Clive77
Serial Watcher
„Mama, mir ist langweilig!“
Maria gab einen leisen Schrei von sich, als sie die Stimme ihrer Tochter Theresa in ihrem Rücken vernahm. Beinahe ließ sie das alte Familienfoto, das sie in diesem Moment in Händen hielt und das sie zuvor lange nachdenklich betrachtet hatte, fallen. Stattdessen legte sie es in den Umzugskarton zurück, vor dem sie kniete, und wandte sich zu ihrer Tochter um, die in der Türschwelle zum Flur stand und sie mit großen Augen ansah.
„Kind, erschreck mich doch nicht so!“, schalt sie ihr Kind, nahm jedoch sämtliche Schärfe aus ihrer Stimme, als sie das kleine, verunsicherte Ding vor sich sah. „Was ist denn, Maus?“
„Mir ist langweilig. Willst du mit mir spielen?“
„Was macht denn dein Bruder gerade?“, wich Maria der Frage aus, „Könnt ihr euch nicht einen Moment miteinander beschäftigen?“
„Nein, Theo war gemein zu mir. Ich mag jetzt mit dir spielen! Bitte!“
Maria betrachtete ihre Tochter nachdenklich und warf dann einen Blick zurück auf die Umzugskartons, die hinter ihr verteilt auf dem staubigen Boden ihres zukünftigen Schlafzimmers lagen. Und auch noch in einer halben Stunde da liegen würden. Sie lächelte.
„Na gut. Was willst du denn spielen?“
Theresa strahlte.
„Verstecken!“
„Schon wieder?“
„Ja!“
„Na gut. Dann flitz schon mal runter, ich komme gleich hinterher!“
Das kleine Mädchen rannte aus dem Raum. Maria hörte ihre schnellen Schritte auf der Treppe in Richtung Erdgeschoss und ihre Stimme, die durch das alte Haus hallte.
„Theeeo!! Mama spielt Verstecken mit uns!“
Leise stöhnend richtete Maria sich auf und klopfte sich den Staub von den Beinen. Sie spürte, wie sich langsam Erschöpfung in ihr breit machte. Außerdem plagte sie schon seit einiger Zeit ein dumpfer Kopfschmerz. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, dass es bereits später Nachmittag war. Sie würde sich nach dem Spielen mit den Kindern bald um das Abendessen kümmern müssen. Da die Küche des Hauses noch längst nicht eingerichtet war, würde es wohl auf geliefertes Fast Food hinauslaufen. Das erinnerte sie an Toni, der sie am Morgen, als ihre kleine Familie hier angekommen war, ganz liebevoll in Empfang genommen hatte. Er kümmerte sich als Nachlassverwalter um alles Geschäftliche bezüglich des Hauses und hatte ihr alles Wesentliche gezeigt, vom Warmwasserboiler im Keller bis zum Aufstieg zum Schornstein durch ein Dachfenster im oberen Stockwerk. Außerdem hatte er ihr einen Italiener in einer nicht weit entfernten Stadt empfohlen hatte, den sie vermutlich später gleich mal ausprobieren würde. Maria lächelte, als sie daran dachte, wie gut Toni sich mit den Kindern verstanden hatte. Hatte der Kleinen durchs Haar gewuschelt, spielerisch mit dem sechsjährigen Theo geboxt und sogar …
Maria verzog das Gesicht und rieb sich die Schläfe. Der Schmerzen pochten in ihrem Schädel und schienen sich für einen Moment zu intensivieren. Was hatte Toni noch getan? Hatte er nicht ein Geschenk für eines ihrer Kinder dabei gehabt? Maria versuchte sich zu erinnern, was das gewesen war, doch es wollte ihr nicht einfallen.
Sie gab auf. Zu viel Nachdenken war aktuell anscheinend nicht gut für sie. Zumindest, so dachte sie bei sich, erforderte das Versteckspiel von den Kindern nervenschonende Ruhe.
Sie verließ den Raum, der demnächst ihr Schlafzimmer sein würde, ging den kurzen Flur des Obergeschosses entlang und stieg die verstaubte Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Theresa und Theo, ihre zwei Sonnenscheinchen, standen bereits ungeduldig in der Diele und schienen wieder ein Herz und eine Seele zu sein.
„Mama! Spielen wir Verstecken?“, rief Theo.
„Hab‘ ich dir doch schon gesagt!“, wandte sich seine Schwester an ihn.
„Tun wir’s?“, hakte Theo nach.
„Ja“, sagte Maria nur.
„Okay! Wer zählt? Mussnich!“
„Mussnich!“ schrie Theresa beinahe synchron mit ihrem Bruder, ehe Maria überhaupt verarbeitet hatte, worum es ging.
„Mama zählt!“, erklärte ihr Großer unnötigerweise und grinste. „Bis 20!“
Maria begann, beinahe lautlos den Mund zu bewegen, während sie gemächlich an ihren Kindern vorbeischritt. Theresa und Theo schauten sie fragend an.
„Was machst du?“, fragte ihre Tochter.
Maria holte Luft und rief laut: „VIER…FÜNF…SECHS…!“
Theo und Theresa quietschten vergnügt auf und eilten davon. Fairerweise schloss Maria ihre Augen und drehte sich in Richtung Eingangstür, doch allein durch das Getrappel der kleinen Füße entging ihr nicht, dass ihre Tochter im Erdgeschoss blieb, während Theo sein Heil in der oberen Etage suchte.
„ZWÖLF…DREIZEHN…“
Theresa schien bereits ein Versteck gefunden zu haben, jedenfalls war von ihr nichts mehr zu hören. Aus dem oberen Stockwerk klangen immer noch hektische Schritte, die allerdings auch verstummten, als Maria bei der 18 angekommen war.
„NEUNZEHN…ZWANZIG! ICH KOMME!“
Sie öffnete die Augen und engte sie gleich wieder zusammen, als das Licht ihr stechend in den Kopf drang.
„Meine Güte“, murmelte sie leise und wandte sich vorsichtigen Schrittes nach links, auch (oder gerade weil) sich Theresa in die andere Richtung verkrümelt hatte. Sie betrat das Wohnzimmer. Oder vielmehr den Raum, der hoffentlich demnächst ihr Wohnzimmer darstellen würde. Aktuell war er, sah man von drei vollgeladenen Kartons mit Einrichtungsgegenständen und sonstigem Nippes ab, die Toni auf Marias Bitte hin notdürftig in der Mitte des Zimmers platziert hatte, leer. Der wuchtige Kamin, der fast die halbe Ostwand des Zimmers ausmachte, zog Marias Blick wie schon seit dem ersten Mal, als sie ihn erblickt hatte, magisch an. Sie freute sich schon darauf, sich irgendwann mal, wenn sich der größte Einzugsstress gelegt hatte, mit Theresa und ihrem Sohn vor das warme Feuer hinzulümmeln und Geschichten zu erzählen oder Quatsch zu machen oder einfach nur die gemeinsame Zeit zu genießen.
Marie ging von der Tür aus nach links durch das Zimmer, das eine L-förmige Form hatte und in kleineren Raum führte, der vermutlich mal als Esszimmer dienen würde. Durch einen offenen Durchgang erreichte sie die Küche, die sie größtenteils von der Vorbesitzerin – einer dementen, offenbar einst wohlhabenden Frau – übernommen hatte. Sie sah die rote Hose, die unter dem runden Frühstückstisch hervor lugte, sofort.
„Hmm, wo kann sich dieses Mädchen nur versteckt haben?“, sprach sie und wanderte demonstrativ langsam durch den Raum. „Sie wird doch nicht…in den Kühlschrank gekrochen sein?“ Maria öffnete hörbar den Kühlschrank, der noch ausgeschaltet und leer war. Unter dem Tisch drang ein leises Kichern hervor.
„Nein, da ist sie nicht. Seltsam.“ Sie näherte sich dem Tisch und zog einen der vier Stühle vor, die ihn umrahmten. Von denen kommt nachher mindestens einer in den Keller, beschloss sie beiläufig, während sie sich setzte. Mit fragendem Gesichtsausdruck blickte sie sich großflächig im Raum um und wippte dabei leicht mit einem Bein, bis sie auf einen sanften Widerstand stieß.
„Nanu!“
Sie schaute nach unten. Ihre Tochter, zusammengekauert und beinahe das Tischbein umwickelnd, erwiderte den Blick mit großen Augen.
„DA bist du!“, rief Maria und griff unter den Tisch. Theresa wandte sich lachend in ihrem Griff, während sie aus ihrem Versteck hervorgezogen wurde. Maria hob sie in ihren Schoß und knuffte sie in die Seite, was ihre Tochter mit noch lauterem Jauchzen beantwortete.
Nach einigem Schäkern wich das Lächeln plötzlich aus Theresas Gesicht und sie verzog die Miene.
„Mir geht’s nicht so gut.“
„Was hast du denn? Tut dir was weh?“
Theresa hielt sich eine Hand an den Kopf.
„Mein Kopf!“, sagte sie.
„Doll?“
„Nein. Nur ein bisschen.“
„Okay“, sagte Maria und setzte ihre Tochter sanft auf den Boden ab. „Weißt du, Mama geht es auch nicht so gut. Sollen wir gleich mal an die frische Luft gehen? Vielleicht hilft das. Und danach eine schöne Pizza?“
„Ohja! Darf ich Laufrad fahren?“
„Na, klar. Aber erst…“, Maria hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr, „müssen wir deinen Bruder finden.“
Theresa machte ein verdutztes Gesicht.
„Stimmt“, sagte sie und kicherte, „den hätte ich ja fast vergessen. Hihi.“ Sie hielt die Hände um ihren Mund und flüsterte ihrer Mutter leise ins Ohr. „Er ist nach oben gerannt!“
Maria nickte ihrer Tochter verschwörerisch zu. Gemeinsam verließen sie die Küche und gingen über die Treppe im Eingangsbereich in das obere Stockwerk. Vor ihnen erstreckte sich der dunkle Flur, von dem zu beiden Seiten je zwei Zimmer abgingen.
„Du rechts, ich links?“, raunte sie ihrem Kind zu.
„Okay“, antwortete Theresa und verschwand im ersten Zimmer zu ihrer rechten, das später einmal ihr Zimmer werden würde. Maria wandte sich nach links und betrat das Badezimmer. Ihr war gleich klar, dass sie das, was sie suchte, nicht in diesem Raum finden würde. Dafür war er zu übersichtlich. Pro forma warf sie einen Blick in die Badewanne, die natürlich bis auf den leicht fleckigen Boden leer war. Da das Zimmer ansonsten bis auf das beinah antike Waschbecken und die glücklicherweise bisher tadellos funktionierende Toilette nichts zu bieten hatte, verließ sie es wieder, wobei sie im Flur beinahe mit ihrer Tochter zusammenstieß.
„Nichts“, sagte Theresa ernst.
„Okay. Dann … gehst du ins Schlafzimmer und ich gucke in, äh, dem anderen Raum?“
Theresa schien einen Moment nachzudenken, bevor sie nickte und dem Vorschlag mit einem leisen „Mhm“ zustimmte. Sie ging voran und dann nach rechts in das leere Zimmer, während Maria mit einem unguten Gefühl den linken Raum betrat.
Maria gab einen leisen Schrei von sich, als sie die Stimme ihrer Tochter Theresa in ihrem Rücken vernahm. Beinahe ließ sie das alte Familienfoto, das sie in diesem Moment in Händen hielt und das sie zuvor lange nachdenklich betrachtet hatte, fallen. Stattdessen legte sie es in den Umzugskarton zurück, vor dem sie kniete, und wandte sich zu ihrer Tochter um, die in der Türschwelle zum Flur stand und sie mit großen Augen ansah.
„Kind, erschreck mich doch nicht so!“, schalt sie ihr Kind, nahm jedoch sämtliche Schärfe aus ihrer Stimme, als sie das kleine, verunsicherte Ding vor sich sah. „Was ist denn, Maus?“
„Mir ist langweilig. Willst du mit mir spielen?“
„Was macht denn dein Bruder gerade?“, wich Maria der Frage aus, „Könnt ihr euch nicht einen Moment miteinander beschäftigen?“
„Nein, Theo war gemein zu mir. Ich mag jetzt mit dir spielen! Bitte!“
Maria betrachtete ihre Tochter nachdenklich und warf dann einen Blick zurück auf die Umzugskartons, die hinter ihr verteilt auf dem staubigen Boden ihres zukünftigen Schlafzimmers lagen. Und auch noch in einer halben Stunde da liegen würden. Sie lächelte.
„Na gut. Was willst du denn spielen?“
Theresa strahlte.
„Verstecken!“
„Schon wieder?“
„Ja!“
„Na gut. Dann flitz schon mal runter, ich komme gleich hinterher!“
Das kleine Mädchen rannte aus dem Raum. Maria hörte ihre schnellen Schritte auf der Treppe in Richtung Erdgeschoss und ihre Stimme, die durch das alte Haus hallte.
„Theeeo!! Mama spielt Verstecken mit uns!“
Leise stöhnend richtete Maria sich auf und klopfte sich den Staub von den Beinen. Sie spürte, wie sich langsam Erschöpfung in ihr breit machte. Außerdem plagte sie schon seit einiger Zeit ein dumpfer Kopfschmerz. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, dass es bereits später Nachmittag war. Sie würde sich nach dem Spielen mit den Kindern bald um das Abendessen kümmern müssen. Da die Küche des Hauses noch längst nicht eingerichtet war, würde es wohl auf geliefertes Fast Food hinauslaufen. Das erinnerte sie an Toni, der sie am Morgen, als ihre kleine Familie hier angekommen war, ganz liebevoll in Empfang genommen hatte. Er kümmerte sich als Nachlassverwalter um alles Geschäftliche bezüglich des Hauses und hatte ihr alles Wesentliche gezeigt, vom Warmwasserboiler im Keller bis zum Aufstieg zum Schornstein durch ein Dachfenster im oberen Stockwerk. Außerdem hatte er ihr einen Italiener in einer nicht weit entfernten Stadt empfohlen hatte, den sie vermutlich später gleich mal ausprobieren würde. Maria lächelte, als sie daran dachte, wie gut Toni sich mit den Kindern verstanden hatte. Hatte der Kleinen durchs Haar gewuschelt, spielerisch mit dem sechsjährigen Theo geboxt und sogar …
Maria verzog das Gesicht und rieb sich die Schläfe. Der Schmerzen pochten in ihrem Schädel und schienen sich für einen Moment zu intensivieren. Was hatte Toni noch getan? Hatte er nicht ein Geschenk für eines ihrer Kinder dabei gehabt? Maria versuchte sich zu erinnern, was das gewesen war, doch es wollte ihr nicht einfallen.
Sie gab auf. Zu viel Nachdenken war aktuell anscheinend nicht gut für sie. Zumindest, so dachte sie bei sich, erforderte das Versteckspiel von den Kindern nervenschonende Ruhe.
Sie verließ den Raum, der demnächst ihr Schlafzimmer sein würde, ging den kurzen Flur des Obergeschosses entlang und stieg die verstaubte Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Theresa und Theo, ihre zwei Sonnenscheinchen, standen bereits ungeduldig in der Diele und schienen wieder ein Herz und eine Seele zu sein.
„Mama! Spielen wir Verstecken?“, rief Theo.
„Hab‘ ich dir doch schon gesagt!“, wandte sich seine Schwester an ihn.
„Tun wir’s?“, hakte Theo nach.
„Ja“, sagte Maria nur.
„Okay! Wer zählt? Mussnich!“
„Mussnich!“ schrie Theresa beinahe synchron mit ihrem Bruder, ehe Maria überhaupt verarbeitet hatte, worum es ging.
„Mama zählt!“, erklärte ihr Großer unnötigerweise und grinste. „Bis 20!“
Maria begann, beinahe lautlos den Mund zu bewegen, während sie gemächlich an ihren Kindern vorbeischritt. Theresa und Theo schauten sie fragend an.
„Was machst du?“, fragte ihre Tochter.
Maria holte Luft und rief laut: „VIER…FÜNF…SECHS…!“
Theo und Theresa quietschten vergnügt auf und eilten davon. Fairerweise schloss Maria ihre Augen und drehte sich in Richtung Eingangstür, doch allein durch das Getrappel der kleinen Füße entging ihr nicht, dass ihre Tochter im Erdgeschoss blieb, während Theo sein Heil in der oberen Etage suchte.
„ZWÖLF…DREIZEHN…“
Theresa schien bereits ein Versteck gefunden zu haben, jedenfalls war von ihr nichts mehr zu hören. Aus dem oberen Stockwerk klangen immer noch hektische Schritte, die allerdings auch verstummten, als Maria bei der 18 angekommen war.
„NEUNZEHN…ZWANZIG! ICH KOMME!“
Sie öffnete die Augen und engte sie gleich wieder zusammen, als das Licht ihr stechend in den Kopf drang.
„Meine Güte“, murmelte sie leise und wandte sich vorsichtigen Schrittes nach links, auch (oder gerade weil) sich Theresa in die andere Richtung verkrümelt hatte. Sie betrat das Wohnzimmer. Oder vielmehr den Raum, der hoffentlich demnächst ihr Wohnzimmer darstellen würde. Aktuell war er, sah man von drei vollgeladenen Kartons mit Einrichtungsgegenständen und sonstigem Nippes ab, die Toni auf Marias Bitte hin notdürftig in der Mitte des Zimmers platziert hatte, leer. Der wuchtige Kamin, der fast die halbe Ostwand des Zimmers ausmachte, zog Marias Blick wie schon seit dem ersten Mal, als sie ihn erblickt hatte, magisch an. Sie freute sich schon darauf, sich irgendwann mal, wenn sich der größte Einzugsstress gelegt hatte, mit Theresa und ihrem Sohn vor das warme Feuer hinzulümmeln und Geschichten zu erzählen oder Quatsch zu machen oder einfach nur die gemeinsame Zeit zu genießen.
Marie ging von der Tür aus nach links durch das Zimmer, das eine L-förmige Form hatte und in kleineren Raum führte, der vermutlich mal als Esszimmer dienen würde. Durch einen offenen Durchgang erreichte sie die Küche, die sie größtenteils von der Vorbesitzerin – einer dementen, offenbar einst wohlhabenden Frau – übernommen hatte. Sie sah die rote Hose, die unter dem runden Frühstückstisch hervor lugte, sofort.
„Hmm, wo kann sich dieses Mädchen nur versteckt haben?“, sprach sie und wanderte demonstrativ langsam durch den Raum. „Sie wird doch nicht…in den Kühlschrank gekrochen sein?“ Maria öffnete hörbar den Kühlschrank, der noch ausgeschaltet und leer war. Unter dem Tisch drang ein leises Kichern hervor.
„Nein, da ist sie nicht. Seltsam.“ Sie näherte sich dem Tisch und zog einen der vier Stühle vor, die ihn umrahmten. Von denen kommt nachher mindestens einer in den Keller, beschloss sie beiläufig, während sie sich setzte. Mit fragendem Gesichtsausdruck blickte sie sich großflächig im Raum um und wippte dabei leicht mit einem Bein, bis sie auf einen sanften Widerstand stieß.
„Nanu!“
Sie schaute nach unten. Ihre Tochter, zusammengekauert und beinahe das Tischbein umwickelnd, erwiderte den Blick mit großen Augen.
„DA bist du!“, rief Maria und griff unter den Tisch. Theresa wandte sich lachend in ihrem Griff, während sie aus ihrem Versteck hervorgezogen wurde. Maria hob sie in ihren Schoß und knuffte sie in die Seite, was ihre Tochter mit noch lauterem Jauchzen beantwortete.
Nach einigem Schäkern wich das Lächeln plötzlich aus Theresas Gesicht und sie verzog die Miene.
„Mir geht’s nicht so gut.“
„Was hast du denn? Tut dir was weh?“
Theresa hielt sich eine Hand an den Kopf.
„Mein Kopf!“, sagte sie.
„Doll?“
„Nein. Nur ein bisschen.“
„Okay“, sagte Maria und setzte ihre Tochter sanft auf den Boden ab. „Weißt du, Mama geht es auch nicht so gut. Sollen wir gleich mal an die frische Luft gehen? Vielleicht hilft das. Und danach eine schöne Pizza?“
„Ohja! Darf ich Laufrad fahren?“
„Na, klar. Aber erst…“, Maria hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr, „müssen wir deinen Bruder finden.“
Theresa machte ein verdutztes Gesicht.
„Stimmt“, sagte sie und kicherte, „den hätte ich ja fast vergessen. Hihi.“ Sie hielt die Hände um ihren Mund und flüsterte ihrer Mutter leise ins Ohr. „Er ist nach oben gerannt!“
Maria nickte ihrer Tochter verschwörerisch zu. Gemeinsam verließen sie die Küche und gingen über die Treppe im Eingangsbereich in das obere Stockwerk. Vor ihnen erstreckte sich der dunkle Flur, von dem zu beiden Seiten je zwei Zimmer abgingen.
„Du rechts, ich links?“, raunte sie ihrem Kind zu.
„Okay“, antwortete Theresa und verschwand im ersten Zimmer zu ihrer rechten, das später einmal ihr Zimmer werden würde. Maria wandte sich nach links und betrat das Badezimmer. Ihr war gleich klar, dass sie das, was sie suchte, nicht in diesem Raum finden würde. Dafür war er zu übersichtlich. Pro forma warf sie einen Blick in die Badewanne, die natürlich bis auf den leicht fleckigen Boden leer war. Da das Zimmer ansonsten bis auf das beinah antike Waschbecken und die glücklicherweise bisher tadellos funktionierende Toilette nichts zu bieten hatte, verließ sie es wieder, wobei sie im Flur beinahe mit ihrer Tochter zusammenstieß.
„Nichts“, sagte Theresa ernst.
„Okay. Dann … gehst du ins Schlafzimmer und ich gucke in, äh, dem anderen Raum?“
Theresa schien einen Moment nachzudenken, bevor sie nickte und dem Vorschlag mit einem leisen „Mhm“ zustimmte. Sie ging voran und dann nach rechts in das leere Zimmer, während Maria mit einem unguten Gefühl den linken Raum betrat.