Story XLVI - Ein Geschenk

Clive77

Serial Watcher
Grillen zirpten. Vögel sangen.
Ukulu und Marscham standen nah beieinander. Sie blickten durch das dichte Dschungelgeflecht auf die große Lichtung hinaus. Lange hatten sie nichts gesagt. Nur beobachtet. Gewartet und beobachtet. Keinen Ton gaben sie von sich. Keine Bewegung sollte sie verraten.
30 ihrer fähigsten und stärksten Krieger im Mannesalter flankierten die beiden Männer im dichten Unterholz des Urwaldes. Auch von ihnen war nicht das Geringste zu sehen.
2 Tage hockten sie nun schon hier. Hatten an der Grenze zu ihrem Stammesgebiet ausgeharrt, der Bedrohung in die Augen geschaut.
Einer der Jäger hatte Häuptling Ukulu vor 2 Tagen von einem unheimlichen Aufmarsch an der Lichtung berichtet und damit den sofortigen Aufbruch aller gesunden Männer veranlasst.
Direkt an ihr Stammesgebiet grenzte mit der Lichtung das Gebiet der Toro, ihren Totfeinden. Doch als sie sich angeschlichen hatten, bot sich den Männern ein seltsamer Anblick. Beim großen Vater, nicht die Toro waren dort zusehen, sondern ganz fremdartige Wesen. Weiße Männer in glänzenden Rüstungen. Menschen, das war Ukulu klar, aber solche hatte er noch nie gesehen. Sie waren bleich, plump und verständigten sich mit einer Art Grunzen. Sie legten keinerlei Wert auf Deckung und verhielten sich wie Kinder, die nichts von den tödlichen Gefahren des Lebens wussten.
Ob sie feindselig waren, ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Dennoch war es sicherer zu beobachten. Es waren einfach zu viele um eine Konfrontation zu wagen. Wo kamen sie her? Warum gab es so viele von Ihnen? Hatten die Toro sie einfach so passieren lassen?
An diesem Morgen dann kam Bewegung in die Masse und die Gestalten bewegten sich nicht auf den Wald zu, was Ukulu sehr verwunderte. Sie marschierten in die entgegengesetzte Richtung. Zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach einige Stunden, war von ihnen nichts mehr zusehen.
Lediglich 2 Männer blieben zurück. Die beiden saßen dort im hohen Gras. Sie standen nicht mal, sie saßen. Wie unbedacht. Als hätten sie im Leben nichts zu befürchten.
Ukulu schickte einen Mann zu seinem Dorf zurück um Marscham zu holen. Marscham war der Dorf-Älteste. Er hatte alles gesehen, alles erlebt, alles gewonnen und wieder verloren. Sein Wort war der größte Schatz des Stammes. Dennoch erkannte Ukulu in der letzten Zeit eine fortschreitende Verweichlichung bei dem alten Mann. Etwas, das dem Oberhaupt des Stammes sehr missfiel. Wurde jeder im Alter so sorgenvoll? Zugegeben, so alt wie Marscham wurde kaum jemand. Doch wo war sein Feuer? Wo war sein Mut?
Nun standen sie dort im Dickicht. Der große, muskulöse Häuptling und der dürre alte Mann, mit den grauen Haaren und den tiefen Furchen im Gesicht.
„Schau sie dir an, Marscham. Wie sie dort sitzen. Wie Kinder. Wir sollten sie auf der Stelle töten und ihre Leichen in die Bäume hängen. Wenn der Rest zurückkommt, werden sie die Nachricht verstehen und uns in Ruhe lassen.“
„Denkst du, Ukulu? Werden sie nicht auf Rache sinnen? Werden sie es nicht als Angriff werten? Wir sollten sie dort sitzen lassen. Ich denke es sind Fliegen.“
„Fliegen?“
„Vereinzelt sind sie höchst nervig aber harmlos. Sie vergehen nach einem oder zwei Tagen. Vergießt man aber Blut und verbreitet den Tod, kommen sie in Scharen und legen Eier unter deine Haut. Sie zerstören dich von innen und gedeihen auf den Leichen deiner Sippe.“
„Ich glaube sie sind ein Vorposten“, spach Ukulu „die anderen werden in noch größerer Zahl zurückkehren und sich hier niederlassen. Sie kennen dieses Land nicht. So wie ich das sehe, kommen sie nicht mal aus der Nähe. Ganz und gar nicht aus der Nähe.
Wir müssen ihnen sofort aufzeigen, dass dieser Teil des Waldes unser Gebiet ist. So wie wir es den Toro klargemacht haben. Wir besiegen sie ohne Gnade und trinken ihr Blut, so das noch ihrer Kinder Angst vor diesem Ort verspüren.“
„Die Toro haben sich zwei Tage nicht blicken lassen. Ist es nicht so?“ fragte Marscham.
„So ist es“ entgegnete Ukulu.
„Nun“, sprach Marscham weiter „das erachte ich als sehr ungewöhnlich. Ich vermute sogar, dass die gesammten Toro längst beim großen Vater sind.“
„Mach dich nicht lächerlich, Marscham. Die Toro sind unsere Feinde seit der Geburt des Waldes. Niemand könnte sie töten. Sie alle.“
Marscham setzte sich langsam auf einen umgestürzten Baum.
„Es sind viele, Ukulu. Sehr viele.“
Ukulu machte eine abwertende Geste. „So viele sind es auch wieder nicht. Wenn wir die Alten und die jungen Männer holen, haben sie keine Chance. Dies ist unser Wald.“
„Vielleicht. Vielleicht haben sie aber auch Mächte und Waffen mitgebracht, die uns unbekannt sind. Es gibt stärkere Tiere im Wald als die Schlangen und doch haben nur sie ihr Gift. Jedes Tier hat eigene, spezielle Waffen.“
„Es sind Menschen, denke ich.“ Sprach Ukulu und schaute dabei verträumt zu den beiden Männern auf der Lichtung.
„Ja, es sind Menschen aber aus welchem Boden entstammen sie? Was haben sie mitgebracht? Was haben sie mitgebracht?“ wiederholte Marscham, um seiner Frage mehr Ausdruck zu verleihen.
Mit grimmigem Gesichtsausdruck und hartem Zungenschlag entgegnete Ukulu: „Ihre glänzenden Rüstungen haben sie mitgebracht. Sonst nichts. Aber die werden dieser Brut auch nicht helfen.“
„Sie sind recht groß“, entgegnete Marscham.
„Groß?!“ ereiferte sich Ukulu. „Größe ist nichts. Ich werde dir beweisen, was Größe ist und die beiden dort ganz allein töten!“ „Ukulu, das ist ein Fehler. Vielleicht sind noch weitere ihrer Männer dort im Gras versteckt. Vielleicht ist es ein Test um zu sehen, ob es hier Feinde gibt. Wir kennen ihre Waffe nicht, mein Häuptling. Wir kennen ihr Gift nicht!“ „Schweig!“ unterbrach der jüngere Mann seinen Ältesten.
„Nun wirst du sehen aus welchem Boden dein Häuptling entstammt.“
Ukulu gab seinen Männern im Unterholz lautstark den Befehl sich nicht zu rühren. Sich auf keinen Fall einzumischen.
Als diese Rufe im Gehölz ertönten, sahen die beiden Männer auf der Lichtung verängstigt zum Waldrand.
Ukulu preschte aus dem Dickicht hervor und rannte über die Lichtung auf die beiden weißen Männer zu. Einer der beiden stand langsam und zitternd auf. Der andere robbte sich mit den Armen, sitzend nach hinten. Als könne er so entfliehen.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“ flüsterte Marscham vor sich hin als er das Schauspiel betrachtete.
Ukulu rannte weiter auf die Männer zu. Zuerst erreichte er den Stehenden, der mit großen Augen, voller Angst und wie in Schweiß gebadet, beide Arme in die Höhe warf.
Ukulu nahm diese wenig aggressive Geste nicht wahr. Wollte sie nicht wahrnehmen. Der Häuptling erhob seinen Speer und rammte ihn dem Mann aus geringer Entfernung in den Hals. Dieser sackte zusammen, versuchte noch einmal verzweifelt Luft zu holen, verkrampfte sich und wurde im nächsten Moment ganz schlaff.
Ohne weiter auf den Mann zu achten, sprintete Ukulu weiter und blieb kurz vor dem anderen Mann, welcher noch immer sitzend auf dem Boden robbte, stehen. Der Mann versuchte nun nicht mehr zu fliehen und schrie dem Häuptling irgendwas entgegen. Ukulu verstand nicht. Es war ihm aber auch egal. Er warf sich auf den Mann, zog sein Messer und schlitze ihm die Kehle auf. Der weiße Mann am Boden starb verblüffend schnell. Als hätte sein Körper gar keine Lust sich zu wehren. Ukulu hatte schon Männer gesehen die mit aufgeschlitzter Kehle noch zu ihrem Dorf zurück gerannt sind.
Vielleicht war dieses Volk einfach nicht zum Kämpfen geschaffen. Wenn es sich bei diesen Männern um Krieger der Weißen handelte, gäbe es nichts zu befürchten. Ukulu stand im hohen Gras und blickte sich heftig atmend um. Grillen zirpten. Vögel sangen. Nichts geschah.
Glücklich und stolz riss er die Arme hoch und gab den Siegesschrei von sich. Die anderen Männer im dichten Wald betraten nun den Rand der Lichtung und taten es ihm gleich.
Sie gesellten sich zu ihrem Häuptling, nahmen jeweils zu zweit die beiden Leichen an den Füßen und schleiften sie zu Waldrand. An einem tiefen Ast wurden die Körper kopfüber aufgehangen. Das Blut ergoss sich auf den Boden.
Ukulu schritt unter den Blutschwall und öffnete den Mund. Die anderen Krieger schauten stolz aber mit einer Spur von Neid auf ihren Anführer. Nur der Sieger selbst durfte nach einem Kampf das Blut des Besiegten trinken und somit jenen und seine ganze Familie entehren.
Marscham stand einige Schritte entfernt und schüttelte den Kopf. Er hatte das unbestimmte Gefühl, einen hohen Baum hinaufzuklettern um eine Frucht zu ergattern, ohne auf die dünner werdenden Äste zu achten. Die jungen Krieger spornte ein dünner Ast an, ihren Mut zu beweisen. Als sei die Frucht an dessem Ende süßer als andere. Dieser Mut ließ Marscham kalt. Diese Frucht ließ Marscham kalt. Deswegen war er alt geworden.

Am späten Abend saß der gesamte Stamm am Lagerfeuer. Alle feierten und tranken vergorenen Saft. Sie tranken auf die Furchtlosigkeit ihres Anführers.
Nur Marscham trank nicht. Obwohl er sich aus Respekt ebenfalls zum Feuer begeben hatte, war ihm nicht nach Feiern zumute.
Ukulu erhob sich nun und sein Stamm verstummte.
„Wieder einmal hat ein anderer Stamm unser Dorf bedroht, und wieder einmal haben wir sie das Fürchten gelehrt…“ er hustete, dann räusperte er sich: „Ich musste heute die Grenze übertreten um diesen glänzenden Weißen zu zeigen, welche Männer hinter den Bäumen lauern!“
Jubel.
„Diese Männer kamen hier hin um uns herauszufordern. Das wurde mir klar als sie nur zwei ihrer Schwächsten zurückließen. Nur zwei. Um uns zu verhöhnen. Sie werden nichts mehr vorfinden, falls sie zurückkommen. Die beiden Männer sind nun fort!“
Die Männer jubelten und riefen ihre Siegesschreie. Niemandem fiel auf wie Ukulu sich ungewöhnlich schnell wieder setzte. Niemandem außer dem Ältesten. Der Häuptling hustete nun stärker und in einem kurzen Augenblick lehnte er sich nach vorn und spukte Blut. Dunkles, zähflüssiges Blut.
„Aber was haben sie mitgebracht?“, flüsterte Marscham, „Beim großen Vater, was haben sie mitgebracht?“
 

blacksun

Keyser Soze
sehr spannend zu lesen! :top:

Nur hätte ich mir persönlich ein anderes Ende gewünscht. Etwas Überraschenderes.
Keine Ahnung, vielleicht:
"Guten Abend. Hier die NKWP News um 20 Uhr. Noch immer werden dje 2 renomierten Forscher Halder and Macintosh vermisst."
 

Sittich

Well-Known Member
Sorry für das späte Feedback. Hat mir soweit auch gefallen, auch wenn ich gestehen muss, nicht ganz verstanden zu haben, was es mit diesen Besuchern nun auf sich hat und was mit dem anderen Stamm passiert sein soll. Vielleicht habe ich da irgendeinen Hinweis überlesen. Auf jeden Fall sollte der Stamm sein Siegesritual ein wenig überdenken. :wink:

Kleine Anmerkung noch: Die Zahlen hätte man ausschreiben können.
 

Clive77

Serial Watcher
Sittich schrieb:
Auf jeden Fall sollte der Stamm sein Siegesritual ein wenig überdenken. :wink:
Den gleichen Gedanken hatte ich auch. :biggrin:

Schöne kleine Geschichte, die sehr spannend zu lesen war. Über die weißen Männer in den Rüstungen hätte ich gerne noch mehr erfahren - so am Ende, um die Sache aufzulösen.

Ansonsten finden sich hier und dort ein paar Fehlerchen, die man noch hätte ausbügeln können.
 
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