BG Kritik: „Inception“ (Mester)
Anlässlich des neuen Films von Christopher Nolan, TENET (Start: 26.08.), laufen derzeit bundesweit Wiederaufführungen von INCEPTION (2010), zu dem wir euch hier unsere Kritik aus dem Jahr 2010 zur Anregung nochmals liefern.
Inception
(USA/UK 2010)
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page, Tom Hary, Marion Cotillard u.a.
Story: Es gibt eine aufregende neue Technik mit Namen Extraction: man bricht in die Träume Schlafender ein um so versteckte Informationen zu bekommen. Cobb (Leonardo DiCaprio) ist der Beste seines Fachs, der eines Tages vor eine noch unglaublichere Aufgabe gestellt wird. Mit einem noch weitaus schwierigerem Verfahren namens Inception sollen er und sein Team einen viralen Gedanken im Unterbewusstsein eines Klienten platzieren, damit dieser geschäftliche Konsequenzen für ihren Auftraggeber ändert. Für den Auftrag setzen Cobb, seine Traumarchitektin (Ellen Page), sein Spion (Tom Hardy), sein Informant (Joseph Gordon-Levitt), sein Chemiker (Dileep Rao) und sein Chef (Ken Watanabe) ihren Verstand aufs Spiel…
© Warner Bros.
Schon im Vorfeld wog sich die Laudatio auf Christopher Nolans neuen Film wie das Cape seines zweimaligen Nachtmahrs. „Inception“ wurde lauthals als der unbeschreiblichste Film des Jahres angekündigt. Schon die simple Rechnung: Regie vom „The Dark Knight“ Regisseur + Leonardo DiCaprio + 200 Millionen Dollar Budget machten 2009 jedem mit nur geringem Filmverständnis klar, dass „Inception“ einer der besten und aufregendsten Filme des Sommers, wenn nicht sogar des Jahres werden würde. Und das ist er. „Inception“ ist der beste Film des Jahres. Von „The Dark Knight“ sagte man 2008, es sei ein ungeheuer teurer, anspruchsvoller Crime-Thriller vom Niveau eines „Der Pate“ oder „Heat“, der nur zufällig mit Comic-Figuren bevölkert sei. Ein Comic-Film, der stilvoller, durchdachter, ernstzunehmender als sämtliche, meist auf reinen Popcornspaß abzielenden Action-Heftchenverfilmungen war. Ein, wie könnte man es dezent sagen, als Popcornfilm maskierter Anspruch. Was also, wenn Nolan die Masken weglässt und den direkten Weg wählt?
Die meisten Zuschauer werden mit perfekter Zufriedenheit aus seiner neuesten Vision gehen (wenn auch hauptsächlich, weil das Event-Filmjahr 2010 im Vergleich ausgesprochen schwach aussieht) und ihn als den eindrucksvollsten Film des Jahres in Erinnerung behalten. Es ist allerdings nahezu unmöglich, „Inception“ nicht großartig zu finden. Das beginnt schon bei der Besetzung. Wieder scharrte Nolan eine Gruppe Schauspieler um sich, deren geballtes Talent schamlos Bände sprengt, allen voran Leonardo DiCaprio. DiCaprio hat sein altes Teenie-Schwarm Elend längst abgelegt und sich zum konsequent großartigsten Akteur seiner Altersliga hochgespielt. Wie schon im frühjährlichen „Shutter Island“ spielt er auch hier wieder einen psychisch instabilen Charakter, der von schwerer Familientragödie gezeichnet ist und Gefahr läuft, seine Vernunft zu verlieren. Was geringer ausfällt, ist die eingebrachte Intensität. DiCaprio zügelt sich, seine vorherigen Figuren nicht zu imitieren und lässt seine neue weniger impulsiv, dafür durchdachter erscheinen. Gebannt folgt man ihm in die Untiefen verschiedener Traumstufen und da steht es außer Frage, dass er die ihm folgende Gruppe bemerkenswerter Talente nicht als Frontmann anführen sollte. Ellen Page, die schon in „Hard Candy“ und „Juno“ wunderbar heraus stach, gibt DiCaprios Cobb unerwartet Contra. Sie lässt sich von seiner Autorität nicht einschüchtern und verleiht ihrer weiblichen Rolle, die unter einem anderen Autor zur langweiligen Damsel in Distress degradiert worden wäre, trotz filigraner Zierlichkeit und mädchenhaften Aussehens Stärke und Persönlichkeit. Sie entkommt dem Rollentypus und ist eine intellektuell ansprechende Bereicherung. Ähnlich gut ist Joseph Gordon-Levitt, der zwar die meiste Zeit von den anderen getrennt bleibt, aber ideal ins Feld passt und sein Fachgebiet glaubhaft darstellt (ohne DiCaprio wäre er zweifellos die nächste Wahl der Hauptrolle gewesen) und eine haarsträubende, gravitationslose Kampfszene bekommt. Während Michael Caine, Cillian Murphy und Ken Watanabe (alles drei Gotham City Bewohner) wenig Eigenes, dafür gewohnte Klasse mitbringen, richten sich die Augen aller Filmfans auf Tom Hardy. Sein Gesicht kennt man am ehesten als miesen Gegenspieler Picards Shinzon in „Star Trek: Nemesis“, doch dem geläuterten Schatten ist er längst entkommen. Zeigte er sich im empfehlenswerten DVD-Titel „Bronson“ als wandlungsfähig und einnehmend, ist er hier primär als klarer Action-Held zu sehen. Er bekommt die meisten Actionszenen und überzeugt als charismatischer Mann fürs Grobe und lässt dadurch mit großer Euphorie in Richtung „Mad Max 4“ blicken – darin wird er den jungen Mel Gibson würdig vertreten.
© Warner Bros.
Drei Beschreibungen mag man zuvor gehört haben. Dass „Inception“ komplex, kompliziert und verwirrend sei. Dass er gewaltige Event-Action biete, und dass der Film ein Rätsel mit komplett offenem Ende sei, das man erst nach mehrmaligem Sehen verstehen könne. So in etwa trifft das zu, im Detail jedoch nicht. „Inception“ ist erst einmal ein Hochgenuss für jeden Filmfan intellektuelleren Kinos, der bei Filmen wie „Transformers“, „Hancock“ und „300“ bestürzt die Hand vor die Stirn schlägt. Stil über Substanz, Witz über Substanz, Gewohnheit, Sicherheit, Zugänglichkeit über Substanz. Substanz existiert, keine Frage, dann aber meist mit mickrigem Budget oder so mainstream-orientiert verpackt, dass die Farbspur des Anspruchs schnell verfliegt. „Inception“ bietet kein gehyptes 3D, dafür eine Handlung, die in mehreren zeitlichen und greifbaren Ebenen stattfindet. Die Story, von Regisseur Christopher Nolan selbst verfasst, ist komplex, jedoch nie besonders kompliziert und trotz der Ernsthaftigkeit kein staubtrockener Tobak (es finden sich sogar kleine Schmunzler im Stil der Bruce Wayne Szenen seiner „Batman“ Reihe). Es ist eine clevere, originelle Geschichte mit faszinierender Prämisse, die gekonnt überflüssiges ignoriert. Trotz futuristischer Technik wird nicht versucht, eine futuristische Welt darzustellen. Trotz Komplexität der Technik verrennt man sich nicht in Sci-Fi Elementen. Alles, was man zum Verständnis dieser und des Films benötigt, wird erklärt, deutlich und mit klaren Worten vorgetragen. Kommt man zu spät, passt man nicht auf oder verlässt man gar den Saal in entscheidenden Momenten, könnte es zwar durchaus der Fall sein, dass man später überhaupt nichts mehr vom Gesehenen versteht doch wer aktiv dabei ist und zuhört, was bei heutigen Ticketkosten niemanden zuviel abverlangt sein sollte, der dürfte sich mit Leichtigkeit durch die Wirren des Gezeigten finden.
Gleichermaßen verhält es sich mit dem Ende. Ist man den verständlich vorgegebenen Erklärungen gefolgt, scheint die abschließende Szene interpretationsfrei in eine Richtung zu zeigen – in eine zufrieden stellende. Freiraum für eigene Interpretationen bleibt dennoch, da es einem überlassen bleibt, kleine, große oder auch sämtliche Szenen des Films aufgrund seiner Thematiken in Frage zu stellen. Fakt ist, dass es kein klar tückisches Ende ala „Prince of Persia“ oder „High Tension“ gibt und Nolan sich nicht darauf stürzt, sein Spiel mit einem Megatwist zu erschüttern. Der Film ist weder Puzzle, noch Zauberzylinder mit Hasen darin. Da ist, was man sehen will (oder zu sehen meint), und diese individuelle Deutbarkeit des Stoffes unterstreicht einmal mehr, wie gut er als Regisseur ist.
Filmtechnisch ist sein Science-Fiction Großwerk eine Wucht. Der edel ausgestattete, teure Stoff wird auf internationalen Schauplätzen, in zusammengefalteten Städten und auch in schwerelosen Momenten mit einer angenehmen Dauerdynamik eingefangen, die ebenso wie die eingefangenen Motive beeindrucken. Bombastisch ist der Score, der die dröhnende Theme des Trailers aufgreift und mit tiefen Bläsern eine unheilvolle Kulisse schafft und Spannung peitscht. Vor allem im letzten Drittel wird es markant, wenn die Schicksale des Teams gegen die Zeit auf eine große Bedrohung zurutschen, was dann noch davon intensiviert wird, dass die Geschehnisse in den unterschiedlichen Ebenen unterschiedliche Zeiten lang dauern.Erwartungen drosseln sollte hingegen jeder, der sich von „Inception“ und den angedeuteten Möglichkeiten Schwerelosigkeit und beeinflussbaren Realitäten Action-Spektakel erhofft. Es ist kein neuer „Matrix“. Es ist „Memento“ mit gewaltigem Budget. Christopher Nolan versucht nicht, coole, aufregende Action zu inszenieren. Es gibt Zweikämpfe, Schießereien, Verfolgungsjagden, es gibt sogar eine ganze Partie, die so fast aus einem Bond Film oder einer „Call of Duty: Modern Warfare“ Verfilmung übernommen worden sein könnte, die gut gemacht ist, aber Nolans Auge interessiert sich nie für reines Spektakel. Es gibt kein Gepose, keine stilisierten Zeitlupen, keine Oneliner und keine sonstigen Vorkommnisse. Keine der Auseinandersetzungen steht für sich im Vordergrund; alles, was im Laufe der Handlung passiert, dient lediglich dem Dienste der Rollen. Eine Armee angreifender Soldaten auf Schneemobilen ist somit keine Ausrede, sehenswerte Gefechte zu zeigen (obwohl sich vor allem Tom Hardy in eben diesen hervorragend schlägt). Es ist eine Hürde, wie ein schwierig zu erklimmender Hang oder ein tiefes Gewässer, und als solche werden sie eingesetzt. Im gesamten Film gibt es somit keine Szene, die actiontechnisch an den Kampf Batmans gegen die Polizisten in seinem letzten Film herankäme. Das ist gewiss nicht negativ zu bewerten, da die Umstände, meistens der eilige Zeitkampf um das Erreichen neuer Ziele, ungemein spannend inszeniert sind. Der Schwachpunkt des Films findet sich woanders, südlich der Vernunft.
Trotz des geisteslastigen Handlung gibt es einen Fokus auf eine Herzensangelegenheit, die zwar eng mit Cobbs Psyche und geistiger Entwicklung verbunden ist, doch elementar gesehen muss man erneut an „Shutter Island“ denken. Cobbs Figur erlebt ähnliche Angelegenheiten wie Inselbesucher Teddy, hier wird es jedoch noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Die neue Michelle Williams ist Marion Cotillard, doch sie und ihre Figur passen nicht ganz. Sie ist nicht schlecht, doch ihre Rolle ist merklich flacher als andere und anstatt interessantes Mysterium ist ihr Auftreten im Laufe des Films stets das Schwächste und einzig Vorhersehbare. Hier verfehlt man es auch, die Gefühle passend zu transportieren, es fehlt echte Verzweiflung, rohe Emotionen, mitreißendes Mitleid. Cobbs Abgebrühtheit passt zum Rest, doch im Kern seines Antriebs könnte es emotionaler sein. Seltsam bleibt auch, wieso Pages Figur, die aufgrund ganz spezieller Fähigkeiten ins Team kommt, später niemals Gebrauch von diesen macht, um den anderen aus etwaig brenzlichen Situationen zu helfen. Überhaupt bleibt „Inception“ hinsichtlich kreativer In-Welt Möglichkeiten überraschend auf dem Teppich. Abgesehen von einer interessanten Demonstrationsszene hält man sich insgesamt sehr zurück und versteift, fokussiert sich größtenteils auf das Konstrukt der Träume und der Träumer, die sich darin aufhalten. Es gibt tolle Szenen, doch „Inception“ ist letzten Endes nicht der große Event-Film mit den Bildern, die man gesehen haben muss, kein Effekte-Film. Es ist der große Event-Film für den Kopf, den man gesehen haben muss. Nicht unbedingt bahnbrechend genial, aber genial jongliert, umgesetzt und packend gespielt.Fazit:
Fazit:
Durchdacht, clever und hervorragend umgesetzt. „Inception“ ist der beste Film des Jahres und lässt überlegen, dass ein Alfred Hitchcock, würde er 2010 leben und mit soviel Geld arbeiten können, ähnliches gemacht haben könnte.
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