BG Kritik: „Tenet“

27. August 2020, Manuel Föhl

Was ist TENET? So einfach erklären kann man das gar nicht und wollen wir auch nicht. Wir versuchen es trotzdem.

Tenet
(USA/UK 2020)
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: John David Washington, Robert Pattinson, Kenneth Branagh, Michael Caine, Elizabet Debicki u.a.

Weg mit dem Ballast des Jahres 2020. TENET soll die Zuschauer*Innen wieder ins Kino bringen und die Lichtspielhäuser retten. Der erste Blockbuster nach einem halben Jahr ohne größeren Publikumsmagneten. Doch Christopher Nolan selbst wollte diesen Schritt gehen und sah ihn als alternativlos. Zum Glück. Während Disney erstmal weiter auf seinen Streaming-Dienst setzt, terminiert Warner, Stand Jetzt, noch drei (inklusive diesem) größere Filme auf dieses Kinojahr. Für viele wird es wirklich der erste Film nach langer Zeit im Kino sein. Wo der Zauber des Kinos, einer Filmpräsentation in einem abgedunkelten, geschlossenen Raum nicht zum Horrorszenario mutiert, sondern in die Entführung in eine fiktive Welt. In der alles etwas anders läuft und, ganz wichtig, man noch nicht im Groben sich vorstellen kann, was man gleich sehen wird. Denn das ist das Schöne an TENET als Kino-Film: wenn der Vorhang sich öffnet, werden wir nicht in ein etabliertes Franchise zurückgeholt, mit bekannten Helden und vorhersehbarem Ausgang. Wer hier sein Hirn an der Kasse abgegeben hat, wird nach wenigen Minuten panisch dahinrennen (Maske nicht vergessen!), um es sich wieder zu holen. In den nächsten 150 Minuten gehen Staunen und Denken Hand in Hand. Ein Schritt ins Unbekannte, anstatt einfach das zu bekommen, was man will. Auch wir werden deshalb versuchen handlungstechnisch gar nicht so viel zu erwähnen. Womöglich ist TENET der Film, den die Zuschauer*Innen möchten, es aber nur noch nicht wissen. Und damit sind wir schon mitten im Film.

© Warner Bros.

Ein voll gefüllter Opernsaal erscheint uns heute gerade zu Paradox, doch bis wir darüber noch genauer nachdenken können, treibt der Film schon das Tempo des eigenen Pulses hoch und zieht einen direkt rein in den Film. Ein lautes, brachiales Sounddesign, fließende Kamerabewegungen und der pulsierende Score von Ludwig Göransson nehmen, eher schmeißen, einen direkt in den Film und lassen einen erst nach zweieinhalb Stunden wieder frei. John David Washington ist hier der Protagonist. Die Figur an der sich die Zuschauer halten können, der die Fragen stellt, die wir uns stellen, aber nicht immer so handelt, wie wir das tun würden. Eine starke männliche Hauptfigur ist von jeher der Anker von Nolans Filmen. Besonders Vergleiche, wie beim gesamten Film, drängen sich hier zu Leonardo DiCaprio in INCEPTION auf. Doch John David Washingtons emotionales Potential bleibt hier zuweilen auf der Strecke. Wir erfahren nicht viel bis gar nichts zu seinen Hintergründen und seiner Motivation. Er ist die Spielfigur des Films, die agieren muss. Er hat keinen emotionalen Anker, den er uns entgegen wirft. John David Washington legt seine Figur auch komplett anders aus, als wir das bisher aus Nolans Filmen kennen. Hier und da ein lockerer Spruch und dann doch wieder verletzlich und eiskalt zugleich. Mit seinem Spiel kitzelt er noch etwas aus seiner Rolle, was auf dem Papier womöglich gar nicht vorhanden ist. Zu sagen TENET sei Schauspielkino mag übertrieben klingen, doch nicht weniger wird dem führenden Ensemble um Washington, Robert Pattinson, Kenneth Branagh und Elizabeth Debicki gerecht. Sie spielen Figuren, die es so im Kosmos Nolans scheinbar schon gab, finden aber ganz andere Facetten an ihnen.

Nach langer Blockbuster-Abstinenz gibt hier Robert Pattinson ein Jahr vor seiner Bruce Wayne/Batman-Premiere einer der spannendsten Figuren ab. Mit einer Zurückgenommenheit und gleichzeitig einem Selbstbewusstsein, mimt er einen Charakter über den wir scheinbar am wenigsten wissen und doch zum Ende hin am meisten interessiert sind. Wenn man will ist er diesmal die Joseph Gordon-Levitt-Figur des Films, doch scheint er zuweilen entrückt. Über den Dingen zu stehen und eine Ruhe in das Ganze zu bringen, welches dem ansonsten treibenden Film einen reizvollen Gegenpol gibt. Dagegen steht Kenneth Branagh bei dem mir mal darüber hinwegsehen, dass er mal wieder einen Bösewicht mit russischem Akzent spielt, sondern uns viel mehr darauf konzentrieren, dass wir wohl selten in einem Nolan-Film eine so hassenswerte und eklige Figur vorgefunden haben. Wo ein Joker fasziniert, ekelt man sich vor seinem Andrei Sator. Ein Bösewicht, den man verlieren sehen will, der aber unnahbar wirkt. Gleichzeitig hat man auch wieder Christopher Nolan und seine Frauenfiguren. Ein gern diskutiertes Sujet, was auch hier wieder mehrere Meinungen hervorbringen wird. Debickis Kat wirkt lange Zeit schwach, wie nur ein kleines offensichtliches Puzzleteil für den Rahmen des ganzen Werks. Womöglich irritiert auch, wie sie als emotionaler Motivator für Washingtons Figur angeboten, aber nie etabliert wird. Nolan verschließt sich dadurch zum Glück erstmal erzählerischen Konventionen, findet aber gleichzeitig nicht einen klaren Gegentwurf dafür, was Elizabeth Debickis Charakter betrifft. Doch man mag ein Muster erkennen. Bei allen Figuren fehlt eine Schritt zur emotionalen Involvierung. Damit soll nicht der Mär Futter gegeben werden, Nolan könne keine Emotionen. In diesem speziellen Falle sieht er hierfür noch keinen höheren Stellenwert, und das muss man ihm nicht nur negativ ankreiden.

© Warner Bros.

Doch was kann der Film nun wirklich? Was liefert Christopher Nolan ab? Es ist natürlich das verschachtelte Labyrinth an Ideen und Konzepten, wie man es zu erwarten hatte, doch hier ist sein Konzept noch mehr Programm als es das bisher war. Das kann man positiv wie negativ zugleich sehen. Sein Film hat bei 2 1/2h Länge kaum ein Gramm Fett. Man wird von Minute 1 durchgepeitscht ohne Leerlauf. Keine Szene, keine Einstellung, kein Dialog ist hier überflüssig. Dabei folgt Nolan aber auch genauso stur seiner Idee, erklärt sie ohne zum Erklärbär zu werden, lässt Zuschauer im Dunkeln tappen, nur um sie später wieder abzuholen. Doch wenn man die Kategorien narrative-driven oder character-driven an diesen Film anlegen möchte, wird man bei beiden nicht weit kommen, denn hier ist man viel mehr concept-driven. Das heißt aber nicht, dass der Film auf seiner figürlichen oder narrativen Ebene nicht funktioniert, diese beiden Punkte unterliegen nur mehr einem anderen, für Nolan, wichtigeren Punkt. Was dabei genauso wenig auf der Strecke bleibt ist seine Inszenierungsgewalt. Das Sounddesign wurde ja bereits erwähnt, aber auch sonst ist das hier noch Kino in seiner Reinkultur. Und ja das liegt auch vor allen Dingen daran, dass hier noch viel vor der Kamera echt ist. Zuletzt machte schon der Bericht die Runde, dass der Film unter 300 Einstellungen mit Effekten hat. Franchise-Crowdpleaser wie AVENGERS: ENDGAME (2019) hatte über 2000, während Nolan in seiner Filmographie selbst bei Filmen wie BATMAN BEGINS (620), INCEPTION (500) oder THE DARK KNIGHT RISES (450) auch bereits schon mehr aufwies. Und das spürt man am Ende auch zu jeder Sekunde. Der Film entwickelt eine selten gesehen Wucht, die eine Kulmination aus all diesen Versatzstücken ist. Dabei beweist Christopher Nolans auch eines. Nimmt man ihm einer seiner wichtigsten Handwerker, so kann er diesen mehr als gleichwertig ersetzen.

Don’t try to understand it. Feel it!

Hans Zimmer und Christopher Nolan. Das war eigentlich ein unzertrennliches Duo seit der Dark Knight-Trilogie. Für Nolan präsentierte der Frankfurter immer wieder neue Ideen und wagte sich in klangliche Territorien und versuchte musikalische Skizzen, die man so sonst wenig bis gar nicht in Blockbustern zu hören bekam. Doch für TENET sagte er ab und ließ sich von Denis Villneuve zu DUNE locken. Doch mit Ludwig Göransson hat Nolan wohl nicht nur ädaquaten, sondern den perfekten Ersatz gefunden. Göransson ist filmmusikalisch, was seine Instrumentierung oder generell den Klang seiner Kompositionen betrifft, noch schwer einzuordnen. Hört man sich THE BLACK PANTHER an, so ist dieser wiederum ganz anders als THE MANDALORIAN oder CREED instrumentiert. Denn wie Zimmer und eben Nolan, arbeitet auch Göransson ganz klar mit einem klanglichen Konzept, was sich mehr am Gesamtwerk, denn einzelnen Leitmotiven orientiert. Erst durch diese Herangehensweise verschmelzen Bild und Ton hier zu einem. Ist die Musik mehr als Untermalung. Sie ist ein weiteres gleichwertiges Instrument den/die Zuschauer*In am Ball zu halten und mitzuziehen. Orchestralpuristen werden sich dabei die Zehennägel aufrollen, doch bei einem so durchgetakteten Film funktioniert auch nur eine solch durchgetaktete Musik.

Fazit:

TENET ist großes Blockbuster-Kino mit Hirn, welches dazu einlädt wieder und wieder geschaut zu werden. Der Film offenbart mal wieder Christopher Nolans große Inszenierungsstärken, doch auch seine kleinen Schwächen, die sich hier, mal mehr mal weniger, deutlich zeigen.

8,5/10

Jetzt haben wir gar nichts zur Handlung erzählt, zum zeitlichen Aufbau des Films und mehr über Figuren als über Action gesprochen. Wieso? Weil TENET von jedem mit so wenig Vorkenntnis wie möglich gesehen werden sollte. Und wer ihn gesehen hat, kann seine (spoilerfreie) Meinung im Filmthread kundtun oder mit uns im Spoilerthread zum Film diskutieren.

© Warner Bros.

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