Die BG Schocktober Halloween Filmtipps (Teil 1)

28. September 2019, Christian Westhus


Der Sommer ist vorbei, der Herbst erhält Einzug. Die Tage werden kürzer, das Wetter ungemütlicher und die Temperaturen niedriger. Mit dem „Schocktober“ beginnt ein Monat, der häufig als Grund genutzt wird, zahlreiche Horrorfilme zu gucken, bis der ganze Spuk an Halloween seinen Höhepunkt findet und man sich langsam auf weihnachtliche Besinnlichkeit einstellt. Bei BereitsGesehen wollen wir die düsteren Wochen nutzen, um unheimliche und unheilvolle Filmtipps vorzustellen. Über die kommenden Wochen hinweg stellt die BG Redaktion eigens ausgewählte Horrortipps, spukige Klassiker und vergessene Highlights des Schaurigen vor.

Christian Westhus‘ Empfehlungen:
Man wird nie müde zu betonen, dass Horror nicht gleich Horror ist. Genau darin liegt aber bekanntlich auch der Reiz des Genres; diese Vielseitigkeit, Flexibilität und das endlose Potential zu gruseln, zu verstören und zu erschrecken. Horror kann Spaß machen, kann einen unterhaltsamen Schrecken auslösen, kann aber auch tief berühren und noch lange nach Filmende beschäftigen. In Letzterem liegt für mich persönlich der größte Reiz, wenn der Spuk effektiv und effektvoll mit menschlichen Schicksalen verknüpft ist. Es kann ohne Zweifel eine gewisse Freude sein, wenn persönlichkeitsarme sexgeile Teenager durch ein Feriencamp oder eine Kleinstadt gejagt und gemeuchelt werden, doch der effektivste Horror ist einer, der sich immer auch ein wenig in einem selbst einnistet und festsetzt. In diesem Sinne – und im Versuch, nicht ausschließlich die größten Klassiker abzugrasen, diese aber auch nicht komplett unerwähnt zu lassen – nun erste 7 Halloween-Horrorfilmtipps. (Teil 2 | Teil 3)

(C) Fox, Disney

Alien: Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt – Alien (1979)
R: Ridley Scott | Mit Sigourney Weaver, Tom Skerritt, John Hurt
Man kennt das: da befindet man sich auf seinem interstellaren Transportfrachtschifft und wird plötzlich wegen eines irgendwie aufgeschnappten Notsignals aus dem Hyperschlaf gerissen, nur um der Sache auf den Grund zu gehen und sich dabei einen gleichermaßen tödlichen wie monströsen blinden Passagier an Bord zu holen. – Was muss oder kann man über den unsterblichen und meisterhaften Klassiker „Alien“ noch sagen? Ein Meisterwerk, welches aus guten Gründen seit vier Jahrzehnten populär ist, ewig einflussreich bleiben wird, unzählige Nachahmer inspiriert hat und noch immer regelmäßig ganz weit vorne steht, wenn es um die besten Horrorfilme aller Zeiten geht. Wer eine Liste von Horror-Filmtipps anschaut und noch nie „Alien“ gesehen hat, sollte das spätestens am darauffolgenden Abend hinter sich gebracht haben. Und wer „Alien“ bereits kennt, sollte den Film auch ein zweites (oder drittes/viertes/zwölftes/fünfundzwanzigstes) Mal anschauen.
(Zurzeit bei Netflix verfügbar.)

(C) SLM Production Group, Fox, Disney

Die Fliege – The Fly (1986)
R: David Cronenberg | Mit Jeff Goldblum, Geena Davis
Vielleicht das beste Remake aller Zeiten? Andererseits ist „Die Fliege“ so gut, da der Film – bzw. Macher David Cronenberg – quasi kein Interesse an seiner Identität als Remake hat. Vom 1958er Film bzw. von der Kurzgeschichtenvorlage nimmt Cronenberg nur die Grundidee und entwickelt sie zu einem ganz eigenen Untier und Wunderwerk zugleich. „Die Fliege“ ist einerseits klassischer Cronenberg „Body Horror“; ein Experiment mit ungeahnten Komplikation und Ausmaßen für den menschlichen Körper, technisch noch immer beeindruckend inszeniert, dazu mit Howard Shores essentieller Musik unterlegt. Doch Cronenberg ist weitaus mehr als „Mr. Body Horror“ und ist selbst in seinen Blut- und Schleimphasen stets auf mehr aus als auf bloße Schockeffekte. „Die Fliege“ ist eine menschliche Tragödie. Es ist wissenschaftliche Hybris, ja, aber es ist auch ein beklemmendes Liebes- und Beziehungsdrama. Seth Brundles (Jeff Goldblum) Verschmelzung mit und drohende Transformation zu einer Fliege wurde im Laufe der Jahre auf vielfältige Weise allegorisch interpretiert; HIV, Drogen, Arbeitswahn, Transsexualität etc. Doch egal aus welcher Perspektive man das horrende Schicksal von Dr. Brundle verfolgt, der menschliche Kern (inklusive der wunderbaren Darsteller) gibt der Körperlichkeit dieses technisch außerordentlichen Metamorphosenhorrors eine unvorstellbare emotionale Note. „Ich tue dir weh, wenn du bleibst“, heißt es in einer Dialogzeile. Und es ist keine Drohung.
(Zu kaufen/leihen bei nahezu allen bekannten Anbietern.)

(C) Universal Pictures

The Others (2001)
R: Alejandro Amenábar | Mit Nicole Kidman, Fionnula Flanagan, Alakina, Mann, James Bentley
Das Geisterhaus-Gruseldrama von Alejandro Amenábar ist einer der unterschätztesten Filme der letzten 20 Jahre. „The Others“ ist außerdem unmöglich zu beschreiben, denn das Script verlässt sich gänzlich darauf, dass man unvoreingenommen an die Sache herangeht und die Dinge so wahrnimmt, wie sie präsentiert werden. Es ist das frühe 20. Jahrhundert auf der britischen Insel Jersey, wo Grace (eine sensationelle Nicole Kidman in einer ihrer besten Rollen) das Landanwesen ihrer Familie zusammenhalten und sich um ihre beiden Kinder kümmern muss, während ihr Mann, der Vater der Kinder, auf dem europäischen Festland im Krieg ist und seit Wochen kein Lebenszeichen gen Heimat geschickt hat. Drei neue und etwas seltsame Haushaltshilfen kommen hinzu, die lichtsensitive Krankheit der Kinder wird zum Problem und dann verhärtet sich der Verdacht, dass irgendwelche fremden Geräusche und Stimmen durchs Haus geistern. „The Others“ hat vielleicht kein derart dynamisches Finale wie die Filme der „Conjuring“ Reihe, doch die Spannung und Atmosphäre ist mit den Fingern zu greifen und entfaltet sich zu einem so viel reizvolleren und befriedigenderem Ganzen.
(Aktuell bei Amazon Prime verfügbar.)

(C) Toho

House – Hausu (ハウス) (1977)
R: Nobuhiko Ôbayashi | Mit Kimiko Ikegami, Miki Jinbo u.a.
Beschreibungen sind überflüssig. Und unmöglich. „Hausu“ ist die japanische Version eines Haunted House Films, dabei gleichermaßen ernsthafter Versuch, Hommage, Parodie und Pop-Art Variation. Ob diese Elemente zusammengestellt Sinn ergeben, sei mal dahingestellt, doch etwas wie diesen Film hat man noch nicht gesehen und wird man auch nicht wieder sehen. Zu einzigartig, schrill und im besten Sinne absurd ist das, was Werbefilmer Nobuhiko Ôbayashi hier zusammenschmeißt. Die junge Oshare versucht den Verlust ihrer verstorbenen Mutter zu verstehen und besucht mit sechs Freundinnen (die gloriose Namen wie Fanta, Mac und Melody tragen) ihre Tante in dessen Landhaus. Der Haken? In dem Haus spukt es und/oder die Tante ist eine Art Hexe. Der Katze sollte man nicht trauen, der Wassermelonenverkäufer hatte noch gewarnt, der Brunnen ist tief und was am und im und mit dem Piano passiert, kann man beim besten Willen nicht in Worte fassen. „Hausu“ ist sowohl als halbernst gemeinter Gruselfilm und auch als visuell hyperschrille Parodie/Komödie ein ganz besonderer Fall und nicht für jeden. Doch die Einzigartigkeit und der schiere Einfallsreichtum machen diese wunderbar unterhaltsame Wundertüte aus westlichen und fernöstlichen Horrortropen mehr als sehenswert.

(C) Emmepi Cinematografica, Alta Vista

Die 3 Gesichter der Furcht – I tre volti della paura (auch bekannt als „Black Sabbath“) (1963)
R: Mario Bava | Mit Boris Karloff, Michèle Mercier, Jacqueline Pierreux
Die Horroranthologie von Mario Bava ist ein erklärter Lieblingsfilm von Quentin Tarantino. Drei gruselige Geschichten, drei Erzählungen von menschlicher und übernatürlicher Rache, von Bava in seiner typischen und wunderbaren Art aus extravaganten Sets, expressiver Farbgestaltung und effektiver Kameraarbeit inszeniert. Zuerst wird eine Frau von einem Telefonanrufer terrorisiert, der droht, sie zu töten. Es ist eine Art Giallo, ganz klassisch. Vielleicht. An Bavas eigene „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ und „Die toten Augen des Dr. Dracula“ erinnert der Mittelteil: Darin wird eine Familie vom Wurdalak heimgesucht, einer besonderen Art des Vampirs, der es auf das Blut derer abgesehen hat, die ihm am nächsten stehen. Und am Ende, beim kürzesten (und besten) Teil, stielt eine Frau von den Toten und wird heimgesucht. Oder hat sie nur ein schlechtes Gewissen? Empfohlen wird natürlich die originale italienische Fassung, nicht die US-Version, die Dialoge verfälschte, die Musik austauschte, Sequenzen umschnitt und sogar die Reihenfolge der Geschichten vertauschte. Die tolle deutsche Blu-ray beinhaltet übrigens beide Fassungen.

(C) Columbia Pictures

Fluch des Dämonen – Night of the Demon (1957)
R: Jacques Tourneur | Mit Dana Andrews, Peggy Cummins, Niall MacGinnis
Echte Dämonen oder nur ausgemachter Schwindel? Doctor Karswell will ein altes Buch in Runenschrift entschlüsselt haben. Darin: Beschwörungsformeln für Hexerei und Dämonen. Ein erstes Opfer gibt es bereits, denn der eitle und arrogante Karswell fühlte sich herausgefordert. In England folgen Professor Holden und Joanna Harrington der Spur des Opfers und der vermeintlichen Magie Karswells. Holden ist ein Psychologe und Skeptiker, für den jede Form von Aberglaube und Übersinnlichkeit mit Trickserei, Wahnvorstellungen, Hypnose und Zufällen erklärt werden kann. Ist Karswell also ein Magier, ein echter Hexer? Oder ist er nur ein talentierter Illusionist mit mörderischem Machtkomplex? Denn eines ist sicher, wer Karswell herausfordert, hat bald Probleme. Unter der Regie von Allrounder Jacques Tourneur wird aus einem vermeintlichen 50er B-Movie ein wunderbar vielschichtiges Psychoduell um Suggestion und Aberglaube. Tourneur wird gerne unterschätzt, obwohl er u.a. mit „Cat People“, „Ich ging mit einem Zombie“ und „Goldenes Gift“ gleich mehrere Klassiker geschaffen hat. Seine Regie und der wunderbar exzentrische Niall MacGinnis als Karswell machen „Fluch des Dämonen“ zu einem gleichermaßen altmodischen wie effektiven Grusel, der behutsam erzählt ist, in seinen (zugegebenermaßen wenigen) Spannungsszenen – zu denen auch eine Séance gehört – aber dennoch punkten kann. Ja, den originalen „Cat People“ hätte man an dieser Stelle auch nennen können, doch nur „Night of the Demon“ besitzt die „It’s in the Trees! It’s Coming!“ Zeile, die von Kate Bush in ihrem Lied „Hounds of Love“ gesampelt wurde. Und damit hat dieser Film zumindest bei mir auf ewig einen Stein im Brett.

(C) Canal+, Columbia

Mulholland Drive (2001)
R: David Lynch | Mit Naomi Watts, Laura Harring, Justin Theroux
Ist „Mulholland Drive“ wirklich ein Horrorfilm? Ist das überhaupt relevant, wenn die Gestalt hinter dem Diner schon nur aus der Erinnerung heraus eine Gänsehaut auslöst, wenn die Sequenzen im Club Silencio unheimlicher und verstörender sind als die meisten „echten“ Horrorfilme? David Lynch hat natürlich kein Interesse an klaren Genres und Genregrenzen. Lynchs Horror ist ein surreales und doch explizit persönliches Grauen, eine bewusste und unterbewusste Wahrnehmungsverzerrung, immerzu gekoppelt an ein komplexes Drama. Das Drama um die junge Betty (Naomi Watts) führt diese nach Hollywood, wo sie groß rauskommen will, doch sie gerät an eine Frau mit Amnesie, kann als Schauspielerin in Rollen schlüpfen und erhält eine mysteriöse blaue Box. Parallel dazu erhält ein Regisseur (Justin Theroux) Druck von Geldgebern, die das Casting seines Films beeinflussen wollen. Ein Cowboy tritt auch noch auf. Gerade in Gemeinschaft – so sich denn alle darauf einlassen – entwickeln Lynchs (Alb-)Traumkulisse, seine unnachahmliche Bild- und Klanglandschaft, sowie seine gezielt irreguläre Erzählweise eine ganz eigene Faszination. Jeder sollte wissen, was sich hinter der Mauer am Diner befindet. Jeder sollte die „Llorando“ Sequenz mindestens einmal mit Kontext gesehen haben. Ganz egal ob Horror oder „nur“ ein unheimliches Drama, „Mulholland Drive“ ist ein absolutes Meisterwerk.
(Aktuell bei EntertainTV in der Flat.)

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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