Doc, ich meine das so nett, ruhig und nicht-anklagend wie es mir nur irgendwie möglich ist, aber diese ja bisher gar nicht mal so langlebige Diskussion (oder was immer es jetzt auch genannt werden soll) führt mir mal wieder vor Augen, warum wir beiden in den letzten zwei, drei Jahren – von kleineren Ausnahmen, u.a. bei Ghostbusters, abgesehen – nahezu null Kontakt im Forum hatten. Irgendetwas ist in unserer jeweiligen Art zu schreiben, Fragen zu stellen und zu beantworten, nicht kompatibel. Das endet viel zu schnell in solchen Situationen wie jetzt. Vielleicht lese ich da schon direkt wieder den falschen Ton bei dir heraus, aber auf mich wirkt es, als hätte sich diese Gespräch/diese Diskussion über das, was bei Stranger Things funktioniert und nicht funktioniert, plötzlich um mehrere Level verschärft und eine für mich unangenehme persönliche Note bekommen.
Da du dir aber die Mühe gemacht hast zu antworten, will ich darauf eingehen. In der Hoffnung, dass wir jetzt kein „wer als Erster schweigt hat verloren“ Hin und Her ausgelöst haben. Ab einem gewissen Punkt bin ich gerne bereit zu verlieren.
Meine Absicht war es, meine Eindrücke zur Serie zu schildern. Wie bereits erwähnt, führt das über Kritikpunkte, über negative Aspekte der Serie, da ich ja nun mal in negativer Bewertungsrichtung von der Mehrheit abweiche. Ich möchte gar nicht, dass mir jetzt alle nachlaufen und rufen, „Jau, Joel hat Recht. Nieder mit Stranger Things!“ Das wäre furchtbar. Ich mag es, wenn Leute Dinge mögen und sich an einem popkulturellen Werk erfreuen. Ich halte einen Austausch, eine Reflektion über Funktion, Emotionen und Wirkung aber nicht nur für spannend, sondern auch für nicht unerheblich für ein Forum und beim Wunsch, ein anspruchsvolles und gutes Kulturprogramm zu haben. Ja, wir sind keine Senderchefs, aber Reflektion schärft den eigenen Geschmack und lässt uns besser gucken, intensiver verstehen und besser selektieren.
Dr Knobel schrieb:
Dein gutes Recht. Aber warum schaust du dir dann eine Serie an, die so offensichtlich 80er-Jahre-Nostalgie bieten will und tut? Klar, man kann reingucken und feststellen, dass es etwas bietet, was man in der Form nicht sehen will. Dann bin ich wieder raus. geht mir bei mehreren Serien so, "12 Monkeys" z.B.. das entsprach einfach nicht dem, was ich sehen wollte. Eine Folge und bye bye. Sich die komplette Serie zu geben, dann aber diesen essentiellen Punkt des ganzen Konzepts als Störfaktor zu benennen, ergibt für mich keinen Sinn.
Ob, wie lange und warum ich mir etwas anschaue, ist doch meine eigene Entscheidung. Bei dir klingt es, als hätte ich einen Fehler gemacht, als hätte ich es bereut, diese Serie zu gucken, als würde ich hier nur argumentieren, um Dampf abzulassen und selbst versuchen zu verstehen, warum dieser Versuch scheiterte. Aber mittlerweile habe ich zwei, drei und mehr mal betont, dass ich die Serie unterm Strich ganz nett fand, dass ich einige Elemente durchaus interessant fand und dass die Serie mit ein paar Änderungen und Anpassungen die Chance gehabt hätte mir richtig, richtig gut zu gefallen.
Ja, mir war bewusst, dass es um 80er Nostalgie geht und ja, es ist wahrscheinlicher, dass mich das stört, als dass es mich packt und fasziniert. Aber die Chance, dass es mich packt und fasziniert, ist nicht automatisch ausgeschlossen, nur weil es um (80er) Nostalgie geht. Sollte ich also eine Serie, die mir gerade angeboten wird und über die ausgiebig gesprochen wird – zudem zumeist positiv – kategorisch ausschließen, nur weil ich befürchte, ein Stilelement könnte nicht nach meinem Geschmack sein? Mich macht so etwas auch neugierig, weil ich durchaus glaube, dass man mit Verweisen und offen dargestellten Inspirationen und Vorbildern ansprechende Geschichten erzählen kann.
Davon ab war die erste Folge noch überaus gut. Manche späteren Probleme deuteten sich zwar schon an, aber noch lag alles im Dunklen, also auch die Möglichkeit, dass aus den bisher vage angedeuteten Problemen noch etwas Gutes werden könnte. Und wenn ich erst einmal drei, vier Folgen gesehen habe, dann ziehe ich das auch durch. Insbesondere dann, wenn – wie gesagt – die Serie ja nun kein Totalausfall ist, sondern durchaus ihren Reiz hat.
Aber wie erklärst du dir grundsätzlich, dass eine Serie auf einem Streamingportal, die im Vorfeld gar nicht sonderlich gehyped wurde, so erfolgreich und offensichtlich auch beliebt ist, wenn dieser Nostalgie-Charme falsch, aufgesetzt und unauthentisch ist?
Wie soll ich das denn für andere Leute beantworten? Nicht zuletzt deshalb bin ich doch in diesem Thread, um Eindrücke von Fürsprechern zu hören. Und am liebsten würde ich positive Eindrücke hören, die mehr schildern, die mir einen besseren Einblick geben, wie oder warum ein Element oder die ganze Serie funktioniert haben. Aber zumeist hieß es bisher nur, dass Element X eben funktionierte, dass man es anders empfand als ich.
Das kann ich sogar prinzipiell verstehen. Manchmal macht es einfach Klick zwischen Produkt und Konsument, zwischen Werk und Zuschauer; das kann man dann kaum rational aufdröseln. Geht mir auch manchmal so. Ich glaube auch, dass das gleichzeitig Problem und Lösung im Umgang mit Nostalgie ist. Es ist ein Mechanismus, der ganz frontal aufs Emotionszentrum des Zuschauers zielt, der einen ganz speziellen Affekt, eine Reaktion hervorruft, der ein Vertrautheitsgefühl weckt und – wie man u.a. an Andersons jüngstem Kommentar sieht – den Spurensuch-Instinkt. Man spürt, dass es vertraut ist und versucht dann die leicht maskierten oder verfremdeten Vertrautheitselemente zu enttarnen. Das kann Spaß machen. In der Theorie ist mir das nachvollziehbar.
In der Praxis finde ich das häufig (!, nicht immer) problematisch, weil – um es mal frech zu formulieren – reine Affektbefriedigung keinen lang anhaltenden Mehrwert besitzt. Es ist ein bisschen wie ein effektiver Jump Scare im Horror Film, der dir einen super intensiven Schreckmoment beschert. Aber es sind die langsam aufgebauten Herzklopf- und Nagelkau-Momente der Marke „Halloween“, die man länger mit sich herumträgt.
Soll heißen: Eine Figurenanalogie oder ein vertrautes Plot-Element wirken im Moment, wo es sich vollzieht, vertraut und schön und warm und positiv, haben aber nur selten den andauernden Mehrwert einer gut entwickelten neuen Figur, einer echten Überraschung oder eines klug vorbereiteten Drama-Moments.
In gewisser Weise geht ein schwammiger Umgang mit Referenzen und Nostalgie in eine ähnliche Richtung wie manch andere Dinge, die ich beim Bild der modernen Fan-Kultur schon ein paar Mal angesprochen habe. Oberflächkeit und der Anschein von Vertrautheit nehmen einen größeren Stellenwert ein als Funktion und Figuren. Im Superheldenkino ist es vielen Leuten wichtiger, gewisse Elemente zu sehen, Kostüme und Farben richtig vorgesetzt zu bekommen, und dabei oft weniger wichtig, was mit diesen Figuren narrativ und thematisch gemacht wird. Ich persönlich – und ich zwinge niemandem, mir zu folgen – halte es andersherum für spannender und interessanter.
Da ist doch die Frage: Funktioniert diese "Kostümierungsszene" (Ich finde den Begriff schon grundfalsch) in euren nicht, weil sie schlicht schlecht ist und die falschen Verbindungen knüpft, oder funktioniert sie nicht, weil ihr etwas damit gleichsetzt und herbeifabuliert (Oder herbeirede)t, was die Macher gar nicht beabsichtigt haben und was man eventuell auch gänzlich anders deuten kann?
Oder sie funktioniert bei „euch“, weil ihr etwas „herbeifabuliert“, was die Macher gar nicht richtig erarbeitet haben? Solche Ei & Huhn Fragen funktionieren in beide Richtungen.
Über die grundlegende Idee bzw. Funktion dieser Szene habe ich ja nun schon mehr als einen Satz geschrieben. Was du über Eleven und ihre Motivation und ihre Psychologie in diesem Moment schreibst, habe ich in nicht großartig anderer Art und Weise selbst schon formuliert. Wir sind uns da bei der Intention dieser Szene also größtenteils einig.
Diese "Kostümierung" also nur und ausschließlich auf E.T. zu beziehen, halte ich schlicht für kurzsichtig und auch nicht gerecht
Auch du benutzt hier wieder dieses „nur“, welches an anderer Stelle schon einmal gebraucht wurde. „Nur“? Das bereitet mir wirklich Kummer, weil ich in einem längeren Absatz nun wirklich mehr angesprochen habe, als „nur E.T.“ Ich habe erklärt, was diese Szene will, dass es für Eleven ein durchaus wichtiger Moment ist, und dass mit der Referenz ein zusätzliches Element hinzukommt, welches für mein Empfinden nicht zur eigentlichen Absicht des Moments passt. Denn Anspielungen und Referenzen auf andere Filme bringen ja nicht einfach nur den Filmtitel ins Spiel, sondern eben auch den Inhalt der referenzierten Szene. Und ich hatte bzw. habe nun mal meine Schwierigkeiten damit, diesen charakterlich erheblichen Moment für Eleven zu beobachten und dabei an die vielleicht knuffig-albernste Szene aus „E.T.“ erinnert zu werden. Denn das passiert hier. Dies referenziert nicht E.T.s Ankunft, nicht die Flucht auf den Fahrrädern, nicht die Wissenschaftler, nicht den Abschied, sondern eben E.T. mit Perücke und Hut. Im Film „E.T.“ ist das ne tolle Szene, aber uns – oder zumindest mich – an diese Szene zu erinnern beeinflusst den Moment in ST und beeinfluss diesen Moment für Eleven.
Wenn ihr das ausblenden könnt, dann sei euch oder dir gratuliert. Vielleicht deutet ihr auch den E.T. Moment anders, so dass er doch zu Eleven und ST passt. So etwas würde ich gerne hören oder lesen, ich würde es gerne aus euren Augen sehen, aber bisher ist es mir noch nicht untergekommen. (Und nein, ich will dann ggfs. nicht draufhauen und es euch ausreden. Ich möchte zumindest theoretisch verstehen.)
Original von Joel.Barish
Scheinbar war es den Jungs (und den Duffer Bros. Jungs) zu "weird", Eleven, mit ihren kurzen Haaren und ihrem noch recht schmächtigen Kinderkörper, zu einem Jungen zu machen. Und es war wohl zu schwierig, ihr eine Mütze oder dergleichen aufzusetzen, weil ihre ja so herausragend auffälligen Haare zum Fahndungsprofil gehören.
Diskutieren wir jetzt gerade bei einer Serie wie ST ernsthaft über Rationalität? Es ging doch darum, dass sie sich innerhalb der Geschichte als Mädchen und als hübsch fühlen soll. Es ging darum, dass sich der Junge weiter in sie verguckt. Sie da als Junge zu verkleiden, hätte der Figur nichts gebracht und ist gleichzeitig der beste Beweis dafür, dass diese "Verkleidung" nicht nur als kurzer Gag gedacht ist. Wenn du der Serie jetzt den Vorwurf machen willst, dass sie eine gewisse Rationalität zugunsten von einer gewissen Emotionalität vernachlässigt ... ja mei, dann mach es halt.
Und das wirkt auf mich so, als hättest du nicht alle meine Posts gelesen oder zumindest nicht in der richtigen Reihenfolge. Ich habe meine hier zitierte Aussage im nächsten Post erweitert, als ich erwähne, was dieser Moment für Eleven bedeutet und habe sogar auf diese hier zitierte Aussage zurückverwiesen [„Von daher war es natürlich thematisch richtig, sie wie ein (gender-stereotypes) Mädchen zu verkleiden“] und versucht zu erklären, dass diese erste Aussage etwas (zu) überspitzt war. Ich habe mit nicht einem Wort in den inzwischen gefühlt 27-Malen, wo ich über diese Szene geschrieben habe, behauptet, das Verkleiden sei nur ein Gag gewesen. Es fühlte sich wenn überhaupt nur wie ein Gag an, weil eben gleichzeitig in diesem Moment eine Gag-Szene aus E.T. zitiert wird.
[…] und du ignorierst, dass dieser Punkt des "normales Mädchens" sein und des "hübsch" seins auch später aufgegriffen wird
Ich ignoriere keineswegs Elevens Wunsch ein Mädchen zu sein und hübsch zu sein, wie du behauptest. Wie gesagt habe ich die Szene zuvor ausgiebig beschrieben und u.a. auf Elevens Moment in Nancys Zimmer verwiesen. Mir erschließt sich also nicht, wie du mir weiterhin vorhalten willst, ich würde in dieser Szene einzig eine lustige Verkleidung und eine dämliche Referenz sehen. Das ist schlicht falsch und ich bin ein wenig irritiert, weil ich das von dir eigentlich so nicht kenne.
Die Erklärung, warum Eleven mit Perücke und E.T. mit Perücke nicht nur nicht störend, sondern sogar sinnvoll und bereichernd sind, habe ich wohl einige Male überlesen. Ich lese nur immer wieder, dass das Zitat in keinem Widerspruch zur Szene steht. Okay. Muss ich wohl so akzeptieren.
Zur Szene mit der Fahrradflucht halte ich es tatsächlich für müßig, sie auseinanderzupflücken. Wenn diese Handhabe von angedeutetem Zitat und minimaler Veränderung zu einer Überraschungsreaktion bei dir geführt hat, dann beglückwünsche ich dich. Und das meine ich gänzlich ohne Zynismus oder Sarkasmus. Mir ist das einfach zu nah am Original und dadurch hatte ich leider keine Überraschungsreaktion, sondern eine Schulterzuck-Reaktion.
Zum Abschluss noch, um die Sache mit „herbeigeredet“ endgültig zu begraben: (hoffentlich)
Ich muss nichts entschärfen. Das würde voraussetzen, dass es mir a) wichtig wäre, wie das bei dir ankommt, was es nicht tut und b) weil an der Aussage an sich nichts schlimmes ist. Im Umkehrschlußß bedeutet es nichts anderes, als das du und Jay da teilweise Kritikpunkte seht und schreibt, die ich nicht teile.
Darf ich jetzt Arsch sein und es blöd finden, dass es dir egal ist, ob andere Leute (in diesem Fall ich) deine Aussage anders als gedacht auffassen und sich daran stören? Ist dir nicht an einem freundlichen und offenen Austausch gelegen? Schade. Und ich glaube nicht, dass man mir wirklich vorwerfen kann, mich in eine negative Auslegung dieses Begriffs hineingesteigert zu haben. Nicht zuletzt deshalb habe ich ja nachgefragt, was genau damit gemeint ist. Ich wollte nicht einfach von einer wie auch immer negativ gearteten Interpretation ausgehen. Und immerhin hast du ja selbst die Möglichkeit einer negativen Auslegung ins Spiel gebracht, weil du sagtest, es sei nicht so negativ gemeint, wie es vielleicht klingt.
Aber okay, „herbeigeredet“ heißt, andere Kritikpunkte zu haben als du. Von mir aus. Das wäre ja nicht so schlimm. Aber mit dem Hinweis, es könnte fälschlicherweise auch negativ aufgefasst werden schwirren beim Begriff „herbeigeredet“ schon recht schnell Deutungen im Sinne von „Trittbrettfahrer-Reaktionen“ oder „Fremdbeeinflussung“ mit bei. Dagegen hätte ich mich entschieden gewehrt, denn das ist nicht der Fall. Es sei denn wir erkennen jede einzelne unserer Entscheidungen und Empfindungen als irgendwie vorgeprägt und beeinflusst an, egal ob positiv oder negativ. Da es aber als „andere Meinung als ich“ gemeint war, kann auf „herbeigeredet“ jetzt der Deckel drauf.