Zürich Filmfestival - Tagebuch

Presko

Well-Known Member
So, morgen geht's los in Zürich mit dem Zürich Film Festival. Für mehr Infos lohnt ein Klick auf die Homepage. ZFF. Das Programm ist wirklich sehr nett und ich werde mir dieses Jahr einige Premieren zu Gemüte führen. In diesem Thread werde ich Euch jeweils auf dem laufenden halten. Folgende Filme stehen sicher auf meinem Programm:
25. September: The Skeleton Twins
27. September: Melbourne
28. September: Birdman
29. September: Gone Girl
30. September: NIghtcrawler
02. Oktober: Godd Kill
04. Oktober: Automata
05. Oktober: Manglehorn​

Fortsetzung folgt... 8)
 

Schneebauer

Targaryen
Schöner Plan. Grade auf erste Meinungen zu Birdman, Gone Girl und Nightcrawler bin ich ja gespannt! :top: Rover solltest du auch noch mitnehmen, wenn möglich. Liest sich bisher auch verdammt intressant.
 

brawl 56

Ich bin auf 13 Sternen zum Tode verurteilt!
Oha :bibber: Dufter Plan!

Bin mal gespannt, was du zu Birdman, Gone Girl, Nightcrawle und Automata zu sagen hast :3
 

Presko

Well-Known Member
Schneebauer schrieb:
Rover solltest du auch noch mitnehmen, wenn möglich. Liest sich bisher auch verdammt intressant.
Bin ich auch sehr gespannt drauf. Aber ich glaube, ich werde ihn mir eh dann als Import ins Haus holen :wink:
Heute abend steht erst einmal Skeleton Twins auf dem Programm:

Regie
Craig Johnson


Handlung
Die Geschwister Maggie (Comedy-Star Kristen Wiig) und Milo Bill Hader) haben sich seit ihrer Kindheit nicht nur räumlich stark voneinander distanziert. Während Maggie als Zahnärztin in ihrer kleinen Heimatstädtchen im Staat New York tätig ist, lebt Milo im sonnigen Kalifornien.

Nachdem sie rein zufällig am selben Tag dem Tod ein Schnippchen geschlagen haben, treffen sich die Geschwister Milo und Maggie an ihren Geburtsort, um herauszufinden, was in ihrem Leben so schrecklich schief gelaufen ist. Maggie lebt völlig unzufrieden in einer Ehe mit dem viel zu gutherzigen Lance (Luke Wilson), während der homosexuelle Milo erneut ein Auge auf seinen Ex-Lover, den Englisch-Lehrer Rich (Ty Burrell) wirft. Die Dinge werden nicht einfacher, als Maggie eine Affäre mit ihrem Tauchlehrer beginnt und Milo das Familien-Chaos noch um ihre gemeinsame Mutter erweitert, die er kurzerhand ins Haus holt.
(moviepilot.de)

Trailer

Kritiken klingen sehr vielversprechend und ich mag solche kleinen Tragikomödien halt einfach sehr :biggrin:
 

Presko

Well-Known Member
Kurzkritik zu Skeleton Twins: bissiger Witz, strahlende Lebensfreude und lauer Ernst, unbeholfene Tragik

Der Film fängt schon mal gut an, nämlich mit dem Blick auf die beiden Geschwister, die beide kurz davor stehen, sich das Leben zu nehmen. Schlussendlich ist es Maggie, welche welche vom Krankenhaus einen Anruf erhält, weil Milo mit aufgeschnittenen Pulsadern eingeliefert worden ist. Damit sind die Rollen vom Zufall verteilt worden. Sie die verheirtatete Zahnärztin, die bereits mit ihrem Mann die Familienplanung betreibt, lädt schliesslich ihren psychisch angeschlagenen Bruder ein, eine Weile bei ihr zu wohnen. Damit beginnt nach zehn Jahren der Funkstille eine neue Annäherung zwischen den beiden und allerlei unterdrückte Konflikte treten nach und nach zu tage.

Die US-Kritiken fielen bisher sehr positiv dem Film gegenüber aus und das Drehbuch wurde bereits ausgezeichnet. Soviel sei verraten, das Drehbuch ist tatsächlich sehr klug und entwickelt eine komplexere Geschichte, als man es im ersten Augenblick erwarten würde. Viele der zentralen Konflikte werden erst relativ spät zutage befördert und einige der Themen, insbesondere Milos Beziehung zu seinem ehemaligen Englischlehrer sind spannend und durchaus provokativ.

Phänomenal gut sind die Hauptdarsteller. Wiig und Hader haben eine tolle Chemie und sprühen vor Spielfreude. Ihre gemeinsamen Szenen sind toll und insbesondere in den fröhlichen, verspielten Momenten brillieren sie geradezu, ohne sagen zu wollen, dass sie die ernsten Seiten nicht auch glaubwürdig verkörpern würden. Besonders positiv hervorheben möchte ich Hader. Seine nuancierte Darstellung des komplizierten Charakters von Milo gelingt ihm auf solch natürliche, unaufgeregte Weise, dass ihm der ein oder andere Preis und vor allem mehr spannende und schwierige Rollen zu wünschen sind. Luke Wilson als lieb-naiver, aber ein wenig langweiliger Ehemann ist super sympathisch und liebenswert. Seit seiner eindrücklichen Performance in The Royal Tennenbaums als depressives Tennisgenie drücke ich ihm die Daumen, dass es ihm endlich gelänge, aus dem Schatten seines prominenteren Bruders, Owen Wilson, hervor zu treten. Ob ihm dies mit dieser Rolle hier gelingen mag, ist allerdings zu bezweifeln, da ihm einfach die Momente im Drehbuch dazu fehlen.

Regisseur Craig Johnson inszeniert seinen Film sehr ruhig und mit einer gewissen Distanz, welche Raum für die grossartigen Darsteller schafft. Sie sind es, welche in erster Linie mit ihrem Spiel die Zuschauer in den Film ziehen und nicht irgendwelche Regiemäzchen. Dabei verzichtet Johnson auf jedweden Pathos oder Kitsch. Emotionalität, Tragik und Humor entstehen alle aus dem Spiel und werden nicht durch Musik, oder Bildmontagen dem Zuschauer aufgedrückt. Trotzdem bekam ich das Gefühl, dass Johnson die energetischen, fröhlichen Momente besser liegen, als die ernsten und ruhigen Szenen. Denn es sind vor allem diese fröhlichen Momente, die einen als Zuschauer so richtig packen und bewegen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Johnson bei der Inszenierung der ruhigen, ernsten Momente ein wenig unbeholfen war. Zwar hält sich die Regie auch hier, wie erwähnt, sehr zurück, dennoch gibt es die ein oder andere Aufnahme von Laub im Wind, eines Sonnenuntergangs, ab und zu bringt er kurze Kindheitsaufnahmen – doch all das zusammen mit der Musik schafft es nicht, diese eine besondere Stimmung herzuzaubern, wie es anderen ähnlich gelagerten Filmen gelingt. Dies zeigt sich umso stärker im Finale, das irgendwie lau daherkommt und einen kaum packt.
Dies liegt nicht alleine an der Regie, sondern ziemlich sicher auch am Drehbuch bzw. der Dramaturgie. Dem Drehbuch fehlt vor allem in den grossen dramatischen Höhepunkten der letzte Dialogschliff. Dem Drehbuch muss man unbedingt zugute halten, dass es die Geschichte, die Figuren und Zuschauer sehr ernst nimmt. Wie schon die Regie verweigert es sich der Tendenz, mit Holzhammermethoden Gefühle zu erwecken und den Zuschauer zu manipulieren. Vieles wird offen gelassen und viele komplexe Konflikte werden vor allem zwischen den Zeilen ausgetragen, als dass offen ausgebreitet und zutode geredet würden. Das hat den Vorteil, dass der Film und seine Figuren grosse Glaubwürdigkeit erhalten. Denn so ist das Leben doch eigentlich. Wir zerreden nicht alles. Häufig deuten wir Dinge nur an. Streitigkeiten und Konflikte verlaufen sich, ohne dass man Probleme wirklich gelöst hätte. Die grössten und komplexesten Dramen sind im Alltag selten mehr als einfache Gegebenheiten, mit denen man sich halt arrangiert.
Dieser Stil kann allerdings den Nachteil haben, dass man manchmal als Zuschauer etwas unbefriedigt oder zu distanziert zurückbleibt. Insbesondere wenn dann bei den zentralen Schlüsselstellen der letzte Schliff in den Dialogen fehlt und man das Gefühl bekommt, hier hätte so viel mehr Potential drin gesteckt. Leider ist das hier ein wenig der Fall. Man merkt einfach, dass der Humor den Machern so viel besser liegt und ihnen in den ernsten Schlüsselstellen häufig die Gewitztheit und Pointiertheit fehlt, die sie sonst abliefern.
Des weiteren ist die Dramaturgie des Filmes einer seiner grössten Schwächen. Zu repetitiv ist der Rhytmus des Filmes im Schema ernst/traurig – lustig/fröhlich gefangen. Dazu kommt, dass der Film eine gewisse Trägheit nicht abschütteln kann, die auch daher rührt, dass er beiden Hauptfiguren und ihren jeweiligen Konflikten sehr viel Platz einräumt und dadurch manchmal einfach zu viel Leerlauf entsteht.

Jetzt hoffe ich, das alles hört sich nicht zu negativ an. Der Film ist in seinen besten Momenten grossartiges und kluges Schauspielerkino über den alltäglichen Kampf normaler Menschen mit den Unzulänglichkeiten und dem Absurden des menschlichen Daseins, das auf falsche Sentimentalitäten und auf Kitsch verzichtet und in seinen besten Szenen (Zahnhygiene, Karaoke) einen so richtig verzaubert.

7/10 Punkte
 

Presko

Well-Known Member
Kurzkritik zu Melbourne: Ein Kammerspiel über die dunklen Seiten des gesellschaftlichen Individualismus und die Weigerung, Verantwortung zu übernehmenK

Regie/Drehbuch:
Nima Javidi
Besetzung:
Payman Maadi, Negar Javaherian, Mani Haghighi, Shirin Yazdanbakhsh

Inhalt:
Heute werden Amir und Sara Teheran verlassen. In der australischen Küstenstadt Melbourne erwartet das junge Paar ein völlig neues Leben. Seit Monaten haben sich die beiden Iraner auf diesen Tag vorbereitet. Vor dem abendlichen Abflug gibt es jedoch noch einiges zu erledigen: Die schicke Zweizimmerwohnung muss gereinigt, das Mobiliar dem Pfandleiher übergeben werden. . Von einem tragischen Ereignis aus der Fassung gebracht, reihen Amir und Sarah plötzlich eine zweifelhafte Entscheidung an die nächste – und riskieren ihren Lebensplan. MELBOURNE ist ein dichtes Kammerspiel, das tief unter die Haut geht. (Text vom Zürich Filmfestival)

Melbourne ist das Langfilmdebut des Regisseurs Nima Javidi. Einem Kammerspiel, das als beissender Kommentar zur zunehmenden Individualisierung der (iranischen) Gesellschaft gelesen werden kann und die Tendenz, der Menschen, sich zu weigern, Verantwortung für andere zu übernehmen auf bittere Weise darstellt. Dies zeigt sich insbesondere sehr schön an einer Szene, etwa in der Mitte des Filmes, als Amirs Mutter kurz vorbeikommt und ihrem Sohn Amir Vorwürfe macht, dass er sie so einfach verlässt. In ihren Augen wird sie von ihrem Sohn im Stich gelassen. Die Besuche bei ihm und seiner Frau stellten die letzte Freude in ihrem Leben dar, sagt sie und er denke nur an sich und nehme ihr diese Freude weg. Es ist die Anklage gegegenüber einer Tendenz, dass man heute seine eigenen Träume und Wünsche in den Vordergrund rückt und nicht mehr bereit ist, Verantwortung für das Wohlergehen anderer Mitzutragen. Du musst selbst schauen, wie Du glücklich wirst, könnte eine Antwort auf den Vorwurf der Mutter lauten, ich bin nicht dafür verantwortlich. In unseren westlichen modernen Demokratien wurde dieser Individualismus immer gerne im Kontext der Familie aufgezeigt. Wo man sich früher als erwachsenes Kind beinahe auf selbstverständliche Weise um seine ins Alter gekommenen Eltern kümmerte (oder gekümmert haben soll. Ob es sich nämlich bei diesem Bild wirklich um die Realität handelt, sei mal dahingestellt), ist dies heute eher die Ausnahme. Pflegeheime sind da häufig die notwendige Wahl. Im besten Fall wird wie in King of Queens dem Vater noch widerwillig ein Platz im Keller zugestanden, aber sonst verweist man heute eher auf die sozialstaatlichen Einrichtungen. Teilweise wird man eher komisch angeschaut, wenn man sich zu stark gegenüber seinen Eltern verpflichtet und bekommt gesagt, man müsse doch für sich schauen, sie abgrenzen, man sei doch nicht für deren Wohlergehen verantwortlich etc. Doch die Entsolidalisierung ist nicht nur familiär, sondern gesamtgesellschaftlich zu beobachten. Der Begriff der Anonymisierung in Grosstädten, die Abnahme von Nachbarschaftsbeziehungen oder von Freiwilligenarbeit sind weitere solche typischen Anzeichen, an denen die Individualisierung in Westeuropa seit den siebziger Jahren festgemacht wird. Der fantastische, inzwischen leider verstorbene Historiker Toni Judt schrieb vom Trend seit den siebziger Jahren hin zum Individualismus. So hätten sich die Siebziger stark von der "strikt gemeinschaftlichen Zeit" der sechziger Jahre unterschieden. Anstatt einer kollekten, stand von nun an die individuelle Befreiung im Zentrum.

Javidis Angriff auf die negativen Folgen dieser Individualisierung im Iran der Gegewart ist allerdings ein noch viel härterer. Es ist nicht nur ein Auflösen sozialer Solidarität, das vonstatten geht, er zeigt einen fast schon rücksichtslosen Egoismus, eine komplette Verweigerung darin, Verpflichtung anderen gegenüber anzunehmen. Immer wieder macht Amir seiner Frau dementsprechend auch den Vorwurf, dass sie an den schlimmen Ereignissen im Film Schuld trage, weil sie freiwillig Verantwortung für ein Problem des Nachbarn übernommen habe, das hätte sie einfach nicht tun dürfen. Das ist die grosse Schuld, die sie auf sich geladen hat.

In der Folge werde ich versuchen in der Kritik das zentrale Ereignis nicht näher zu benennen. Warum? Es gibt diese eine grossartige Schlüsselszene, in welcher dem Zuschauer gewahr wird, was Schreckliches passiert ist. Erst scheint es sich in der Szene um eine witzige Situation zu handeln, doch schlagartig bleibt einem das Lachen sprichwörtlich im Halse stecken. Diese Szene fand ich so gut, dass ich potenziellen Zuschauern diesen Moment um keinen Preis zerstören möchte.
Man kann soviel sagen, es geht um etwas, das zutiefst schockierend ist, für jene, die es wissen wollen, folgt jetzt der Spoiler:

Die Nanny des Nachbars hat Sara gebeten, ob sie kurz das Baby des Nachbarn bei sich aufnehmen würde, weil sie unbedingt rasch wegmüsse. Sara hat eingewilligt und das Baby im Schlafzimmer hingelegt. Dies war vor drei Stunden und die Nanny ist noch nicht zurück. Sara und Amir machen sich während des Packens dauernd Sorgen, das Baby könne aufwachen. Daraus entsteht dann der Humor in der Szene, als Amir ins Schlafzimmer geht und aus Versehen dauernd Krach macht, das Baby allerdings nie aufwacht. Dann plötzlich schlägt der Humor in Entsetzen um, wieso reagiert das Baby nicht? Es lässt sich nicht aufwecken, was ist passiert?

Anstatt reinen Tisch zu machen und das Ereignis zu melden, macht Amir immer wieder einen Rückzieher und verstrickt sich gegenüber Drittpersonen in Lügen. Zwar versucht Sara ihn immer wieder zu ermuntern, dass sie besser die Wahrheit sagen sollten, lässt sich von ihm aber immer wieder vertrösten. Denn zuerst, davon ist Amir überzeugt, müssten sie herausfinden, was genau passiert, wer für das Geschehene verantwortlich ist.

Der Film spielt zu 90 Prozent in der kleinen Wohnung von Amir und Sara. Sie befinden sich kurz davor aufzubrechen, um den Iran für 3-4 Jahre zu verlassen, als das alles passiert. Dauernd kommen Besucher vorbei (seien dies Verwandte, Techniker, Pfandleiher etc.) oder es stören irgendwelche Anrufer die Szenerie. Interessant ist, dass dadurch immer wieder gezeigt wird, dass trotz der Individualisierung Amir und Sara selbst immer wieder Empfänger von Hilfe von Dritten sind. Leute helfen beim Umzug, oder dessen Organisation und eine Nachbarin bringt ihnen etwas zu essen vorbei.
Darstellerisch ist der Film sehr gut. Die beiden Hauptdarsteller brillieren und machen die zunehmende Verzweiflung für den Zuschauer spürbar. Insbesondere Anfang und Ende des Filmes sind grossartig gelungen, im Mittelteil machen sich aber einige Längen breit. Eine weitere Frage ist, ob das ganze nicht eher auf die Bühne gehört hätte.
Das Hauptproblem allerdings liegt in der Motivation der Handlungsweise der Figuren. Ich konnte das Handeln der Figuren schlicht nicht verstehen. Warum Amir sich immer wieder mit Lügen davor drückt, das Geschehene möglichst schnell und korrekt zu klären, erschien mir einfach nicht verständlich. In einem Bühnenstück würde man das extrem egoistische Verhalten eher nachvollziehen können, aber in einem Film, der beinahe dokurealistisch gedreht ist, wirkt dieses Verhalten einfach zu überspitzt. Es würde eher in eine Satire passen oder wenigstens müsste die Motivation klarer unterstrichen werden. Wir erfahren überhaupt sehr wenig über Amir und Sara. Wir wissen nicht genau, was für die beiden auf dem Spiel steht, welche Bedeutung diese Abreise wirklich für sie einnimmt. Und gleichsam wirken die beiden doch viel zu sympathisch und menschlich, um ihnen dieses rücksichtslose Verhalten, das sie an den Tag legen, zuzutrauen. Einige Beispiele im Spoiler:

Kaum merkt Amir, dass sich das Baby nicht mehr wecken lässt, ruft er entsetzt die Ambulanz an. Dabei fragt er nicht, ob er was tun könne, wie zB. Herzmassage oder Mund-zu-Mund-Beatmung. In diesem Moment steht noch nicht mal fest, dass das Baby wirklich tot ist. Als später die Ambulanz ankommt (er weiss nun, das Baby ist tot), schickt er sie weg, und sagt alles sei in Ordnung. In einer anderen Szenen will der Vater seine Tochter abholen, zuerst will ihm Amir die Wahrheit sagen, lügt dann aber, die Frau sei mit dem Baby spazieren gegangen.

Und so geht es den Film über weiter. Vor jedem Besuch gilt es, das schreckliche Ereignis zu verstecken.
Dies ist das Hauptproblem des Films und machte es mir neben den Längen im Mittelteil relativ schwer, mich so richtig auf das Geschehen einzulassen, weil ich mich einfach zu oft ärgerte und dachte, ach komm, wieso verhaltet ihr Euch so dumm? Eine Alternative wäre gewesen, dass das Drehbuch stärker darauf hingewiesen hätte, dass ihr Traum, nach Melbourne zu kommen, auf dem Spiel steht. Dass sie fürchten, dass im iranischen System ihr Traum durch das Ereignis in Gefahr ist. Doch das scheint anfangs gar nicht der Fall zu sein. Und selbst wenn. Die Probleme, die sie sich damit aufladen, indem sie die Wahrheit verschweigen, könnten schliesslich viel grössere Konsequenzen nach sich ziehen.

Ganz zu schweigen davon, dass Kindstod im Schlaf eine bekannte Todesart ist und letztlich nicht wirklich jemandem angelastet werden kann

Dennoch schafft es der Film am Schluss mit einem sehr zynischen Ende noch einmal einen kraftvollen Ausgang zu finden, der einen nicht kalt lässt. Zudem sind die Schauspieler so gut, dass man dem Treiben weiterhin gespannt folgt.

Schlussendlich ist Melbourne ein durchaus interessantes Kammerspiel geworden, das mit einer klugen Ausgangslage und sehr guten Schauspieler, sowie einem starken Ende punktet, allerdings in seiner Charakterzeichnung grosse Schwächen zeigt. Dass der Regisseur gleichzeitig was zu sagen hat und es versteht pointierte Gesellschaftskommentare filmisch zu formulieren steht ausser Frage und somit kann man auf das nächste Werk von Javidi durchaus gespannt sein.

6.5/10 Punkte.


es folgt heute oder morgen: Birdman
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Klingt schon mal gut :smile: aber ich glaube die nächsten 3 Abende werden absoluter Killer. Gone Girl, Birdman, Nightcrawler :w00t: Wird bestimmt super.
 

Metroplex

Well-Known Member
Oha, Jay bei uns in der Schweiz?
Wie gefällt dir denn unser Kino-Eintrittspreismodell? :ugly:

Zahlt man am Festival normale Eintrittspreise? (ca 19Fr pro Film ohne 3D, 22 für mit)
 

Presko

Well-Known Member
Birdman .... oder einfach nur: WOW ... HELL YEAH ... OH FUCK! :w00t:

Komme gerade aus Birdman und bin geschafft. Ich fühle mich ein wenig, wie nach einem 12ründigen Boxkampf und der Film hat gewonnen. Erschöpft und gleichzeitig überdreht (dabei müsste ich jetzt sofort schlafen gehen), aber ziemlich zufrieden kann ich sagen, dass das der wahrscheinlich atemloseseste Theaterfilm ist, den ich je gesehen habe. Für mehr als ein paar Stichworte reichts bei mir heute nicht mehr.
Das erste, was mir zur Beschreibung in den Sinn kommt, ist: Robert Altmann auf Speed und ein dicker, fetter Stickefinger Richtung Avengers, Superman und alle Superheldenblockbuster der letzen Zeit. Der Film passt in die heutige Kinolandschaft wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Die Inszenierung und der Inhalt machen den Film definitiv zum Pflichtprogramm für jeden Cineasten.

Top:
Blockbusterkino mal anders Robert Altman, Woody Allen, Mel Brooks Charlie Kaufman, Michel Gondry einmal gut durchgeschüttelt und mit einer minimalen Prise Michael-Bay-Gigantismus gesüsst – ein hochprozentiger Cocktail!
Ein Ensemble im Höhenrausch, angeführt von einen Michael Keaton, der hier keine Federn lässt und so richtig gross auftrumpfen darf
Eine hypnotische Inszenierung, die nicht davor zurückschreckt, auch anstrengend zu sein
Herzblut durch und durch
Viel Originalität
Humor und Tragik im Einklang
Endlich verstehe ich, was Ihr alle an Emma Stone findet :smile:

Nicht ganz so top
Etwas Überlänge. Gegen Ende lässt der Zauber etwas nach
Ist nicht von einigen Plattheiten gefeit
Gewisse Muster wiederholen sich zu oft
Gegen Ende schwächelt die Dramaturgie etwas
Der Schluss ist leicht enttäuschend

Ich schätze 9/10 sollten es sein. Muss den aber unbedingt bald nochmal schauen, hat mich kalt erwischt, das Biest!!
 

Presko

Well-Known Member
Gone Girl - der perfekte Film fürs erste Date …. oder fürs letzte Date
(bei Ersterem geeignet, um das Eis zu brechen, bei Zweiterem, damit man gar nix mehr zu sagen braucht)


Story
Wieder einmal Hochzeitstag. Grund genug für Nick Dunne morgens gleich mal in die Bar zu gehen, welche er mit seiner Schwester betreibt und sich von ihr einen Hochprozentigen einschenken zu lassen. Schnell wird klar, wirkliche Freude bereitet ihm diese Ehe schon längst nicht mehr. Wahrscheinlich würde er lieber seinen ganzen Tag hier in der Bar verbringen, anstatt nach Hause zu seiner Frau gehen, welche wie jedes Jahr am Hochzeitstag mit ihm eine Schnitzeljagd veranstaltet, in welcher Nick Dunnes Wissen über ihre Beziehung getestet wird. Bereits jetzt ahnt Nick, dass er wie schon in den letzten Jahren die Prüfungen seiner Frau, Amy, nicht bestehen wird. Ein Anruf vom Nachbarn, der ihn informiert, dass die Tür zu seinem Haus offen steht, zwingt ihn schliesslich nichtsdestotrotz den Heimweg anzutreten. Doch dann der Schock: Amy ist wie vom Erdboden verschwunden und im Wohnzimmer weisen Spuren auf einen Kampf hin. Nick informiert die Polizei und als diese auch noch Blutspuren in der Küche findet, ist jedem klar, die Sache ist ernst.
Mit Amys Eltern, einem Autorenehepaar, welches berühmt für ihre Kinderromane über das Leben der wunderbaren Amy ist, wendet sich Nick schliesslich über die Medien an die Öffentlichkeit. Doch Nick scheint die Rolle des besorgten Ehemanns nicht besonders gut zu stehen. Jeder seiner Auftritte in der Öffentlichkeit, jedes Gespräch mit der Polizei führen zu einem Fiasko. Einmal lächelt er unbeschwert in die Kameraobjektive, ein andermal scherzt er mit den Polizisten rum, anstatt besorgt auszusehen. In den Tagen darauf kommen zu seinem merkwürdigen Verhalten zahlreiche belastende Indizien erschwerend hinzu. Nicht nur die Polizei auch die Medien, angeführt von der Moderatorin Ellen Abbot, stürzen sich auf ihn und bald schon findet sich Nick in der Rolle des meistgehassten Mannes von Amerika wieder.

Kommentar
Ich will hier gleich mal all jene warnen, die den Roman von Gillian Flynn noch nicht kennen:

Passt auf, lasst Euch nicht spoilern!

Das ist so ein Film, wo man sich als Romankenner sich während des Schauens wünscht, man wisse nicht, was noch kommt. Man wünscht, den Roman noch nicht gelesen zu haben. Umso mehr, wie man die Reaktion der anderen Zuschauer mitbekommt. Und das ist ein Film, wo viel Reaktion von den Zuschauern kommt. Ich würde soweit gehen zu behaupten, das hier ist Finchers erster richtiger crowdpleaser, ein Film, den das Publikum am Schluss enorm fröhlich und lebhaft diskutierend verlässt.

Für viele Buchleser dürfte wie für mich selbst, die Frage bestanden haben, wie man dieses durchaus komplex strukturierte Buch (viele Perspektivenwechsel, verschachtelte Ebenen, zahlreiche Wendungen etc.) filmisch adäquat umsetzen will. Konzentriert man sich auf einen bestimmten Aspekt und kürzt andere weg? Es hiess, das Ende sei geändert worden - also grosse Veränderungen zum Buch? Die Antwort ist etwas langweilig, aber durchaus überraschend. Der Film ist eine extrem vorlagengetreue Adaption. Natürlich wurde verdichtet, hie und da etwas gekürzt (vor allem beim letzten Akt), aber an und für sich, kann man sich kaum eine detailgetreuere Verfilmung vorstellen. Auch die Erzählstruktur wurde beibehalten und das alles funktioniert auch noch wunderbar. Gillian Flynn, die das Drehbuch zur Verfilmung ihres Romans gleich selbst schrieb, hat wirklich beeindruckende Arbeit geleistet. Das Drehbuch ist grossartig. Sie schafft es, wirklich alle Aspekte des Buches in den Film hinüber zu transportieren. Entsprechend fühlt sich der Film auch auf positive Weise lang an. Er ist gefüllt mit Inhalt. Dicht, aber nie zu gehetzt. Auch die Übergänge vom einen Akt zum anderen und zwischen den Perspektiven gelangen ihr super. Sie verdichtet an den richtigen Stellen, strafft die Ereignisse zeitlich, lässt die richtigen Sachen weg - einfach rundum alles richtig gemacht. Wenn ich was zu nörgeln habe, dann hätte ich dem letzten Akt etwas mehr Laufzeit geschenkt. Hier kommt alles etwas zahmer als im Buch daher.

Wer wissen will, wie sich Film und Buch unterscheiden, hier ein paar Beispiele:


Insgesamt kommt Nick Dunne sympathischer daher. Es gibt nur eine kurze Szene mit Nicks Vater, ansonsten nur einige wenige Andeutungen. Dasselbe betreffend seiner Mutter. Amys Schul"freundin" wurde gestrichen, genauso wie Tanner Bolts Assistentin. Das Interview, das Nick relativ spontan einer Journalistin gibt fehlt ebenso, wie Nicks Ausflug in das stillgelegte Kaufhaus (stattdessen geht die Polizistin dahin). Überhaupt ist der Teil, als Nick die Meinung um sich in der Öffentlichkeit dreht, relativ stark gestrafft worden. Im letzten Akt wird vieles nur angedeutet: bspw. Nicks Versuche Amy auszutricksen, dass er sich irgendwie wieder von ihr angezogen fühlt oder auch seine Mordphantasien. Im Allgemein wird auch der ganze gesellschaftliche Kontext betreffend Krise nur ganz am Rande angesprochen.
Insgesamt, gerade weil der letzte Akt am stärksten von den Straffungen betroffen ist, kommt die Satire etwas weniger bissig daher.


An den schauspielerischen Leistungen gibt es eigentlich kaum was auszusetzen. Affleck gibt Nick Dunne mit grosser Zurückhaltung und Natürlichkeit, wobei seine breiten Batmanschultern anfangs etwas irritiernd wirken können. In den Szenen, in denen er dann ausbrechende Emotion zeigen kann, glänzt er regelrecht. Erst im letzten Akt, in dem vieles unausgesprochen bleibt, hatte ich das Gefühl, dass hier fehlende Ausdruckskraft in seinem Spiel schon deutlich wird. Breiter ist das Repertoire definitiv bei Rosamund Pike, was sie auch voll ausspielt und einige wirklich beeindruckende Szenen liefert. Ihr hingegen fehlt ein wenig die Natürlichkeit, welche wiederum Affleck eigen ist. Wie gesagt so richtig kritisieren kann man an den Schauspielern nix, nur ab und zu, fand ich, dass ein gewisses Potenzial, das in den Rollen stecken würde, ungenutzt bleibt. Wie in der Figur Tanner Bolt. Wieso zur Hölle besetzt man den bitte mit Tyler Perry? Ich kann mir das nur so erklären, dass sich Perry in die Produktion reingekauft hat. Versteht mich nicht falsch, auch er spielt souverän. Er bringt seine witzigen Sprüche im richtigen Ton und mit sehr gutem Timing rüber. Aber mehr als souverän ist das eben trotzdem nicht. Und diese Rolle hätte um einiges mehr hergegeben. Ähnliches gilt für Neil Patrick Harris. Ich gönne ihm seinen grossen Auftritt, man kann wenig daran aussetzen, nur brilliert er halt auch nicht grade. Selbiges gilt für Kim Dickens. Sehr gut gefielen mir hingegen Nicks Schwester und sein Schwiegervater (die Schwiegereltern kriegen aber recht wenig Screentime). Etwas schwach fand ich die Darstellung der beiden Medienfrauen, welche den Fall medial ausschlachten. Leider ist die Darstellung der beiden furchtbar überzeichnet und bietet den Darstellerinnen kaum Raum zum Glänzen.

Die Inszenierung selbst ist sehr gut, wenn auch für Finchers Verhältnisse enorm zahm. Auf richtig Schockierendes wartet man hier vergebens. Keine Szenen a la Seven, Fight Club oder "die eine" Szene im Girl with the Dragon Tattoo. Wenn man böse will, könnte man Fincher in dieser Hinsicht beinahe etwas Mutlosigkeit vorwerfen und sagen, er hält sich zu starr an der Vorlage fest. Warum aber böse sein, wenn der Film letztlich so viel Spass macht. Davon ausnehmen möchte ich den Soundtrack, hier erlauben sich Fincher und Trent Reznor dann doch noch ab und zu etwas Extravaganz. Um ehrlich zu sein, mein Ding war es nicht. Zu häufig war mir die Musik zu aufdringlich. Entweder zu sehr aufs Erzeugen von Spannung aus oder einfach zu … auffällig. Das werden aber mit Sicherheit viele anders sehen.

Letztlich bleibt ein wahnsinnig unterhaltender, unberechenbarer, schön anzuschauender Film mit guter Besetzung und einem wirklich formidablen Drehbuch (für mich jetzt schon ein Oscarkandidat). Inhaltlich wird ein Thriller, ein Drama und vor allem eine pointierte, bissige Satire über Medienhetze, Oberflächlichkeit, Beziehungen etc. geliefert, die einfach Spass macht. Ein Film, der lang ist, aber von mir aus gerne noch zwanzig Minuten mehr Laufzeit hätte haben dürfen der letzte Akt und seine Boshaftigkeit kommen nämlich (ich erwähne es einmal mehr) ein wenig zu kurz.

8.5/10
 

Revolvermann

Well-Known Member
Super auführliche, nett zu lesende Kritiken Presko.
Jetzt hab ich total Bock auf Birdman und Gone Girl. Also, noch mehr als vorher. :ugly:
Ich hoffe Nightcrawler reiht sich da heute ein.
 

Diego de la Vega

Not Yet Rated
Gerade Preskos toll geschriebenen eindrücken gefolgt, und kann nur zustimmend in Richtung Bildschirm nicken. :top:
Ich verrate das jetzt einfach mal, denn wir haben sogar die exakt gleiche Zahlenwertung drunter. :clap:
Meine Kritik zum neuen Fincher ist aber auch fertig, und sollte auch pünktlich zum Start online gehen.
 

Presko

Well-Known Member
Danke Revolver, danke Diego :thumbsup:

Hier jetzt noch etwas mehr zu Birdman, dann muss ich aber los, Kino wartet :biggrin:


Birdman

Für Riggan Thompson (ehmaliger Batman Michael Keaton) steht alles auf dem Spiel. Seine letzte Chance, der Welt zu beweisen, dass er mehr sein kann, als ein Schauspieler in einem Vogelkostüm, der Bösewichter jagt. Um dies zu erreichen hat er ein Broadwaystück adaptiert, das er selbst inszeniert und indem er auch noch gleich die Hauptrolle spielt. Es stehen gerade die letzten Voraufführungen an, als einer seiner Hauptdarsteller schwer verunfallt. Eigentlich ist Riggans aber ganz froh, der Darsteller war nämlich furchtbar und tatsächlich scheint er Glück zu haben, denn der hochtalentierte und schwer erfolgreiche Mike Shinner (Edward Norton) will die Rolle.
Doch damit sind die Probleme noch lange nicht ausgestanden, nein, es ist erst der Anfang einer ganzen Reihe eintretender Katastrophen. Denn Shinner entpuppt sich alsbald als zwar genialer Schauspieler, aber auch als neurotischer Spinner. Und wäre das noch nicht genug, kämpft Riggan auch noch mit seinem eigenen Alter Ego, dem Birdman, der sich immer mehr, in Riggans Welt drängt und ihn davon zu überzeugen versucht, dass er sein Theaterabenteuer abbrechen und einen weiteren Birdman-Teil drehen soll. Dass Riggan gleichsam meint, er besitze Superkräfte, spricht auch nicht grade für seinen Geisteszustand. Doch nicht nur mit seinem imaginären Birdman-Begleiter und dem egozentrischen Shinner, sondern auch mit seiner Exfrau, seiner Geliebten (die ihm anvertraut, dass sie schwanger ist) und seiner gerade aus der Reha zurückgekehrten und verbitterten, zynischen Tochter (Emma Stone) muss er sich rumschlagen. Dabei interessiert Riggan eigentlich nur eines, sein Stück, sein künstlerisches Vermächtnis, sein Andenken. Alles andere ist nur Beiwerk in seinem Leben.

Niemand geringeres als der Regisseur des düsteren Episodendramas Babel, Alejandgro González Iñárritu zeichnet sich für diesen irrwitzigen Film über verrückte, selbstverliebte Egomanen, und die Zerrwelt des Broadways als Gegenthese zur Hollywoodfilmbranche aus und bringt uns ein Glanzstück ins Kino, das sich nicht nur durch eine irrwitzige Story, verschrobene Charaktere, eine gerade zu manisch aufspielende Schauspielerriege, sondern auch durch eine der originellsten Inszenierungen auszeichnet, die wir seit langem im Hollywoodkino gesehen haben. Ein treibendes, aufgeregt pulsierendes Schlagzeug bildet den Soundtrack zu einem Film ohne einen einzigen sichtbaren Schnitt. Wir folgen dem Geschehen, ohne eine einzige Verschnaufpause vergönnt zu bekommen und erleben den pausenlosen Dauerstress des immer verzweifelter werdenden Riggan Thomson hautnah mit. Iñárritus Inszenierung sprüht förmlich vor Kreativität und unbändiger Lust und Energie. Die Schauspieler stehen dem in nichts nahe (toll auch: Zach Gandalfini, Naomi Watts undAndrea Riseborough). Die Darsteller spielen hier mit einer Inbrunst und einer Leidenschaft, dass man nicht zuletzt bei Keaton fast Angst bekommt, er könnte irgendwann von all dieser inneren Energie zerborsten werden.

Doch nicht nur die Schauspieler, die Inszenierung und die Geschichte locken ins Kino, sondern schlicht die ganze Thematik. Der Film ist ein Stinkefinger gegen das Kommerzkino, gegen herzlose Sommerblockbuster. Das könnte schnell etwas arrogant oder elitär wirken, tut es hier aber nicht, weil der Film genauso ein Stinkefinger gegen Theater- und Broadwaysnobs ist. Nicht per Zufall ist eine der stärksten Szenen ein Wutanfall Keatons gegenüber einer versnobten, verbitterten Theaterkritikerin (famos gespielt von Lindsay Duncan). Diesen Film muss man als Cineast einfach schauen, da er durchaus auch einiges an Diskussionsstoff zum Thema Kino und Kunst beizutragen hat.

Wo sind nun die Schwächen? Nun, der Film brennt ein Feuerwerk ab und ab und zu ist da auch mal ein Fehlschuss drin. Kleinere Plattheiten in den Dialogen und gegen Ende verliert sich die Dramaturgie ein wenig. Einige der Motive wiederholen sich zu oft und der Schluss selbst bietet zwar noch einmal ein paar grossartige Lacher, aber trifft meiner Ansicht nach nicht den Idealen Ausstieg. Der Hauptkritikpunkt aber ist, die Figuren wachsen einem nicht wirklich ans Herz. Man denke an The Wrestler, ein Film über ein Comeback, über das würdevolle Abtreten, den Wunsch, etwas Wichtiges zu hinterlassen - durchaus thematisch verwandt, wenn auch stilistisch ganz anders. Am Ende litten wir alle mit Mickey Rourke mit. Er war uns ans Herz gewachsen und diesen Effekt kann (und will vielleicht) Birdman nicht erzielen.

Nichts destotrotz Birdman ist ein absolutes Must-See


9.5/10
 

Joel.Barish

dank AF
Presko schrieb:
Ich würde soweit gehen zu behaupten, das hier ist Finchers erster richtiger crowdpleaser, ein Film, den das Publikum am Schluss enorm fröhlich und lebhaft diskutierend verlässt.
Habe die Kritik nur überflogen, da es bei uns in Kürze regulär mit dem Kinostart so weit ist. Aber diese Stelle irritiert mich extrem. Oder wir haben grundsätzlich andere Auffassungen, was "Crowdpleaser" bedeutet. Denn der Roman war praktisch das Gegenteil eines Crowdpleasers. Der Roman war eine wüste Provokation bei dem die anschließenden "Diskussionen", wie du es formulierst, eher Streitgesprächen gleichen. Du wirst es wohl erlebt haben, aber ich habe arge Probleme mit "fröhlich diskutierende" Zuschauer am Ende des Films vorzustellen. Wenn Fincher und Flynns Script auch nur ein Drittel des Gifts, der Galle, der Provokation und den wiederholten bewussten Tritten vors sprichwörtliche Schienbein übernehmen, kann ich nur jedem abraten "Gone Girl" zu einem Date Film zu machen. :ugly:
 

Presko

Well-Known Member
Vielen Dank, Clive.

Yep, verstehe, was Du meinst, Joel. Ich glaube auch, Du hast schon in einem Trailer-Thread darauf hingewiesen, dass Du hoffst, das ganze werde nicht verwässert. Ich kann Dir nur sagen, wie die Stimmung im Kino war und die war so ab der zweiten Hälfte zeitweise extrem gelöst. Wie bei einem angenehmen Grusler. Es wurde viel gelacht und kaum war der Film zu Ende hörte man die Leute reden, aber sehr zufrieden, sehr gelöst, eher lustige Stimmung. Interessant war auch die unterschiedliche Art, wie Männer und Frauen jeweils, auch oft an unterschiedlichen Stellen reagiert haben.
Ich glaube allerdings, auch schon beim Buch, kam es ganz drauf an, wie man es las. Ich fand das Buch schon nie so giftig, wie Du schreibst. Bissig, aber irgendwie auch witzig bissig. Genauso im Bezug auf Nick Dunne, die einen lasen das Buch und fanden ihn ein totales Arsch, ich konnte schon beim Lesen recht gut mit ihm mitfiebern.
Wie gesagt, die ganz bitteren Züge treten beim Buch auch eher im letzten Akt auf und da ist der Film wirklich straffer und dadurch vielleicht weniger, wie du sagst, giftig. Es ist schwierig zu sagen. Wird spannend zu hören sein, was Diego schreibt.
Und das mit dem Date-Film ist definitv mit Vorsicht zu geniessen :tongue: Aber als Eisbrecher für lebhafte Gespräche oder eben als Schlussmachfilm, nach dem man eben keine Worte mehr zu verlieren braucht .... :hae:

Nightcrawler oder warum Medienleute so böse sind

Wie weit dürfen die Medien mit ihrer Berichterstattung gehen? Gibt es ethische Regeln dafür, was die Nachrichten im Fernsehen zeigen dürfen? Nun, gemäss dem Film Nightcrawler ist das auf alle Fälle vielen Newsmachern scheissegal und die Strassen LA's sind ein umkämpftes Haifischbecken von Videoreportern, welche nach möglichst blutigen Aufnahmen von Unfalls- und Verbrechensszenerien jagen. Diese Bildjäger nennt man gemäss dem Film Nightcrawler, sie warten die Nächte hindurch auf Unfälle und Verbrechen, um möglichst als erste die besten Bilder von den Unglücken aufzunehmen und sie dann an dem meistbietenden Newssender zu verkaufen.

Wir erleben die Origins-story von einem dieser Nightcrawler, von Lou Bloom. Und das erste Drittel des Filmes gleicht von der Dramaturgie her der Origin-Story eines x-beliebigen Superhelden, sei es Spiderman oder Batman (Begins). Ein Normalo entdeckt eine spezielle Begabung. Er trainiert, rüstet sich aus und startet Einsätze im Dunkeln der Nacht. Zuerst gibt es einige Rückschläge, doch dann kommt der grosse Moment, in dem der Held den ersten erfolgreichen Einsatz hat. Der heroische Moment der Geburt des Helden. Ob bewusst oder unbewusst, diese Parallelen sind einfach herrlich.
Zur Story. Zufällig entdeckt der arbeitslose Teilzeitdieb Lou Bloom (Gyllenhaal), dass sich mit solchen Bildern Geld machen lässt und steigt ins Geschäft der Nightcrawler ein. Zuerst mit einfacher Kamera bewaffnet, später professionell ausgerüstet und mit eigenem Batmobil und Sidekick, Robin ... äh Assistenten (Riz Ahmed), den er als Praktikanten einstellt. Erster Höhepunkt stellt sich ein, als er das erste Mal so einen richtig grossartigen Tatort vor sich hat und frei diesen alleine auf weiter Flur Filmen kann. Sein Gesicht strahlt. Pathetische, heroische Musik untermalt das Geschehen. Nur, dass Lou niemandem hilft, sondern verunfallte Tote filmt, um damit Geld zu machen.
Lou ist ehrgeizig und fasst fortan das Ziel, der beste in diesem Metier zu werden. Dafür muss er sich gegen die Konkurrenz (Bill Paxton) und gegen ethische Bedenken eines Sendebeauftragten (Kevin Rahm) zur Wehr setzen. Immerhin ist die Sendeleiterin Nina (Rene Russo) sehr angetan von seinem Talent und Lou ist angtan von Ninas ... Vorzügen.

Neben den anfänglichen Parallelen zu Superhelden-Origins fällt einem der optische Stil auf, der an achtziger-Jahre Thriller erinnert, genauso passt sich der Soundtrack dem Setting an. Viele Szenen spielen natürlich nachts, was atmosphärisch gefilmt wurde.
Das Highlight stellt ohne Frage Produzent und Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal dar. Himmel, ist der gut. Er soll ja gemäss Regisseur und Drehbuchautor Dan Gilroy den Kojoten als Vorbild für seine Rolle genommen haben, weshalb er 30 Pfund für die Rolle abnahm. Gyllenhaal ist ein Ereignis und unterstreicht genau das, was ich mit Ben Afflecks Limitation als Schauspieler weiter oben sagen wollte. Was Gyllenhaal mit einem einzigen Blick, einer Körperhaltung alles zum Ausdruck bringen kann, ist Wahnsinn. Er gehört zu den vielleicht 10 Prozent der Filmstars (vielleicht auch nur 5), die wirklich mit den kleinsten Nuancen etwas ihrer Rolle beizufügen vermögen. Und das stellt er hier eindrücklich unter Beweis. Sein Lou Bloom ist ein vereinsamter, empathieloser Soziopath, mit einem unglaublich grossen Internetwissen und Verkaufstalent. Gleichzeitig ein furchtbarer Naivling und unfähig zu normalem sozialen Umgang. Das fasziniert nicht nur, aber vor allem wegen Gyllenhaals Spiel und wegen den guten Dialogen. Gerade in den fiesen Momenten ist die Figur wirklich herrlich. Gleichzeitig fehlt aber jeglicher positiver Anknüpfungspunkt für den Zuschauer an die Figur. Andere ähnliche Figuren, die innerhalb eines Filmes immer radikaler werden und schliesslich alle Normen hinter sich lassen, wie der Taxi Driver oder Robin Williams' Sy (One Hour Photo) wachsen dem Zuschauer irgendwie trotz all ihrer Eigenheiten ans Herz. Man fühlt mit ihnen und bringt ein gewisses Verständnis für sie auf. Bei Lou fehlt dieser Aspekt komplett, weswegen es auch null emotionale Bindung gibt und wenig richtige Spannung aufkommt. Die Nebenfiguren bieten ebenfalls kein Identifikationspotenzial. Unterentwickelt und meist recht eindimensional sind sie nötiges Beiwerk und nicht viel mehr. Auch die Grundprämisse, dass die Medien furchtbar zynisch sind und über Leichen gehen, ist irgendwann ausgeschöpft und mag alleine nicht mehr tragen und da die Geschichte sonst nicht wirklich viel hergibt, versucht das Gilroy mit Zuspitzung von Ereignissen und Action zu kompensieren. Doch da fehlt die Spannung und irgendwann geht auch die Glaubwürdigkeit flöten. Hätte man den Film um rund zwanzig Minuten gekürzt (er dauert fast 2 Stunden), wäre er ziemlich sicher besser gewesen. Doch so geht ihm irgendwann die Luft aus, die Sache wird etwas repetitiv und die immer gleiche Message in immer mehr Spektakel verpackt, reicht da auch nicht mehr aus, um so richtig zu begeistern. Gut, Gyllenhaal schwächelt nicht. Er bleibt super und ihm zusehen zu dürfen ist alle Mal Grund genug sitzen zu bleiben.

Eine schicke Mediensatire mit phänomenalem Gyllenhaal, mit Action- und Thrillerelementen, der irgendwann die Luft ausgeht und von da an ganz vom Talent ihres Hauptdarstellers zehrt.

Von mir gibts mal so aus dem Bauch raus 7/10 Punkte und zumindest eine Oscarnomination für Gyllenhaal
 

Presko

Well-Known Member
Good Kill oder wie man einen gutgemeinten Film mit endlos viel Potenzial so richtig in den Sand setzt

Good Kill

Air Force Offizier Thomas Egan (Ethan Hawke) ist einer der besten Drohnenpiloten. Deswegen wird der ausgebildete Air Force Pilot, der nahe Las Vegas stationiert ist und seine Arbeitstage anstatt im Düsenjet in technologisch hochmodern ausgerüsteten Containern zubringt, mit seinem Team von der CIA für besondere Drohneneinsätze ausgewählt. Während Egan bisher gezielt einzelne Taliban töten musste, arbeitet die CIA nun Operationen aufgrund von Verhaltensmustern aus. Wer sich verdächtig verhält, wird getötet. Hierbei spielen auch Kollateralschäden und das Leben von Zivilisten nur noch eine sehr untergeordnete Rolle.
Egan, der seinen Joystickjob schon lange verabscheut, klammert sich an die Hoffnung, bald wieder im Cockpit eines richtigen Flugzeuges in den Einsatz vor Ort geschickt zu werden. Denn nicht nur der Job am Joystick vor einem Bildschirm, sondern insbesondere die Symbiose vom zivilen Alltag mit den militärischen Einsätzen macht ihm immer mehr zu schaffen. Mit einem Bein im Krieg, mit dem anderen in der Familie, ein Spagat, der ihn mehr und mehr zu zerreissen droht. Während er auf der Militäranlage hochkonzentriert eine Mission nach der anderen erfolgreich abschliesst, versagt er in seiner Rolle als Ehemann und Familienvater, die er meist gedankenabwesend und wortkarg abspult.

Andrew Niccol schrieb und inszenierte den Film über die moralische Fragwürdigkeit der amerikanischen Kampfdrohneneinsätze im Nahen Osten und über die Belastung, welche diese neue Form der Kriegsführung für die Soldaten bedeuten. Leider ist "gut emeint" nicht gleich "gut" und Niccols' Film versagt trotz des hochaktuellen, spannenden Themas und den talentierten Beteiligten schier auf ganzer Linie. Während es Niccols mit Gattaca und Truman Show gelungen ist, auf kreative, spannende und intelligente Weise brisante Themen filmisch aufzuarbeiten, will ihm in Good Kill hiervon nichts gelingen.

Das fängt beim Drehbuch an. Einerseits ist eine Charakterstudie, um einen Mann der an dem Zwiespalt Krieg-Zivilleben und den immer fragwürdigeren Aufträgen, die er ausführen muss zu zerbrechen droht. Andererseits ist es ein politischer Film über diese neue Kriegsführung, die der Film heftig kritisiert. Das Problem an der Charakterstudie ist, dass wir viel zu wenig über Egan und seine Familie erfahren. Wir wissen, er leidet an seinem neuen Job und vermisst das Fliegen und das Adrenalin. Wir wissen, dass er mit seiner Rolle als Familienvater nicht zurechtkommt. Aber so richtig interessiert es einen auch nicht. Das ganze Dilemma wird daran dargestellt, dass Egan sehr ruhig ist, schon morgens Wodka trinkt und seine Frau (January Jones) nicht mehr an ihn herankommt und an dieser Situation leidet und sie nicht mehr miteinander richtig reden können. Doch wen interessiert das, wenn uns die Familie in keinster Weise vorgestellt wird und somit nicht ans Herz wachsen kann. Es gibt keine Szenen, die uns diese Menschen nahe bringen würden oder uns erahnen liesse, welch ein Leben durch Egans Job ihnen vorenthalten wird. Wenn es wenigstens ein paar bewegende Szenen zwischen ihm und den Kindern geben würde, die uns so etwas erahnen liessen. Oder man das Leben der Familie realistisch und genau zeigt und wir die Spannungen beobachten könnten. Aber da kommt nix.
Kommen wir zum zweiten Strang dem kritischen Politfilm. Auch hier fehlt es dem Ganzen einfach an Tiefe. Die Dialoge sind platt und es wird immer ganz genau ausgesprochen, was gerade das Problem ist, wo sich die moralischen Konflikte auftun, immer gibt es Charaktere, die das alles wunderbar in Worte fassen. Zudem wirken einige Situationen relativ unrealistisch (soweit ich das beurteilen kann). So wird während den Einsätzen die Rechtfertigung derselben besprochen und Langley rechtfertigt sich jeweils für ihre Befehle. Eine regelrechte Plauderstunde ist da jeweils im Gange. Auch Spannung, Intimität oder Beklommenheit will trotz räumlicher Enge nie wirklich aufkommen.
Da helfen auch die Klischeefiguren nicht weiter. Angefangen bei Egan. Einem typischen amerikanischen Cowboy. Er redet wenig, säuft und raucht, fährt einen coolen Wagen, sucht die Gefahr und am Schluss …

darf er auch noch einen bösen erschiessen

Egans Kollegen: Zwei zynische Soldaten, welche den Drohnenkrieg für richtig halten und für die jeder tote Taliban ein guter Taliban ist und tote Zivilisten dafür mit einem Achselzucken in Kauf nehmen. Und dann die moralische Kollegin (Zoey Kravitz). Welche als einzige lautstark Kritik übt und der auch schon mal während Einsätzen die Tränen kommen. Zu guterletzt der väterliche Kommandant der Truppe (Bruce Greenwood). Der keinen Hehl daraus macht, dass sie sich in einem Krieg befinden, der längst nicht nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun hat. Doch schlussendlich daran glaubt, dass seine Arbeit amerikanische Leben schützt.
January Jones ist furchtbar blass als frustrierte Ehefrau und Mutter, die schön aussehen darf aber genau in der einzigen wirklich intimen, fast berührenden Szenen zwischen ihr und Egan schauspielerisch versagt.
Auch inszenatorisch gelingt Niccols wenig. Die Szenen in den Containern sind wie bereits erwähnt überhaupt nicht bedrückend geworden. Dafür wird viel zu viel gemütlich geplappert. Und auch sonst fehlt die Intimität, die Kälte, die den grausigen Alltag des Mordens irgendwie adäquat und beunruhigend abbilden würde. Das einzige, was Niccols da einfällt ist die Gegenüberstellung künstlicher Wohnsiedlungen mit den von aussen simplen Containern auf dem Militärgelände. Dasselbe im Familienleben. Für eine echte Charakterstudie gibt es viel zu wenig zu beobachten. Es gibt viele symbolische Allgemeinplätze, aber nichts davon geht wirklich in die Tiefe.
Positiv anzumerken ist, dass sich Niccols durchaus inhaltlich ein paar heftige Aussagen zur ganzen Thematik erlaubt, wenn er seine Charaktere von einem endlosen Gewaltkreislauf sprechen oder Zooey Kravitz sogar sagen lässt, nun seien sie, die Amerikaner, zu den eigentlichen Terroristen geworden. Das ist, zumindest für einen amerikanischen Film, recht gewagt.
Die Dramaturgie des ganzen ist schliesslich komplett 08/15 und vorhersehbar und das Ende bildet gleichsam den Todesstoss.

Nachdem Egan und sein Team per Drohne über längere Zeit ein Haus irgendwo in Afghanistan beobachtet haben, ohne ihren Terroristen zu erblicken, dafür aber mehrmals zusehen mussten, wie eine Afghanin von irgendeinem Taliban vergewaltigt wurde, sperrt sich Egan alleine in den Container und tötet den Taliban auf dem Weg zur täglichen Vergewaltigung per Drohnenangriff. Die Afghanin ist befreit. Hurrah.

Good Kill ist ein Misserfolg auf ganzer Linie. Hawke und Niccols, plus die hochbrisante Ausgangslage hätten eigentlich nach mindestens einer 8/10 verlangt. Aber davon ist der Film meilenweit entfernt. Das Drehbuch ist oberflächlich. Die Figuren sind reine Klischees. Die Dramaturgie ist langweilig. Die Dialoge platt und das Ende dermassen blöd und fragwürdig, dass es eh jede gutgemeinte Grundhaltung zunichte macht.

Von mir gibt’s 4.5/10
 

Schneebauer

Targaryen
Schade. Von Good Kill hatte ich auch einiges erwartet. Intressantes und vor allem brisantes Thema mit einem ja eigentlich fähigen Cast sind doch beste Voraussetzungen. Ist der Ton einfach generell zu locker?
 

Presko

Well-Known Member
Schneebauer schrieb:
Ist der Ton einfach generell zu locker?
Nein, der Ton ist überhaupt nicht locker. Der Film ist schon sehr ernst. Das Problem ist eher, dass da zu viele Klischees sind, wenig in die Tiefe geht. Gespräche auf der Militärbasis wirkten oft so, als habe man einfach einfach typische Argumente pro/kontra Drohneneinsatz in Dialogform übersetzt. Die Charaktere sind arg dünn und die Einsatzszenen gehen viel zu wenig unter die Haut. Anstatt hier auf subtile Beklommenheit zu setzen, werden die Einsätze zu kleinen Ethikdebatten.
Die Kritik am ganzen ist zudem auch etwas fragwürdig. Es wird eigentlich nur eine gewisse Art von Drohneneinsatz kritisiert und eine andere Art gerechten Einsatz durchaus sehr positiv bewertet. Und das Ende ist einfach eine Katastrophe. Aber viele fanden den Film auch richtig gut, zumindest wenn man den englischen Kritiken im Netz Glauben schenken darf (das Ende wird aber von fast allen kritisiert).

Kritiken zu Manglehorn mit Pacino und Automata mit Banderas sollten noch folgen, ich kam einfach noch nicht dazu.
 

Presko

Well-Known Member
Automata

In Automata werden wir in eine düstere Zukunft versetzt, in der ein Grossteil des Planeten ökologisch verwüstet ist und die Menschen im Begriff stehen, auszusterben. Haushaltsroboter, die Automata, gibt es schon seit vielen Jahren. Einst war ihre Erfindung und Einführung eine grosse Revolution, verbunden mit Hoffnung, doch inzwischen werden die Automata von vielen Menschen sehr kritisch betrachtet. Die Maschinen besitzen zwei grundlegende Programmierungen, welche gemäss den Herstellern von niemandem verändert werden können. Sie dürfen keinen Menschen etwas antun und sich selber nicht verändern. Doch ein Untersuchungsbeamter der Herstellerfirma, der selber im Begriff ist Vater zu werden (gespielt von Banderas), entdeckt nach und nach Fälle, in denen es so scheint, als ob Roboter sich selbst manipuliert hätten. Er beginnt der Sache weiter nachzugehen. Derweil befürchten oberste Firmenchefs, es könnte sein, dass die künstliche Intelligenz der Roboter es vollbracht haben, Bewusstsein zu entwickeln und ihre von den Erschaffern programmierten Grenzen zu überwinden. Beängstigt von den Gefahren einer solchen Roboterevolution sind sie bereit, alles zu tun, um dies zu verhindern und schrecken auch nicht vor Gewalt zurück.
Nach dem ersten Drittel, welches den Ermittlungen von Banderas gewidmet ist und in der futuristischen Stadt und den sie umgebenden Slums spielt, gibt es eine relativ scharfe Wendung in der Story.
Banderas entdeckt, dass es tatsächlich eine kleine Gruppe von Automata gibt, die scheinbar ihre Protokolle umgeschrieben haben. Nicht nur reparieren sie sich selbst, programmieren an sich herum. Als Killer versuchen ihn und die Automatas auszuschalten, flieht er gemeinsam mit den Robotern. Dabei wird er verletzt und verliert sein Bewusstsein. Als er wieder aufwacht befindet er sich in der "Gewalt" der Automatas, welche die Stadt verlassen haben und mit ihm im Schlepptau in Richtung verstrahlte Einöde wandern. Sie weigern sich umzukehren und Banderas selbst ist zu stark geschwächt um den Rückweg anzutreten. Gleichzeitig jagt eine Gruppe Killer den Flüchtlingen weiterhin nach

Nette Optik, guter Hauptdarsteller, spannende Grundfragen und anfangs eine sehr angenehme, düster-pessimistische Atmosphäre konnten mich schnell gefangen nehmen. Auch der Bruch in der Story nach dem 1. Drittel empfand ich im ersten Moment als durchaus angenehm. Aus der Detektivgeschichte wurde eine Art philosophisches Kammerspiel, oder vielmehr hätte es das im besten Fall werden können. Denn relativ schnell wird klar, dass der Film inhaltlich dazu nicht genug hergibt.
Insbesondere im letzten Drittel, in dem sich die letzten Fragen beantworten, verfällt der Film Kitsch und Pathos.
Ein weiteres Problem sind durchwegs blassen, bis sogar schlechten Nebendarsteller (Dylan McDermott ist furchtbar). Überhaupt ist die Mischung aus Thriller und philosophischer SciFi nicht gelungen. Der ganze Thrillerpart wirkt unmotiviert und erzwungen. Obwohl die Ängste vor einer solchen Roboterrevolution und die damit einhergehenden Fragen spannend wären, wird dieser Teil völlig vernachlässigt. Zudem sind die Automata selbst leider auch wenig faszinierend. Als Zuschauer findet man nur sehr wenig Bezug zu den blassen (anders als zu den Humanoiden in Blade Runner oder den Roboter in I, Robot), dafür realistischer wirkenden Roboter-Figuren.

Gelungen sind die zwei eher kurzen Actionszenen. Wer hier auf spektakuläre SciFiaction mit Jetpacks und Laserkanonen hofft wird enttäuscht. Die Action ist bodenständiger als in den meisten heutigen Actionfilmen. Allerdings kommt sie überhaupt nur spärlich zum Einsatz.
Kurze Autoverfolgungsjagd und finaler Schiesserei.

5.5/10

Manglehorn
In Manglehorn geht es um den titelgebenden, alten Schlosser Manglehorn. Er lebt einsam vor sich hin, ist nicht besonders sympathisch und träumt seiner einstigen Liebe hinterher, der dauernd Liebesbriefe schreibt. Die einzige liebevolle Beziehung unterhält Manglehorn zu seiner Katze, die ihm über alles wichtig ist. Manglehorn hat einen Sohn aus geschiedener Ehe und eine Enkeltochter. Während er zur Enkeltochter einen guten Kontakt hat, ist seine Beziehung zu seinem Sohn wenig herzlich und unterkühlt. Erst eine sich langsam anbahnende Beziehung zur einer Bankangestellten (Holly Hunter), bei der er jeweils sein Geld einzahlt, gibt seinem Leben ein wenig neuen Wind.

Mangelhorn ist als Film geprägt von einer sehr melancholischen, fast depressiven Stimmung, die ab und zu von etwas Humor aufgelockert wird. Einige skurrile Szenen in Zusammenhang mit einem ehemaligen Drogensüchtigen und jetzigen Clubbesitzer, der in seiner Kindheit unter Manglehorn als Trainer Baseball gespielt hat, wirken stören allerdings immer wieder diese ruhige Atmosphäre unnötig und auch einige Regieeinfälle von Regisseur David Gordon Green, dem ganze etwas Surreales zu verleihen wirken wenig passend.

Ansonsten gefiel mir der unspektakuläre Film aber sehr. Pacino bekommt hier wie Nicolas Cage vor kurzem in "Joe" von Green die perfekte Bühne geboten, um seiner darstellerischen Fähigkeiten auszuleben und nutzt dies überraschenderweise ganz, ohne dabei auf seine bekannten Overactingeinschübe, zurückzugreifen (hier eine weitere Parallele zu Cage im Film "Joe").

7/10
 
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