Joel.Barish schrieb:
Clive77 schrieb:
[…] Ernsthaft: Das ist so ähnlich, als wenn man sich darüber aufregt, dass ein Krimi sich um die Ermordung von Person XY dreht, statt um *hier bitte irgendwas nicht Krimi-haftes einfügen* - als wenn es überraschend wäre, dass eine Serie, die bewusst auf das Beste aus dem Kino der 80er setzt, hier diverse (oder gar deutliche) Anlehnungen an verschiedene (!) Filme zeigt.
Aber wurde die Story in dieser Form bereits gezeigt? Nein. Es gibt viel Neues zu sehen, was in eine bewusst nostalgische Packung gesteckt wurde. […]
Ach komm, Clive, der Krimi Vergleich passt doch vorne und hinten nicht. Ein Mord ist in einem Krimi kein Pflichtelement, aber ein seit Ewigkeiten etabliertes Plot-Element des Genres. Ein Mord in einem Krimi ist das "Was" der Handlung. Die 80er Nostalgie ist aber nicht das "Was" der Handlung von "Stranger Things", sondern das "Wie", die stilistische Rahmung. Und das ist erlaubt, erfordert aber Fingerspitzengefühl.
Der Vergleich passt vielleicht nicht richtig, verdeutlicht aber doch, worauf ich hinaus wollte. Das "Was" von Stranger Things ist in meinen Augen halt nicht nur die präsentierte Geschichte mitsamt der Figurenkonstellationen, sondern halt auch, "wie" es umgesetzt wurde. Die beiden Wörtchen würde ich hier daher nicht so strikt trennen.
Joel.Barish schrieb:
Ich habe nicht ohne Grund "Super 8" erwähnt; ich bin kein Fan von dem Film, aber zumindest die erste Hälfte bewegt sich größtenteils eigenständig in dieser Spielberg/Amblin/80er Blase. "Super 8" scheitert dann, wenn er den Vorbildern zu sehr nacheifert, wenn man aus dem Monster E.T. oder zumindest die Aliens aus "Close Encounters" machen will, ohne im Vorfeld die Arbeit dafür geleistet zu haben. Und "Stranger Things" wirkt auf mich eben nahezu durchgängig wie die zweite Hälfte von "Super 8".
Und nur weil es kein exakt deckungsgleiches "Original" gibt, ist diese Geschichte so noch nicht erzählt worden, ist diese Geschichte neu und originell? Hm, also bei mir nicht.
"Super 8" ist mir nicht großartig im Gedächtnis geblieben. Fand den Film ganz nett, aber mehr nicht. Das sieht bei Stranger Things deutlich anders aus. Denn neben den von dir bemängelten Abpausungen (ist das eigentlich jetzt das neue Modewort für "Kopie"?) lebt die Serie in meinen Augen vielmehr durch die Figuren und die Geschichte selbst als durch die - sagen wir - Anspielungen auf diverse 80er Filme.
Ich finde es übrigens interessant, dass kaum jemand diese essentiellen Punkte (Figuren und erzählte Geschichte) anspricht. Wir bekommen die Geschichte durch die Augen verschiedener Altersgruppen erzählt - die Erwachsenen, die Teenies und die Kinder. Jede dieser Gruppen funktioniert prächtig, liefert überzeugende Arbeit und nachvollziehbare Entscheidungen, ohne zu sehr ins Klischee abzudriften. Und je weiter die Handlung fortschreitet, umso mehr überschneiden sich diese drei Gruppen in ihrem Vorgehen, ihre Interaktionen miteinander nehmen zu bis sie schließlich im Finale alle (o.k., mehr oder weniger) das gleiche Ziel verfolgen. Diesen Punkt (der für die gesamte Geschichte deutlich wichtiger ist als die "Abpausungen") wird aber nirgends negativ angesprochen (zumindest habe ich das nicht mitbekommen).
Stattdessen wirkt es auf mich so, als wenn diverse Leute einfach nur eine schlechte Kopie gesehen haben - aber da frage ich mich, von was? Von "E.T."? Von "Close Encounters of the Third Kind"? Von "Poltergeist"? Oder will man mir jetzt sagen, dass die Autoren alles in einen Topf geworfen und bloß kräftig gerührt haben?
Klar, ich kann nachvollziehen, dass einem da die eine oder andere Szene nicht schmeckt, weil womöglich zu stark mit Holzhammer auf einen Film hingewiesen wird. Aber warum klammert man sich dann so sehr an diesen Szenen fest und lässt den (guten) Rest außen vor?
Joel.Barish schrieb:
Manchmal klappt das sogar mit den Verweisen und Abpausungen. Die Lichterketten in Winona Ryders Haus, um mit Will zu kommunizieren, funktionieren relativ gut, obwohl ganz plump "Close Encounters" mit "Poltergeist" gekreuzt wurde. Es funktionierte, weil die emotionale Komponente überzeugte, weil nicht der Verweis, sondern der emotionale Zweck im Vordergrund stand. Ich werde aber kein Fan dieser Handhabe, nicht zuletzt weil der Verweis keinen Zweck erfüllt. Die Szene funktioniert trotz der Verweise, nicht aufgrund dieser.
Auf den unterstrichenen Satz will ich hinaus. Aber aus einem anderen Grund. Die Verweise sind in der Tat nicht wichtig (also, in Bezug auf die präsentierte Geschichte) und die Szenen funktionieren auch, wenn man den Verweis nicht als solchen erkennt. Wie es halt sein sollte. Der Mehrwert der Verweise ist rein nostalgischer Natur (andere Leute sagen vielleicht "Fanservice" dazu), wenn man die enstprechende(n) Vorlage(n) kennt. Ich fand sie meist toll, andere Leute vielleicht nicht.
Joel.Barish schrieb:
Diese Verweise beeinträchtigen die Entfaltung von Figuren und Handlung, weil sie gewisse Ausgänge vorwegnehmen oder die emotionale Intention untergraben. Beispiel: Wenn die Jungs mit Eleven ans Tageslicht wollen, überlegen sie, was sie tun könnten, damit Eleven nicht so sehr auffällt. Scheinbar war es den Jungs (und den Duffer Bros. Jungs) zu "weird", Eleven, mit ihren kurzen Haaren und ihrem noch recht schmächtigen Kinderkörper, zu einem Jungen zu machen. Und es war wohl zu schwierig, ihr eine Mütze oder dergleichen aufzusetzen, weil ihre ja so herausragend auffälligen Haare zum Fahndungsprofil gehören. Das größere Problem dieser Aktion ist aber, wie Elevens Verwandlung dann präsentiert wird. Sie wurde vorher schon als E.T. etabliert, wenn sie durchs Haus streunt und TV schaut, aber als die Jungs dort standen und über eine Verkleidung nachdachten, dachte ich nur "bitte kopiert jetzt nicht die Szene mit E.T. und der blonden Perücke. Bitte nicht!" Und natürlich kopieren sie diese Szene und es ist einfach vollkommen albern und lächerlich, wenn man in dieser recht ernsten (zumindest auf keinen Fall albernen) Situation für Eleven an diese glasklar albern und witzig gemeinte Szene in "E.T." erinnert. Da stehen sich Verweis und Intention komplett im Weg.
Interessant. Du meinst also, dein Beispiel-Verweis beeinträchtigt die "Entfaltung von Figuren und Handlung", weil du da vorhersehen konntest, dass sie Eleven ähnlich wie E.T. verkleiden werden? Ernsthaft? [Ironie]Ich wusste garnicht, dass die Verkleidung ein so wichtiger Punkt war, der die weitere Handlung und Entfaltung der Figuren bestimmt. Also nicht, ob sie funktionieren würde, sondern welche Art der Verkleidung gewählt wird.[/Ironie]
Wenn du mir allerdings ein Beispiel nennen kannst, welches in der Tat zu einer solchen Beeinträchtigung geführt hat, wäre ich vielleicht geneigt, meine Meinung zu ändern.
Joel.Barish schrieb:
Clive77 schrieb:
Ich finde es übrigens sehr aussagekräftig, wenn eine Serie erst nach der Ausstrahlung gehypt wird und nicht davor.
Was so weit geht, dass bei Twitter, Reddit und Co. jede kritische/negative Meinung zum Film als blindes Hipstertum angesehen wird, als kindischer Versuch einfach nur gegen den Strom schwimmen zu wollen. Damit dominiert die Masse welche Reaktionen erlaubt sind, weil sie den Wahrheitsgehalt einer Meinung diktieren. Und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.
Ist Stranger Things jetzt für dich ein quasi umgedrehtes Ghostbusters 2016?
Twitter, Reddit und Co. verwende ich übrigens nicht. Ich diskutiere lieber bei BG.
Der Punkt im obigen Zitat sollte auch eigentlich nur sein, dass ich diesen Fall (vorher nahezu unbekannt, nach Ausstrahlung (von vielen) gefeiert) besser empfinde und einschätzen kann, ob sich eine Serie für mich lohnt, als im umgekehrten Fall (im Vorfeld gehypt, anschließend zerrissen).