Nader und Simin: Eine Trennung (A Separation)

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
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Jodaeiye Nader az Simin / A Separation / Nader und Sinim - Eine Trennung
von Asghar Farhadi, mit Peyman Maadi und Leila Hatami

Story: Mitten im Scheidungsstress der beiden Iraner Nader und Sinim kommt es zum Eklat, als eine Bedienstete behauptet, Nader habe sie im Streit gestoßen und sie habe dadurch ihr Kind verloren. Der sanftmütige Nader kann die Anschuldigung nicht fassen und sagt, dass es so nicht war und die Frau ihren Vater als Pflegefall schlecht behandelt habe. Die Sache verheddert sich immer wieder und weiter...

Zunächst unscheinbares kleines Drama, das es jedoch in sich hat - und überrascht. Der Film ist ein ernstes Gott des Gemetzels. Fast ausschließlich dialoglastiger Film, in dem verschiedenste Zufälle, Meinungen und Ängste aufeinander stoßen und sich mehrere eigentlich friedselig gelegte Charakter in großartigem Drehbuch auf eine schreckliche Familientragödie zubewegen, die mit jedem Zutun, jedem Versuch es zu kitten, nur schlimmer zu werden scheint. Sehr authentisch erzählt, mit nachvollziehbaren Ängsten und Eheproblemen, inhaltlich des öfteren überraschend. Kulminiert in einer interessanten Kaskade von Schicksalen, die immer dezent bleibt und nie ins hollywoodhafte abstürzt. Genau genommen könnte man sogar sagen, dass es ein LA Crash ohne Kitsch, ohne dick aufgetragene Schluchzmomente, ohne Musik, ohne Staraufgebot und ohne Spielfilm-Glossoptik ist. Wer den nicht mehr so gut in Erinnerung hat - das was Gefährten doppelt und dreifach dickenst draufstreicht, hat der hier völlig bescheiden. Er braucht es auch nicht (wobei er es sich meiner Meinung nach nicht ganz so auskostet wie Spielberg seine Stilrichtung bei sich).

Ich find ihn sehr gelungen, den ganz großen Begeisterungsstürmen vonwegen neuer Klassiker (angeblich war es der weltweit best kritisierte Film 2011) kann ich aber nicht ganz folgen. Dafür fehlt vor allem zum Ende hin was, da es relativ abrupt endet. Zwar mit dem richtigen Bild, aber es wär fraglos noch möglich gewesen, diese Geschichte noch ergreifender, intensiver, vertrackter, emotionaler zu machen, noch mehr reinzustecken. Auch ist die Regie zu 0815. Loben muss man hingegen den Schnitt, denn obwohl sich hier 2 ganze Stunden nur unterhalten wird, geht der um wie nix. GdG geht 40 Min weniger und dieser fühlt sich kein Stück länger an.

8/10
 

Joel.Barish

dank AF
Ich hab's dir am WE schon gesagt, acht Punkte reichen nicht. :wink: Der Film ist verdammt nah dran an einem Meisterwerk. Du sagst ja im Prinzip das Richtige, nur finde ich das alles noch stärker, noch besser und halt wirklich ungeheuer intensiv. Kaum ein neuer Film der letzten Zeit hat mich derart gefangen genommen wie dieser hier. "Gott des Gemetzels"? Lächerlich. Und den "LA Crash" Vergleich ignoriere ich einfach mal.

Einfach ein meisterhaftes Drehbuch von meisterhafter Einfachheit und meisterhafter Effektivität. Gespielt von - genau - meisterhaften Darstellern. Einfach grandios, wie aus einem Ehestreit eine tief verwurzelte Katastrophe wird, die absolut realistisch wirkt und so wirkungsvoll mit Themen wie Kultur, Ehre, Familie, Ehrlichkeit und natürlich Religion verbunden ist, dabei aber nie durchschaubar wird. Die Themen sind natürlich in die Handlung integriert und subtil aufgearbeitet, als realistischer Subtext-Teil der Geschichte. Und der Disput an sich - es ist so ungeheuer schwer, einen glaubwürdigen Streit zu inszenieren und zu schreiben, bei dem man nicht irgendwann ganz klar einer Seite zustimmt. Das gelingt hier mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit und Nüchternheit. Große Klasse.

Mindestens 9/10.
Und damit auch der beste Film im Oscarrennen. Glaube nicht, dass "Warrior" mich so umhaut. Und "Extremely Loud..." sowieso nicht.
 

Presko

Well-Known Member
Nader and Simin - A Separation
[url]http://img823.imageshack.us/img823/8503/separationuk.jpg[/URL]

Regie u. Drehbuch
Asghar Farhadi

Cast
Leila Hatami: Simin
Peyman Moadi: Nader
Shahab Hosseini: Hodjat
Sareh Bayat: Razieh
Sarina Farhadi: Termeh
Babak Karimi: Richter
Ali-Asghar Shahbazi: Naders Vater

Trailer
http://www.youtube.com/watch?v=B2Sswx_vrWk

Handlung
Nader und Simin sind seit 14 Jahren verheiratet und leben mit ihrer elfjährigen Tochter Termeh in Teheran. Die Familie gehört der urbanen oberen Mittelschicht an. Das Paar steht kurz vor der Trennung. Simin plant, das Land mit ihrem Gatten und der Tochter zu verlassen. Termeh solle nicht weiter „unter diesen Bedingungen“ aufwachsen. Simins Absichten werden vom dickköpfigen Nader nicht geteilt. Er hat Bedenken wegen seines Vaters, der unter der Alzheimer-Krankheit leidet und mit in der gemeinsamen Wohnung lebt. Als Nader den Entschluss fasst, im Iran zu bleiben, reicht Simin die Scheidung ein.
Das Familiengericht lehnt Simins Klage ab, die Probleme sind nach Urteil des Richters nicht gravierend genug. Simin verlässt Ehemann und Tochter und zieht bei ihrer Mutter ein. Nader engagiert daraufhin die von seiner Noch-Ehefrau ausgesuchte Razieh als Haushaltshilfe. Die junge, schwangere Frau aus einem der armen Vororte Teherans soll tagsüber seinen pflegebedürftigen Vater betreuen. Razieh übernimmt die Arbeit, allerdings ohne Wissen ihres arbeitslosen Ehemanns Hodjat, der nach iranischem Brauch eigentlich seine Zustimmung geben müsste. Eines Tages findet Nader seinen Vater alleine, eingesperrt und ans Bett gefesselt bewusstlos in der Wohnung auf. Als er Razieh zur Rede stellen will, eskaliert die Situation. Er stösst sie aus der Wohnung und erfährt später, dass Razieh durch den Sturz ihr Kind verloren hat. Ein Gericht wird mit der Bewertung von Naders Schuld beauftragt. Er sieht einer Anklage wegen Totschlags entgegen. Gleichzeitig wird Razieh wegen Misshandlung des alten Manns angeklagt.


Kritik zum Film
Ganz ehrlich, was habe ich erwartet? Einen ziemlich anstrengenden, spannungslosen Film über das Leben im Iran. Was habe ich bekommen? Einen enorm spannenden Film, ein Kriminalstück, das mit dem Blick durch eine soziologische Lupe die Konfliktdynamiken einer Gruppe von Menschen inspiziert, dabei schonungslos die Handlungen darlegt, ohne etwas zu beschönigen, ohne einen Helden und einen Bösewicht zu geben, ohne richtig und falsch aufzuzeigen.
Ja, der Film ist anspruchsvoll. Aber keineswegs langweilig. Der Film ist anspruchsvoll, weil er in jeder Minute den Zuschauer fordert. Er fordert den Zuschauer auf, selbst Stellung zu beziehen, sich selbst zu hinterfragen, wie würde ich handeln. Da der Film keine Antwort gibt, sich auf keine Seite stellt, sondern einfach die Dynamik und Handlungsweisen betrachtet, ist der Zuschauer in der Bewertung und in der Entscheidung, für wen er sympathisiert auf sich selbst gestellt.

Dass das funktioniert liegt an einem phänomenal guten Cast und einem eigentlich fehlerfreien Drehbuch, das die Figuren punktgenau charakterisiert. Nie zu viel, nie zu wenig preis gibt.
Nader ist die Figur, der man als Zuschauer am meisten folgt. Er ist ein stolzer Mann, der sich aufopfernd um seinen alzheimerkranken Vater kümmert, und dafür seine Ehe aufs Spiel setzt. Er liebt seine Tochter abgöttisch. Doch wie steht er zu seiner Frau? Liebt er sie noch? Wenn ja, warum ist er nicht in der Lage ihr gegenüber seine Gefühle auszudrücken?

Simin ist eine starke, entschlossene Frau. Sie will den Iran verlassen, auch wenn sie sich dafür von ihrem Ehemann trennen muss. Das einzige, was sie noch zurückhält ist ihre Tochter. In einigen kurzen Szenen nur, zeigt Simin Schwäche und es wird dem Zuschauer deutlich, wie sehr die nach aussen hin kühle und entschlossen auftretende Frau doch leidet.

Termeh ist die Tochter der beiden. Sie ist die Schlüsselfigur des Filmes. Auch sie beeindruckt durch eine würdevolle Stärke und lässt sich kaum anmerken, wie belastend die ganze Situation für sie sein muss. Sie hat sich entschieden bei ihrem Vater zu bleiben, weil sie weiss, dass ihre Mutter ohne sie das Land nicht verlassen wird. Dabei wird Termeh alleine von der Hoffnung, nein, der festen Überzeugung geleitet, ihre Eltern kämen früher oder später wieder zusammen – so wie es ihr ihr Vater versprochen hatte.

Und dann sind da noch Razieh und Hofjat. Ganz anders als bei Simin und Nader sieht man Razieh schon bei ihrem ersten Auftauchen die Schwäche und die Unsicherheit an, die sie zeichnet. Schon bei den Verhandlungen um die Arbeitszeiten und den Lohn tritt sie verunsichert auf, schon am ersten Arbeitstag ist sie überfordert. Razieh ist tiefgläubig und ist daher vielleicht die Figur, auf welche gerade der westliche Betrachter mit am meisten Distanz reagieren wird. Als sie Naders Vaters waschen sollte, weil er eingenässt hat, muss sie erst einmal eine Art religiöse Hotline anrufen um zu sehen, ob dies mit ihrem Glauben vereinbar ist.
Auch Hodjat ist eine geschlagene Figur. Tief verschuldet, seit Jahren arbeitslos hat er seine ganze Würde verloren. In ihm brodelt unbändiger Zorn auf die Welt und auf das Leben. Er will seine Würde und seinen Stolz vor sich selbst zurückgewinnen und sieht im Kampf gegen Nader um Gerechtigkeit den Weg dazu.

Wie gesagt, dieser Film ist kein trockenes Lehrstück, durch das man sich mit viel Geduld und Aufmerksamkeit quälen muss. Dies ist ein Krimi und ein Einblick in das Lebe einer anderen Kultur, die eigentlich gar nicht so anders ist. Es geht im Film nicht um den Islam, oder um eine Auseinandersetzung mit der iranischen Politik. Es ist ein iranischer Film über Konflikte zwischen mehreren miteinander kollidierten Leben. Ein Film der packt, von dem man wissen will, wie er ausgeht. In den man eintaucht, um mehr über die Motivation der Figuren zu erfahren und sie zu verstehen. Ein Film, wie es nur ganz wenige gibt.

Eine unbedingte Empfehlung – ich wüsste nichts, was es an diesem grossartigen Film zu kritisieren gäbe – daher: 10/10 – Meisterwerk!
 

Presko

Well-Known Member
Ahh, gibts ja schon einen Thread zu. 8 läppische Punkte, Jay?
Dafür fehlt vor allem zum Ende hin was, da es relativ abrupt endet. Zwar mit dem richtigen Bild, aber es wär fraglos noch möglich gewesen, diese Geschichte noch ergreifender, intensiver, vertrackter, emotionaler zu machen, noch mehr reinzustecken. Auch ist die Regie zu 0815.
Was hättest Du Dir denn für ein Ende erwartet? Ich finde, das Ende war genauso, wie es sein musste. Es beendete zwar irgendwie den Streit, aber trotzdem war nicht einfach ein Schlussstrich gezogen. Die Ambivalenz blieb in der Luft.
Die Beilegung des Streits ist eben auch nur ein Ende und es ist keineswegs ein Happyend. Für jede Figur hat es eine andere Bedeutung, wie das alles geendet hat. Ich fand das enorm ergreifend. Und dann die zwei Schlusszenen, die mit dem Anfang eine Klammer bilden. Ich fands sehr ergreifend und wirklungsvoll. Sehe nicht, was man da hätte besser machen, treffender inszenieren können.
 

Presko

Well-Known Member
Gestern wieder geschaut. Einfach ein klasse Film. Das Ende hatte ich aber nicht mehr so trostlos in Erinnerung.
Mann, schaut Euch doch den Film an, hopp, hopp!! :ugly:
 

Joel.Barish

dank AF
Der lief ja gestern im TV, da habe ich ihn mir erneut angesehen (Ich sollte ihn mir mal auf DVD/BD zulegen). Und der ist nach wie vor grandios und meisterhaft. Die Figuren, die Dialoge, die Konflikte, wie auf so natürliche und effektive Art soziale, kulturelle, juristische, religiöse und ganz persönliche Probleme angesprochen werden - einfach fantastisch. Wenn ich aktuell eine Topliste der laufenden Dekade machen müsste, also 2010 bis heute, wäre dieser Film locker in der Top 3.

Also, was presko sagt: Schaut euch den Film an, Leute. :wink:
 
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