Clive77
Serial Watcher
Lange Zeit hatte er sich gegen diesen Umzug gewehrt, aber nun hatten ihm das Alter und zuletzt ein Schlaganfall die Kraft genommen weiter zu kämpfen.
Über fünfzig Jahre hatte Walther nun in diesem Dorf gelebt, in dem weißen Haus mit dem kleinen Garten und dem Jägerzaun. Damals war der Ort beliebt bei Jungen Leuten, um sich dort niederzulassen. Da der Bahnhof der nächstgelegenen Stadt in wenigen Minuten zu erreichen war, konnte man leicht zu den größeren Städten im Umland pendeln.
Walther und seine Frau Margot waren mit die Ersten, die eines der damals sehr modernen und großen Häuser bezogen. Schnell fanden sie dort Freunde und genossen bald im gesamten Ort ein hohes Ansehen.
Auch wenn sein Beruf als Vertreter es nicht vermuten ließ, hatte er ein hervorragendes handwerkliches Geschick. Aus diesem Grund wurde er oft darum gebeten kleinere Arbeiten in der Nachbarschaft zu erledigen. Als Bezahlung reichte ihm oftmals ein oder zwei Flaschen Bier, welche dann meist auch gleich nach getaner Arbeit in geselliger Runde geleert wurden.
Margot selbst traf sich oft mit Freundinnen aus dem Ort und ging gleich mehreren ehrenamtlichen Tätigkeiten nach. Es setzte ihr jedoch sehr zu, als sie erleben musste, wie eine ihrer Freundinnen nach der anderen Mutter wurde. Einige Jahre schien es, war es unmöglich den Bürgersteig entlang zu gehen ohne auf gleich mehrere frischgebackene Mütter zu treffen, die mit ihren Kinderwagen unterwegs waren.
Sowohl Walther als auch Margot wünschten sich sehnlichst ein Kind, doch während sich bei den Kindern ihrer Freunde und Nachbarn bereits Geschwister ankündigten, blieben Walther und Margot kinderlos. Sie sprachen nur selten darüber, und bald begann ihre Ehe darunter zu leiden. Obwohl sich niemand etwas anmerken ließ, wussten sie nur zu gut, dass man bereits begann hinter ihrem Rücken über sie zu reden. Tratsch war so etwas, das die Gemeinde zusammenhielt wie Mörtel eine Backsteinmauer.
Eine gewisse Zeit, konnte Margot den Anblick glücklicher Mütter nicht ertragen. Während Walther sich in seine Arbeit stürzte, für die er im ganzen Land auf Reisen war und manchmal auch tagelang nicht nach Hause kam, steckte sie ihre gesamte Energie in die Gestaltung ihres Gartens.
Lange Zeit schien es, als würde ihr größter Wunsch, endlich eine richtige Familie zu haben, auf ewig ein Wunsch bleiben, doch dann, als sie die Hoffnung bereits aufgegeben hatten, kündigte sich ihre Tochter Claudia an.
Das kleine Mädchen war ihr beider Stolz, auch wenn Walther keinen Hehl aus seinem Bedauern machte, dass sie kein Junge war. Er hatte sich stets einen kleinen Sohn gewünscht, doch die Enttäuschung war nur von kurzer Dauer, da Claudia schnell sein Herz eroberte. Sie war der Sonnenschein in ihrer beider Leben, aber dann nach zwei Jahren gesellte sich überraschend ihr kleiner Bruder Bernd dazu. Er kam viel zu früh und war auch viel zu klein, und niemand im Ort wusste, wie sehr Walther und Margot anfangs um Bernds Leben bangen mussten. Aber dieser wuchs zu einem starken Jungen heran, der zwar stets ein besonnenes Gemüt aufwies, sich aber dennoch überall durchsetzen konnte.
Als Letzte trat dann noch Karen in das Leben der Familie. Schon Claudia und Bernd wurden im Ort oftmals als die Nesthäkchen betitelt, da sie lange Zeit mit Abstand die jüngsten Kinder im Dorf waren, aber Karen war dann das besondere Goldstück. Wo immer sie war, hielten die Leute an um sie zu betüddeln, und zu beteuern, was für ein süßes Mädchen sie doch sei. Walther und Margot waren anfangs vielleicht noch geschmeichelt, aber irgendwann doch etwas genervt. Mit sechzehn Jahren machte Karen dann auch sehr deutlich, dass sie es nicht mochte, wenn die Leute ihr noch immer in die Wange kniffen oder ihr mitteilten, wie süß sie doch sei. Von da an bezeichnete sie lange Zeit niemand mehr als süß. Stattdessen schüttelte man, sobald das Gespräch auf sie kam, abschätzig den Kopf und sprach über das Mädchen mit dem unmöglichen Benehmen.
Während Margot sich um die Erziehung der Kinder kümmerte, den Haushalt führte, den Garten pflegte und verschiedene Aufgaben in der Gemeinde übernahm, war Walther für seine Arbeit oft lange auf Reisen. Nicht selten kam es vor, dass er mehrere Tage fort blieb. Mit der Zeit wurde es stetig schlimmer, und so mancher Nachbar konnte manchmal gar nicht mehr wirklich sagen, wann er Walther das letzte Mal daheim bei seiner Familie gesehen hatte. Immer wieder sagte man Margot, wie glücklich sie sich schätzen konnte, einen Ehemann zu haben, der sich derart aufopferungsvoll in die Arbeit stürzte, um seine Familie zu ernähren. Und tatsächlich fehlte es ihnen im Grunde an nichts. Sie konnten selbst einmal im Jahr gemeinsam für mehrere Tage in den Urlaub fahren, was damals noch keine Selbstverständlichkeit war und ihnen oftmals den einen oder anderen neidischen Blick der Nachbarn einhandelte.
Margot starb überraschend im Schlaf, während Walther auf einer seiner Dienstreisen war. Claudia war zu dieser Zeit bereits aus dem Elternhaus ausgezogen um zu studieren, und so war es Bernd, der seine Mutter am nächsten Morgen fand, als sie nicht wie gewohnt in aller Frühe aufstand. Sie hatte bereits seit Jahren schlecht geschlafen und nahm jeden Abend Schlaftabletten. Und dieses eine Mal, musste sie wohl eine zu viel eingenommen haben.
Walther hatte augenblicklich seine Dienstreise abgebrochen und war überstürzt nach Hause geeilt. Mit einem Mal war seine heile Welt über ihn zusammengebrochen. Der Verlust von Margot hatte ihn hart getroffen, und er hatte sich nie wieder wirklich davon erholt. Es brach eine harte Zeit für ihn und seine Kinder an, aber sie bekamen viel Unterstützung aus der Gemeinde. Über Monate verging kaum ein Tag, an dem nicht jemand mit frisch zubereitetem Essen vor ihrer Tür stand oder sich bereit erklärte Arbeiten am Haus, die dringend erledigt werden mussten, für Walther zu übernehmen.
Walther selbst versuchte seine Kinder zu unterstützen, wo immer es auch ging. Er trat selbst beruflich etwas zurück, und ging nun bedeutend seltener auf längere Reisen.
Wenn die Kinder aus dem Dorf erwachsen wurden, war es nicht üblich, dass sie sich all zu weit von ihrem Elternhaus entfernten. Die meisten ließen sich, wenn sie eine eigene Familie gründeten, im selben Dorf nieder, welches nun durch neue Wohngebiete mit den Jahren stetig gewachsen war. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass Claudia später einen Jungen aus der Nachbarschaft heiratete, den sie bereits aus der Schulzeit kannte, und mit ihm in ein Haus zog, das nur drei Straßen neben dem ihrer Eltern lag.
Auch Bernd blieb in der Nähe wohnen. Obwohl er einen lukrativen Job als Informatiker in Hamburg hatte, zog er es vor, jeden Tag mit der Bahn, die inzwischen von bedeutend mehr Pendlern genutzt wurde, zu seinem Arbeitsplatz zu fahren.
Einzig Karen zog es etwas weiter fort. Sie ließ sich mit ihrer Familie in einem Ort nieder, der etwa 40 Kilometer entfernt lag. Aber dennoch kam sie zumindest einmal die Woche vorbei um ihren Vater oder ihre Geschwister zu besuchen.
Als die Kinder das Haus verlassen hatten, war es für Walther im Grunde viel zu groß. Als er schließlich in Rente ging, verlor er eine der wichtigsten Stützen, die seinem Leben halt gaben. Den Vorschlag seiner Kinder, das Haus zu verkaufen und in ein Kleineres zu ziehen, lehnte er stets vehement ab.
„Ich habe zu viel in dieses Haus gesteckt. Es ist voller Erinnerungen“, pflegte er dann immer zu sagen.
Anfangs gelang es ihm gut, alles in Schuss zu halten, doch irgendwann kam er in ein Alter, in dem ihm alles begann schwerer zu fallen. Besonders die Gartenarbeit bereitete ihm immer mehr Probleme. Bernd begann dann sich um den Garten seines Vaters zu kümmern. Den Rasen mähen. Die Hecke schneiden. Und auch wenn er darin nie das Können seiner Mutter erreichte, sah der Garten stets sehr gepflegt aus.
Als Walther auch der normale Haushalt schwerer fiel und er zunehmend mehr Zeit in seinem großen Sessel im Wohnzimmer vor dem Fernseher verbrachte, schaute Claudia mehrmals die Woche vorbei um im Haus sauber zu machen, während Karen begann für ihren Vater die Einkäufe zu erledigen.
Da die Arbeiten, die sie übernahmen nicht weniger wurden sondern im Gegenteil noch zunahmen, und sie auch ihre eigenen Familien hatten, um die sich sich kümmern mussten, kam dann immer öfters das Thema auf, ob Walther in dem Seniorenheim in der Stadt nicht besser aufgehoben wäre. Aber sobald das Gespräch in diese Richtung ging, blockte Walther ab, wurde teils sogar aggressiv.
„Ich verlasse dieses Haus nicht“, hatte er immer wieder gesagt. „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. All meine Erinnerungen stecken in diesem Haus.“
Dann kam der Schlaganfall, und in Folge dessen eine vaskuläre Demenz, wodurch er nicht mehr in der Lage war alleine für sich zu sorgen. Ein Betreuungsgericht bestimmte Claudia zu seinem gesetzlichen Vormund.
Es war dennoch keine leichte Entscheidung. Claudia überlegte sogar die Möglichkeit Walther in ihrem Haus unterzubringen. Es war groß und ein Teil hätte mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu einer Einliegerwohnung umgewandelt werden können. Aber am Ende beschloss man gemeinsam, dass es für ihn am besten sei, in dem nah gelegenen Seniorenheim untergebracht zu werden, wo dann auch eine Pflege rund um die Uhr gewährleistet werden konnte.
Nicht alle nahmen diese Entscheidung wohlwollend auf. Die Nachbarn reagierten meist mit Unverständnis, und kaum jemand behielt seine Meinung für sich.
„Es ist eine Schande“, musste Claudia sich immer häufiger anhören wenn sie jemanden aus dem Dorf begegnete. „Nach all dem, was euer Vater für euch getan hat, wird er nun einfach so abgeschoben.“
Dabei zeigten sie sich resistent gegenüber jeglicher Argumentation, da sie ihm, würde er bei ihr wohnen, niemals die Zeit und Pflege zukommen lassen konnte, wie man es im Heim konnte.
Über fünfzig Jahre hatte Walther nun in diesem Dorf gelebt, in dem weißen Haus mit dem kleinen Garten und dem Jägerzaun. Damals war der Ort beliebt bei Jungen Leuten, um sich dort niederzulassen. Da der Bahnhof der nächstgelegenen Stadt in wenigen Minuten zu erreichen war, konnte man leicht zu den größeren Städten im Umland pendeln.
Walther und seine Frau Margot waren mit die Ersten, die eines der damals sehr modernen und großen Häuser bezogen. Schnell fanden sie dort Freunde und genossen bald im gesamten Ort ein hohes Ansehen.
Auch wenn sein Beruf als Vertreter es nicht vermuten ließ, hatte er ein hervorragendes handwerkliches Geschick. Aus diesem Grund wurde er oft darum gebeten kleinere Arbeiten in der Nachbarschaft zu erledigen. Als Bezahlung reichte ihm oftmals ein oder zwei Flaschen Bier, welche dann meist auch gleich nach getaner Arbeit in geselliger Runde geleert wurden.
Margot selbst traf sich oft mit Freundinnen aus dem Ort und ging gleich mehreren ehrenamtlichen Tätigkeiten nach. Es setzte ihr jedoch sehr zu, als sie erleben musste, wie eine ihrer Freundinnen nach der anderen Mutter wurde. Einige Jahre schien es, war es unmöglich den Bürgersteig entlang zu gehen ohne auf gleich mehrere frischgebackene Mütter zu treffen, die mit ihren Kinderwagen unterwegs waren.
Sowohl Walther als auch Margot wünschten sich sehnlichst ein Kind, doch während sich bei den Kindern ihrer Freunde und Nachbarn bereits Geschwister ankündigten, blieben Walther und Margot kinderlos. Sie sprachen nur selten darüber, und bald begann ihre Ehe darunter zu leiden. Obwohl sich niemand etwas anmerken ließ, wussten sie nur zu gut, dass man bereits begann hinter ihrem Rücken über sie zu reden. Tratsch war so etwas, das die Gemeinde zusammenhielt wie Mörtel eine Backsteinmauer.
Eine gewisse Zeit, konnte Margot den Anblick glücklicher Mütter nicht ertragen. Während Walther sich in seine Arbeit stürzte, für die er im ganzen Land auf Reisen war und manchmal auch tagelang nicht nach Hause kam, steckte sie ihre gesamte Energie in die Gestaltung ihres Gartens.
Lange Zeit schien es, als würde ihr größter Wunsch, endlich eine richtige Familie zu haben, auf ewig ein Wunsch bleiben, doch dann, als sie die Hoffnung bereits aufgegeben hatten, kündigte sich ihre Tochter Claudia an.
Das kleine Mädchen war ihr beider Stolz, auch wenn Walther keinen Hehl aus seinem Bedauern machte, dass sie kein Junge war. Er hatte sich stets einen kleinen Sohn gewünscht, doch die Enttäuschung war nur von kurzer Dauer, da Claudia schnell sein Herz eroberte. Sie war der Sonnenschein in ihrer beider Leben, aber dann nach zwei Jahren gesellte sich überraschend ihr kleiner Bruder Bernd dazu. Er kam viel zu früh und war auch viel zu klein, und niemand im Ort wusste, wie sehr Walther und Margot anfangs um Bernds Leben bangen mussten. Aber dieser wuchs zu einem starken Jungen heran, der zwar stets ein besonnenes Gemüt aufwies, sich aber dennoch überall durchsetzen konnte.
Als Letzte trat dann noch Karen in das Leben der Familie. Schon Claudia und Bernd wurden im Ort oftmals als die Nesthäkchen betitelt, da sie lange Zeit mit Abstand die jüngsten Kinder im Dorf waren, aber Karen war dann das besondere Goldstück. Wo immer sie war, hielten die Leute an um sie zu betüddeln, und zu beteuern, was für ein süßes Mädchen sie doch sei. Walther und Margot waren anfangs vielleicht noch geschmeichelt, aber irgendwann doch etwas genervt. Mit sechzehn Jahren machte Karen dann auch sehr deutlich, dass sie es nicht mochte, wenn die Leute ihr noch immer in die Wange kniffen oder ihr mitteilten, wie süß sie doch sei. Von da an bezeichnete sie lange Zeit niemand mehr als süß. Stattdessen schüttelte man, sobald das Gespräch auf sie kam, abschätzig den Kopf und sprach über das Mädchen mit dem unmöglichen Benehmen.
Während Margot sich um die Erziehung der Kinder kümmerte, den Haushalt führte, den Garten pflegte und verschiedene Aufgaben in der Gemeinde übernahm, war Walther für seine Arbeit oft lange auf Reisen. Nicht selten kam es vor, dass er mehrere Tage fort blieb. Mit der Zeit wurde es stetig schlimmer, und so mancher Nachbar konnte manchmal gar nicht mehr wirklich sagen, wann er Walther das letzte Mal daheim bei seiner Familie gesehen hatte. Immer wieder sagte man Margot, wie glücklich sie sich schätzen konnte, einen Ehemann zu haben, der sich derart aufopferungsvoll in die Arbeit stürzte, um seine Familie zu ernähren. Und tatsächlich fehlte es ihnen im Grunde an nichts. Sie konnten selbst einmal im Jahr gemeinsam für mehrere Tage in den Urlaub fahren, was damals noch keine Selbstverständlichkeit war und ihnen oftmals den einen oder anderen neidischen Blick der Nachbarn einhandelte.
Margot starb überraschend im Schlaf, während Walther auf einer seiner Dienstreisen war. Claudia war zu dieser Zeit bereits aus dem Elternhaus ausgezogen um zu studieren, und so war es Bernd, der seine Mutter am nächsten Morgen fand, als sie nicht wie gewohnt in aller Frühe aufstand. Sie hatte bereits seit Jahren schlecht geschlafen und nahm jeden Abend Schlaftabletten. Und dieses eine Mal, musste sie wohl eine zu viel eingenommen haben.
Walther hatte augenblicklich seine Dienstreise abgebrochen und war überstürzt nach Hause geeilt. Mit einem Mal war seine heile Welt über ihn zusammengebrochen. Der Verlust von Margot hatte ihn hart getroffen, und er hatte sich nie wieder wirklich davon erholt. Es brach eine harte Zeit für ihn und seine Kinder an, aber sie bekamen viel Unterstützung aus der Gemeinde. Über Monate verging kaum ein Tag, an dem nicht jemand mit frisch zubereitetem Essen vor ihrer Tür stand oder sich bereit erklärte Arbeiten am Haus, die dringend erledigt werden mussten, für Walther zu übernehmen.
Walther selbst versuchte seine Kinder zu unterstützen, wo immer es auch ging. Er trat selbst beruflich etwas zurück, und ging nun bedeutend seltener auf längere Reisen.
Wenn die Kinder aus dem Dorf erwachsen wurden, war es nicht üblich, dass sie sich all zu weit von ihrem Elternhaus entfernten. Die meisten ließen sich, wenn sie eine eigene Familie gründeten, im selben Dorf nieder, welches nun durch neue Wohngebiete mit den Jahren stetig gewachsen war. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass Claudia später einen Jungen aus der Nachbarschaft heiratete, den sie bereits aus der Schulzeit kannte, und mit ihm in ein Haus zog, das nur drei Straßen neben dem ihrer Eltern lag.
Auch Bernd blieb in der Nähe wohnen. Obwohl er einen lukrativen Job als Informatiker in Hamburg hatte, zog er es vor, jeden Tag mit der Bahn, die inzwischen von bedeutend mehr Pendlern genutzt wurde, zu seinem Arbeitsplatz zu fahren.
Einzig Karen zog es etwas weiter fort. Sie ließ sich mit ihrer Familie in einem Ort nieder, der etwa 40 Kilometer entfernt lag. Aber dennoch kam sie zumindest einmal die Woche vorbei um ihren Vater oder ihre Geschwister zu besuchen.
Als die Kinder das Haus verlassen hatten, war es für Walther im Grunde viel zu groß. Als er schließlich in Rente ging, verlor er eine der wichtigsten Stützen, die seinem Leben halt gaben. Den Vorschlag seiner Kinder, das Haus zu verkaufen und in ein Kleineres zu ziehen, lehnte er stets vehement ab.
„Ich habe zu viel in dieses Haus gesteckt. Es ist voller Erinnerungen“, pflegte er dann immer zu sagen.
Anfangs gelang es ihm gut, alles in Schuss zu halten, doch irgendwann kam er in ein Alter, in dem ihm alles begann schwerer zu fallen. Besonders die Gartenarbeit bereitete ihm immer mehr Probleme. Bernd begann dann sich um den Garten seines Vaters zu kümmern. Den Rasen mähen. Die Hecke schneiden. Und auch wenn er darin nie das Können seiner Mutter erreichte, sah der Garten stets sehr gepflegt aus.
Als Walther auch der normale Haushalt schwerer fiel und er zunehmend mehr Zeit in seinem großen Sessel im Wohnzimmer vor dem Fernseher verbrachte, schaute Claudia mehrmals die Woche vorbei um im Haus sauber zu machen, während Karen begann für ihren Vater die Einkäufe zu erledigen.
Da die Arbeiten, die sie übernahmen nicht weniger wurden sondern im Gegenteil noch zunahmen, und sie auch ihre eigenen Familien hatten, um die sich sich kümmern mussten, kam dann immer öfters das Thema auf, ob Walther in dem Seniorenheim in der Stadt nicht besser aufgehoben wäre. Aber sobald das Gespräch in diese Richtung ging, blockte Walther ab, wurde teils sogar aggressiv.
„Ich verlasse dieses Haus nicht“, hatte er immer wieder gesagt. „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. All meine Erinnerungen stecken in diesem Haus.“
Dann kam der Schlaganfall, und in Folge dessen eine vaskuläre Demenz, wodurch er nicht mehr in der Lage war alleine für sich zu sorgen. Ein Betreuungsgericht bestimmte Claudia zu seinem gesetzlichen Vormund.
Es war dennoch keine leichte Entscheidung. Claudia überlegte sogar die Möglichkeit Walther in ihrem Haus unterzubringen. Es war groß und ein Teil hätte mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu einer Einliegerwohnung umgewandelt werden können. Aber am Ende beschloss man gemeinsam, dass es für ihn am besten sei, in dem nah gelegenen Seniorenheim untergebracht zu werden, wo dann auch eine Pflege rund um die Uhr gewährleistet werden konnte.
Nicht alle nahmen diese Entscheidung wohlwollend auf. Die Nachbarn reagierten meist mit Unverständnis, und kaum jemand behielt seine Meinung für sich.
„Es ist eine Schande“, musste Claudia sich immer häufiger anhören wenn sie jemanden aus dem Dorf begegnete. „Nach all dem, was euer Vater für euch getan hat, wird er nun einfach so abgeschoben.“
Dabei zeigten sie sich resistent gegenüber jeglicher Argumentation, da sie ihm, würde er bei ihr wohnen, niemals die Zeit und Pflege zukommen lassen konnte, wie man es im Heim konnte.