Die Jagd ~ Mads Mikkelsen [Kritik]

Joel.Barish

dank AF
BG-Kritik: Die Jagd (Jay)

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[Die Jagd, OT: Jagten | DK 2012]

Mit Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen. Von Thomas Vinterberg, der nach Lars von Trier bekannteste Regisseur Dänemarks und Regisseur des sehr, sehr guten "Das Fest", dem vielleicht besten Dogma95 Film überhaupt.
Es geht um Lucas, einen Kindergärtner/Erzieher für Kindergartenkinder, der in große Probleme kommt, als ein kleines Mädchen behauptet, von ihm "angefasst" worden zu sein. Der Trailer ist relativ eindeutig darin, dass Lucas unschuldig ist, während die Eltern, ja die ganze Stadt eine Hetzjagt nach dem vermeintlichen Kinderschänder veranstalten, den sie für eindeutig schuldig halten. Denn warum sollte das Mädchen lügen? - Lief im Frühsommer in Cannes und erhielt da gemischte, aber überwiegend positive Kritiken und insgesamt drei Preise. Mads Mikkelsen erhielt den Preis als bester Darsteller.

Trailer @ YouTube (Dänisch mit engl. UT)

Mikkelsen ist es dann auch, der den Film bzw. erstmal nur den Trailer interessant macht. Gewagte, aber sehr spannende Geschichte. Sieht ziemlich gut aus, hat aber noch keinen D-Starttermin.
 

Envincar

der mecKercheF
brisantes Thema und zeigt wie schnell man das Leben eines Menschen ruinieren kann und Mikkelsen ist immer ein Blick wert. Ins Kino wird er mich allerdings nicht ziehen.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Diese Woche startet ein neues Drama mit Mads Mikkelsen, in dem er als unschuldiger (?) Lehrer bezichtigt wird, die Tochter seines Freundes angefasst zu haben. Anscheinend eine Lüge, die eine ganze Kleinstadt gegen ihn und sein verzweifelte Familie aufbringt. IMDB sagt 8.4/10 bei 5000+ Stimmen.

Trailer: Die Jagd
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
(deswegen hab ich dieses Topic heut eröffnet, allerdings nur unter Kommende Filme gesucht; stand bei Trailer?)
 

Diego de la Vega

Not Yet Rated
Wenn man sich an ein so schwieriges Thema wie Kindesmissbrauch wagt, besteht ja immer schnell die Gefahr, sich an diesem zu verheben, und in die eine oder andere - zum Beispiel dem Thema nicht gerecht werdende oder gar schadende - Richtung abzugleiten. Aber Regisseur Thomas Vinterberg gelingt hier tatsächlich das Kunststück, und geht das hoch sensible Thema an, und inszeniert ebenso sensibel und auf den Punkt. Er nutzt dabei das Thema voll aus, ohne in die Gefahr einer unrealistisch erscheinenden Überspitzung abzurutschen.

Ist ein Stein erst mal im Rollen, kann man ihn halt nicht mehr aufhalten. Oder so ähnlich. So kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, bewahrheitet sich diese grob zitierte Volksweisheit in "Die Jagd".
Ab hier womöglich Spoiler, je nach dem wie viel man bereits vom Film weiß. Wer den Trailer kennt, kann aber eigentlich weiter lesen.

Wie sich alles zuspitzt, und man als Zuschauer die Hände über dem Kopf zusammen schlägt, weil der erste Typ (Psychologe?) die wirklich vollkommen falschen Fragen stellt, und dem vorgeblichen Opfer so noch Worte und vor allem Fachwissen in den Mund legt. Zudem Elternteile und Dorfbewohner, die unverzeihliche Fehler begehen, und scheinbar wollen, dass die Tat stattgefunden hat. Es muss so gewesen sein, und eigentlich haben es alle gewusst, was für ein krankes Schwein da in ihrer Mitte wohnt und mit den Kindern Gott weiß was treibt. Paranoia und Hysterie, und ab zu den Fackeln, Mistgabeln und natürlich Jagdgewehren.

Und (die eigenen) Kinder lügen ja nicht. Haben sie noch nie, und werden sie nie. Wie paranoid und dumm sich die Menschen dort verhalten, schlägt dem sprichwörtlichem Fass den Boden aus. Aber leider erscheint dies sehr realitätsnah, und man glaubt es würde so tatsächlich ablaufen. Menschen (vor allem in Gruppen) sind so. Auch wenn man es nicht fassen mag.
Erschütternd authentisches Kino, was uns Regisseur Thomas Vinterberg da vor dem Latz knallt. Ich mochte ja schon dessen "Dear Wendy", aber der hier ist noch ne Spur stärker. Gesellt sich (wenn auch merklich anders) auf Augenhöhe mit Vinterbergs "Das Fest".

Zudem hat der Film ein sehr gutes Drehbuch, und Darsteller die es mit Leben zu füllen wissen. Mads Mikkelsen brilliert einmal mehr, und zeigt zu welcher Klasse an Schauspielern er gehört. Aber auch die restlichen Dorfbewohner und Freunde, ja selbst die Kinder geben ihr bestes, und lassen das Gesehene real werden.

Ein erschreckendes Drama über Zwangsstörungen, Pädophilie, Vertrauen, Beschuldigungen, HexenPädophilenjagd und Eskalation und auch über Lügen und fehlgeleitet Liebe, welches den Zuschauer mit Ohnmacht und Fassungslosigkeit zurück lässt. Schon jetzt ein Jahreshighlight, mit nur marginalen Macken.
9/10
 

Presko

Don Quijote des Forums
Ist schon länger auf meiner Liste und nach Deiner Kritik, Diego, steht er jetzt recht weit oben.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Endlich gesehen und erst mal enttäuscht. Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich Kindertagesstätten selbst gearbeitet habe. Kenne einige reale Fälle und in meiner Arbeit mit Behinderten ist unserem Team auch schon mal eine Anzeige gemacht worden, zum Glück nicht gegen mich, was man aber die ersten Monate über gar nicht weiss.

Daher muss ich sagen, dass ich das erste Drittel zu plakativ und unglaubwürdig fand. Es wird für mich zu klar zwischen dem wirklichen Opfer und seinen paar wenigen Vertreuten (rational denkenden) und dem wütenden, irrationalen Mob unterschieden. Die Art, wie mit dem Fall anfangs umgegangen wird, gibt ein ziemlich schlechtes Bild ab. Klar, ist es nicht undenkbar, aber es wäre in der heutigen Zeit eine Ausnahme. Gerade im Sozialbereich, sei es mit Kindern oder anderen Hilfsbedürftigen ist die Missbrauchsthematik allen sehr bewusst. Das macht das Verhalten in meinen Augen der "professionellen" Personen im Film sehr unglaubwürdig. in der Regel geht man da sehr vorsichtig vor, wenn so etwas passiert. Und in der Regel dreht man als Arbeitskollege/kollegin nicht gleich am Rad und hält den Angeschuldigten gleich für einen Perversling. Zudem ist die ganze Art, wie so etwas behandelt wird, wirklich echt verquer dargestellt. Die Chefin ist ebenso ein Witz, wie der Hobbypsychologe zu Anfang. Klar, man kann sagen, das ist ne Kleinstadt, die Leute sind konservativ, nicht so modern eingestellt etc. und es vielleicht damit erklären - aber für mich bleibts unglaubwürdig.

Auch sonst bot mir der Film keinerlei neue Aspekte des Themas. Zu klar waren die Grenzen. Schwierig und wirklich spannend ist doch eher der Moment des Zweifels. Man kommt nicht darum herum, Vertrauen oder Misstrauen zu haben. Das kommt im Blick auf Klaras Vater etwas rüber, aber nur am Rande. Es geht mehr darum, wie die Menge sich auf diese Menschenjagd einschiesst und alles eskaliert. Das gabs schon so oft, ist einfach nix neues.
und dass der Hund stirbt, war ja mal von Anfang an sofort klar

Nun, ich war enttäuscht, vo.a. vom ersten Drittel. Die Realität, so würde ich behaupten, ist sehr viel unspektakulärer und diffizieler als in diesem Film.

Schade um die sehr guten SchauspielerInnen.

6/10 Punkte
 

Joel.Barish

dank AF
Danke, Presko. Seit ich den Film neulich gesehen habe, schleppe ich dieses unartikulierte Gefühl mit mir herum, warum der Film mich über weite Strecken mehr nervte, als wirklich fesselte und involvierte. Ich habe zwar keine praktischen Erfahrungen mit solchen Einrichtungen, aber meine Probleme lagen dennoch ebenfalls in einer ähnlichen Richtung wie bei dir. Ich glaube, mit diesem Film und "Compliance" im Doppelpack könnte man mich in den Wahnsinn treiben. Beides sind eigentlich keine schlechten Filme, wahrscheinlich sogar gut. Und ich weiß eigentlich, worauf sie hinaus wollen, was sie sagen wollen und ich finde das auch sagenswert und faszinierend, aber die Präsentation ging mir wirklich auf den Keks.

Bei "Compliance" kann man ja schnell mit "Aber das war halt so" argumentieren und auch so ist nicht auszuschließen, dass Menschen theoretisch so reagieren könnten. Aber es ist gerade hier so dumm, so überhastet und so unsubtil, dass es nervt. Gerade wie du sagst, Preski; die Zweifel und der schleichende Verdacht, die geäußerte Möglichkeit, die sich immer mehr verhärtet, ehe man den ehemaligen Freund und Nachbarn wirklich für ein Monster hält, wäre viel spannender gewesen und mindestens genau so realistisch, wenn nicht gar realistischer. Stattdessen begegnet man Mikkelsen schon in der ersten Szene nach der geäußerten Vermutung mit Hass und Ablehnung. Die Szene mit dem Kindergartenpsychologen (oder was immer er war, denn er war für einen Psychologen eigentlich zu blöd) hat mich auch in den Wahnsinn getrieben. Erst reden sie recht vorsichtig um den Sachverhalt herum und dann, als sie nicht bekommen, was sie wollen, legen sie dem Kind die Worte in den Mund. Und im Folgenden ist jede "Ich habe gelogen" Äußerung der Kleinen nur ein Verdrängungsmechanismus. Aber der Film will uns natürlich ein schlechtes Gewissen einreden, denn wenn was wäre, wenn es wirklich ein Verdrängungsmechanismus wäre und es wirklich zu Übergriffen kam? Diesen Fehler wollen wir ja auch nicht machen. Wie gesagt, das sind durchaus interessante Gedanken, aber alles ist forciert und gewollt und überdramatisiert. Viel zu schnell alles.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Ok, bin beruhigt, dass ich doch nicht der einzige bin, der den Film als solches Meisterwerk empfunden hat.
Compliance, Gott, stimmt :facepalm: Von nem bestimmten Punkt an, habe ich zum Ende hingeswitcht, konnte das Ganze nicht mehr ernst nehmen. Wenn es denn schon wirklich so gewesen sein soll, hätte der Film sich lieber mit dem Warum beschäftigt, als das ganze so plakativ abzubilden.
 

Joel.Barish

dank AF
Das Bedauerliche ist ja, dass beide Filme eigentlich ganz kluge Ideen haben, um interessante und relevante Themen zu behandelt. Die Naivität und Authoritätshörigkeit von "Compliance" und die (grob angeschnitten) Leichtgläubigkeit, Manipulierbarkeit und fatale Übervorsicht beim Thema Kindesmissbrauch. Aber in der präsentierten Form stört man sich zu schhnell an der filmischen Konstruktion, stört sich daran zu sehen, wie die Hebel überdeutlich in Bewegung gesetzt werden und wie die handelnden Figuren nie wirklich lebendig werden, da sie vorschnell Dinge tun und sagen müssen, um die Konstruktion aufrecht zu halten. Zumindest scheint das bei dir und mir so gelaufen zu sein.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Gerade gesehen und muss mich leider Joel und Presko anschließen. Zu plakativ,zu gewollt. Ich dachte gegen Ende, dass wenn die jetzt schon irgendwie keinen realistischen Ansatz finden, es wenigstens bis zum geht nicht mehr eskaliert. Passiert aber auch nicht.
Dennoch möchte ich die tollen Schauspieler lobend erwähnen und auch wurden schöne Bilder im winterlichen Dänemark gefunden. Da können sich einige deutsche Filme von der Inszenierung eine Scheibe abschneiden. Auch gibt es Charakterszenen die das Dilemma sehr schön einfangen. Ich hätte mir gewünscht die hätten den Zuschauer auch einige Zeit im Ungewissen gelassen. Das hätte einen als reiner Zuseher viel mehr gefordert.
Naja, so sind es immerhin noch gute 6/10 .
 
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