in ihrem Wohnzimmer zu sehen. In ihren Venen steckten zwei Nadeln, die eine pinke Flüssigkeit durch ihre Blutbahnen pumpten. Die Schläuche führten direkt zum offenen Kühlschrank und endeten in einem gigantischen, durchsichtigen Behälter mit der Aufschrift „Life“. Die Frau kratzte sich an ihrem Kopf. Auf ihrer Stirn war ein Strichcode inklusive Namen zu sehen. „Life 21071969“.
„Eine Namenslose. Sie gehört also zur dritten Kaste. Deshalb hat sie auch keine Follower. Aber halt irgendwas…“
„Bugg, bitte verrate mir, wie es ist, wenn man frei ist! Frei von „Life“?! Wie ist es, wenn man keinen Chip in seiner Stirn trägt?!“
Die Frau riss Bugg aus seinen Gedanken.
„Liebe 21071969. Das Gefühl ist unbeschreiblich. Ich merke zwar, wie willensschwach „Life“ mich gemacht hat. Aber ich spüre wie alle Emotionen in mir erwachen. Und es ist der fucking Oberhammer!“ Bugg fing an, zu lachen. „Ach ja, Gogg, und ich bin mir schon der Tatsache bewusst, dass du dahintersteckst und die anderen bestimmt geraden einen Werbeclip schauen und ihr mich nur testen wollt! Es soll doch keiner mitbekommen, was für ein verhurter Verein ihr seid. Hauptsache alle erhalten ihre tägliche Portion Gehirnwäsche. Ich vermisse diese übrigens ganz…“
„Ruhe!“, sprach die männliche Stimme. Wir haben nicht so viel Zeit!“

Das Hologramm wandelte sich zu einem Avatar mit einer Maske, auf der sich ein schlichter, gelber, lachender Smiley befand. Auf dessen Stirn war ein Strichcode plus Name zu erkennen: „Gogg01“.
„Dachtest du wirklich, ich würde deine Hetze der Öffentlichkeit präsentieren, du Narr?!“
„Nein, nur weil ich auf Entzug bin, du Fotze, bin ich nicht so naiv! Ich hoffe nur, dass du dich an den Deal hältst und ihnen nichts tust!“, schrie Bugg. Er erschrak selber über seine Wortwahl und besonders über die eigene Lautstärke seiner Stimme.
„Das ist der Entzug. Ohne den Chip und Life, rastet man einfach aus“, dachte er sich.
„Oh Bugg, du hattest die Chance zur ersten Kaste aufzusteigen, aber…“, sprach Gogg.
„…aber ich wollte kein Video hochladen, in dem ich mich selbstbefriedige. Ich wollte keine Nutte werden, wie du und die anderen! So ein krankes Aufnahmeritual! Ich wollte noch etwas Restkontrolle über mein Leben. Aber das hat „Life“ nicht gepasst!“ Bugg japste kurz. „Ich habe mich dafür entschieden. Ich war mir der Konsequenzen bewusst. Ich will nur, dass du meine Familie in Ruhe lässt!“
„Keine Sorge! Sie schauen gerade einen beruhigenden Film und genießen ihre Extradosis „Life“. Sie haben längst vergessen, dass es dich gibt und dass der Protagonist unserer Castingshow ein Familienmitglied ist. Für sie bist du lediglich einer der Teilnehmer auf der Suche nach den „Unleaked“. Besorg‘ mir ein Foto oder noch besser: Bring es zu mir! Dann verschone ich deine Familie!“
„Ich bin so froh, endlich keine Katzenvideos mehr sehen zu müssen. Die anderen tun mir echt leid. Dann lieber so einen krassen Entzug mitmachen!“ Bugg lachte hysterisch. „Und ja. Du kriegst das Foto, das du schon immer wolltest! Versprochen!“
„Es ist an der Zeit, dass du weitermachst. Ach ja, und bitte fluch’ genau so weiter. Genau deshalb haben alle Angst, dass ihnen der Chip entfernt wird. Auf eine entspannende Dosis „Life“ will durch deine Ausbrüche niemand mehr verzichten. Wir gehen wieder auf Sendung in
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„Das krieg ich locker hin, du propagandistisches Arschloch!“

Das Hologramm verschwand. Bugg merkte, wie ihm langsam schwarz vor Augen wurde. Er setzte sich seinen Panamahut auf, öffnete den Rucksack, nahm eine Flasche Wasser und trank einen Schluck. Dann inspizierte er seine Arme. Seine Haut war durch die Sonne völlig verbrannt.
„Das tut scheiße weh. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal draußen war. Meine Haut ist Sonne nicht gewöhnt.“
Danach trank er weiter und verschluckte sich fast. Er begann mehrmals zu würgen.
„Boah. Ist das widerlich! Eigenständig essen und trinken? Daran muss ich mich erstmal wieder gewöhnen! Fast so schwierig wie eigenständiges Denken!“
Er nahm einen weiteren Schluck, schloss seinen Rucksack und begab sich in den Vierfüßlerstand. Die nächsten Meilen, die wieder durch den dichten Regenwald führten, konnte er nur noch kriechend absolvieren. Er wurde dabei von starken Bauchkrämpfen geplagt.
„Ja! Haltet immer schön drauf, anstatt mir zu helfen! Ihr Wichser!“, schrie Bugg als er die Adlerdrohne erblickte. „Ich gebe bestimmt nicht auf!“


***​

Bugg kroch weiter und nach einigen Stunden mit wundgescheuerten Knien merkte er, wie sich der Himmel über ihm verfinsterte.
„Das ist kein Gewitter! Unfassbar! Ich wusste nicht, dass es bereits so viele gibt.“
In der Luft drängelten sich hunderte künstliche Vögel und filmten eine Treppe, deren Stufen in einen kristallblauen See führten. Dieser war zu den anderen Seiten hin von einem monströsen Gebirge umschlossen.
„Da soll ich runter? Ich bin noch nie geschwommen! Ich werde verrecken! Aber jetzt verstehe ich auch, warum die ganzen Drohnen dort nicht hinkommen! Die Bürde der Elektronik! Und durch den Berg kommen die Dinger niemals durch.“
Während Bugg sich seine Überlebenschancen ausrechnete, schlug die erste adlergroße Drohne unweit von seinem Kopf ein. Er bemerkte, wie weitere Drohnen abstürzten und einige von ihnen sogar in den See fielen und versanken.
„Solch eine kranke Scheiße! Ich muss hier weg!“
Bugg nahm Anlauf und rannte auf das Wasser zu. An der Treppe angekommen, stolperte er über den Flügel einer Drohne, schlug mit dem Kopf an einer der Stufen auf und fiel ins Wasser. Bewusstlos sank er zu Boden.

***​

„Der Patient ist offline. Weder trägt er einen implantierten Chip, noch lassen sich aktuelle Spuren von „Life“ in seinem Körper nachweisen. Er hat nicht eine einzige Kamera bei sich. Das ist auch der Grund, warum das besondere Magnetfeld der Höhle und unsere weiteren Fallen ihn nicht getötet haben. Er ist rein und das sind nur noch wenige da draußen! Aber sein Herz ist leider schon sehr schwach. Ohne weiteres „Life“ wird er sterben. Dieses Zeug hat sein ganzes Immunsystem zerstört. Nur diese Droge würde ihn noch ein paar Jahre am Leben halten“, sprach ein sportlicher, rothaariger Mann mit langen gelockten Haaren und sanfter Stimme zu einem Soldaten, der oberkörperfrei war und ein großes Buschmesser in seiner Hand trug.
„Ok, Med! Wenn du es sagst. Ich würde ihn lieber eliminieren, da er einer von ihnen war.“
„Nein, Nael. Er hat alle Tests bestanden! Und ohnehin bezweifle ich, dass er stark genug ist, um uns zu schaden. Schau dir doch diesen armen Kerl an!“
„Wie auch immer. Ich möchte nicht, dass er Area Beta betritt. Er bleibt hier bei den Kriegern. Er ist nicht würdig. Sein Geist ist verdorben!“
„Das bezweifle ich. Ohne den Chip und „Life“ hat zumindest seine Seele eine Chance! Ich werde mich um ihn kümmern. Mach‘ dir keine Sorgen!“


***​


Als Bugg aufwachte, befand er sich in einem weichen Bett in einem kleinen abgelegenen Bereich einer der vielen Höhlen. Med ging sofort auf ihn zu und lächelte ihn fürsorglich an.
„Hallo! Wie geht es dir, mein Freund!?“
„Wo bin ich? Und wer sind Sie?“
„Man nennt mich Med und ich bin überraschenderweise Arzt. Kaum zu glauben bei diesem Nickname, oder?“, scherzte er. „Wie lautet dein Name?“
„Bugg!“
„Med?“
„Ja, Bugg.“
„Wo ist es?“
„Wen meinst du? Kanani?“
„Ich meine die Unleaked, die Ungesehene! Ich kenne ihren Namen nicht. Wenn sie wirklich so heißt, ist alleine die Information bestimmt 500 Millionen Libra wert!“ Er packte Meds Shirt und zog ihn zu sich. „Sag mir, hast du sie schon gesehen! Wie sieht sie aus?“
„Kanani ist wunderschön. Deshalb auch der Name. Ich bin der einzige Arzt hier. Natürlich habe ich sie schon gesehen. Und ich verstehe nun, warum du da bist. Du bist nicht der Erste, der versucht hat, ein Bild von ihr zu bekommen. Sie ist erst 4 Monate alt und es gibt noch keine Bilder von ihr, nicht einen Beweis für ihre Existenz. „Life“ muss bestimmt gerade durchdrehen, oder?“
„Und wie! Sonst würden sie auch nicht ausgerechnet mich schicken“. Bugg pausierte kurz, während Med lachte. „Kanani? Schöner Name!“
Med half Bugg dabei, aufzustehen. Sie traten aus dem Bereich heraus und erkundeten das große, weite Höhlenareal.
„Das ist Area Alpha. Insgesamt gibt es drei Areas. Wie du siehst, haben sie schon vieles probiert, aber die Einwohner der Insel haben sich einiges einfallen lassen, um ihre eigene und Kananis Reinheit zu bewahren.“
Bugg sah dutzende von einheimischen Kriegern mit Armbrüsten und Buschmessern ausgestattet, die sichtlich angespannt in der Höhle umherliefen. Med zeigte mit seinem Kopf auf einen Hügel. Bei näherer Betrachtung fiel auf, dass dieser ein gigantischer Schrottplatz war, auf dem sich dutzende zerstörte Cyborgs und Drohnen befanden. Unter ihnen sah man auch menschliche Leichenteile.
„Lass mich raten. Ihre Chips wurden ihnen zum Verhängnis?!“
„Und unsere Krieger! Der Berg hier ist ein inaktiver Vulkan und die Höhlen hier enthalten Magnetfelder, die die Elektronik in vielen technischen Geräten zerstört haben. Den Rest haben wir erledigt.“ Med pausierte. „Ich hätte noch eine Frage. Warum haben sie ausgerechnet dich geschickt?“
„Warum fragst du? Weil ich im Gegensatz zu euch fett bin? Ich sehe nicht bedrohlich aus. Vielleicht war das die Idee? Hat ja schließlich geklappt!“ Bugg blickte hämisch auf den Schrotthügel. „Ich gehöre zu Goggs Followern. Er gehört zu den 5 größten Influencern der Welt. Jeder von den Influencern hat seine eigene Methode gewonnen, Follower zu generieren. Goggs Problem ist, dass er mit „Life“, übertrieben hat, weil er seine Follower komplett abhängig machen wollte. Und das Network „Life“ kooperiert als Goggs Werbepartner, so wie bei den anderen vier großen Influencern auch. „Life“ steht halt über allem!“

Bugg stöhnte vor Schmerz.
„Klingt megakompliziert und anstrengend!“, sagte Med.
„Ich blicke da auch nicht mehr durch! Alle wollen was vom großen Kuchen abhaben. Das Problem an der Sache ist aber: Goggs sportlichste Follower siehst du entweder gerade direkt vor dir…“ Bugg zeigte anschließend mit seinem Finger auf die Leichenteile. „Oder sie liegen da hinten!“
„Es gibt keine sportlichen Menschen mehr?“
„Zumindest nicht unter Goggs Followern. Und wenn doch, tragen sie alle einen implantierten Chip!“
Med gähnte.
„Ich habe noch nie etwas von diesem Gogg gehört.“
„Krass! Wie kann das denn sein?!“
„Ich lebe schon seit 15 Jahren hier auf dieser Insel. Das hier ist einer der wenigen Orte auf der Erde, wo es keinen Internetzugang gibt und wo das „Life“ prinzipiell verboten wurde. Alle Leute hier waren seit Jahren nicht mehr online!“
„Ich beneide dich! Wenn ich dich so ansehe. Hmm. Du siehst irgendwie glücklich aus!“
„Das bin ich auch. Ich liebe diesen Ort!“
„Aber du bist dir schon darüber im Klaren, dass nur ein einziges Foto von den „Unleaked“ bis zu einer Trilliarden Libra wert sein kann und Gogg und die anderen Influencer, alles dafür tun würden, um Fotos von dem Mädchen zu sehen?!“
„Ja. Das bin ich. Du bist nicht der Erste, der hier aufgetaucht ist und uns bedrohen wollte.“
Bugg erschrak für einen Moment und hustete stark.
„Öhm. Nein. Ich... Ich.. bin nicht...nicht… hier, um euch…“
„Chill mal! Ich weiß, was du meinst! Ich will nur sagen, dass wir die Lage unter Kontrolle haben. Und ich bin froh, endlich mal ein neues Gesicht zu sehen.“
„Danke, Med! Ich weiß das zu schätzen. Aber du solltest die Angelegenheit ernst nehmen!“
„Wieso?“
„Selbst ein aktuelles Foto von dir oder den anderen Einheimischen wäre noch eine Milliarde Libra wert, weil ihr euch so rar macht! Aber ein Foto von Kanani wäre unbezahlbar. Niemand hat sie zuvor gesehen.“
„Doch! Ihre Eltern, ihre Freunde, die einheimischen Krieger hier und ich.“
„Das zählt nicht. Das Foto ist nicht online!“
„Warum zählt das nicht? Sie ist auch glücklich, ohne dass die ganze Welt sie kennt. Und Geld brauche ich nicht. Ich lebe an einem der schönsten Orte der Welt.“
„Doch…Weil…Weil…Öhm!“
Bugg schwieg. Ihm fiel keine passende Antwort ein. Gerade als er nicken wollte, wurde er erneut von Krämpfen übermannt.
„Was ist los?“
„Mit mir geht es bald zu Ende! Eine Woche ohne „Life“ oder Onlinegehirnimplantat hat kein Abhängiger zuvor länger als 7 Tage überlebt.“
„Und wie lange bist du schon auf Entzug?“
„Das ist Tag 11!“

***​


Es war eine weitere Nacht in den Höhlen vergangen.
„Für solch einen Ort ist es hier gar nicht mal so dunkel!“, dachte sich Bugg, dem es mental immer besser, aber körperlich betrachtet deutlich schlechter ging.
Durch das Wasser und einige kleine Löcher im Gestein wurde ausreichend Tageslicht in die Höhle reflektiert. Auch Bäume und andere Pflanzen gediehen durch die Mineralien in den Gesteinen.
Med war nach einem Tag in Area Gamma wieder zurückgekehrt. Seine Kleidung und seine Haare waren noch nass. Sein Gesicht strahlte, als er Bugg behandelte.
„Wieso grinst du so behindert?“
„Es ist was Tolles passiert.“
„Ich verstehe. Es gibt noch ein Baby?!“
Med schüttelte mit dem Kopf.
„Junge oder Mädchen?“
„Wieviel krieg ich für diese Info? 2 Milliarde Libra?“, scherzte Med.
„Bestimmt! Wenn nicht mehr!“

In diesem Augenblick wurde Area Alpha von einem großen Beben erschüttert und Explosionen, die die Wände der Höhlen zum Wackeln brachten, waren plötzlich zu hören.

„Verdammt! Nael hatte recht. Sie greifen an.“
„Ich hab‘ dich gewarnt! Gogg kennt keine Skrupel.“
„Die Magnetfelder werden bald zerstört sein. Wir müssen hier weg! Schaffst du es?“, schrie Med.
„Ich hoffe.“
„Wir müssen zu Area Beta!“

Beide begaben sich zum anderen Ende der Höhle, während ihnen einheimische Kämpfer entgegenkamen und zum ersten See auf Area Alpha stürmten.

Bald erreichten Med und Bugg einen weiteren See, dessen Wasser rosa schimmerte. „Wie konnte das passieren?“, rief Med.
„Ganz einfach. Vielleicht gibt es einen Verräter? Ein paar Infos rauszugeben, ist schließlich sehr simpel, aber dafür durchaus lukrativ.“
„Niemals! Geld interessiert uns nicht! Ich glaube nicht daran, dass uns jemand verraten hat!“
„Ist doch egal! Sie wissen von dem zweiten Kind! Zwei Unleaked sind unbezahlbar! Jetzt werden sie euer zu Hause zerstören!“
„Wir werden sehen! So einfach geben wir nicht auf!“
„Autsch!“
„Was ist passiert?“
„Eine Biene hat mich gestochen! Siehst du?“
Bugg präsentierte Med für einen Bruchteil einer Sekunde das Objekt, ehe er es intuitiv in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
„Unmöglich! Es gibt hier keine Bienen! Egal! Wir müssen weg!“
Gerade als sie in den See springen wollten, wurden sie von Nael aufgehalten, der aus dem Wasser emporstieg.
„Nael, was machst du hier? Du solltest doch in Area Gamma sein!?“
Dieser zögerte mit seiner Antwort.
„Das geht dich gar nichts an!“
Nael schaute auf Bugg und packte ihn am Hals.
„Er ist unwürdig. Der darf nicht zu ihnen! Ich traue ihm nicht!“
„Ich schon! Hast du es vergessen? Vor dem Gott der Natur sind wir alle gleich!“, brüllte Med.
„Tut mir leid, aber ich muss ihre Reinheit vor ihm schützen.“
Nael zückte sein Buschmesser.

Es gab eine weitere Erschütterung. Mehrere Explosionen folgten, wodurch viele Objekte durch die Luft katapultiert wurden.
In diesem Moment schlug ein großer Splitter zwischen Naels Augen ein. Dieser sackte leblos zu Boden. Med fühlte seinen Puls.
„Tot!“
„Mist!“, schrie Bugg völlig panisch.
„Was ist?“
„Irgendwas hat mich auch erwischt! Am Bein!“
„Lass mich mal sehen!“
„Schlimm?“
„Nein. Du wirst nicht sterben. Zumindest nicht daran. Das ist nur ein Kratzer! Los, wir müssen weiter!“
Bugg und Med liefen an Naels leblosem Körper vorbei und sprangen in den See, während
hinter ihnen ein Teil der Höhle einstürzte. Med griff Buggs Hand und führte ihn behutsam durch die vielen unterirdischen Gänge. Im Wasser verlor Bugg langsam das Bewusstsein.


***​


Als er wieder zu sich kam, hörte Bugg ein Geräusch, das er seit Jahren nicht mehr gehört hatte.
„Wie beeindruckend ist das denn? Das Lachen eines Kindes!“
Bugg öffnete seine Augen, doch er sah nichts. Bewegen konnte er sich auch nicht. An einem Baum gefesselt, suchte er nach Orientierung.
„Med, bist du da?“
„Ich bin hier.“
„Warum hast du das getan?“
„Weil es hier keine Bienen gibt. Das ist eine Drohne. Ich hab‘ sie mir mal näher angeschaut, als du geschlafen hast.“
„Es tut mir leid. Ich vermute, dass sie aufgrund ihrer Größe und der geschwächten Magnetfelder gerade eben ihren Weg zu uns gefunden hat. Sorry. Ich habe an meine Familie gedacht.“ Bugg hustete vor Anstrengung, ehe er fortfuhr. „Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich diverse Clips und Videos in den letzten Jahren häufiger gesehen als sie. Das trifft umgekehrt leider auch zu. Ich weiß gar nicht, ob sie noch wissen, wie ich heiße. Die Idee war dumm! Sorry.“
„Du kannst nichts dafür. 90 Prozent der Weltbevölkerung waren nur noch gehirnlose Follower, als ich damals ausgestiegen bin. Ich will nicht wissen, wie viele es jetzt sind. „Life“ ist an allem schuld, nicht du!“
„Du hättest mich verrecken lassen können. Warum hast du das nicht gemacht?“
„Weil ich glaube, dass alle Menschen gleich sind. Und seitdem du hier bist, hast du kaum noch geflucht. Das Gute in dir kommt wieder zum Vorschein. Und bevor du stirbst, solltest du noch einmal wahre Schönheit sehen.“
„Dann mach die Augenbinde ab und hol‘ mir einen Spiegel!“
Beide lachten.
„Kanani wird entscheiden, ob du würdig bist.“
„Aha! Obwohl ich spüre, dass ich bald sterbe, war ich schon lange nicht mehr so glücklich. Ich habe es nicht verdient, an diesem besonderen Ort zu sein!“
„Warum solltest du es mehr oder weniger verdient haben als ein anderer Mensch?“, unterbrach ihn Meds ruhige Stimme.

In diesem Moment merkte Bugg, wie ihm die Augenbinde abgerissen wurde. Er blinzelte zunächst stark. Dann sah er es.
Es war ein Baby, das ihn anlächelte. Es befand sich auf dem Arm eines leicht bekleideten Mannes.

Überall liefen nackte Menschen herum. Kinder spielten glücklich und es schien viel Licht durch die gewaltigen Kronen der Bäume, die in dieser Höhle wuchsen.
„Das ist Kanani!“, sagte der muskulöse Mann. „Sie ist meine Tochter und mein Name ist Akoni.“
„Danke, Akoni! Danke, dass ich dieses Paradies sehen durfte. Es ist f...f..
FANTASTISCH!“
Bugg weinte.

„Du müsstest erst die Kinder meiner Schwester sehen! Die Zwillinge sind wunderschön und erst wenige Tage alt. Malu und Jaden! Aber sie sind in Area Gamma.“

Als Akoni ihn von seinen Fesseln befreit hatte, griff Bugg nach seinem Buschmesser, das Akoni an seinem Hosenbund trug. Er entriss ihm Kanani und bedrohte sie.
Akoni wich zurück, während der Säugling immer noch fröhlich auf Buggs Armen lachte.
„Du Idiot! Was machst du da?“, schrie Med.
„Ich will, dass Akoni mich zurückbringt! Sofort! Ich will auch die beiden neuen Ungesehenen nicht treffen. Bitte! Niemand soll erfahren, dass es sie gibt. Sie sollen in Frieden leben und nicht wie Kanani gejagt werden. Ihnen kann ich noch helfen. Ich habe einen Plan! Med, gib mir die Biene!“
Med schaute zu Akoni, der ruhig blieb und ihm zunickte.
„Ich vertraue ihm! Kanani lacht. Ein gutes Zeichen!“
Med gab Bugg, dessen Körper zunehmend zitterte, die Bienendrohne, welche sich in Meds Tasche befand. Mit seinen letzten Kraftreserven hielt Bugg die Biene vor das lachende Gesicht Kananis.
„Und cheese! Ich habe von euch mehr bekommen als ich wollte. Und auch wenn meine Familie jetzt getötet wird, entscheide ich mich für die Freiheit. Das hier ist das wahre Leben. Die anderen existieren nur noch vor sich hin. Bitte vertraut mir! Die letzten Tage meines Lebens waren zugleich die schönsten. Ich möchte euch was dafür zurückgeben, bevor ich sterbe.“

Akoni nickte. Bugg bat Med zu sich und übergab ihm Kanani. Danach packte Akoni Bugg und schlug ihm das Messer aus der Hand. Er schaute ihn intensiv an, ehe er Bugg hochhob, ihn zu dem See trug und ihn hineinwarf. Bugg ging langsam unter. Dann bemerkte er, wie Akoni ins Wasser gesprungen war und seine Hand griff.
Sie schwammen zu Area Alpha, indem sie den verbliebenen, nicht zerstörten, Tunnelgang benutzten. Die letzten Meter musste Bugg alleine zurücklegen, da er ahnte, was ihn erwarten würde. Zuvor hatte er Akoni mit seinen Händen signalisiert, den Tunnel nach seiner Rückkehr verschließen zu wollen.

***​


Völlig erschöpft erreichte Bugg die Reste von Area Alpha, die bereits zu einem Großteil freigesprengt worden war.
Der Himmel war dunkel und grau.
„Alles Drohnen!“, dachte sich Bugg.
Er schleppte sich aus dem Wasser, begab sich zu den Resten des Schrotthaufens und kletterte mit letzter Kraft auf dessen Spitze.
Die Drohnen filmten ihn in Nahaufnahme.
Goggs Hologramm erschien aus dem Körper einer Drohne, die wie ein Geier aussah.
„Gut gemacht, Bugg. Zeig mir, was du für mich hast!“
„Ich hab‘ das, was du schon immer wolltest!“
Bugg griff in seine Hosentasche und präsentierte die Bienendrohne auf seiner Handfläche.
„Du wirst die Aufnahmen lieben, Gogg!“
Eine Adlerdrohne flog auf Bugg zu, pickte mit ihrem Schnabel auf die Biene und verschluckte sie.
Es dauerte nur wenigen Sekunden bis sie einige Bilder projizierte. Als Gogg die Bilder Kananis sah, lachte er derartig vor Glück, dass sein Hologramm stark flackerte.
„Endlich!“, schrie er. „Ich bin der mächtigste Influencer von allen! Ich habe dich unterschätzt!“
„Moment eines fehlt noch, Gogg!“
„Hast du noch mehr für mich? Du überraschst mich! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich am Leben gelassen. In Grönland und Antarktika gibt es noch einige andere Unleaked. Du wärst der ideale Mann für diese Missionen gewesen. Hier sind wir fertig! Schade!“
Bugg schloss seine Augen.
„Keine Sorge, werter Gogg. Ich habe noch etwas für dich.“
Bugg schlief langsam ein.
„Zeig‘ her! Ich kann es kaum erwarten!“

Die Drohne projizierte nun die letzten Bilder. Zu sehen waren Nahaufnahmen von Buggs Glied.

„Bugg, was soll das, du Idiot?“, schrie Gogg wütend.
„Kanani, verzeih mir! Ich tue es für deine zwei…“, flüsterte Bugg leise vor sich hin, so dass ihn niemand verstand.

Im Hintergrund war ein lauter Erdrutsch zu vernehmen, der das Wasser im See aufwirbelte.
„Bugg! Sprich mit mir!“
Die Adlerdrohne flog zu Bugg und pickte mit ihrem Schnabel auf sein Gesicht.
Doch Bugg rührte sich nicht. Sein Lächeln wirkte friedlich.

„Er ist tot! Los! Wir müssen weiter! Wir haben noch nicht alle Unleaked! Nächste Station: Grönland!“, sagte Goggs Hologramm, während ein weiterer Teil des Bergmassivs einstürzte und die Drohnen davonflogen.

ENDE
 

Mr.Anderson

Kleriker
Ich weiß nicht, ich weiß nicht... ich hatte das Gefühl als würde ich eine Kurzgeschichte vom leider zu früh verstorbenen Richard Bachman lesen. Zum Ende hin wird es leider etwas zu hektisch.
 

Sittich

Well-Known Member
Ich mag die grundsätzliche Idee der Geschichte, auch wenn nicht alles komplett durchblickt habe. Das Thema wurde auf jeden Fall auf eine kreative Art verarbeitet. Auch das Ende und Buggs Wandlung haben mir ganz gut gefallen.

Nicht so gut gefallen haben mir die Dialoge bzw. die wörtliche Rede an sich. Da wirkte vieles gestelzt und unnötig. Ich hätte es besser gefunden, wenn man einige Gedanken und Gefühle mit Aktionen oder Beschreibungen vermittelt hätte, anstatt sie den Leuten direkt in den Mund zu legen. Als spontanes Beispiel hätte ich so etwas hier
„Aha! Obwohl ich spüre, dass ich bald sterbe, war ich schon lange nicht mehr so glücklich. Ich habe es nicht verdient, an diesem besonderen Ort zu sein!“
vielleicht eher so
"Aha!" Obwohl er spürte, dass es mit ihm zu Ende ging, fühlte Bugg sich glücklich wie lange nicht mehr. "Ich habe es nicht verdient,..."

formuliert. Ist aber vielleicht auch nur Geschmackssache.

Alles in allem eine inhaltlich interessante Geschichte mit leicht holprigem Lesefluss.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Mir hat die Geschichte sehr gefallen. Lässt sich flüssig lesen, ist ziemlich kreativ und spannend.
Es gibt eine Kleinigkeit, die nicht sehr ins Gewicht fällt, aber ich möchte sie trotzdem erwähnen. In Höhlen können meines Wissens keine Bäume wachsen, weil sie dafür das Sonnenlicht brauchen (da kann höchstens Moos überleben). Das bisschen reflektierte Restlicht wäre einfach nicht genug.
Die Story ist trotzdem mein Favorit.
 
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