Das grundsätzliche Problem der Serie ist das Erzählkonzept. Eigentlich ist die Sache der 13 Tapes, der 13 Teilschuldigen, ganz interessant und bietet sich an, dass wir einem von ihnen durch die Stationen von Hannahs Entwicklungsprozess folgen. Aber gefühlt einmal pro Folge, immer dann, wenn Clay in naiver Arroganz die jeweilige Hauptfigur der Kassette dumm anmacht, kommen wir an einen Punkt an dem es heißt: "Hey, Clay, warte erst einmal ab, bis du dein eigenes Tape hörst." Clays Verhalten macht grundsätzlich Sinn, aber irgendwann nervt es nur, weil es dann nicht mehr viel mit der Psychologie der Figur zu tun hat, sondern mit dem Erzählmechanismus der Serie. Man erklärt und argumentiert sich um Kopf und Kragen, warum Clay sich nicht endlich mal hinsetzt und die verschissenen Kassetten durchhört. Ja, er reagiert auf Hannahs Stimme - wie gesagt, grundsätzlich nachvollziehbar. Aber er kriegt ständig zu hören "warte auf dein Tape" und fragt selbst, z.B. in Richtung Tony, was er selbst wohl getan habe, was Hannah zu ihrer Entscheidung trieb. Clay hat mehrere Momente in denen er ausrastet, dann meist von Tony beruhigt wird und dann in neu gewonnener Ruhe versucht vernünftig an die Kassetten heranzugehen. Nur damit es eine Episode später wieder komplett zurückgesetzt wird. Da setzen sich Clay und Tony in einer der späteren Folgen zusammen hin, in Tonys Garage, und Tony sagt, er werde bei Clay bleiben, bis er die Kassetten fertiggehört hat. Wir sehen, wie er die aktuelle Kassette einlegt - Ende der Folge. Und in der kommenden Folge hat er nur diese eine neue Tape-Seite gehört und macht wieder einen Aufstand, weil er Angst vor der nächsten Seite hat. Man sieht die sprichwörtlichen Fäden des Puppenspielers, sieht, wie eine Serie sich hin und her windet, damit das Erzählprinzip eingehalten(*) wird, statt das Drama sich vernünftig entwickeln und entfalten zu lassen.
(*)Die späteren Folgen betrügen mehrfach die Erzählweise, wenn wir Hannahs Tape hören, obwohl Clay gerade die Tapes bei Tony abgegeben hat. Oder wenn wir zeitversetzt zu Clay die Infos der aktuellen Kassette erhalten, obwohl wir als Zuschauer ja eigentlich an Clay gebunden sein sollten.
Ein anderes und vermutlich größeres Problem ist das Ende bzw. die Dimensionen des Endes. (Aber darüber muss ich vielleicht noch einen Tag oder so reflektieren.) Schon die Sache mit Jessica und der Vergewaltigung ist eigentlich eine Nummer zu groß für eine Geschichte, in der es eigentlich um das Warum eines Selbstmordes geht. Es ist dennoch halbwegs passend mit Hannahs Geschichte verbunden, auch wenn ich im Vorfeld keinen Gefallen daran gefunden habe, wie die Serie auf The O.C.-mäßiges Teen-Crime Mystery gemacht hat, mit der stetig wachsenden Gruppe der Verschwörer (auch das künstlich, weil die Gruppe immer dann größer wird, wenn wir und Clay das aktuellste Tape gehört haben) und vagen Mystery-Beschreibungen von Jessicas Party. Mit "zu groß" meine ich auch, dass so eine Sache eigentlich seine eigene Staffel verdient hätte, oder viel früher ein fester Bestandteil der Handlung hätte sein sollen. Da kann man sich z.B. ein Beispiel an der 1. Staffel "Veronica Mars" nehmen (die 3. hatte hingegen ähnliche Probleme).
Und dann bleibt es nicht einmal bei der Sache mit Jessica. Ich kann Sachen wie das finstere Elternhaus von Justin akzeptieren, mit dem Liebhaber der Mutter, der SS-Runen im Nacken tätowiert hat. Das sind Randdetails, um einen wichtigen Nebencharakter greifbarer zu machen, menschlicher, zu mehr als einem Schuldigen. Bei Justin klappt das, aber am Ende der Staffel haben wir noch so viel mehr, was den Blick auf Hannahs Selbstmord und ihre 13 Gründe vernebelt. Dass Bryce dann zu einem Serienvergewaltiger und Über-Monster gemacht wird, schadet der Serie. Die Verschwörergruppe sagt es ja selbst, als sie überlegen, ob sie Bryce der Polizei ausliefern sollen, um ihre eigene Haut zu retten: Bryces Taten werfen einen derart großen Schatten, dass die anderen 12 Gründe/Beispiele an Wichtigkeit/Dringlichkeit verlieren. Hannah erklärt zwar selbst, dass es von entscheidender Wichtigkeit war, wie sie überhaupt bei Bryces Party landen konnte, aber rein emotional überragt dieser Vorfall alles. Das sieht man ja auch am Ende, dass Bryce als Tape-Hörer übergangen wird und sich nahezu alles darum dreht, dass er rechtlich für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden soll.
Oh, und so ganz nebenbei haben wir am Ende einen zweiten Selbstmord - zumindest wird es ganz lapidar als solcher angesprochen, denn wir haben ja auch einen jugendlichen Waffensammler, der kurz vor seinem Schulamoklauf steht. Ist das dann der Cliffhanger/Teaser für die zweite Staffel? Das überschlägt sich am Ende alles ein wenig. Ich kann den Grundgedanken schon verstehen, dass solche Dinge nicht im Vakuum entstehen, dass es immer Berührungspunkte gibt, aber hier bringt sich jeder einzelne Extremfall gegenseitig um seine emotionale Breitenwirkung. Es wird zu allgemein, zu extrem, zu sehr "alles, was in der Schule schieflaufen kann" und das ist bedauerlich, weil eigentlich, wie gesagt, jeder der 13 Gründe eine hörenswerte Lektion ist.