Minimale Spoiler im zweiten Absatz (weniger zur Handlung, als zu Stilelementen des Films, die vielleicht trotzdem nicht jeder schon vor dem Schauen erfahren möchte.)
Das Warten hat sich gelohnt, toller Film. Beginners fand ich ja höchstens okay, 20th Century Women (wir ignorieren hier mal den deutschen Titel) ist stilistisch sehr ähnlich, hat den gleichen, etwas schwülstigen, aber angenehmen Voice-Over-Kommentar und das gleiche, ich nenne es mal, essayistische Einweben von Bildern und historischen Filmaufnahmen. Im Gegensatz zu Beginners, gefiel mir der Film um diese originellen Stilspielereien in diesem Fall aber viel besser. 20th Century Woman hat keinen wirklichen Plot, nur verschiedene Handlungen um eine Gruppe Figuren und es ist erstaunlich, mit was für einer Empathie und einem Fokus Regisseur Mike Mills diesen Figuren begegnet. Auch wenn es im Kern um die Beziehung des 15 jährigen Jamie zu seiner alleinerziehenden Mutter geht, gibt es keine wirklichen Haupt- und Nebenfiguren, weil es vor allem um die Beziehungen der Figuren zueinander geht. Und trotzdem wirkt jedes Teil des kleinen Ensembles wie eine voll geformte Person, was nicht nur an Mills's starkem Drehbuch, sondern auch den fantastischen Darstellern liegen dürfte, der Film ist wirklich perfekt besetzt und Annette Benning, die ich bisher nie wirklich wahrgenommen habe, ist ein Genuss, aber es ist auch eine wunderbare Rolle, und Greta Gerwig und Elle Fanning waren sowieso noch nie, nicht gut (eigentlich hätte nur noch Kristen Stewart gefehlt um drei der besten derzeitigen Schauspielerinnen zu vereinen). Bei Filmen wie diesen ist es, denke ich, oft durchaus schwierig, eine bekannte Riege an Darstellern zu haben und gleichzeitig eine Authentitzität zu bewahren, vor allem wenn das Ganze noch in den 70ern spielt, vermutlich die Ära, die es Filmemacher in der Rekonstruktion gerne vollkommen übetreiben lässt. Aber nicht nur wirkt der Cast im Film wunderbar familiär und realistisch, das Setting innerhalb der 70er ist einerseits wichtig für die Stimmung des Films, der sicher auch voller autobiografischer Elemente ist, aber subtil und unaufdringlich. Mills möchte nicht in jeder Szene, dass wir die 70er auf Teufel komm raus wahrnehmen (Im Gegensatz zu einem in diesem und jedem anderen Sinne vollkommen nervtötenden Film wie American Hustle) und gleichzeitig zieht es einerseits eine leise Nostalgie nach sich, andererseits sind Elemente wie der Second-wave-Feminismus, Schwangerschaftstests, Drogen, Punkmusik, die Talking Heads, wichtig für die Handlung des Films, der eine Coming of Age-Geschichte, der die erwachsenen Figuren genauso wichtig ist wie die Jugendlichen, ein berührende Geschichte über eine (vielleicht) unkonventionelle Mutter-Kind-Beziehung und eine Geschichte über Frauen aus verschiedenen Generationen ist. Das Schöne daran ist auch, dass die weiblichen Figuren nicht nur um die männliche Hauptfigur kreisen, sonder alle auch ihre eigenen Geschichten und Probleme haben und der Film alle Figuren auf Augenhöhe in ihrem semi-familiären Umfeld zusammenkommen, zusammenstoßen lässt. Und am Ende profitieren alle.
Der Film ist so vollgepackt mit Themen und Denkanreizen, dass er fast Gefahr läuft zu verkopft zu sein, zu viel auf einmal zu wollen. Aber, wie mir gerade auffällt, ganz ähnlich wie in der Serie Master of None, schafft er es durch eine ordentliche Portion Humor, aber auch einer großen emotionalen Tragweite, das alles ganz leichtfüßig zu gestalten. Wie anfangs gesagt, nimmt der Film hier und da fast einen essayistischen Stil an, wo er Themen ganz klar in seinen wunderbar inszenierten und gestalteten Zwischensequenzen anspricht. Da kommt in Mike Mills dann sein Erstjob als Grafikdesigner durch, der komplexe Themen auf kreative Weiße herunterbricht. Dabei gefiel mir auch besonders gut, wie Mills den Voice-Over-Kommentar einsetzt, ein Stilmittel, das sehr schnell, sehr schlimm sein kann. Hier allerdings ist er nur dann eingesetzt wenn es wichtig ist, wenn etwas über die Hintergründe der Figuren, der Ära, der Beziehung der Mutter zum Sohn und andersherum erzählt wird, und bezieht sich dabei nicht nur auf den Handlungszeitraum des Films, sondern blickt in die Zukunft, greift jahrzehntelang voraus, um zum Beispiel vom eigenen Tod zu erzählen. In den ganz wunderbaren letzten Minuten des Films lässt Mills nochmal jede einzelne Figur zu Wort kommen, greift voraus, was mit diesen Menschen noch passieren wird. Es ist ein wundervoller Kniff um mit einem Film abzuschließen, dessen Figuren einen über knapp 2 Stunden wirklich ans Herz wachsen. Wie auch in Beginners, scheint Mike Mills eine gewisse Obsession mit der Zeit zu haben, was passiert ist, was passieren wird, wie sich die Menschen verändern, wie sich die Menschheit verändert. Ein gewisser Sinn für Zeit zieht sich durch den ganzen Film und das macht ihn sowohl ein bisschen wehmütig als auch optimistisch.