The Blacklist S03E19 - Cape May

Clive77

Serial Watcher
Mit der Folge "Cape May" liefert die US-Serie The Blacklist eine weitere außergewöhnliche Episode ab. Raymond Reddington steht dabei im Mittelpunkt und versucht, die Geschehnisse der letzten Woche zu verarbeiten. Parallelen zu seiner Vergangenheit werden dabei deutlich gemacht.

Serial vs. Procedural
The Blacklist ist eine der Serien, die sich nicht so recht in eine Rubrik einordnen lassen. Einerseits ist sie ein Procedural, denn sie liefert (im Normalfall) Woche für Woche Einzelfälle ab, die das FBI um Ressler (Diego Klattenhoff) auf Trab halten. Die Fälle werden für gewöhnlich innerhalb einer (oder auch zwei) Episoden aufgelöst und in der Folgewoche gibt es anschließend einen neuen Fall. Dabei schwankt die Qualität oft sehr stark, was auch im Glaubwürdigkeitsfaktor begründet liegt.
Andererseits macht sich aber immer wieder der serielle Faktor bemerkbar, der bislang durch die Beziehung zwischen Red (James Spader) und Liz (Megan Boone) verkörpert wurde. Diese Beziehung hat sich über die mittlerweile drei Staffeln der Reihe weiterentwickelt, auch wenn uns noch sehr viele Einzelheiten fehlen, um ein komplettes Bild zu erhalten – aber gerade davon lebt die Serie. Wir bekommen oft nur Bruchstücke präsentiert und dürfen dann selber raten und spekulieren, was es mit der Vergangenheit auf sich hat.
Zudem erweisen sich gegen Staffelende oder schon zur Staffelmitte die diversen Einzelfälle oft als Teilbeiträge zu einem größeren Ganzen, auf welches Red es abgesehen hat. Womit die Fälle der Woche einen größeren Mehrwert erhalten und sich (meist erst im Nachhinein) als lohnend erweisen.
Der Rezensent ist kein Fan von Procedurals. Sicher, die haben manchmal auch ihre Qualitäten. Oft reicht es dabei aber, sich wenige Episoden anzuschauen, um in etwa das Schema zu kennen und (sofern es dann noch an Originalität fehlt, weil ja Woche für Woche mehr oder weniger das Gleiche geboten wird) danach setzt dann die Langeweile ein.
Ein handfestes Serial, welches eine fortlaufende Geschichte erzählt, kommt bei mir oft besser an. Liegt vermutlich daran, dass kaum eine Folge der anderen gleicht, die Entwicklung der Figuren stetig fortgesetzt wird und somit auch der Überraschungsfaktor größer ist. Außerdem zwingt mich ein Serial, wirklich jede Woche am Ball zu bleiben, denn wenn ich dort mal eine Episode verpasse, laufe ich Gefahr, nicht mehr durch die aktuelle Folge durchzusteigen.
Serien wie The Blacklist, die sich da auf einem Mittelpfad bewegen, sind wiederum eine spannende Sache. Teils verkörpern sie mehr die eine, dann wiederum mehr die andere Seite. "Cape May" gehört zu den eindeutig seriellen Episoden der Reihe, denn uns wird vor Augen geführt, wie Red mit dem Tod von Liz umgeht und wohin ihn seine Gedanken dabei führen. Außerdem ist natürlich bemerkenswert, dass die Folge dabei auf fast alle anderen Figuren verzichtet – mit Ausnahme von Tom (Ryan Eggold), den wir in einigen Szenen zu sehen bekommen, an die Red zurückdenkt.

Ist Liz wirklich tot?
Diese Frage scheint einen Großteil der Zuschauer zu beschäftigen. Nach dem Review der letzten Woche drehten sich die Kommentare meist darum, weshalb Liz noch leben oder aber tatsächlich tot sein muss und welche Konsequenzen der Ausstieg einer der Hauptfiguren für die Serie bedeuten würde. Denn ehrlich gesagt: Es ist kaum vorstellbar, dass die ganze Geheimniskrämerei jetzt mit einem Paukenschlag beendet und die Serie eine Neuausrichtung durchmachen wird.
Eines dürfte aber nach dieser Episode sicher sein: Raymond Reddington hält Lizzie tatsächlich für tot. Allen Verschwörungstheorien zum Trotz wird er wohl kaum einen solch tiefen Einblick in seine Psyche gewähren wie diese Woche, wenn er heimlich weiß, dass sie noch lebt. Insofern scheint alles darauf hinzudeuten, dass „Mr. Kaplan“ (Susan Blommaert) ihre Finger im Spiel und Red & Co. getäuscht hat (um Liz in Sicherheit zu bringen). Ob es nun gut oder schlecht ist, dass eine von Reds gelegentlichen Mitarbeiterinnen scheinbar unter seinem Radar agieren kann, sei mal dahingestellt, denn normalerweise gehört schon einiges dazu, um ihn zu täuschen.
Unterm Strich kann man die obige Frage aber wohl mit einem recht sicheren „Nein!“ beantworten und wird abwarten müssen, wie sich die Rückkehr von Elizabeth Keen gestalten wird. Falls The Blacklist dabei allerdings mit Episoden wieder dieser aufwartet, hätte wohl kaum einer was dagegen.

Cape May
Wie bereits im Einleitungstext geschrieben, dreht sich diese Woche alles um Raymond Reddington und seinen Verlust von letzter Woche. James Spader darf erneut beeindrucken, denn seine darstellerischen Leistungen können auch dieses Mal wieder überzeugen, und es wäre nicht gerade überraschend, wenn sein Name dafür demnächst bei den Emmy-Nominierungen auftauchen würde.
Die Geschichte, die sich diese Woche abspielt, lässt sich recht einfach beschreiben. Red nimmt sich eine Auszeit und trifft am Strand von Cape May, New Jersey, auf eine mysteriöse Dame (Lotte Verbeek), die recht offensichtlich einen Selbstmord begehen will, indem sie sich ins Meer stürzt. Nach erfolgter Rettung durch unseren Hauptprotagonisten suchen die beiden ein leerstehendes Anwesen auf, lernen sich – samt ihrer Probleme - etwas besser kennen und müssen sich schließlich gegen die Leute behaupten, die der Dame auf den Fersen sind.
Die große Überraschung beziehungsweise der Twist der Episode sollte natürlich sein, dass die Dame bloß in Reds Einbildung existiert und seine Vergangenheit in Bezug auf Katarina Rostova reflektieren – die für ihn einen ähnlich großen Verlust wie der von Liz darstellt (womit wir uns übrigens recht sicher sein können, dass Katarina wirklich tot ist und nicht als mögliche Strippenzieherin agiert, die Mr. Solomon (Edi Gathegi) engagiert hat). Allerdings ist schon zu Beginn recht klar, dass sich alles mehr oder weniger in Reds Einbildung abspielt, denn es wäre schon ein sehr großer Zufall, wenn die Dame sich auf die gleiche Art und Weise aus dem Leben verabschieden wollte, wie es Katarina einst tat (und noch dazu aus vermutlich ähnlichen Motiven und scheinbar am gleichen Strand, worauf der Fund des Amuletts hindeutet).
Dass man deshalb recht früh erahnt, dass sich alles in Reds Fantasie abspielt, mindert allerdings nicht den Gehalt der Folge. Im Gegenteil. Wir konnten hier sehen, wie ihn die vergangenen Geschehnisse bewegen, wie ihn der Tod von Liz und Katarina mitgenommen hat und wie herb die Abweisung von Tom war, dass er an Agnes’ Leben nicht teilhaben würde. Rein charakterlich also ganz großes Kino, was die Action-Einlagen mit den Verfolgern nicht unbedingt benötigt hätte (auch wenn es schön war, mal eine etwas erwachsenere Version von „Kevin allein zu Haus“ zu sehen). Auf der anderen Seite will er der weiblichen Fantasie-Gestalt helfen und scheut im Zuge dessen nicht davor zurück, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Wir sehen hier also anhand der Dame mitsamt ihrer Probleme eine relativ selbstlose Seite von Red, wie er sie bislang nur speziellen Personen hat zukommen lassen.
Im Großen und Ganzen lässt sich ein Großteil der Episode als Kammerspiel zwischen Red und der mysteriösen Dame beschreiben. Es bedarf halt nicht jedes Mal an abwechselnden Schauplätzen, um eine intensive Episode spendiert zu bekommen. Und wenn es mal „nach draußen“ geht, zeigt uns die Folge einen Strand, der trostloser kaum sein könnte. Da wird direkt die Stimmung transportiert, in der Red sich gerade befindet.
Als kleiner Schwachpunkt bleibt am Ende höchstens übrig, dass Red nicht erkannt hat, dass er sich in seiner eigenen Fantasie beziehungsweise Vergangenheit befindet. Ihm wird erst später klar, dass er sich das Meiste bloß eingebildet hat (dabei sollte er eigentlich wissen, wie Katarina aussieht beziehungsweise aussah). Andererseits, vielleicht haben seine Gedanken ihm auch bloß einen Streich gespielt und die besagte Dame sah Katarina überhaupt nicht ähnlich. Gut möglich.

Fazit: Nicht so brisant wie letzte Woche, aber wieder eine herausragende und ungewöhnliche Episode. Spader ist in seiner Rolle einfach klasse. Punkt. Und dass die Serie sich mal traut, einzig ihm eine ganze Folge zu gönnen, ist schon großartig. Negativ anmerken ließe sich da höchstens, dass der Twist recht offensichtlich war und im Zuge dessen Red auch gleich hätte darauf kommen können, dass ihm seine Gedanken einen Streich spielen. Aber das wertet die Folge nicht großartig ab.

9/10
 
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