Damit niemand gleich zu Beginn stirbt gab es feste Eskalationsregeln. Wir haben nicht durchgängig gespielt sondern Exodus in vier Episoden zu je 7-10 Stunden aufgeteilt. In den ersten Episoden war sterben nur möglich, wenn der Spieler sich absichtlich dumm angestellt hätte. Den Kopf in den Reaktor stecken, aus der Luftschleuse springen, so etwas
. Sprich: Wer in den ersten beiden Episoden angeschossen oder mit einem Messer verletzt wurde, wurde im Normalfall vom Doc gerettet. Schwere Verletzungen mussten aber ausgespielt werden. Ein Spieler beispielsweise kontrollierte gerade den Reaktor und befand sich dafür im ansonsten geschlossenen Reaktorraum als ein FTL-Sprung eingeleitet wurde (nicht von der Crew sondern von einem die Bordsysteme infizierenden Virus). Der Spieler ist nicht gestorben, lief aber anschließend schwer bandagiert und humpelnd herum - und sein Dosimeter war tiefschwarz, viel Spaß hätte der im Leben nicht mehr gehabt
.
In der dritten Episode dann waren auch schwerere Verletzungen möglich (ein Spieler lag lange auf der Krankenstation, hatte dort aber auch ein gutes Spiel, es war ja überall was los) und in der vierten Episode war es dann auch möglich zu sterben. In der letzten Episode eskalierte dann auch einiges und es gab deutlich mehr Tote als ich vorher dachte. So haben wir garantiert, dass getötete Spieler schlimmstenfalls die acht Stunden der finalen Episode verpassen. Und: Tote durften in den Spielleiterraum und das Geschehen auf den Überwachungsmonitoren betrachten. Damit hatte man einen deutlich besseren Überblick als man ihn als Spieler hat.
In der Exodus-Orga waren insgesamt gut 35 Personen dauerhaft aktiv, die dann in den finalen heißen Tagen vor dem Spiel teils rund um die Uhr gearbeitet haben. Drei Projektleiter und zahlreiche Koordinatoren haben dann ihre Teams geführt. Die Plotgruppe war IMO 15-20 Personen stark - immerhin mussten für alle 84 Mitspieler Charakterbögen mit Vorgeschichte, Spielweise und anderen Backgrounds verfasst werden. Die Rahmenhandlung stand schon länger fest, im Spiel wurde dann von der Spielleitung viel improvisiert. Die besten Handlungsstränge haben die Spieler lustigerweise selbst erschaffen, spontan mit ihren Reaktionen. So gab es am Ende ein filmreifes Finale auf der Brücke des Raumschiffes, eine große Schießerei zwischen Militär und Crew. Davon war absolut nichts geplant. Wichtig waren aber gut ausgearbeitete Charaktere, das hat viel Arbeit gemacht und Zeit gekostet. Und dann gab es auf der Webseite vor dem Spiel immer wieder Berichte und Texte sowie zwei Kurzgeschichtenreihen, die auf das Spiel einstimmen sollten und den Kapitän Hal und das Schiff genauer unter die Lupe nahmen.
Die SL hatte einen eigenen Raum im Schiff, den die Spieler auch erst betreten durften, wenn sie ingame verstorben waren
. Dort hockten dann immer mindestens drei bis vier Leute an ihren Notebooks und haben KI gespielt. KI? Ja, wir hatten ein Computersystem, in das die Spieler Befehle eingeben konnten oder nach Infos suchen. Das war in Form einer Bash realisiert aber stark vereinfacht. Der Spieler musste sich mit seiner ID-Nummer anmelden, so dass die SL ihn identifizieren konnte. Dann konnte er Sachen wie "Scanne Log nach Codewort XY" oder "Deaktiviere Steuercomputer" eingeben, da musste niemand echt programmieren. Je nachdem wie gut der jeweilige Charakter mit Computern konnte (es gab IT-Spezilisten aber natürlich auch Noobs) war die Aktion dann erfolgreich oder nicht. Das war vor allem im Umgang mit dem Virus wichtig. Die Antworten des Schiffscomputers kamen aber natürlich nicth von einer echten KI sondern eben von den Spielleitern an ihren Notebooks. Genutzt haben wir dafür ein auf Raumschiff getrimmtes IRC in einer abgeschotteten Linux-Installation.
Das Bundesamt für politische Bildung hat Projekt Exodus unter anderem genutzt um zu erfahren, ob Liverollenspiele sich für politische Bildung eignen. Davon könnte unter Umständen abhängen, ob in Zukunft LARP für Jugend- und Erwachsenenbildung staatlich besser gefördert wird. Außerdem schreiben wir der bpb eine umfangreiche Auswertung, die auch andere Punkte thematisieren wird. Wie reagieren Menschen in Extremsituationen? Wie schaut es mit der Demokratie in scheinbar hoffnungslosen Situationen aus? Wir haben zudem Themen wie die Macht von Waffen und den Umgang mit Flüchtlingen, Rassismus und Militärherrschaften thematisieren können. Und das alles spielerisch aber für die Spieler sehr realistisch wirkend. Man hat im Spiel oft niht mehr nachgedacht was man tut, oft hat man nur reagiert, unterbewusst. Und ich würde behaupten, die meisten Spieler haben nach dem Spiel einige der angesprochenen Themen mit anderen Augen gesehen. Vor allem die Macht von Waffen war krass zu beobachten. Das Militär wurde zunehmend paranoid (zu recht teilweise, da die Ha'la'tha diverse Attentate auf die Marines ausgeführt hat), eigentlich wurde jeder Waffenträger paranoid.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich das Experiment auch durchaus Geld kosten lassen. Ohne die Finanzspritze der bpb wäre Exodus nicht möglich gewesen. Und die Zusammenarbeit öffnete natürlich Türen - ob wir sonst die Mölders bekommen hätten?