Clive77
Serial Watcher
Bernd erwachte mit einem Schrei. Er richtete sich jäh auf seiner Seite des Bettes auf und atmete heftig ein und aus. Neben ihm raschelte es, als sich Erika, seine Frau, regte.
„Schatz? Schatz, was’n los?“, erkundigte sie sich mit verschlafener Stimme.
Bernds Atem beruhigte sich langsam. Er ließ sich nach hinten in sein aufgewühltes Kissen fallen und blickte an die Decke. Erika stützte sich mit einer Hand sanft auf seinem Brustkorb ab und beugte sich über ihn. Es dauerte einen Moment, bis Bernd ihren Blick erwiderte.
„Hm? Ach, alles okay“, sagte er. Er sah zurück zur Decke. „Nur ein dämlicher Traum.“
„Was denn?“
„Nichts, wirklich nicht. Wie gesagt, ganz dämlich. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Schlaf weiter!“
Bernd beugte sich vor, um seiner Frau einen Kuss zu geben, doch sie wich leicht zurück.
„Weißt du“, erklärte sie, „meine Yoga-Lehrerin sagt, dass schlechte Träume raus müssen, weil sie sich sonst im Kopf festsetzen und krank machen. Da oben drin.“ Sie pochte mit dem Zeigefinger mehrmals auf Bernds Stirn. „Willst du das?“
„Gott behüte! Aber ist das die gleiche Frau, die sich nur einmal in der Woche die Haare wäscht, weil sie glaubt, dass das Fett in den Haaren eine reinigende Wirkung auf den Geist hat?“
Erika verkniff sich ein Lächeln und signalisierte ihrem Mann wortlos, dass sie es ernst meinte.
„Okay, okay“, gab Bernd schließlich nach, „Aber es war wirklich nichts Wildes. Ich bin aufgewacht, also im Traum, und lag hier und habe an die Decke geguckt. Und dort, direkt über mir, war ein großer Blutfleck. Das war’s.“
Erika folgte seinem Blick. Die Decke über ihnen war weiß (oder eher grau) und wies hier und dort ein paar dunklere Verfärbungen und winzige Risse auf. Etwa der Zustand, den man drei Jahre nach Erbauung des Hauses erwarten konnte.
„Ich sag ja, es war gar nicht so schlimm“, fuhr Bernd fort. „Ich hab nur dagelegen, den Fleck gesehen und… naja, ich konnte mich einfach nicht bewegen. Und der Fleck wurde größer und größer. War einfach verdammt unangenehm, dem so tatenlos zuschauen zu müssen. Und dann bin ich aufgewacht. Das hast du ja gehört. Und jetzt will ich eigentlich wieder schlafen.“
Seine Frau betrachtete ihn einen Moment und nickte dann.
„Okay“, sagte sie, und ließ ihren Kopf auf seinen Brustkorb fallen. Bernd streichelte ihr sanft durch das Haar und blickte weiter an die Decke.
„Weißt du“, sagte er nach einiger Zeit mit einem Lächeln, „an wen ich im allerersten Moment denken musste? Im Traum?“
„Hm?“, erwiderte Erika im Halbschlaf.
„An Frau Schmidt.“
„Wen?“
„Na, Frau Schmidt aus dem dritten Stock. Die damals direkt über uns gewohnt hat. Ich hab das Blut gesehen und meiner erster Gedanke war ‚Ach du Schreck, Frau Schmidt ist abgestochen worden‘.“
Erika reagierte nicht.
„Schatz?“
Der Kopf seiner Frau folgte der Bewegung seines Brustkorbs, ihr Atem war leise und regelmäßig. Bernd blickte ein letztes Mal zur Decke, über der mittlerweile keine Frau Schmidt, sondern ihr eigener, kleiner Dachboden thronte, und schloss ebenfalls die Augen.
Der nächste Tag verlief normal. Bernd dachte im Verlauf des Morgens und des Vormittags noch einige Male an den Vorfall, konnte ihn aber bald aus seinen Gedanken verdrängen. Dann kam die Nacht und er träumte erneut.
Wieder lag er auf dem Rücken in seinem Bett und öffnete die Augen. Der Blutfleck war erneut direkt über ihm an der Decke. Während Bernd vergebens versuchte, sich von der Stelle zu bewegen, breitete der Fleck sich langsam weiter aus. Sein Umriss vergrößerte sich und sein Zentrum, das exakt über Bernds Kopf lag, verdunkelte sich zunehmend, als das Blut den Putz und das darüber liegende Dämmmaterial durchtränkte. Bernd erkannte, dass sich die Decke nicht mehr länger nur verfärbte, sondern aufweichte, als die zähflüssige Flüssigkeit sich ihren Weg durch das Material bahnte. Schwach glänzte die Blutschicht im fahlen Licht. In ihrer Mitte sammelte sich immer mehr des Lebenssafts, bis er sich der Schwerkraft folgend langsam von der Decke abhob. Unfähig, den Kopf abzuwenden, sah Bernd, wie sich ein großer Tropfen löste, in quälender Langsamkeit herunterfiel und in seinem geöffneten Mund landete.
Er würgte und erwachte. Der dumpfe Geschmack von Blei erfüllte seinen Mund. Mühsam unterdrückte er den Würgreflex und schleppte sich so leise wie möglich, um seine noch schlafende Frau nicht zu wecken, ins Badezimmer. Röchelnd spuckte er ins Waschbecken, bis sein Mund trocken war und er erschöpft nach Luft schnappen musste. Der Speichel im Becken war klar und lief zähflüssig in den Abfluss. Keine Spur von Blut. Bernd füllte sich einen Zahnputzbecher mit Wasser und spülte seinen Mund und das Waschbecken aus, bevor er einige weitere Schlucke zu sich nahm. Der metallische Geschmack in seinem Mund war nur noch als schwacher Nachhall zu spüren. Er blickte in den Spiegel, fuhr sich durch das verschwitzte Haar und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Sein Blick fiel sofort auf die Decke, die natürlich völlig unversehrt und frei von jeglichen Blutspuren war. Es dauerte lange, bis er wieder einschlief.
An diesem Tag erzählte er seiner Frau nichts vom nächtlichen Geschehen, da er sie nicht weiter beunruhigen wollte. Denn er war beunruhigt. Es gelang ihm nicht, sich gänzlich von dem bösen Traum zu befreien. Er versuchte, sich vor allem Erika gegenüber nichts anmerken zu lassen, aber er merkte selbst, dass er etwas neben der Spur und leicht reizbar war. Er schleppte sich durch den Tag und lag abends schließlich wieder im Bett neben seiner Frau. Sie hatte ihm schon vor einiger Zeit Gute Nacht gesagt und liebevoll auf die Wange geküsst, doch für ihn war an Schlaf nicht zu denken. Wie in seinen Träumen lag er auf dem Rücken und starrte an die Decke. In dieser Position waren der Traum und das komplette schutzlose und panische Gefühl, das er währenddessen und danach empfunden hatte, nicht abzuschütteln. Er versuchte, die Lage zu wechseln, sich auf den Bauch zu legen oder auf die Seite, um in das friedliche Gesicht seiner Frau zu blicken. Doch sobald er den Blick von der Decke abwandte, schien ihm eine leise Stimme in seinem Kopf zuzuflüstern, dass das Blut nur auf diesen Moment gewartet hatte, um sich seinen Weg aus seinem Traum und durch die Decke zu bahnen. Er spürte förmlich, wie es sich über ihm sammelte.
Es war kurz nach Mitternacht, als Bernd schließlich beschloss, etwas zu unternehmen. Sachte erhob er sich aus dem Bett, schlüpfte in seine Pantoffeln und verließ das Schlafzimmer. Im Flur glaubte er eine kleine Taschenlampe aus einer Kommode und blieb unter der Dachbodenluke stehen. Einige Zeit beobachtete er die dünne Kordel, die von der Luke in Griffhöhe herunterhing. Sie pendelte leicht hin und her. Es widerstrebte ihm, mitten in der Nacht in die dunkle und selten benutzte Kammer zu steigen, doch er wusste, dass er irgendetwas unternehmen musste und dies vielleicht die Chance war, seinen paranoiden Geist zu beruhigen. Ein kurzer Abstecher nach oben, ein rascher Blick auf die Stelle über dem Schlafzimmer – natürlich ohne verdächtige Flecken, Blutspuren oder sonstigen merkwürdigen Erscheinungen– und er war zuversichtlich, endlich die erstrebte Nachtruhe finden zu können. Entschlossen griff er nach der Kordel und öffnete den Weg zum Dachboden.
Mit der Lampe zwischen den Zähnen erstieg Bernd die Leiter. Er streckte den Kopf durch die Lukenöffnung und blickte nach links und rechts, um sich einen raschen Überblick zu verschaffen. Die Kammer machte wie erwartet einen verlassenen und verstaubten Eindruck. Die Luft war stickig und es war warm hier oben. Bernd erklomm den Rest der Leiter, nahm die Lampe aus dem Mund und richtete sich auf. Um ihn herum standen ein paar Kisten, bei denen er eine vage Ahnung hatte, was sich in ihnen befand. Er sah seinen Heimtrainer, der ihm wahrscheinlich den meisten Schweiß gekostet hatte, als er ihn ernüchtert hier rauf geschleppt hatte. Außerdem machte er einige Koffer und Reisetaschen, alte Schallplatten seiner Sammlung, einen heruntergekommenen Kohlegrill, einige urtümliche Armeestücke von Erikas Großvater und weiteren Kram aus, der vermutlich zu Recht aus ihrer Wohnung und ihrer Erinnerung verbannt worden war.
Bernd orientierte sich einen Moment und machte dann die Stelle aus, die über ihrem Schlafzimmer liegen musste. Sie war halb verborgen hinter einigen Kartons und einem hölzernen Stützpfahl. Er ging am restlichen Gerümpel vorbei darauf zu. Der Boden knarrte leicht unter ihm. Er verlangsamte seinen Schritt und bemühte sich, leiser aufzutreten, um Erika nicht zu wecken. Spinnenfäden streiften sein Gesicht. Er strich sie beiläufig weg, duckte sich, um einer diagonal zwischen Pfosten und Dach verlaufenden Holzstrebe auszuweichen, und kam schließlich, wenn ihn sein räumliches Denken nicht im Stich ließ, wenige Meter über seiner schlafenden Frau zu stehen.
Der Wust an Gerümpel endete an dieser Stelle, sodass das Licht seiner Lampe nun einen leeren Bereich erhellte. Bernd ließ es langsam über den Boden vor ihm gleiten, der hier mit einer dicken Schicht Staub und Dreck und einigen schwarzen Klumpen, bei denen es sich gut um Mäusekot handeln konnte, bedeckt war. Keine Spur von Blut. Unschlüssig ließ Bernd das Licht auf einer Stelle verharren. Beinahe wünschte er, er hätte stattdessen doch die tote Frau Schmidt oder zumindest ein Leck im Dach entdeckt, das rostiges Wasser auf den Boden tropfen ließ. Das alles hätte sich – mit mehr oder weniger Aufwand und Erklärungsnot – beheben lassen. Aber das ungute Gefühl, dass ihn hier hoch getrieben hatte, war mit dem Anblick des blutleeren Boden nicht verschwunden und er ahnte, dass der Traum hartnäckig wiederkehren würde.
„Schatz? Schatz, was’n los?“, erkundigte sie sich mit verschlafener Stimme.
Bernds Atem beruhigte sich langsam. Er ließ sich nach hinten in sein aufgewühltes Kissen fallen und blickte an die Decke. Erika stützte sich mit einer Hand sanft auf seinem Brustkorb ab und beugte sich über ihn. Es dauerte einen Moment, bis Bernd ihren Blick erwiderte.
„Hm? Ach, alles okay“, sagte er. Er sah zurück zur Decke. „Nur ein dämlicher Traum.“
„Was denn?“
„Nichts, wirklich nicht. Wie gesagt, ganz dämlich. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Schlaf weiter!“
Bernd beugte sich vor, um seiner Frau einen Kuss zu geben, doch sie wich leicht zurück.
„Weißt du“, erklärte sie, „meine Yoga-Lehrerin sagt, dass schlechte Träume raus müssen, weil sie sich sonst im Kopf festsetzen und krank machen. Da oben drin.“ Sie pochte mit dem Zeigefinger mehrmals auf Bernds Stirn. „Willst du das?“
„Gott behüte! Aber ist das die gleiche Frau, die sich nur einmal in der Woche die Haare wäscht, weil sie glaubt, dass das Fett in den Haaren eine reinigende Wirkung auf den Geist hat?“
Erika verkniff sich ein Lächeln und signalisierte ihrem Mann wortlos, dass sie es ernst meinte.
„Okay, okay“, gab Bernd schließlich nach, „Aber es war wirklich nichts Wildes. Ich bin aufgewacht, also im Traum, und lag hier und habe an die Decke geguckt. Und dort, direkt über mir, war ein großer Blutfleck. Das war’s.“
Erika folgte seinem Blick. Die Decke über ihnen war weiß (oder eher grau) und wies hier und dort ein paar dunklere Verfärbungen und winzige Risse auf. Etwa der Zustand, den man drei Jahre nach Erbauung des Hauses erwarten konnte.
„Ich sag ja, es war gar nicht so schlimm“, fuhr Bernd fort. „Ich hab nur dagelegen, den Fleck gesehen und… naja, ich konnte mich einfach nicht bewegen. Und der Fleck wurde größer und größer. War einfach verdammt unangenehm, dem so tatenlos zuschauen zu müssen. Und dann bin ich aufgewacht. Das hast du ja gehört. Und jetzt will ich eigentlich wieder schlafen.“
Seine Frau betrachtete ihn einen Moment und nickte dann.
„Okay“, sagte sie, und ließ ihren Kopf auf seinen Brustkorb fallen. Bernd streichelte ihr sanft durch das Haar und blickte weiter an die Decke.
„Weißt du“, sagte er nach einiger Zeit mit einem Lächeln, „an wen ich im allerersten Moment denken musste? Im Traum?“
„Hm?“, erwiderte Erika im Halbschlaf.
„An Frau Schmidt.“
„Wen?“
„Na, Frau Schmidt aus dem dritten Stock. Die damals direkt über uns gewohnt hat. Ich hab das Blut gesehen und meiner erster Gedanke war ‚Ach du Schreck, Frau Schmidt ist abgestochen worden‘.“
Erika reagierte nicht.
„Schatz?“
Der Kopf seiner Frau folgte der Bewegung seines Brustkorbs, ihr Atem war leise und regelmäßig. Bernd blickte ein letztes Mal zur Decke, über der mittlerweile keine Frau Schmidt, sondern ihr eigener, kleiner Dachboden thronte, und schloss ebenfalls die Augen.
Der nächste Tag verlief normal. Bernd dachte im Verlauf des Morgens und des Vormittags noch einige Male an den Vorfall, konnte ihn aber bald aus seinen Gedanken verdrängen. Dann kam die Nacht und er träumte erneut.
Wieder lag er auf dem Rücken in seinem Bett und öffnete die Augen. Der Blutfleck war erneut direkt über ihm an der Decke. Während Bernd vergebens versuchte, sich von der Stelle zu bewegen, breitete der Fleck sich langsam weiter aus. Sein Umriss vergrößerte sich und sein Zentrum, das exakt über Bernds Kopf lag, verdunkelte sich zunehmend, als das Blut den Putz und das darüber liegende Dämmmaterial durchtränkte. Bernd erkannte, dass sich die Decke nicht mehr länger nur verfärbte, sondern aufweichte, als die zähflüssige Flüssigkeit sich ihren Weg durch das Material bahnte. Schwach glänzte die Blutschicht im fahlen Licht. In ihrer Mitte sammelte sich immer mehr des Lebenssafts, bis er sich der Schwerkraft folgend langsam von der Decke abhob. Unfähig, den Kopf abzuwenden, sah Bernd, wie sich ein großer Tropfen löste, in quälender Langsamkeit herunterfiel und in seinem geöffneten Mund landete.
Er würgte und erwachte. Der dumpfe Geschmack von Blei erfüllte seinen Mund. Mühsam unterdrückte er den Würgreflex und schleppte sich so leise wie möglich, um seine noch schlafende Frau nicht zu wecken, ins Badezimmer. Röchelnd spuckte er ins Waschbecken, bis sein Mund trocken war und er erschöpft nach Luft schnappen musste. Der Speichel im Becken war klar und lief zähflüssig in den Abfluss. Keine Spur von Blut. Bernd füllte sich einen Zahnputzbecher mit Wasser und spülte seinen Mund und das Waschbecken aus, bevor er einige weitere Schlucke zu sich nahm. Der metallische Geschmack in seinem Mund war nur noch als schwacher Nachhall zu spüren. Er blickte in den Spiegel, fuhr sich durch das verschwitzte Haar und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Sein Blick fiel sofort auf die Decke, die natürlich völlig unversehrt und frei von jeglichen Blutspuren war. Es dauerte lange, bis er wieder einschlief.
An diesem Tag erzählte er seiner Frau nichts vom nächtlichen Geschehen, da er sie nicht weiter beunruhigen wollte. Denn er war beunruhigt. Es gelang ihm nicht, sich gänzlich von dem bösen Traum zu befreien. Er versuchte, sich vor allem Erika gegenüber nichts anmerken zu lassen, aber er merkte selbst, dass er etwas neben der Spur und leicht reizbar war. Er schleppte sich durch den Tag und lag abends schließlich wieder im Bett neben seiner Frau. Sie hatte ihm schon vor einiger Zeit Gute Nacht gesagt und liebevoll auf die Wange geküsst, doch für ihn war an Schlaf nicht zu denken. Wie in seinen Träumen lag er auf dem Rücken und starrte an die Decke. In dieser Position waren der Traum und das komplette schutzlose und panische Gefühl, das er währenddessen und danach empfunden hatte, nicht abzuschütteln. Er versuchte, die Lage zu wechseln, sich auf den Bauch zu legen oder auf die Seite, um in das friedliche Gesicht seiner Frau zu blicken. Doch sobald er den Blick von der Decke abwandte, schien ihm eine leise Stimme in seinem Kopf zuzuflüstern, dass das Blut nur auf diesen Moment gewartet hatte, um sich seinen Weg aus seinem Traum und durch die Decke zu bahnen. Er spürte förmlich, wie es sich über ihm sammelte.
Es war kurz nach Mitternacht, als Bernd schließlich beschloss, etwas zu unternehmen. Sachte erhob er sich aus dem Bett, schlüpfte in seine Pantoffeln und verließ das Schlafzimmer. Im Flur glaubte er eine kleine Taschenlampe aus einer Kommode und blieb unter der Dachbodenluke stehen. Einige Zeit beobachtete er die dünne Kordel, die von der Luke in Griffhöhe herunterhing. Sie pendelte leicht hin und her. Es widerstrebte ihm, mitten in der Nacht in die dunkle und selten benutzte Kammer zu steigen, doch er wusste, dass er irgendetwas unternehmen musste und dies vielleicht die Chance war, seinen paranoiden Geist zu beruhigen. Ein kurzer Abstecher nach oben, ein rascher Blick auf die Stelle über dem Schlafzimmer – natürlich ohne verdächtige Flecken, Blutspuren oder sonstigen merkwürdigen Erscheinungen– und er war zuversichtlich, endlich die erstrebte Nachtruhe finden zu können. Entschlossen griff er nach der Kordel und öffnete den Weg zum Dachboden.
Mit der Lampe zwischen den Zähnen erstieg Bernd die Leiter. Er streckte den Kopf durch die Lukenöffnung und blickte nach links und rechts, um sich einen raschen Überblick zu verschaffen. Die Kammer machte wie erwartet einen verlassenen und verstaubten Eindruck. Die Luft war stickig und es war warm hier oben. Bernd erklomm den Rest der Leiter, nahm die Lampe aus dem Mund und richtete sich auf. Um ihn herum standen ein paar Kisten, bei denen er eine vage Ahnung hatte, was sich in ihnen befand. Er sah seinen Heimtrainer, der ihm wahrscheinlich den meisten Schweiß gekostet hatte, als er ihn ernüchtert hier rauf geschleppt hatte. Außerdem machte er einige Koffer und Reisetaschen, alte Schallplatten seiner Sammlung, einen heruntergekommenen Kohlegrill, einige urtümliche Armeestücke von Erikas Großvater und weiteren Kram aus, der vermutlich zu Recht aus ihrer Wohnung und ihrer Erinnerung verbannt worden war.
Bernd orientierte sich einen Moment und machte dann die Stelle aus, die über ihrem Schlafzimmer liegen musste. Sie war halb verborgen hinter einigen Kartons und einem hölzernen Stützpfahl. Er ging am restlichen Gerümpel vorbei darauf zu. Der Boden knarrte leicht unter ihm. Er verlangsamte seinen Schritt und bemühte sich, leiser aufzutreten, um Erika nicht zu wecken. Spinnenfäden streiften sein Gesicht. Er strich sie beiläufig weg, duckte sich, um einer diagonal zwischen Pfosten und Dach verlaufenden Holzstrebe auszuweichen, und kam schließlich, wenn ihn sein räumliches Denken nicht im Stich ließ, wenige Meter über seiner schlafenden Frau zu stehen.
Der Wust an Gerümpel endete an dieser Stelle, sodass das Licht seiner Lampe nun einen leeren Bereich erhellte. Bernd ließ es langsam über den Boden vor ihm gleiten, der hier mit einer dicken Schicht Staub und Dreck und einigen schwarzen Klumpen, bei denen es sich gut um Mäusekot handeln konnte, bedeckt war. Keine Spur von Blut. Unschlüssig ließ Bernd das Licht auf einer Stelle verharren. Beinahe wünschte er, er hätte stattdessen doch die tote Frau Schmidt oder zumindest ein Leck im Dach entdeckt, das rostiges Wasser auf den Boden tropfen ließ. Das alles hätte sich – mit mehr oder weniger Aufwand und Erklärungsnot – beheben lassen. Aber das ungute Gefühl, dass ihn hier hoch getrieben hatte, war mit dem Anblick des blutleeren Boden nicht verschwunden und er ahnte, dass der Traum hartnäckig wiederkehren würde.