RickDeckard schrieb:
Depression ist in meinen Augen keine Krankheit, sondern ein Symptom einer anderen Ursache (was durchaus eine Krankheit sein kann, z.B. Angststörungen, Traumata) Manchmal aber auch einfach nur das Resultat unserer Lebensweise, unserer Gesellschaft, oder ein Schritt in einer persönlichen Entwicklung (Mißstände die nicht beseitigt werden, falsche Wege die man geht).
Das ist ne Definitionsfrage. Ein Traumata ist eher ein Mitgrund für eine Depression, aber nicht die Grundkrankheit, deren Symptom Depression ist - würde ich sagen. Auch Angststörungen erlebte ich in meinem Umfeld eher als Symptom der Depression. Zudem sind viele Krankheiten Folgen einer Lebensweise einfachstes Bsp. wäre die Verbindung von Lungenkrebs und Rauchen - deswegen ist ja Lungenkrebs kein Symptom. Dann kommt es auch drauf an, was wir meinen, wenn wir von Depression reden. Eine depressive Phase, depressive Verstimmungen oder eine klinische Depression etc.
Noermel schrieb:
Ich war in einem Rausch und wollte ich eben meine Meinung kundtun auch hier nach dem ganzen fb Wahnsinn und ich weiß auch was Depressionen bedeuten keine Angst. Ich wollte die Krankheit NIE verharmlosen aber es ist auch kein automatische Todesziel
Was mich vor allem geärgert hat, war die Aussage, die wollen sich halt einfach nicht helfen lassen und strengen sich nicht an, etwas gegen die Krankheit zu tun. Da hats mir die Kappe gelupft. Ist aber ok, ich kann ja auch verstehen, dass so oberflächliche Heroisierungen der Kranken bzw. derer die Suizid begangen haben, einen echt nerven können - und so ist wohl Dein Post entstanden. Kann ich nachvollziehen.
Woodstock schrieb:
aber trotzdem ist es feige und egoistisch, wenn ein Elternteil die Kinder auf die Art zurücklässt (auch bei Freunden oder anderen Verwandten).
Jein. Aus der Aussenansicht mag man das sagen können und natürlich gibt es auch egoistische Kranke oder Suizidale. Ein Stück weit wird man eh egozentrisch, wenn man eine so starke Krankheit hat, die halt alle Wahrnehmung auf sich zieht. Aber noch einmal bei vielen (ich würde behaupten den meisten) ist es nicht so einfach. Denn sonst würden die meisten viel früher Suizid begehen und nicht zuerst viele Jahre den Gedanken oder sogar Wunsch mit sich rumtragen und dagegen ankämpfen. Dann würden sie mit den Achseln zucken und sagen, "Hey, keinen Bock mehr, ich töte mich jetzt." (sehr plakativ ausgedrückt).
Woodstock schrieb:
Das Kind wird nicht nur traurig, sondern auch wütend und diese Wut verschwindet nie ganz. Es ist ein Vertrauensbruch, den die Hinterbliebenen nie ganz verarbeiten und zukünftige Verbindungen daran messen.
Das kenne ich auch. Und ja, natürlich habe ich gegenüber meiner Nahen Person, die ihr Leben lang immer wieder den Suizidwunsch geäussert hat, häufig genauso argumentiert. Und war oft wütend, oft gekränkt, oft gabs entstand diese Distanz, die du ansprichst, der Vertrauensverlust etc.
Tyler Durden schrieb:
Denkt er echt, seine Kinder und seine Frau werden glücklich sein, wenn er sich das Leben nimmt?
Ist das deine Erfahrung?
Ganz stark sogar. Das war in den letzten Jahren ein Hauptthema bei uns. Schau mal, wenn jemand chronisch krank ist. Sagen wir, die kranke Person hat trotz aller Bemühungen über Jahrzehnte hinweg immer wieder Rückfälle und heftige Krisen. Sie muss immer wieder in die Klinik, vlt. Alkoholabstürze, vlt. auch andere heftige Episoden - immer wieder hat sie das Gefühl zu versagen und ihr Umfeld ganz furchtbar zu belasten. Und es ist so, Kinder von psychisch kranken Eltern etwa haben häufig später im Leben auch ganz starke Probleme. Angehörige können aufgrund der Belastung ebenfalls krank werden - oder zumindest nimmt es die Person mit den Depressionen so wahr.
Leute, die stark pflegebedürftig werden, psychisch aber gesund sind, äussern auch oft den Wunsch zu sterben und begründen dies damit, sie seien ja nur noch eine Belastung für die anderen. Das hört man oft, insbesondere auch bei alten Menschen. Also gerade die Idee, mit dem eigenen Tot die Liebsten zu entlasten, ist dann ein Argument für den Freitod.
Natürlich gibt es auch hier Menschen, die mehr oder weniger egoistisch handeln. Aber das kann man ja nur schlecht von aussen erkennen. Ich will einfach sagen, ob egoistisch oder nicht hängt nicht davon ab, wieviele Kinder jemand hinterlässt, sondern davon, was in der Person vorgegangen ist, als sie es tat. Hat sie dabei an die anderen gedacht, hat sie sich vielleicht für die anderen gegen die Suizidgedanken gewehrt und gekämpft, bevor sie den Schritt ging oder hat sie es einfach zugelassen etc. Dasselbe gilt etwa für Leute, die sich vor einen fahrenden Zug werfen. Grundsätzlich von aussen betrachtet, eine krass egoistische Tat. Nicht wegen den Zugpassagieren, die jetzt mit Verspätungen rechnen müssen, sondern v.a. wegem dem Zugführer, der traumatisiert sein dürfte. Von aussen eindeutig. Aber, war die Person innerlich fähig, soweit zu denken? Vielleicht, vielleicht nicht. Vielleicht drehte sich in ihrem Kopf ganz viel um andere Personen, und sie dachte ganz viel daran, was wird sie anderen damit antun, aber sie fand irgendwo einen Grund der für den Sprung vor den Zug sprang, der in dem Moment einfach überwältigend war. Man kann die Tat dann immer noch egoistisch nennen, aber die Person selbst war es vielleicht gar nicht so sehr. Wir wissen es nicht.
Umgekehrt, das könnte jetzt auch falsch verstanden werden (hoffe nicht), gibt es aber auch Fälle, wo man sich fragen kann, ist vlt. nicht das Umfeld egoistisch, dass den Menschen, der nicht mehr leben will, unbedingt davon abhalten will. Das ist eine Überlegung, die mir oft gekommen ist. Ist es eigentlich fair, wenn ich der Person sagen, Du bist egoistisch, wenn Du das tust. Die Person hat so lange gekämpft, so viel Gutes für andere getan und merkte einfach, es wird nicht besser - und möchte nicht mehr. Natürlich hängt das auch davon ab, wie alt etwa die Kinder sind und so, schon klar. Und dann ist dann schnell die Frage da, kann ich jemandem sagen, ok, ich akzeptiere Deine Entscheidung - ohne der Person das Gefühl zu geben, ich will insgeheim, das sie stirbt. Ein echtes Dilemma eben. Das auch mit dem ganzen Thema um den begleiteten Freitod noch angeheizt wird.
Das zumindest meine Gedanken. Hoffe, es ist einigermassen nachvollziehbar