Hab zwar meiner Begeisterung nach der Premiere am Zürcher Filmfestival ausgiebig Luft verschafft, trotzdem nochmal mein Senf zu diesem ganz tollen Streifen.
Ein süffiger Cocktail aus Woody Allen, Charlie Kaufman und Robert Altman mit einer Prise Michael Bay
Für Schauspieler Riggan Thompson (Michael Keaton) steht alles auf dem Spiel. In der Inszenierung eines Broadwaystücks nach einer eigens verfassten Bühnenfassung von Raymond Carvers Kurzgeschichte „What We Talk About When We Talk About Love“ mit sich selbst in der Hauptrolle, sieht Riggan seine letzte Chance gekommen, der Welt zu beweisen, dass er mehr ist, als ein schlecht gealterter Hollywoodstar, der als Darsteller eines Superhelden im Vogelkostüm seine grössten Erfolge im Kino hinter sich hat.
Die Filmhandlung setzt kurz vor Beginn der Voraufführungen des Stückes an, als der Nebendarsteller Ralph bei einer Probe schwer verletzt wird. Riggan, der Ralph sowieso für eine Fehlbesetzung hielt, kann einen hochkarätigen Ersatz für die Rolle verpflichten – den gefeierten Bühnendarsteller Mike Shinner (Edward Norton), der sich allerdings alsbald als mindestens ebenso verrückt wie brillant herausstellt und für einiges an Chaos sorgt. Für Riggan nimmt fortan eine langwierige Odyssee aus kleineren und grösseren Katastrophen ihren Lauf. Neben einem panischen Anwalt (Zach Gandalfini), einer schwangeren Geliebten (Andrea Riseborough), seiner Exfrau (Amy Ryan), sowie seiner gerade aus der Reha zurückgekehrten verbitterten Tochter (Emma Stone), sitzt ihm auch noch sein Alter Ego aus Filmtagen - der Birdman im Nacken. Der Birdman ist jener Superheld im Vogelkostüm, den Riggan mehrmals im Kino dargestellt hat. Dieser versucht ihn andauernd davon zu überzeugen, die Arbeiten am Stück abzubrechen und stattdessen einen neuen Birdman-Film ins Kino zu bringen. Damit nicht genug wächst in Riggan die Überzeugung heran, er selbst besitze Superkräfte.
Niemand geringeres als der Regisseur des düsteren Episodendramas Babel, Alejandro González Iñárritu zeichnet sich für diesen irrwitzigen Film über verrückte, selbstverliebte Egomanen, und die Zerrwelt des Broadways als Gegenthese zur Filmbranche Hollywoods aus und bringt uns ein Glanzstück ins Kino, das sich nicht nur durch eine abgedrehte Story, verschrobene Charaktere und eine gerade zu manisch aufspielende Schauspielerriege, sondern auch durch eine der originellsten Inszenierungen auszeichnet, die wir seit langem vom Hollywoodkino vorgesetzt bekommen haben. Ein treibendes, aufgeregt pulsierendes Schlagzeug bildet den Soundtrack zu einem Film, der ohne einen einzigen sichtbaren Schnitt auskommt. Diese als Plansequenz bekannte Technik kennt man bereits aus Filmen wie Children of Men oder Abbitte, wo es jeweils längere Szenen waren, die ohne Schnitt auskamen. Wie in den berühmten Actionszenen aus dem Film Children of Men handelt es sich hierbei um eine Täuschung, die am Schnittpult entstanden ist. Die Illusion, dass der ganze Film aus einer einzigen, langen Szene besteht, führt dazu, dass wir als Zuschauer keine einzige Verschnaufpause vergönnt bekommen und den Dauerstress des immer verzweifelter agierenden Riggan Thompson hautnah miterleben.
Iñárritus Inszenierung sprüht förmlich vor Kreativität, unbändiger Lust und Energie. Die Schauspieler stehen dem in nichts nahe (toll auch: Zach Gandalfini, Naomi Watts und Andrea Riseborough). Die Darsteller spielen hier mit einer Inbrunst und einer Leidenschaft auf, dass man nicht zuletzt bei Michael Keaton fast Angst bekommt, er könnte irgendwann von all dieser inneren Energie zerborsten werden. Natürlich ist die Wahl Keatons für die Hauptrolle kein Zufall. Er selbst schlüpfte in den 80er Jahren für Tim Burton zwei Mal ins Superheldenkostüm und machte als Batman die Leinwände unsicher und legte gemeinsam mit Tim Burton den Grundstein für viele spätere Superheldenfilme. Seitdem Keaton allerdings das Batcape an den Nagel gehängt hat, wollten ihm an der Kinokasse keine ähnlich grosse Erfolge mehr gelingen, wobei er insbesondere als Nebendarsteller in Filmen wie Quentin Tarantinos Jacky Brown immer mal wieder Akzente setzen konnte.
Doch nicht nur mit seinen Schauspielern und der Inszenierung hat Iñárritu ins Schwarze getroffen, auch die Thematik ist hochaktuell in einer Zeit, in welcher die Kinosäle mit Superhelden, riesigen Robotern und deren lautem Kampf gegen Bösewichter aller Art geflutet werden. Birdman ist allerdings nicht nur ein Stinkefinger gegen das herzlose Blockbusterkino der Gegenwart, sondern auch gegen eine elitäre Intellektuellenwelt. Nicht per Zufall stellt ein Wutanfall Keatons gegenüber einer versnobten, verbitterten Theaterkritikerin (wunderbar gespielt von Lindsay Duncan) eine der stärksten Szenen des Films dar.
Bei so einem spassigen Film scheint es schon fast ein wenig spiessig, nach Schwächen zu suchen. Wie im Verlauf eines jeden Dauerfeuerwerks gibt es natürlich mal den ein oder anderen Fehlschuss. Ein paar platte Dialoge und Phrasen haben sich ins Drehbuch eingeschlichen und gegen Ende hin geht die bis anhin stringente Dramaturgie ein wenig verloren. Einige der wiederkehrenden Motive wiederholen sich zu oft und der Schluss selbst bietet zwar noch einmal ein paar grossartige Lacher, aber man verpasst nichtsdestotrotz den idealen Moment, um sich von Riggan Thompson und Co zu verabschieden. Dem ein oder anderen könnten zudem vielleicht die Gefühle etwas zu kurz kommen. Denn so richtig berühren wollen der Film und seine Figuren einen nicht.