BG Kritik: „Berlin Alexanderplatz“

18. Juli 2020, Manuel Föhl

Weiter geht die Berlinale-Nachlese. Eigentlich sollte Burhan Qurbanis Interpretation von BERLIN ALEXANDERPLATZ bereits im März in die Kinos kommen, aber nun wurde es doch Sommer. Ist es das erhoffte audiovisuelle Gangster-Epos, wie es die Trailer versprachen?

Berlin Alexanderplatz
(D/NL/F/CAN 2020)
Regie: Burhan Qurbani
Darsteller: Welket Bungué, Albrecht Schuch, Jella Haase, Joachim Król u.a.

„You want to be good in a world that is böse“. Reinhold (Albrecht Schuch) macht Francis (Welket Bungué) klar, dass sein Streben danach ein guter Mensch zu sein aussichtslos in dieser Welt, in diesem Land, in dieser Stadt Berlin ist. Francis kommt als Flüchtling nach Deutschland, verdient erst als Schwarzarbeiter einen Hungerlohn und schließt sich dann Reinhold und seinem Drogenring in Berlin an. Das Schicksal scheint es nie gut mit ihm zu meinen und erst als er Mieze (Jella Haase) kennenlernt, eröffnet sich ein Ausweg…vielleicht.

© Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Es ist die Mär vom Arbeiter, dem übel mitgespielt wird, und deshalb nie zu einem rechtschaffenen und wohlhabenden Mann werden kann, die den Roman schon zu seinem Erscheinen 1929 zu einer beliebten, wenn auch durch seine Schreibweise, fordernden Lektüre machten. Schon zwei Jahre später sollte es eine erste Verfilmung geben, doch am ehesten mag man sich heute noch an die Mini-Serie von Rainer Werner Fassbinder aus den Jahren 1979/80. Burhan Qurbani will gar nicht verglichen werden, denn macht sein Film im Vorspann schon deutlich, dass man ‚frei‘ nach dem Buch eine Geschichte erzählt und zudem das ganze Setting in die heutige Zeit übertragen wurde. Der Gegenwart entsprechend ist Franz Biberkopf nun hier auch Francis, ein Flüchtling. Doch wer nun 3 Stunden (ja der Film hat eine stolze Lauflänge, die ihm aber zu großen Teilen nicht zum Verhängnis wird) noch mehr solch platter Übertragung in die Jetztzeit befürchtet, der kann beruhigt werden. Es ist hier nicht die Klischeegeschichte des kriminellen Flüchtlings. So einfach macht es sich der Film dann doch nicht, wobei er hier und da leider Potenzial liegen lässt.

Angefangen bei Francis selbst, der als Hauptfigur der tragische (Anti-)Held des Ganzen ist. Anti, weil er wohl gut gemeine Ambitionen zu haben scheint, das Drehbuch ihm aber von Anfang an ein Temperament mitgibt, welches verhindert, dass er vollkommen ‚gut‘ bleiben kann. Dieses ‚gut‘ gibt ihm auf keinen Fall Reinhold, was aber von Anfang an klar ist. Doch Albrecht Schuch spielt diese Ratte mit so viel Hingabe und Leidenschaft, das er nicht nur Zuschauer*Innen täuscht und wie eine giftige Schlange in die Ecke drängt, sondern eben auch Francis. Beim Deutschen Filmpreis waren beide, Bungué wie Schuch, für den Preis für die beste Hauptrolle nominiert und ja, wenn man sich entscheiden müsste, dann ist es Albrecht Schuchs Interpretation seiner Rolle, die schon auf dem Papier mehr bekommt, die welche ein Quäntchen mehr diese Auszeichnung (welche er an selber Stelle an diesem Abend schon für die beste Nebenrolle in SYSTEMSPRENGER (2019, R: Nora Fingscheidt) erhielt) verdient hatte. Aber das sind nur Preise und über die könnte man ewig diskutieren. Reinhold ist die ambivalenteste Figur des Films, auch wenn man ihn glaubt von Anfang zu durchschauen, gibt es immer wieder Momente, bei denen man sich nicht sicher sein kann, was er als nächstes machen wird…oder nicht.

© Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Es gibt eine Szene, in der Reinhold Francis erklärt, dass er versucht gut zu sein in einem Land, das es selbst nicht ist. Es sind diese kleinen Momente, in der der Film mehr sein könnte, als nur die Mär des armen Schluckers mit dem man es nicht gut meint. Wo der Film einen Kommentar auf die heutige Zeit abgeben könnte, auf die Gesellschaft und das Bild, was wir von Menschen wie Reinhold und Francis haben. Die nicht böse geboren werden. Doch diese Tiefe bei den Figuren und das Verhandeln der Gedanken, vermisst man leider. Jella Haases Mieze, die erst in der zweiten Hälfte des Films auftaucht, gibt dem Ganzen nochmal eine neue Dynamik, aber auch hier wird man das Gefühl nicht los, das der Film es sich etwas zu einfach macht und dies wohl gekonnt zu inszenieren und montieren weiß, aber über seine Figuren noch viel mehr von dieser Welt erzählen könnte.

Prämiert wurde unter anderem auch der Score von Dascha Dauenhauer und das zurecht. Der elektronisch-erzeugte wabernde Score treibt die Bilder an, erkennt aber auch die Momente von Stille oder Tragik und weiß diese musikalisch zu begleiten. Die Trailer versprachen auch optische neongefärbte Bilder, die der fertige Film auch durchaus besitzt, doch weiß der Film noch mehr, als sich nur in diesen Farben zu sullen. Optisch, aber auch im puncto Montage und Bildgestaltung weiß der Film zu gefallen, weil er Konventionen bricht und sich Gedanken macht, anstatt den sicheren Weg zu gehen, um so einen eigenen Wiedererkennungswert zu entwicklen, anstatt der verpöhnten TV-Optik (die aber, ich wiederhole das gerne, nicht mal mehr der TATORT pflegt) oder größeren Vorbildern nachzueifern.

Fazit:

Kein Stlye over Substance, aber inszenatorisch mal mutiger und gewagter, als man das sonst größtenteils aus dem deutschen Kino kennt, bekommt man hier mit einem starken Schauspieler*Innenensemble, allen voran einem herausragenden Albrecht Schuch, ein sehr gutes Drama, was zuweilen aber leider mögliche Gedanken unausgesprochen und Möglichkeiten ungenutzt lässt.

7,5-8/10

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