Clive77
Serial Watcher
Tom griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck Tee. Er legte die Akte seines nächsten Patienten zur Seite und lehnte sich entspannt zurück. Der Versuchung widerstehend, seine Füße auf den Schreibtisch abzulegen, betrachtete er gedankenverloren die helle Decke seiner Praxis. Er nutzte die Pause zwischen zwei Sitzungen gerne auf diese Weise. Seine Gedanken schweiften zum Abend, der nun nur noch – er blickte kurz auf seine Armbanduhr – knapp drei Stunden oder auch drei Sitzungen entfernt war. Ob er sich auf dem Heimweg Nudeln vom Asiaten mitbringen sollte? Oder doch lieber etwas zurückhalten und mit einem kleinen Salat vorlieb nehmen? Letzteres klänge sicher besser, wenn sich seine Frau nach ihrer Rückkehr nach seiner Ernährung erkundigte. Und das würde sie. Aber was sie nicht erfuhr, konnte …
Tom kam nicht dazu, den Gedanken zu vollenden, da es an der Tür klopfte. Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass sein Patient exakt zum vereinbarten Termin erschienen war. Rasch stand er auf, glättete sein weißes Hemd und ging am Schreibtisch vorbei auf die Tür zu, um seinen Patienten willkommen zu heißen. Ein Gefühl der Anspannung und auch der Vorfreude stieg ihn im auf, da dies sein erster Termin mit dem Patienten sein würde. Schon bald würde dieser Mensch ihm sein Innerstes offenbaren, die Hoffnung in sich tragend, von seinen seelischen Problemen befreit zu werden. Und Tom konnte dies tun. Mit einem Lächeln öffnete er die Tür.
„Guten Tag, Herr Mertens! Bitte, kommen Sie rein!“
Während er später am Tag alleine auf einem Hocker an seiner Küchentheke saß und sich die gebratenen Nudeln genehmigte, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Thorsten Mertens zurück. Der Anblick des Mannes, der ihm gegenübergestanden hatte, hatte ihn für einen kurzen, unprofessionellen Moment aus der Fassung gebracht. Seit drei Jahren betrieb er seine Praxis für Psychotherapie inzwischen. Nie hatte er eine derartige Verzweiflung in den Augen eines Patienten gesehen. Augen, die ihn nicht losgelassen hatten, während er ihn nach dem kurzen Augenblick des Stockens zu den zwei in der Mitte des Raumes positionierten Sesseln geführt hatte. Nachdem sie sich gesetzt hatten, hatte Tom wie gewöhnlich damit begonnen, etwas von sich, seiner Ausbildung und seinem üblichen Behandlungsplan zu erzählen. Normalerweise war diese Phase von Nervosität und Unsicherheit seitens des Patienten geprägt, doch Mertens saß nur unbeweglich in seinem Sessel und schien konzentriert zuzuhören. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte. Tom wusste durch die üblichen Modalitäten, dass Mertens seit einem halben Jahr krankgeschrieben war, nachdem er zuvor immer öfter Auffälligkeiten am Arbeitsplatz gezeigt hatte. Die Diagnose, die ihn nun in Toms Hände geführt hatte, lautete Paranoide Persönlichkeitsstörung. Doch Mertens hatte eine eigene Erklärung für sein Verhalten. Tom ermutigte seine Patienten in der Regel dazu, ein bisschen von sich zu erzählen, ohne dabei direkt auf ihr Krankheitsbild zu sprechen zu kommen. Die meisten der Patienten schwenkten nach ein paar Sätzen dennoch in diese Richtung, da es ihr Denken beherrschte. Mertens bildete diesbezüglich keine Ausnahme.
„Ich habe immer Angst!“, waren seine Worte gewesen. In Verbindung mit der zittrigen Stimme, dem ausgezehrten Gesicht und den Augen, die Tom nicht loslassen wollten, ließen ihm diese Worte einen kurzen Schauer über den Rücken laufen. Auch jetzt, als Tom in der heimischen Küche stand und seinen Teller und ein Bierglas abspülte. Wieder hatte er einen kurzen Moment gestockt, bevor er sich, wie er sich jetzt eingestand, zu einer reichlich trivialen Frage hatte hinreißen lassen.
„Wovor?“
„Ich weiß es nicht“, war Mertens Antwort gewesen, und etwa auf diesem Stand hatten sie ihre erste Sitzung 40 Minuten später auch beendet. Tom war sich nicht sicher, was er von diesem Fall halten sollte. Mertens hatte relativ vernünftig gewirkt, während er schilderte, wie ihn von einen Moment auf den anderen ein enormes Angstgefühl befallen hatte, das ihn anscheinend bis zum heutigen Tag nicht losgelassen hatte. Er konnte keine Ursache dafür finden, auch wenn er, wie er ausführlich schilderte, verzweifelt danach gesucht hatte. Er hatte einfach unentwegt Angst.
Tom hatte aufmerksam zugehört und einen Einblick gewonnen, wie Mertens unter der Situation litt. Am Ende der Sitzung, die Mertens offenbar stark mitgenommen hatte, bedankte sich Tom für Mertens offene Worte und zeigte sich zuversichtlich, dass sie gemeinsam dieses Problem in den Griff bekommen würden. Er erinnerte sich, wie sich bei diesen Wort eine starke Portion Skepsis in die tiefen Augen Mertens geschlichen hatte.
Tom registrierte, dass er sich nun seit Minuten die Hände trocknete. „Genug jetzt“, befahl er sich selber. Er ließ das Handtuch auf der Theke, die die offene Küche vom Flur trennte, liegen, und begab sich ins obere Stockwerk des geräumigen Hauses, wo er sich wenig später ins Bett legte. Doch auch hier gelang es ihm nicht gleich, sich gedanklich von der Arbeit und insbesondere von Mertens zu lösen. Erst als er beschloss, sich am morgigen Samstag zumindest kurz hinzusetzen, um sich ein paar Notizen zu machen, schlief er langsam ein.
Das Klingeln des Telefons weckte ihn. Mühsam kam Tom zu sich. Grunzend rutschte er über das Bett auf die Seite seiner Frau, um nach dem Telefon zu greifen. Ob sie spontan einen früheren Flug genommen hatte und abgeholt werden wollte?
„Ja?“, sprach er in den Hörer.
Schweigen auf der anderen Seite. Doch er hörte ein leises, hektisches Atmen.
„Schatz? Bist du das?“, fragte er, obwohl er wusste, dass sie es nicht wahr. Tatsächlich ahnte er die Identität des Anrufers schon, bevor dieser sich schließlich zu Wort meldete.
„Nein, Dr. Stein. Thorsten Mertens hier“, antwortete sein Patient. Seine Stimme zeigte deutliche Erregung, barg aber dennoch eine gewisse Ruhe. Tom war jetzt hellwach. Dies war eine private Nummer. Woher konnte Mertens diese Nummer haben? Er setzte an, genau diese Frage zu stellen, doch Mertens unterbrach ihn.
„Ich weiß jetzt, wovor ich Angst hatte.“
Tom blickte unbewusst aus dem Fenster in das Dunkel der Nacht. Schwach fiel das Licht der Straßenlaterne hinein. Ihm war nicht wohl bei der Sache, ganz und gar nicht, aber er hatte keine Wahl. Er wiederholte seine Frage vom Nachmittag.
„Wovor?“, fragte er. Ein Lufthauch ließ die Gardinen vor dem Fenster wackeln. Er merkte, dass er nun unbedingt wissen musste, zu welcher Erkenntnis sein Patient gelangt war. Mertens antwortete nicht, erneut hörte Tom lediglich das beunruhigende Atmen.
„Wovor hatten sie Angst, Ben?“, setzte er nach, wobei er sich unbewusst der abgeschlossenen Vergangenheitsform ‚hatte‘ anschloss. Doch das registrierte er nur nebenbei. Schließlich antwortete Mertens.
„Vor Ihnen.“
Für einen Moment war Toms Kopf leer. Kein Gedanke breitete sich aus. Er blickte noch immer aus dem Fenster, hielt den Hörer an sein Ohr, doch sein Verstand war damit beschäftigt, mit dem eben Gehörten klarzukommen. Daher dauerte es auch einen Moment, bis er merkte, dass kein Geräusch mehr aus dem Hörer kam. Mertens hatte aufgelegt.
Automatisch legte auch er den Hörer zurück in die Ladestation und setzte sich im Bett auf. Was sollte er jetzt davon halten? Er versuchte, sich neutral mit der Sachlage zu beschäftigen. Ein Patient, der aus ihm bisher unbekannten Gründen augenscheinlich irrationale Angstgefühle entwickelt hatte, hatte nun ihn als seinen Psychotherapeuten als Ursache derselbigen festgemacht. Am ersten Tag der Therapie. Tom war sich sicher, dass sie sich noch nie zuvor begegnet waren, doch das spielte auch keine Rolle. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Fall von fehlgeleiteter Projektion. Nun galt es…
Tom realisierte, dass er seit einigen Minuten untätig in seinem Bett saß. So sehr er sich auch sicher fühlte, wenn er den Fall nüchtern analysierte, es blieb der Fakt, dass Mertens ihn mitten in der Nacht auf seine private Nummer angerufen hatte. Er war sich nicht sicher, wie schwierig es war, an eine nicht im Telefonbuch verzeichnete Nummer zu gelangen, aber wenn Mertens das gelungen war, war die Adresse vermutlich kein Hindernis. Dazu der seltsame Tonfall. Irgendwie hektisch, unsicher, aber doch auf eine beunruhigende Art entschlossen. Unwillkürlich musste Tom an seine Frau denken. Die jedes Mal halb vor Ekel ausflippte, sobald ein kleiner Käfer im Haus war, aber keine Ruhe gab, bis sie ihn rausgescheucht hatte. Voller Wille und Widerwille, die sich gegenseitig verstärkten.
Tom wurde immer unruhiger. Er erhob sich vom Bett und ging zum Fenster. Er sah die ruhige Nachbarschaft in der schwach beleuchteten Nacht. Die Straße war menschenleer. Einige vertraute Autos standen in den Einfahrten und am Fahrbahnrand, einige Fahrzeuge waren ihm fremd. Sollte ihn das jetzt überraschen? Er befürchtete, sich komplett irrational zu verhalten. Einfach zurück ins Bett und Mertens bei der nächsten Sitzung auf den Anruf ansprechen. Wobei … wer besucht eine Therapie bei seinem Schreckgespenst? Tom würde wohl demnächst eine Überweisung schreiben müssen.
Tom kam nicht dazu, den Gedanken zu vollenden, da es an der Tür klopfte. Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass sein Patient exakt zum vereinbarten Termin erschienen war. Rasch stand er auf, glättete sein weißes Hemd und ging am Schreibtisch vorbei auf die Tür zu, um seinen Patienten willkommen zu heißen. Ein Gefühl der Anspannung und auch der Vorfreude stieg ihn im auf, da dies sein erster Termin mit dem Patienten sein würde. Schon bald würde dieser Mensch ihm sein Innerstes offenbaren, die Hoffnung in sich tragend, von seinen seelischen Problemen befreit zu werden. Und Tom konnte dies tun. Mit einem Lächeln öffnete er die Tür.
„Guten Tag, Herr Mertens! Bitte, kommen Sie rein!“
Während er später am Tag alleine auf einem Hocker an seiner Küchentheke saß und sich die gebratenen Nudeln genehmigte, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Thorsten Mertens zurück. Der Anblick des Mannes, der ihm gegenübergestanden hatte, hatte ihn für einen kurzen, unprofessionellen Moment aus der Fassung gebracht. Seit drei Jahren betrieb er seine Praxis für Psychotherapie inzwischen. Nie hatte er eine derartige Verzweiflung in den Augen eines Patienten gesehen. Augen, die ihn nicht losgelassen hatten, während er ihn nach dem kurzen Augenblick des Stockens zu den zwei in der Mitte des Raumes positionierten Sesseln geführt hatte. Nachdem sie sich gesetzt hatten, hatte Tom wie gewöhnlich damit begonnen, etwas von sich, seiner Ausbildung und seinem üblichen Behandlungsplan zu erzählen. Normalerweise war diese Phase von Nervosität und Unsicherheit seitens des Patienten geprägt, doch Mertens saß nur unbeweglich in seinem Sessel und schien konzentriert zuzuhören. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte. Tom wusste durch die üblichen Modalitäten, dass Mertens seit einem halben Jahr krankgeschrieben war, nachdem er zuvor immer öfter Auffälligkeiten am Arbeitsplatz gezeigt hatte. Die Diagnose, die ihn nun in Toms Hände geführt hatte, lautete Paranoide Persönlichkeitsstörung. Doch Mertens hatte eine eigene Erklärung für sein Verhalten. Tom ermutigte seine Patienten in der Regel dazu, ein bisschen von sich zu erzählen, ohne dabei direkt auf ihr Krankheitsbild zu sprechen zu kommen. Die meisten der Patienten schwenkten nach ein paar Sätzen dennoch in diese Richtung, da es ihr Denken beherrschte. Mertens bildete diesbezüglich keine Ausnahme.
„Ich habe immer Angst!“, waren seine Worte gewesen. In Verbindung mit der zittrigen Stimme, dem ausgezehrten Gesicht und den Augen, die Tom nicht loslassen wollten, ließen ihm diese Worte einen kurzen Schauer über den Rücken laufen. Auch jetzt, als Tom in der heimischen Küche stand und seinen Teller und ein Bierglas abspülte. Wieder hatte er einen kurzen Moment gestockt, bevor er sich, wie er sich jetzt eingestand, zu einer reichlich trivialen Frage hatte hinreißen lassen.
„Wovor?“
„Ich weiß es nicht“, war Mertens Antwort gewesen, und etwa auf diesem Stand hatten sie ihre erste Sitzung 40 Minuten später auch beendet. Tom war sich nicht sicher, was er von diesem Fall halten sollte. Mertens hatte relativ vernünftig gewirkt, während er schilderte, wie ihn von einen Moment auf den anderen ein enormes Angstgefühl befallen hatte, das ihn anscheinend bis zum heutigen Tag nicht losgelassen hatte. Er konnte keine Ursache dafür finden, auch wenn er, wie er ausführlich schilderte, verzweifelt danach gesucht hatte. Er hatte einfach unentwegt Angst.
Tom hatte aufmerksam zugehört und einen Einblick gewonnen, wie Mertens unter der Situation litt. Am Ende der Sitzung, die Mertens offenbar stark mitgenommen hatte, bedankte sich Tom für Mertens offene Worte und zeigte sich zuversichtlich, dass sie gemeinsam dieses Problem in den Griff bekommen würden. Er erinnerte sich, wie sich bei diesen Wort eine starke Portion Skepsis in die tiefen Augen Mertens geschlichen hatte.
Tom registrierte, dass er sich nun seit Minuten die Hände trocknete. „Genug jetzt“, befahl er sich selber. Er ließ das Handtuch auf der Theke, die die offene Küche vom Flur trennte, liegen, und begab sich ins obere Stockwerk des geräumigen Hauses, wo er sich wenig später ins Bett legte. Doch auch hier gelang es ihm nicht gleich, sich gedanklich von der Arbeit und insbesondere von Mertens zu lösen. Erst als er beschloss, sich am morgigen Samstag zumindest kurz hinzusetzen, um sich ein paar Notizen zu machen, schlief er langsam ein.
Das Klingeln des Telefons weckte ihn. Mühsam kam Tom zu sich. Grunzend rutschte er über das Bett auf die Seite seiner Frau, um nach dem Telefon zu greifen. Ob sie spontan einen früheren Flug genommen hatte und abgeholt werden wollte?
„Ja?“, sprach er in den Hörer.
Schweigen auf der anderen Seite. Doch er hörte ein leises, hektisches Atmen.
„Schatz? Bist du das?“, fragte er, obwohl er wusste, dass sie es nicht wahr. Tatsächlich ahnte er die Identität des Anrufers schon, bevor dieser sich schließlich zu Wort meldete.
„Nein, Dr. Stein. Thorsten Mertens hier“, antwortete sein Patient. Seine Stimme zeigte deutliche Erregung, barg aber dennoch eine gewisse Ruhe. Tom war jetzt hellwach. Dies war eine private Nummer. Woher konnte Mertens diese Nummer haben? Er setzte an, genau diese Frage zu stellen, doch Mertens unterbrach ihn.
„Ich weiß jetzt, wovor ich Angst hatte.“
Tom blickte unbewusst aus dem Fenster in das Dunkel der Nacht. Schwach fiel das Licht der Straßenlaterne hinein. Ihm war nicht wohl bei der Sache, ganz und gar nicht, aber er hatte keine Wahl. Er wiederholte seine Frage vom Nachmittag.
„Wovor?“, fragte er. Ein Lufthauch ließ die Gardinen vor dem Fenster wackeln. Er merkte, dass er nun unbedingt wissen musste, zu welcher Erkenntnis sein Patient gelangt war. Mertens antwortete nicht, erneut hörte Tom lediglich das beunruhigende Atmen.
„Wovor hatten sie Angst, Ben?“, setzte er nach, wobei er sich unbewusst der abgeschlossenen Vergangenheitsform ‚hatte‘ anschloss. Doch das registrierte er nur nebenbei. Schließlich antwortete Mertens.
„Vor Ihnen.“
Für einen Moment war Toms Kopf leer. Kein Gedanke breitete sich aus. Er blickte noch immer aus dem Fenster, hielt den Hörer an sein Ohr, doch sein Verstand war damit beschäftigt, mit dem eben Gehörten klarzukommen. Daher dauerte es auch einen Moment, bis er merkte, dass kein Geräusch mehr aus dem Hörer kam. Mertens hatte aufgelegt.
Automatisch legte auch er den Hörer zurück in die Ladestation und setzte sich im Bett auf. Was sollte er jetzt davon halten? Er versuchte, sich neutral mit der Sachlage zu beschäftigen. Ein Patient, der aus ihm bisher unbekannten Gründen augenscheinlich irrationale Angstgefühle entwickelt hatte, hatte nun ihn als seinen Psychotherapeuten als Ursache derselbigen festgemacht. Am ersten Tag der Therapie. Tom war sich sicher, dass sie sich noch nie zuvor begegnet waren, doch das spielte auch keine Rolle. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Fall von fehlgeleiteter Projektion. Nun galt es…
Tom realisierte, dass er seit einigen Minuten untätig in seinem Bett saß. So sehr er sich auch sicher fühlte, wenn er den Fall nüchtern analysierte, es blieb der Fakt, dass Mertens ihn mitten in der Nacht auf seine private Nummer angerufen hatte. Er war sich nicht sicher, wie schwierig es war, an eine nicht im Telefonbuch verzeichnete Nummer zu gelangen, aber wenn Mertens das gelungen war, war die Adresse vermutlich kein Hindernis. Dazu der seltsame Tonfall. Irgendwie hektisch, unsicher, aber doch auf eine beunruhigende Art entschlossen. Unwillkürlich musste Tom an seine Frau denken. Die jedes Mal halb vor Ekel ausflippte, sobald ein kleiner Käfer im Haus war, aber keine Ruhe gab, bis sie ihn rausgescheucht hatte. Voller Wille und Widerwille, die sich gegenseitig verstärkten.
Tom wurde immer unruhiger. Er erhob sich vom Bett und ging zum Fenster. Er sah die ruhige Nachbarschaft in der schwach beleuchteten Nacht. Die Straße war menschenleer. Einige vertraute Autos standen in den Einfahrten und am Fahrbahnrand, einige Fahrzeuge waren ihm fremd. Sollte ihn das jetzt überraschen? Er befürchtete, sich komplett irrational zu verhalten. Einfach zurück ins Bett und Mertens bei der nächsten Sitzung auf den Anruf ansprechen. Wobei … wer besucht eine Therapie bei seinem Schreckgespenst? Tom würde wohl demnächst eine Überweisung schreiben müssen.