BG Kritik: „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“
Der Eurovision Song Contest musste dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Doch selbst dafür hat der Streaming-Dienst Netflix eine Lösung. Denn diese haben sich ESC-Superfan Will Ferrell geschnappt und der schrieb, produzierte und übernahm mit Rachel McAdams die Hauptrollen als das isländisches Duo ‚Fire Saga‘ im ersten Spielfilm über den Eurovision Song Contest. Zero Points oder Twelve?
Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga
(USA 2020)
Regie: David Dobkin
Darsteller: Will Ferrell, Rachel McAdams, Dan Stevens, Pierce Brosnan, Mikael Persbrandt u.a.
Alles beginnt im Jahr 1974. Während in einem kleinen isländischen Dorf der Eurovision SongContest mit ABBAs ‚Waterloo‘ läuft, betrauern Vater Erick (Pierce Brosnan) und sein Sohn Lars noch den Tod der Frau und Mutter. Doch dieses Song ändert alles. Lars beginnt sich zu der Musik zu bewegen und selbst die sonst stumme Sigrit, Tochter einer Nachbarin, kann nicht mehr still halten. In grummeligen Isländisch bittet Eric Lars sich nicht Lächerlich zu machen. Huch isländisch? Werden hier etwa längere Passagen in einem amerikanischen Film in der Muttersprache Islands sein, die sogar der Irisch-Amerikaner Pierce Brosnan lernen musste? Nein. Denn nach Ende von ABBAs Song dreht sich der Junge um und verkündet in perfektem Englisch, dass er am Eurovision Song Contest teilnehmen möchte und diesen gewinnen will.
Ist nun EUROVISION SONG CONTEST: THE STORY OF FIRE SAGA, wie man befürchten könnte, der exotische amerikanische Blick auf ein Phänomen, das man gerne für sich einnehmen und verstehen möchte? Zum Glück nicht. So viel sei direkt verraten.
„Ein bisschen Frieden…“, Stefan Raab, Guildo Horn, dann war da doch mal diese Lena und hey Lordi! Wer den Eurovision Song Contest nicht wirklich verfolgt, den erreichen dann wohl nur die Außreißer in den Medien. Nach oben, aber auch nach unten. Dabei verhält es sich viel mehr so, dass skurrile Auftritte und Ideen schon länger zu einem Markenzeichen des Contests geworden sind, aber diese mitunter nicht die Essenz bilden. Dazu genügt schon ein Blick auf das Grüppchen an Kandidaten, dass die ARD für seine Alternativveranstaltung dieses Jahr anstatt des abgesagten ESC präsentieren durfte. Songs mit Ohrwurmpotential aus den verschiedensten Musikgenres und hier und da dann auch mal was Verrücktes aus Osteuropa. Doch von einer reinen Karnevalsveranstaltung ist der Wettbewerb noch lange entfernt. Das man von Teilnehmer*Innen oder Gewinner*Innen davor oder danach nur noch selten was außerhalb der ESC-Blase hört, mag nur selten an den künstlerischen Qualitäten der Interpret*Innen liegen, als einem hart umkämpften Musikmarkt, wo ein ESC-Gewinn nicht der Eintritt zu einer erfolgreichen, lebenslangen Musikkarriere bedeutet. Und nun kommt Will Ferrell, ein amerikanischer Schauspieler, der vor allen Dingen für seine Komödien bekannt ist und will nun den ESC auch für das amerikanische Publikum schmackhaft machen? Die Begeisterung für die Veranstaltung entfachte bei ihm seine schwedische Frau in den 2000ern. Seit dem ist er großer Fan – 2014 flog er auch extra noch Kopenhagen, um sich das Event live anzuschauen – und wollte sich diese Möglichkeit wohl nun nicht nehmen lassen.
© Netflix
Er spielt den erwachsenen Lars, der gemeinsam mit seiner (musikalischen) Partnerin Sigrit (Rachel McAdams), nur dafür lebt als ‚Fire Saga‘ einmal zum ESC für Island fahren zu dürfen. Wie es der Zufall so will landen sie im Vorentscheid, der total schief geht. Doch als alle anderen restlichen Kandidat*Innen Opfer eines Schiffsunglücks werden, hat Island keine andere Wahl als Fire Saga zum diesjährigen ESC in Edinburgh zu schicken Was dann beginnt ist eine liebevolle Hommage an den ESC, eine Verbeugung, um die dann noch irgendeine 0815-Geschichte von Liebe, enttäuschten Vätern und Träumen gesponnen wurde. Das klingt nun hart bzw. negativer als es soll, denn trotz seiner knapp über zwei Stunden Laufzeit ist der Film nie langweilig. Er sprüht vor Energie, wie der motivierteste ESC-Künstler und spätestens wenn Dan Stevens mit seinem Alexander Lemtov um die Ecke kommt weiß man, dass hier nicht alles allzu ernst nehmen ist. Aber wenn man sich darauf einlässt, kann man eine richtig gute Zeit haben, mit Songs mit Ohrwurm-Gefahr und zahlreichen Cameos. Dabei schafft es der Film sich nie über die Küstler*Innen oder generell den Contest lustig zu machen, sondern liebevoll mit seinen Eigenheiten umzugehen. Man geht sogar soweit, dass man selbstreferentiell eine Gruppe von amerikanischen StudentInnen einbaut, auf die Ferrells Lars immer wieder trifft, er aber sie als oberflächlich und fehl am Platz abstempelt und immer wieder beschimpft. Selbst die Inszenierung von Edinburgh oder Island generell ist weniger mit dem amerikanisch-touristischen Blick festgehalten, wie man es sonst so gewohnt ist, wenn amerikanische Filme nach Europa kommen (*hust* SPIDER-MAN: FAR FROM HOME beispielsweise *hust*).
Regisseur David Dobkin (DIE HOCHZEITS-CRASHER) vermag hier und da das Ganze auch mit ein wenig Verve einzufangen, er hat zuletzt auch Musikvideos für Maroon 5 inszeniert, ohne dem Ganzen aber einen besonderen Stempel aufzudrücken. Man darf eben nur nicht besonders viel Tiefe vom Skript erwarten, denn was hier wann und wie passiert und sich Charaktere und Beziehungen entwickeln ist für das Publikum zu jeder Zeit bekannt. Wer nur wegen Will Ferrel einschaltet, dem mag der Film dann zuweilen etwas zu lang sein. Denn durchaus darf er seinen Humor einsetzen, was mal mehr mal weniger passt oder funktioniert, doch am Ende ist der Film vom Ton her mehr ein Ensemble-Film als die neueste Will Ferrell-Komödie, auch wenn er die Hauptfigur spielt. Denn der Konflikt mit seinem Vater oder die Beziehung zu Sigrit bleiben lose Motivationscluster für seine Figur, die aber nur oberflächlich behandelt werden und am Ende nur funktional in die Gesamthandlung verwebt werden.
© Netflix
Am Ende versucht der Film genau den Konsens zu finden, den der ESC auch immer wieder jedes Jahr in seiner Show propagieren möchte. Ein Europa, das gemeinsam in einem Wettbewerb friedlich über jegliche ethnischen und politischen Grenzen hinwegsehen möchte und gemeinsam die Musik und das Zusammensein feiert. Eine schöne Utopie, aber eine Utopie. Ein Spielfilm, der dies hinterfragen würde, könnte sich wohl keine Fans machen. Denn am Ende promoten Film wie der wirkliche Contest einen Traum von einem Europa, das es wohl nie geben wird, während Nicht-Interessierte das Ganze nur als großes Affentheater sehen. Also will man lieber Träumer vor die Bildschirme locken oder die Zyniker?
Übrigens gibt es seit dem letzten Jahr auch schon Pläne, dass es künftig einen American SongContest geben soll, der wie der Eurovision funktionieren und von den Leuten dahinter produziert werden soll. Für 2021 plante man schon die erste Ausgabe, aber man hat schon fast ein Jahr nichts mehr dazu gehört. Netflix streamte bereits letztes Jahr vorsorglich den Eurovision exklusiv in den USA und hatte dies auch schon für dieses Jahr geplant gehabt.
Fazit:
Ein Film für Fans und Hommage an das was der ESC sein möchte bzw. darstellen möchte. Dramaturgisch zuweilen holprig und nen Deut zu lange, aber dabei immer unterhaltsam..
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