The Walk ~ Robert Zemeckis, Joseph Gordon-Levitt [Kritik]

Revolvermann

Well-Known Member
So ein Biopic ist ja auch immer ein kleines oder großes Stück Geschichte. Ganz egal ob dramatisiert oder nicht. Und Geschichte interessiert mich sogar trocken in Faktenform. Toll geschrieben natürlich noch mehr. In einem Millionen-teuren Film oder Serie aufgearbeitet natürlich kein Stück weniger. Obwohl ich bereits ganz exakt weiß wie es ausgeht und sogar was danach kam und manchmal was danach kam...
Das mindert in meinem Fall nicht im geringsten das Interesse und hat im filmischen Fall zudem auch nichts mit gutem Storytelling zutun. Geschweige denn mit all den anderen Sachen die einen guten Film ausmachen.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Wie ist das mit unterschiedlichen Adaptionen? Ich zum Beispiel liebe Bram Stokers traditionelle Horrorstory Dracula, und habe bestimmt schon 20+ verschiedene Verfilmungen der exakt gleichen Story mit Van Helsing, Mina, Lucy etc. gesehen. Da müsste ja nach der ersten alles konsequent langweilig sein, weil man die Geschichte kennt. Dracula stirbt, Van Helsing gewinnt, gähn, next.

Es kommt doch aber drauf an, wie es interpretiert wird. Worauf der Regisseur Wert legt. Wie es stilistisch umgesetzt ist. Welche Darsteller die Rollen spielen. Wann es zeitlich spielt. Inwiefern es sich von anderen bestehenden Verfilmungen unterscheidet.

The Walk habe ich noch nicht gesehen, aber auch nach Man on Wire kann man sich vieles fragen. Wird Zemeckis die Vorbereitung des Aktes actionreich inszenieren? Wird er Petit als Spinner oder als Vorbild inszenieren? Was macht JGL aus der Rolle? Wie wichtig sind Nebenfiguren wie Petits Freundin? Welche Parallelen zu anderen Zemeckis Filmen kommen auf? Welches Statement will uns Zemeckis am Ende des Films mit auf den Weg geben?

So viele interessante Sachen, die über "Was hatte der Typ vor?" und "Hat ers geschafft?" hinausgehen.
 

Batou9

Well-Known Member
@Jay: Robert Zemeckis hat es geschafft. Die Vorbereitung führt einen zügig in die Höhe, ist sehr humorvoll inszeniert und das wichtigste, Petite ist derjenige den niemand außer seine Freundin ernsthaft hinterfragt. Es ist vielmehr ein Teamgeist im Sinne von "Schnauze Leute, der Kerl weiß was er will!" Man sitzt als Zuschauer da und schaut sich diesen wirklich starken Cast an, beobachtet den Zweifel in den Augen seiner Freundin, sieht das Funkeln in Petits Augen, wie er sich vorbereitet und körperlich darunter leidet. Und man bekommt eine den Ernst des Vorhabens überspielende Coolness des Teams geboten (ich sag nur: "drauf sein"). Es ist wichtig zu wissen, dass der Film aus der stolzen Sicht von Petit erzählt wird.

Man findet so viele Paralellen zu seinem eigenen Leben, ob nun der Eindruck, dass andere denken man schaffe etwas nicht, oder aber auch die Enttäuschung wenn man Aufmerksamkeit haben sollte, diese aber aus purer Überheblichkeit und fehlendem Stolz nicht erlangen kann. Petits Mentor (Ben Kingsley) spielt hier die Schlüsselrolle, eigentlich jemanden den sich jeder als spirituellen Onkel wünscht. Er ist der BODEN. Er zeigt ihm, worauf es ankommt, was es bedeutet den Glauben der Menschen zu gewinnen. Und er erklärt ihm, dass wenn man annehme, alles sei in trockenen Tüchern, die gedankliche Abschottung notwendig wird, dass man sein Ding 100% durchziehen muss und nicht glauben darf, dass einen jemand zum Ziel zieht, man irgendwie mitschwimmen würde. Das Ende des Seilstanzes ist in dieser Hinsicht einfach wahnsinnig gut umgesetzt.

Ohne dass uns lange erklärt wird mit wem wir es hier zu tun haben ist das Zusammenspiel der Protagonisten von Anfang an glaubhaft und ziemlich unterhaltsam. Ich lache selten unkontrolliert im Kino. Doch da man schnell erkennt, dass diese Leute es durchziehen, dass Petite alles an sich zieht weil er besessen von der Idee ist seiner Angst einen Sarg zu hämmern, lacht man einfach mit.

Das wichtigste Statement: Glaube nicht an dich, sondern tu es stattdessen! (HAU DAS DING WEG!). Die Zeit für Gedanken (was könnte passieren) darf man nicht opfern. Nein, man soll es "100% durchziehen", den Moment an sich saugen und nicht im gedanklichen "Abwägen" versinken. Was interessieren uns andere?! Der Film ist eine auf mehreren Ebenen stattfindende Angsttherapie. Es wird nach einer Entscheidung verlangt, etwas, was uns heute in dieser durch Angst sich definierenden Gesellschaft immer schwerer fällt. Und dass man diese Angst hinter sich lassen kann, dass man wie Petite deutlich macht, die Weichen im Leben als eine immer wieder zugeworfene Herausforderung betrachtet, dass man sich selbst eben nicht allzu ernst nehmen sollte, sondern endlich mit sich ernst machen sollte, diese Forderung wird dem Zuschauer schon sehr früh im Film zugesandt.

Wer wünscht sich nicht, dass er es endlich allen zeigt, statt sich nur selbst einzureden, dass man es jederzeit könnte! Kennt jemand das Ende von Matrix, als Neo es allen zeigt? So fühl es sich am Ende an, wenn auch inhaltlich ganz anders. Der Film lehnt jede Art von Aufschiebung, jede Ausrede ab. Ich sag nur: "Die Karotten sind gekocht!"
 
M

McFlamel

Guest
Batou9 schrieb:
Gestern Abend drin gewesen. Wir haben Schweißperlen auf der Stirn gehabt, so intensiv ist das 3D-Erlebnis wenn man auf dem Dach der Türme steht und die Kamera langsam den Blick nach unten wagt. Ich finde der Film ist einfach grandios. Ein sehr schöner Humor zieht sich durch den Film. Und die Auswahl der Darsteller ist spitze. Niemand im Film wirkt überdreht, kein Gesicht, außer das von Ben ist einem wirklich vertraut. Ab dem Augenblick, wo Philippe Petit verzweifelt und unsicher vor den brachial wirkenden Türmen steht (als erblicke man das erste mal die Pyramiden oder die Titanic) gewinnt der Film einen richtig fesselnden Pulsschlag. Josep Gordon-Levitt spielt hier so einzigartig "anarchistisch", dass sein Wille, die Angst zu bezwingen, die Welt um ihn auszublenden, einen am Ende völlig einfängt. Ich hab selten so schnell die Zeit an mir vorbei rennen sehen. Der Film fühlt sich ab der Hälfte an, als komme jederzeit Ethan Hunt um die Ecke und setzt das Vorhaben mit um. In schwindelerregender Höhe steckt man mit Helfern im noch nicht fertig gestellten Fahrstuhlschacht auf Balken fest, muss zahlreiche Hindernisse mit ausgeklügelter Ablenkung und Schauspielerei überwinden, ehe man die Treppe zum Dach des WTC nehmen kann und sich auf den Abschuß des Seils und deren zahlreichen Abspannungen konzentrieren kann. Und dann dieser mysteriöse Moment, wo man denkt jetzt eskaliert die Situation. Was wollte der Mann da oben? Ihn hat es nach Aussagen von Philippe Petit wirklich gegeben. Zufall?!

Diese Abspannung des Seils, während ich 110 Stockwerke Abgrund im Blickfeld habe, einfach grandios. Und solch klare Aufnahmen. Hier merkt man nicht eine Sekunde, dass das ganze nachgestellt wurde. Es wehen Folien, man sieht das einzigartige Lichterspiel der Türme. Und dann geht die Sonne langsam auf, New York erwacht unten zum Leben. Die letzten 45 Minuten sind Adrenalin pur. Dieser Typ ist so krass, das war mir vor dem Kinobesuch alles "ja und?". Aber wenn man im Kino schweißnasse Hände hat, wenn er langsam sein Gleichgewicht auf das Seil verlagert und nur noch der Wille und Zufall bestimmt, wie es weitergeht, dann ist man auf einmal selbst dieser Akrobat. Der Film ist ein Gebet des Zufalls! Unfassbar, wie die Höhe in 3D wirkt. Als sich dann unten tausende Menschen versammeln und nach oben blicken, das sind solch surreale Momente, dass es einfach Geierpelle verursacht. Diese Art von Mission Impossible Soundtrack weicht und macht einem heroischen Score platz, der den Ernst und Wahnsinn der Situation deutlich macht (als sinke die Titanic). Was danach kommt ist einfach unbeschreiblich intensiv.

Ist es Wahnsinn, wenn man seine Angst bezwingen will? Fast alle werden wahnsinnig, als sich das Team dem Tag des Ereignisses nähert. Und Robert Zemeckis fängt dies alles in einer atemberaubenden Dichte, immer mit einem Schuss Humor, ein. Im Grunde genommen ist der Film eine kleine Theraphieveranstaltung. Als Philippe über die Angst philosophiert und erklären will, weshalb er kein Sicherungsseil benutzen will, wie sein Mentor das aus Angst ablehnt, da kommt man sich selbst fast albern bei seinen alltäglichen Ängsten vor. Jeder Mensch hat Ängste die er überwinden muss. Philippe Petit muss das wirklich anders gesehen haben. Für ihn war das ganze Leben ein Drahtseilakt.

Und auf diesem Drahtseil wandern wir im Film selbst, einem Drahtseil (dem Leben), welches zwischen den Tod (den Türmen des World Trade Center) gespannt wird. Wahnsinnig intensive Momente, als er da oben sitzt und ihn die Türme zurück auf das Seil rufen, als der Blick der Menschenmassen nach oben geht.

Und der Schlussmoment, diese überhaupt nicht kitschige Art & Weise dem 11.09.2001 im Nachklang unterschwellig und in Ehrfurcht Platz zu bieten, einfach schön.

Geht in den Film. Dafür ist BIG-Kino gemacht!

10/10 Punkten

Kann ich Eins zu Eins so übernehmen!
War wirklich ein Wahnsinns Erlebniss.
Das einzige was ich nicht ganz verstanden habe, was war das für ein Goldenes Rundes Ding dass der Komplitze am Ende in der Hosentasche hatte und Lewitt sich darüber gefreut hat.
Es war irgendetwas was Ben ihm gegeben hat , aber was und wozu war das gut?
 

Ormau

Well-Known Member
McFlamel schrieb:
...was war das für ein Goldenes Rundes Ding dass der Komplitze am Ende in der Hosentasche hatte und Lewitt sich darüber gefreut hat.
Es war irgendetwas was Ben ihm gegeben hat , aber was und wozu war das gut?

Wenn ich mich recht erinnere, war das eine Art Pendel zum Ausbalancieren, aber wohl eher ein Glücksbringer...
denn er hats ja nicht gebraucht.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Ich habe Höhenangst. Das war so mit eines der schrecklichsten Finale, die ich je gesehen habe. Oh man, ich konnte kaum hinsehen.
Aber auch ansonsten ist das Begleiten von Philippe und seiner Obsession, sowie die Planung und der Coup selbst, eine durchaus runde Sache und toll in Szene gesetzt.

7/10
 

Revolvermann

Well-Known Member
Nein, die habe ich leider noch nicht gesehen. Aber es gibt doch gar keine Aufnahmen vom Walk selbst oder? Sagen sie zumindest hier im Bonusmaterial.
 
Oben