Eigentlich ein ganz interessantes Thema. Die entscheidenden Fragen sind wahrscheinlich, wer den Skandal verursacht (Der Filminhalt oder öffentliche Reaktionen), wie sieht der Kontext der skandalösen Szenen aus und was bietet der Film abseits vom Skandal. Alles was mit Sex, Gewalt, Religion, Politik und sonstigen moralisch/ethischen BRennpunkten zu tun hat, hat Potential, für einen Skandal zu sorgen. Es muss nur auf die richtigen Leute treffen, die darauf dann reagieren und das zum Ausdruck bringen. Und natürlich wollen viele Filme genau das.
Lars von Trier hat schon mehr als einen Skandalfilm gedreht und ihm wird bewusst gewesen sein, dass eine Genitalverstümmelung in Nahaufnahme nicht mit einem Schulterzucken durchgewunken wird. Und für einen Regisseur, dessen Frauenbild schon mehrfach genau unter die Lupe genommen wurde, ist "Antichrist" natürlich auch nicht gerade ein Film, um die Gemüter zu beruhigen. Und ja, vielleicht würde "Antichrist" ohne Genitalverstümmelung immer noch funktionieren, aber wichtiger ist die Tatsache, dass die Szene, so extrem sie ist, im Kontext der Filmhandlung Sinn macht und einen Zweck erfüllt. Einen Skandal auszulösen war vielleicht ein Nebeneffekt, den der gute Lars nur all zu gerne mit hinzunimmt, aber die Szene hat im Film eine Funktion und ist damit für mich legitim. Dass dann die halbe Welt "Skandal" schreit ist dann auch für mich nur ein Nebeneffekt, den man bei der Sichtung ausschaltet.
Ähnlich ist es bei "Irreversibel". Da stellt sich nur die Frage: Was hat den Skandal ausgelöst. Die extreme Feuerlöscher-Gewalt oder die Vergewaltigung. Die Antwort ist klar und sagt eine Menge über das aus, was im öffentlichen Diskurs schneller Feuer fängt. Und Gaspard Noe ist ein Filmemacher, der nun mal extreme Filme macht. Aber ich möchte nach bisher drei Spielfilmen behaupten, dass er einfach extreme Geschichten erzählt und nicht simpel provoziert, um aufzufallen. Für jemanden, der einfach nur mit Shocks auffallen will, macht er auch einfach zu wenige Filme. "Menschenfeind" ist schwammig, aber "Irreversibel" ist in seiner Darstellung extrem, aber eben auch extrem konsequent.
"Der Exorzist" war damals ein Skandal und wurde nicht zuletzt durch die Kontroverse und durch Berichte von Ohnmachtsanfällen während der Vorstellung zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Aber wurde der Film mit der Intention gemacht, einfach nur zu schocken, um von sich reden zu machen und ordentlich abzusahnen? Ganz sicher nicht. Gerade mit dem Thema Religion kann sowas auch schnell nach hinten losgehen.
Auch ältere Skandalfilme halten sich bei genauerer Betrachtung recht gut. Ken Russels bis heute nicht vollständig erhältlicher "The Devils", die halbe Filmographie von Peter Greenaway oder Passolinis "Salo" - dies sind Filme gemacht von Künstlern, von eigensinnigen Autoren mit extremen Sichtweisen, aber eben auch mit einem Konzept und einem inhaltlichen und sogar moralischen Anliegen. Ich bin mal so dreist und stelle die Vermutung auf, dass ein Großteil der Skandalfilme eben so stark mit der Öffentlichkeit reagieren - und das über Jahre hinweg - weil sie so gut sind, weil sie so effektiv gemacht sind. Andere Filme, wie ein gewisser Film aus Serbien (*hust) machen kurz durch ihren extremen Inhalt von sich reden und dann stellt man fest, dass inhaltlich und intellektuell nichts dahinter steckt. Das trifft auch auf 2/3 der Filme der so genannten "Torture Porn" Welle zu.
Und um Tyler mal extrem zu schocken sage ich: "Martyrs" ist ein guter Film. Kein sehr guter Film, aber ein guter und faszinierender.
(Hintergrundgeschichten, wie Von Triers "Nazi" Spruch oder jüngst das Drama um die Drehbedingungen bei "Blau ist eine warme Farbe", sind eher Klatsch- und Gossip-Skandale. Wenn überhaupt. Bei Skandalfilmen sollte es schon um den Film an sich gehen, finde ich.)