In einem Filmforum wird man mehr Ausnahmen finden als in der Welt da draußen, was aber nicht heißt, dass es diese Tendenz nicht wirklich gibt. Ob diese Tendenz ein Problem darstellt ist wiederum eine ganz andere Frage und zieht einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Fragen nach sich.
Ich würde sagen...
Wir hier oder andere Leute, die sich mehrfach wöchentlich in einem filmspezifischen Forum zum Meinungsaustausch halten, machen nur einen geringen Anteil der Leute aus, die ins Kino gehen, ab und zu mal DVDs/BDs kaufen, Netflix/Prime/etc. Accounts haben oder sonstwie Filme konsumieren. In der Hauptzielgruppe von Leuten zwischen 12 und 35 sind wir Ausnahmen. Für die meisten Zuschauer ist alles, was älter ist als sie selbst, "alt". Das heißt nicht, dass es gar nicht erst angefasst wird, aber heutige Teenager betrachten Filme der 90er unter dem Stigma "alter Filme", verwenden Begriffe wie Retro, Old School, Klassiker oder Nostalgie(*). Die 90er. Da wird es heutzutage schon schwer. Von Schwarzweiß- und Stummfilmen braucht man oftmals ga nicht anfangen.
(*)wahrscheinlich ignorierend, dass sie gar nicht damit aufgewachsen sind und demnach keine Nostalgie verspüren können, sondern nur die künstlerische Aura einer ihnen unbekannten Zeit bewundern
Es ist, wie so oft Einstelluingssache. Man sollte natürlich ein Grundinteresse mitbringen, aber wer sich über das moderne Kino beschwert und deswegen zum modernen TV wechselt (was ja nicht wenige sind), könnte bei "alten" Filmen fündig werden. Und dann ist es nicht mit einem "alten" Film getan, nicht mit einem Film pro Epoche und Genre, sondern mit mehreren. Hier wird nach den ältesten geguckten Filmen gefragt und irgendwie hat jeder schon einmal einen stummfilm gesehen, meistens, wie genannt, CHaplin. Aber man muss die ZEitgenossen kennenlernen, muss erkennen, was damals Standard war, um die Besonderheit der bis heute bekannten Klassiker wahrzunehmen und wertzuschätzen. Man sollte nciht zwei, drei Stummfilme gesehen haben, sondern 20-30.
Vorwürfe, "alte" Filme seien lahm und zäh halte ich auch für deplatziert bzw. kurzsichtig. Man könnte umgekehrt auch argumentieren, moderne Filme seien inkohärente Unsinnswerke, die jedweden Inhalt maximal anreißen, aber nichts darin investieren, wirklich eine Geschichte mit wirklichen Figuren zu erzählen. Und beides wären Generalisierungen. Soll heißen: Man kann sich immer die passenden Beispiele aussuchen, wenn man nur lange genug sucht. Natürlich hat es immer wieder Neuerungen gefunden; offensichtlich natürlich im Bereich der Spezialeffekte, aber auch im Bereich der Erzählweisen. Das ist auch mit einer Art "Erziehung" des Publikums verbunden. Man hat den Begriff "MTV Generation" damals arg kurz gefasst und vollständig ad absurdum geführt, aber MTV war eine Schule für die heutigen Edgar Wrights, Wachowskis, Bays etc. was Schnitttempo, Kamerabewegungen, Übergänge etc. betrifft. Und dennoch sind all diese Leute von Filmemachern und Werken inspiriert, die "alt" oder gar "steinalt" sind. Michael Bays Lieblingsfilm (oder zumindest einer seiner absoluten Favoriten) ist "West Side Story" und ja, der ist im Vergleich zu "Moulin Rouge" oder den Step Up Filmen wahrscheinlich lahm, aber "lahm" ist eine negative Wertung, weil man versäumt die ausgewogene Erzählweise, funktionierende Figuren und die grundsätzliche Andersartigkeit von Technik, Schauspielstil und damaliger Gegenwartskultur anzunehmen. Und nein, das heißt nicht, dass man alte Filme immer gut finden muss, aber wenn man von vornherein ablehnend und in Erwartung von "Lahmarschigkeit" einen "uralten" Film wie Matrix, Pulp Fiction, Indiana Jones, Star Wars, Night of the Living Dead, Der unsichtbare Dritte, M, Die Reise zum Mond anschaut, wird man auch nur Lahmarschigkeit entdecken. Einstellungssache halt.
Clive77 schrieb:
Würde mir allerdings wünschen, dass Joel beizeiten mal wieder seinen "Treasure Monday" fortsetzt.
Hm ... ja, will ich eigentlich tatsächlich schon seit einer Weile. Ich bemühe mich mal.