Story XLVII - Last Man Sitting

Clive77

Serial Watcher
Da saß ich nun inmitten von Dunstwolken ekelhafter Zigaretten und abgestandenem Bier, an einem Tisch der seine besten Zeiten schon hinter sich hatte. Der Laden war abgedunkelt und nur meine Sitzgelegenheit in der Mitte des Raumes war beleuchtet. Die Leute starrten zu mir. Sie hatten viel Geld für diesen Abend bezahlt. Auch wenn die Kneipe von außen und innen runtergekommen aussah und auch tatsächlich war, nur Menschen die viel Geld mitbrachten, durften hier verweilen.
Ich hatte kein Geld. Daher saß ich in der Mitte. Vor mir ein Revolver auf der Platte und mir gegenüber im Halbdunkeln ein Mann, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte. Auch vor ihm lag ein Revolver. Wir starrten uns bereits eine Weile an, ohne uns richtig sehen zu können. Warum ich hier hergekommen war? Das erfahrt ihr noch. Wie ich hier gelandet war und diesen Laden gefunden habe? Das erkläre ich lieber nicht. Nicht dass ihr noch Lust auf eine gute Show bekommt.
Ein weiteres Licht blitzte auf und beleuchtete einen Mann, der rechts von mir am Tisch auftauchte. Er hatte einen weißen Anzug mit lila Einstecktuch an. Dunkle Haare zierten seinen schmalen Kopf und ein ekelhafter Schnäuzer umkräuselte seine schmalen Lippen. Auf der Nase hing eine Pornobrille. Er fing an in ein Mikrofon zu sprechen.

„Ladys und Gentleman. Willkommen an diesem wunderschönen Abend. Heute haben wir uns ein neues Spielchen für Sie ausgedacht und ich nenne es Last Man Sitting. Diese beiden Herren hier am Tisch, haben sich noch nie zuvor in Ihrem Leben gesehen. Und doch trägt jeder ein kleines Geheimnis mit sich herum. Dieses kenne ich natürlich. Sie werden sich beide abwechselnd Fragen stellen müssen und nach jeder Frage den vor ihnen liegenden Revolver nehmen, sich an den Kopf halten und abdrücken. Dieser enthält, wie Sie alle vielleicht vermuten, genau eine Kugel. Wer das Geheimnis des anderen lüftet oder einfach überlebt, bekommt einen Betrag in Höhe von Zweihunderttausend Euro in bar ausgezahlt. Vielen Dank an dieser Stelle für Ihre tollen Eintrittsgelder aus unserem letzten Spiel. Der Verlierer erschießt sich entweder sowieso selbst oder muss dies bei Preisgabe seines Geheimnisses tun“

Zweihunderttausend für mein Leben. So viel war ich mir also noch wert. Von dem Geld könnte ich ein neues Leben anfangen.

Er trat einen Schritt näher an den Tisch. Legte eine 9mm-Kugel drauf und drehte sie einmal an. Die Spitze zeigte auf meinen Kontrahenten.
Der Moderator sprach leise und das Mikrofon verdeckend zu ihm.
„Du darfst anfangen du Pisser und wehe du richtest die Waffe auf deinen Gegner, dann bist du dran!“
Dann wieder ins Mikro:
„Ladys und Gentleman – let the battle begin.“

Der Mann vor mir Griff mit verschwitzter Hand zu seinem Revolver. Der Lichtkegel wurde etwas vergrößert und ich konnte einen mächtigen Kiefer unter einer platten Nase erkennen. Darüber lauerten zwei eisblaue Augen die mich anstarrten.
Mit ziemlich tiefer Stimme fing er an.
„Warum machst du hier mit und riskierst dein Leben?“
Fuck. Das war eine miese Frage. Ich überlegte was ich sagen sollte. Die Wahrheit? Warum nicht, wenn ich gewinne sehe ich ihn nie wieder und wenn ich verliere, kann es mir eh egal sein.
Der Moderator mischte sich ein.
„Wir brauchen eine Antwort…in 3…2…“
„Meine Frau und meine beiden Kinder sind bei einem Autounfall verstorben. Ein Arschloch rammte das Auto und sie fuhren gegen einen Baum. Er verschwand vom Unfallort. Ich habe nichts mehr zu verlieren“
BÄMM – da war es. Kein Psychologe, nicht meine Eltern, keine Freunde konnten mich dazu bringen. Aber dieser Pornoregisseur von einem Moderator.
Mein Gegenüber blinzelte kurz und legte blitzschnell nach meiner Antwort den Revolver an und KLICK.
Ich war dran und sah ihm direkt in die Augen.
„Und warum bist du hier?“
„Schulden.“ Brummte er zurück.
Darauf hätte ich bei meiner Antwort auch kommen können.
Also legte ich an. Ohne zu zögern. Gott was hab ich schon oft an Suizid gedacht. Aber ich konnte es nicht über mein Herz bringen. Das hätte meine Frau nicht gewollt. Also wurde ich leichtsinnig und ließ nun das Schicksal entscheiden.
Klick
Mein Gegenüber war dran. Er blickte verträumt auf die Tischplatte und schwitzte nun stark. Langsam fing er an.
„Was…was wenn ich dir helfen könnte? Dieses Arschloch zu kriegen? Würdest du dann immer noch hier mitmachen?“
Ich überlegte.
„Der ist nicht mehr zu finden. Keine Zeugen. Keine Spuren. Und doch habe ich alles verloren.“
Er Griff erneut blitzschnell zu der Waffe und drückte ab. Klick.
Ich sah ihm erneut tief in die Augen. Diese waren nur noch glasig und leer. Dieser Mann hatte anscheinend abgeschlossen.
„Bei wem hast du Schulden?“
Nun sprach er leise und verträumt weiter.
„Bei jemandem, der über Leichen gehen würde. Sogar über seine eigene.“
Es wurde interessant. Aber ich musste die Regeln befolgen. Ich legte an und drückte ab. Klick.
„Du bist dran.“ sagte ich und legte den Revolver auf den Tisch.
„Wie hießen deine Frau und deine Kinder?“
„Susannah, Peter und Tim.“
Erneut drückte er ohne Zögern ab. Nur das nun eine kleine Träne an seiner Wange herunterlief. Er hatte scheinbar das Interesse an meinem Geheimnis verloren.
„Was schuldest du diesem Mann?“
„Alles und ich kann ihm davon nichts zurückgeben.“ Klick.
„Haben sie gelitten? Oder waren sie sofort…“ er verschluckte das letzte Wort.
„Nein. Sofort. Sagte ich.“ Es war soweit.
Er sah mich nun direkt an und sprach laut und deutlich.
„Dein Geheimnis ist, dass du von Anfang an wusstest, dass ich der Mörder deiner Familie bin.“ Dann legte er an und drückte zweimal schnell ab.

Nun damit hatte von den Anwesenden wohl keiner gerechnet. Ich hatte es gehofft. Ich habe das Spiel verloren. Er hat mein Geheimnis als erstes enthüllt. Aber das war mir nun egal. Er hatte Reue gezeigt und war deswegen hier gelandet. Es war mehr als gerecht, dass er mit mir spielen musste. Also nahm ich den Revolver und drückte ab. Ich hätte anscheinend sowieso nur noch eine Frage stellen können.
 

Sittich

Well-Known Member
Ich mag die Grundidee und das Knackige an dieser Geschichte. Wenig Firlefanz, die (etwas konstruierte) Situation schnell beschrieben, das Spiel schnell durchgezogen und eine wie ich finde gelungene Auflösung gewählt. Dazu einen schönen Schlusssatz, dessen Bedeutung mir erst beim zweiten Lesen aufgegangen ist. :top:

Ich habe länger überlegt, ob ich nicht dieser Geschichte den Punkt geben soll, mich dann aber doch knapp für die Rote Karte entschieden.
 

Rhodoss

Well-Known Member
Die Geschichte ist von mir - als erstes hatte ich die Idee zu dem Spiel und seinen Regeln. Dann habe ich mir überlegt wer daran teilnehmen würde und kam auf den Familienvater. Irgendwann habe ich die halbe Story umgeschrieben und den Fahrer auch mit an den Tisch geholt. Und ja es ist extrem konstruiert und ich hatte erwartet, dass jemand die Spielregeln kritisiert: Der Revolver hätte auch nach der ersten Frage losgehen können - aber der Showmaster hat das Ding schon entsprechend präpariert. Seine Gäste wollen ja unterhalten werden.

Mal sehen, welches Spiel er sich für unseren nächsten Besuch einfallen lässt.... :pinch:
 

Sittich

Well-Known Member
Rhodoss schrieb:
Mal sehen, welches Spiel er sich für unseren nächsten Besuch einfallen lässt.... :pinch:
Fänd' ich gut, wenn du jetzt zu jedem Thema eine neue Geschichte um den Showrunner und seine perversen Spiele spinnst. :biggrin:
 

Rhodoss

Well-Known Member
dann würde ja jeder wissen, von wem die Story kommt - aber es köntne je nach Thema eine große Herausforderung werden :check:
 
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