Filmfestivaltagebuch (aktuell: 18. Zürich Filmfestival)

Presko

Well-Known Member
Vielen Dank für deine Eindrücke, @Presko. Du besprichst hier echt innerhalb einer Woche mehr Filme, als das ganze Forum in einem Jahr. :thumbsup:
Freut mich, wenns ein paar Leute auch was damit anfangen können. Für mich ist's super, sonst wäre die Gefahr schon recht gross, dass die einzelnen Filme in der Masse relativ schnell wieder verschwinden würden.

Er hat in einer Woche auch einfach mal mehr Filme geguckt, als ich in einem Jahr konsumiert bekomme. :ugly:
Ja Du, die zehn Tage müssen dann ja auch fast für ein Jahr reichen. So oft gehe ich ja sonst auch nicht mehr ins Kino.:biggrin:

Mal schauen, zu ein paar Filmen möchte ich noch was schreiben, aber besonders viel kommt dieses Jahr nicht mehr:hae:
 

Presko

Well-Known Member
Ich biege auf die Zielgerade ein. Mit einem selbstkritischen Blick auf die schweizer Aussenpolitik während des Zweiten Weltkriegs. Einem Thrillerdrama aus Spanien, das gekonnt mit der Erwartungshaltung des Publikums spielt. Und schliesslich noch einem Drama aus Marokko, der die Liebe in all ihren Facetten feiert.


DER BLAUE KAFTAN

Der schönste Liebesfilm des diesjährigen ZFF's würd ich dieses marokkanische Drama von Regisseurin Maryam Touzani nennen.

Sie erzählt dabei von dem traditionellen Schneider Halim und seiner Frau Mina, die gemeinsam in einer marokkanischen Altstadt ihr Geschäft führen. Halim stellt dort zeremonielle Kaftane in traditioneller Handarbeit her. Dabei weigert er sich standhaft, maschinelle Hilfsmittel einzusetzen, auch wenn seine Kundinnen sich immer wieder beschweren, weil die Arbeit an ihren Gewändern jeweils so lange dauert. Während Mina eine starke, eher resolute, aber auch lebensfrohe Frau ist, zeichnet Halim eine grosse Ruhe und Introvertiertheit aus.

Mina bleibt nicht verborgen, dass sich ihr Mann zu ihrem jungen Gehilfen Youssef hingezogen fühlt, was in ihr feindselige Gefühle gegenüber dem jungen Mann weckt. Gleichsam versucht sie im Kleinen ihrer Ehe neues Leben einzuhauchen. Doch dann erkrankt Mina schwer und ist bald nicht mehr in der Lage ihre Wohnung zu verlassen. Während sich Halim aufopferungsvoll um seine Frau kümmert, sehnt er sich gleichsam nach Youssef's Nähe.

Was mir an LE BLEU DU CAFTAN besonders gefallen hat, ist diese ganz besondere würdevolle Figurenzeichnung, die ihm zu eigen ist und dem Film ein besonders Flair verleiht. Insbesondere in den Szenen zwischen Halim und Mina gelingen der Regisseurin wunderbare Momente intimer Vertrautheit. Nicht ganz so gelungen fand ich die Inszenierung von Halims homosexuellem Begehren. Hier werden zu oft allzu vertraute Bilder benutzt und auch die Darstellung wirkt ein wenig prüde. Auch Youssef bleibt als Figur leider zu blass.
Was den Film allerdings besonders auszeichnet ist die Tatsache, dass er die beiden Beziehungen, also die Liebe Halim's zu seiner Ehefrau und seine Liebe zu Youssef nicht gegeneinander ausspielt. Dass Halim homosexuell ist, bedeutet nicht, dass seine Liebe zu Mina nicht aufrichtig und tief empfunden ist, was der Film in vielen ergreifenden Szenen darstellt. Insofern ist LE BLEU DU CAFTAN eben ein sehr wahrhaftiger Film über die Liebe in all ihren Facetten.

8/10



AS BESTAS (THE BEASTS)

AS BESTAS ist ein stark gespieltes Thrillerdrama-Kleinod aus Spanien, das sich viel Zeit nimmt, Spannung aufzubauen, um dann die Erwartungen des Publikums gekonnt zu unterlaufen.

Das französische Ehepaar Vincent und Olaga haben sich in einem kleinen Dorf in Galicien Land gekauft um dort biologischen Landbau zu betreiben und die Ruinen alter Landhäuser für Tourist:innen wieder zu renovieren. Von einigen Einheimischen, insbesondere ihren Nachbarn, wird das Ehepaar angefeindet. Den Dorfbewohnern liegt nämlich das Angebot einer grossen Firma vor, das ihnen ihr Land abkaufen will, um dort Weinen Windpark zu errichten. Für viele der Bewohner:innen, die im Dorf am Rande zur Armut leben, eine grosse Chance auf eine Verbesserung des Lebensstandards. Doch dafür müssten alle dem Verkauf zustimmen, und eben gerade das neu zugezogene Ehepaar aus Frankreich, weigert sich dies zu tun. Im weiteren Verlauf nehmen die Spannungen zwischen Vincent und seinen Nachbarn immer weiter zu. Doch Vincent ist nicht bereit, einzulenken.

Es ist weniger der Plot der überraschend verläuft, als mehr die Tatsache, wie Regisseur Rodrigo Sorogoyen geschickt mit dem Spannungsaufbau hantiert und immer wieder Erwartungen weckt, mal erfüllt und dann eben wieder bewusst unterläuft. Das funktioniert eben auch, weil wir es hier nicht mit einem klischeehaften Genrefilm zu tun haben, sondern mit einem sehr realistischen Porträt eines innergesellschaftlichen Konfliktes, in dem alle Figuren gleichsam ernst genommen werden und ihre Handlungen weitestgehend nachvollziehbar dargestellt werden. Das ganze ist zudem verdammt gut gespielt und schön bebildert.

7.5/10



A FORGOTTEN MAN

A FORGOTTEN MAN war der einzige Schweizer Film, den ich am Festival gesehen habe. Thematisch fand ich den Ansatz schon mal hochinteressant. Der Film spielt im Mai 1945 nach der Kapitulation der Nazi's. Der Schweizer Botschafter in Berlin, Heinrich Zwygart, kehrt in die Heimat in sein Familienanwesen zurück. In Berlin musste Zwygart so manchen schwierigen Kompromiss mit den Nazi's eingehen, um die Interessen seiner Regierung zu vertreten. Zurück in der Heimat wird er von seiner Familie liebevoll empfangen. Nur sein Vater, ein alter Militär, steht ihm und seinem politischen Wirken mit Skepsis gegenüber. Zwygart plant bereits seine politische Zukunft in der Schweiz und erwägt eine Bundesratskandidatur. Doch dann kommt es anders als erwartet. Denn mit dem Sieg der Alliierten hat sich auch an der politischen Ausrichtung der Schweiz einiges geändert, und nun gilt es, sich nach aussen hin als treue Verbündete der Alliierten zu verkaufen. Und in diesem Bild hat der ehemalige Botschafter in Berlin keinen Platz mehr.

Gleichsam wird Zwygart zurück zu Hause von Visionen eines jungen Mannes verfolgt. Diese haben ebenfalls mit seiner Zeit in Berlin zu tun und einer Schuld, die er sich da aufgeladen hat.

Der in schwarz-weiss gedrehte Schweizer Film wurde von einem älteren Theaterstück namens „Der Gesandte“ inspiriert und den Theaterbezug merkt man dem Film durchaus auch an. So beschränkt sich der Handlungsort weitestgehend auf das Familienanwesen der Zwygart's. Hauptdarsteller Michael Neuenschwander macht seine Sache gut und bringt sowohl die selbstbewusste, eitle Seite seines Botschafters, als auch dessen Zweifel und moralische Zerrissenheit gut rüber. Mit den Dialogen ist es wie so oft in Schweizer Filmen, und sind in ihrer Qualität recht schwankend. Es gibt aber ein paar richtig starke Momente, gerade auch wenn Zwygart seine ehrliche Meinung über die Schweizer Politik während des 2. Weltkriegs zum Besten gibt oder von seiner Begegnung mit Adolf Hitler erzählt und dabei gegenüber einem begeisterten Hitler-Fan deutlich macht, wie eigentlich armselig ihm damals der Führer in Wahrheit erschienen ist.

Und so ist der Film auch genau dann am stärksten, wenn er diese kritische Perspektive auf die Schweizer Politik von damals in den Fokus rückt. Weniger interessant hingegen ist der Versuch, Zwygart's Schuldgefühle mit den filmischen Mitteln des Grusel- und Mysterygenres filmisch aufzubereiten. Da wirds dann auf plumpe Weise effekthascherisch, ohne damit eine grosse Wirkung zu entfalten, oder dem Film inhaltlich einen Mehrwert zu verleihen.

6.5/10
 

Presko

Well-Known Member
So, und jetzt noch die letzten beiden Filme, bevor ich das Forum dann für ein Jahr lang wieder mit meinen Festivalerfahrungen in Ruhe lasse:clap:
Ein Blick zurück nach England zur Zeit der konservativen Thatcher-Regierung und wie sich deren Politik auf das Leben von Homosexuellen ausgewirkt hat. Dann noch ein visuell wunderschöner Dokumentarfilm über die Verfolgung der Falun Gong - Anhänger:innen in China.

BLUE JEAN

Das englische Drama der Regisseurin Georgia Oakley spielt im Nordengland Ende der 80er Jahre während der Thatcher-Regierungszeit. Die Regierung hat gerade ein Gesetz verabschiedet, das Homosexuelle schwer stigmatisiert. Davon betroffen ist auch Jean, eine junge Sportlehrerin, die eine lesbische Liebesbeziehung führt. Während sie im Privaten einen relativ offenen Umgang mit ihrer Homosexualität lebt, hält sie diese Seite von sich bei der Arbeit weiterhin versteckt. Durch das neue Gesetz könnte ihr nun sogar der Jobverlust drohen, würde es ans Licht kommen.
Noch schwieriger wird für Jean die Lage, als sich eine ihrer Schülerinnen als homosexuell zu erkennen gibt und schliesslich auch in eben jener Lesbenbar auftaucht, wo auch Jean mit ihren Freundinnen rumzuhängen pflegt..

Oakley zeichnet mit eher kühlen Bildern ein authentisches Bild der 80er Jahre und insbesondere auch der damaligen Homosexuellenszene. Das Spannungsfeld, in dem sich Jean befindet, ist für das Publikum stets nachvollziehbar, ob man mit ihren späteren Entscheidungen nun immer einverstanden ist oder nicht. Möglich wäre das nicht ohne die Hauptdarstellerin, Rosy McEwen, welche mit einer ebenfalls auf den ersten Blick eher kühlen Darstellung eine äusserst vielschichtige Darbietung gibt. Stärke, Distanziertheit gehen Hand in Hand mit Verletzlichkeit und dem Bedürfnis nach Nähe und Liebe. Dabei verzichten Oakle und McEwen auf unnötige Dramatisierungen. Die Spannung brodelt stets unter der Oberfläche und natürlich kommt es immer wieder zu kleineren Erosionen, doch die grosse emotionale Katharsis, die man vom Hollywoodkino gewöhnt ist, versagen sie dem Publikum.

8/10



Eternal Spring

Und zuletzt noch ein paar Worte zu dem insbesondere stilistisch überragenden Dokumentarfilm ETERNAL SPRING vom kanadischen Regisseur Jason Loftus.

Der Film handelt von der Verfolgung der spirituellen Gruppierung Falun Gong in China. Dabei konzentriert er sich insbesondere auf eine Gruppe, der es im März 2002 gelungen ist, das chinesische Staatsfernsehen zu hacken, und für einen kurzen Zeitraum ihre der chinesichen Regierung gegensätzlichen Perspektive auf die Bewegung Falun Gong in die chinesischen Haushalte zu senden. Die Folge dieser Aktion war eine noch heftigere Verfolgungswelle, welche viele Verhaftungen sowie eine grosse Flüchtlingswelle von Falun Gong-Anhänger:innen nach sich zog. Einer der Geflüchteten ist der Comic-Künstler Daxion, der mittels der Animation die Geschichte von Geflüchteten dokumentiert. Mit ihm zusammen hat Jason Loftus nun die Geschichte der Gruppe, welche hinter der Aktion vom März 2002 steckte, in einen zu grossen Teilen animierten Dokumentarfilm verwandelt.

Insbesondere visuell ist das fantastisch umgesetzt und holt einen sofort ab. Die Bilder von Daxion transportieren Gefühle und Atmosphäre auf eine ganz eigene Art und Weise.

Weniger gut gefallen hat mir der Ansatz des Films, sich mehrheitlich auf die Aktion vom März 2002 und ihre Folgen zu fokussieren. Über viele Minuten hinweg erzählt der Film einfach nach, wie sich diese Gruppe von Menschen gefunden hat, wie sie die Aktion planten und schliesslich durchführten. Das ist allerdings nur leidlich spannend und durch den engen Fokus auch irgendwie als Dokumentarfilm wenig ergiebig. Über die Bewegung selbst, ihren Stand in der chinesischen Gesellschaft, das Funktionieren des repressiven Apaarates und die Menschen erfahren wir wenig. Dass das chinesische System repressiv ist, bei seiner Verfolgung brutal vorgeht, dürfte dem Publikum schon vor dem Film bekannt gewesen sein, weswegen auch das Nacherzählen brutaler Verhörmethoden nur wenig Mehrwert bietet.

Ein paar Mal erwähnt Daxion, dass er selbst anfangs den Aktivisten vom März 2002 kritisch gegenübergestanden habe, weil er sie für die folgende Verfolgungswelle, wegen der er und viele andere fliehen mussten, zumindest mitverantwortlich machte. Dieser äusserst spannenden ethischen Frage geht der Film allerdings leider auch nicht näher nach.

Am stärksten ist der Film dann, wenn er sich mit der inneren Zerrissenheit der Exilanten auseinandersetzt, welche darunter leiden, nicht mehr im Heimatland leben zu können. Die schönste Szene zeigt, wie Daxion einem Exilianten seine Zeichnungen von seiner Heimatstadt zeigt und beim Betrachten in beiden Männern Erinnerungen an früher wieder wach werden.

7/10

 

Noermel

Well-Known Member
Bei TTT kam gerade ein Bericht über Girl Gang schade dass du den nicht gesehen bzw bewerten konntest.

 

Presko

Well-Known Member
Europa
vonSudabeh Mortezais

Beate Winter (Lilith Stangenberg) ist für einen Konzern namens Europa in einer ruralen Community Albaniens unterwegs. Nicht nur bewirtbt sie dort ein spezielles Stipendienprogramm für junge Studentinnen und lässt sich über die Probleme der Gemeinde aufklären, nein, vor allem ist sie hier, um einige Farmer davon zu überzeugen, ihr Land an ihren Konzern abzutreten. Doch diese, obwohl in armen Verhältnissen lebend, weigern sich dickköpfig und weisen alle Angbote mit Verweis auf ihre Tradition zurück.

Nicht zufällig heisst der titelgebende Konzern in Sudabeh Mortezais Film Europa. So kann die ganze Geschichte als eine Metapher auf die Integrationsproblematik ärmerer, traditioneller Regionen der EU verstanden werden, mit ihrer Problematik unterschiedlicher Entwicklungen, ungleicher Verteilung von Wohlstand und unterschiedlicher Werte.

Insbesondere in der ersten Hälfte kommt der Film wie ein Dokumentarfilm daher. Wir folgen Beate Winter auf ihrer Reise durch die Community und beobachten sie in ihren durch Dolmetscher übersetzte Gespräche mit den Einheimischen. Das wirkt alles absolut realistisch und glaubwürdig, und die Konflikte und Widersprüche werden nach und nach auf differenzierte Weise immer klarer herausgeschält. Die moderne Europäerin, welche mit leicht überheblichem Blick den Menschen Geld verspricht, damit sie sich modernisieren und ein besseres Leben führen können, ohne Verständnis für die Traditionen und Werte der Menschen aufzubringen. Die Leute vor Ort wiederum sind so starr in ihren Traditionen verwurzelt, dass sie zumindest aus unserer Perspektive fast nicht in der Lage sind, die rationalen Argumente der Fremden nüchtern entgegenzunehmen.

Obowohl in dokumentarisch, nüchternem Stil gehalten ist das sehr spannend, gerade auch weil der Film die Lebenswelt der Leute so glaubwürdig porträtiert. Im letzten Drittel kriegt der Film dann noch eine weitere Ebene und die Frage, was für Ziele verfolgt dieser Konzern eigentlich, tritt ein bisschen in den Vordergrund. Eine unerwartete Wendung lässte einen plötzlich erahnen, dass der bis dahin so philanthropisch auftretende Konzern evtl. düstere Absichten hegt.

Lilith Stangenberg, die ich ein paar Mal im Theater gesehen habe, als sie noch Ensemblemitglied am Schauspielhaus in Zürich war, wirkt anfangs ein bisschen überfordert. Ihr Englisch ist nicht perfekt, ihr Auftreten etwas hölzern und unsicher. Doch im weiteren Verlauf merkt man dann, dass das durchaus so gewollt sein dürfte, und sie entpuppt sich nach und nach als ein Wolf im Schafspelz. Das Ende hat dann durchaus auch einen gewissen Punch und lässt einen wütend aber auch etwas hilflos zurück. Und die Tatsache, dass für mich der Film noch gerne zehn-fünfzehn MInuten länger hätte sein dürfen, spricht für ihn.


Mimang​

von Taeyang Kim

Zwei ehemalige Schulfreunde, ein junger Mann und eine juge Frau, treffen zufällig auf den Strassen Seouls wieder aufeinander. Sie entscheiden sich ein paar Minuten miteinander zu gehen und unterhalten sich dabei über ihr Leben. Jahre später treffen sie sich nach der Beerdigung eines Freundes wieder. Insgesamt sind es drei solche immer ählich ablaufende Treffen in Seoul, denen wir als Zuschauer in Mimang beiwohnen. Natürlich erinnert diese Ausgangslage an Richard Linklaters Before-Trilogie, doch ist Mimang sehr viel zurückhaltender und ruhiger. Vieles bleibt in dem Film unausgesprochen und Gefühle werden weniger über das Gesprochene als über die Atmosphäre proijeziert.
Bei seiner Weltpremiere am TIFF wurde der Film bereits sehr positiv aufgenommen und ich kann das sehr gut verstehen. Es ist ein ruhiger, sehr sanfter, melancholischer Film, doch er braucht auch eine Bereitschaft des Publikums, sich auf ihn einzulassen.
Im Q&A mit dem Regisseur im Anschluss an den Film wurde wieder klar, wieviel Rafinesse in der auf den ersten Blick eher simplen Inszenierung drinsteckt - insbesondere was Farbgebung und Ton anbelangt.

Für mich war es weniger eine Liebesgeschichte, als ein Film über Vergänglichkeit, über die Veränderungen sowie das Gleichbleibende im Leben, über die Vergänglichkeit. Trotzdem empfand ich ihn, ehrlich gesagt, auch ein wenig langweilig. Das kann aber auch daran gelegen haben, dass ich einfach recht müde war und im falschen State of mind.

 

Presko

Well-Known Member

In the Land of Saints and Sinners​

von Robert Lorenz

Finbar ist ein irischer Auftragsmörder (Liam Neeson), der sich nach seinem letzten Auftrag zur Ruhe setzen will. Lieber will er sich einem friedlichen Ruhestand widmen, in dem kleinen irischen Küstenörtchen, wo er lebt. Einen Garten pflanzen, mit seiner Nachbarin anbändeln - solche Sachen eben Doch dann begegnet er Curtis einem Fremden, der scheinbar die lokale Kneipenbesitzern, eine alleinerziehende Mutter, und deren Tochter das Leben schwer macht. Aus Sorge um das Wohlergehen des Mädchens entscheidet sich Finbar, noch einmal zur Waffe zu greifen und den Fremden verschwinden zu lassen. Er ahnt nicht, dass es sich bei Curtis um einen IRA-Terroristen handelt, der sich unter anderem mit seiner Schwester auf der Flucht befindet. Und diese sinnt auf blutige Rache, als sie erfährt, dass ihr Bruder umgebracht wurde.

Ein irisches Thrillerdrama über Gewalt, Schuld und Sühne - mit Liam Neeson in der Hauptrolle - hört sich doch toll an. Und auf jeden Fall schaut es wunderschön aus. Toll gefilmt, weiss Regisseur Robert Lorenz die wunderschöne Landschaft Irlands einzufangen. Auch sonst ist die Inszenierung wirklich toll gelungen. Auch die Schauspieler, darunter so einige irische Charaktermimen, macht Freude.

Leider kann der Film auf inhaltlicher Ebene nicht mithalten. Die eigentliche Handlung ist dünn und konstruiert und die Figuren sind geradezu ärgerlich schlecht gezeichnet.
ich meine, alleine schon Finbar. Der hat, ich weiss nicht, wieviele Leute kaltblütig umgebracht, und doch ist er der nette, empfindsame Opa, der für alle nur das Beste will. Zwar will er mit dem Töten aufhören, aber natürlich, wenn er sieht, dass ein kleines Mädchen Blutergüsse aufweist und der vermeintliche Versuchaer dieser auch noch blöd rumflucht, bleibt ihm ja nichts anderes übrig, als diesen umzubringen. Logisch, klar. Gleichzeitig aber freundet er sich im Verlauf des Films mit einem Killer an, der mit einem Grinsen auf dem Gesicht davon erzählt, wie er schon Frauen hingerichtet hat, oder wie er lachen musste, wenn seine Opfer vor ihm um ihr Leben flehten.

Auch bei seiner Gegenspielerin Kerry Condon kann sich das Script nicht entscheiden, ob man sie jetzt als psychopathische, bösartige Killerin oder als harte Kämpferin, mit dem Herz am rechten Fleck zeichnen will. die in einer Spirale der Gewalt gefangen ist. Ich meine, Graubereiche in der Figurenzeichnung samt Widersprüchlichkeiten sind super. Aber am Ende muss es eben doch ein stimmiges Ganzes geben. Aber diese Figuren sind einfach unglaubwürdig gezeichnet.
Das Ende empfand ich geradezu als Frechheit.



El rapto​

von Daniela Goggi

Nachdem Sturz der Militärdiktatur kehrt Julio Ende der 80er wie andere Exilanten hoffnungsvoll in sein Heimatland Argentinien zurück. Zurück zu Hause fängt er in der Investmentfirma seines Vaters an, die sein Bruder präsidiert. Doch dann wird sein Bruder entführt. Julio ist es, der schliesslich, den Entführern das Lösegeld übergibt. Doch als sein Bruder auch Tage nach der erfolgreichen Übergabe nicht freigelassen wird, entscheiden sich Julio und die Frau seines Bruders, sich an die Regierung zu wenden. Doch immer mehr wird Julio klar, dass sowohl die argentinische Polizei als auch der Staatsapparat trotz dem Ende der Diktatur noch noch einen langen Weg bis zum Rechtsstaat und Demokratie vor sich haben. Der Kampf um seinen Bruder wird für Julio dann immer mehr zum nicht enden wollenden Albtraum.

Daniela Goggis stilsicher inszeniertes Drama, in dem mehr geraucht wird, als gefühlt in allen Staffeln Mad Men zusammen, ist ein intensives Politdrama mit einem grossartigen Hauptdarsteller.Rodrigo de la Serna spielt seine Rolle beklemmend intensiv, und lässt den Zuschauer schmerzlich Zeuge am Zerfall seiner Figur werden. Allerdings hilft es, wenn man etwas Ahnung von der Geschichte Argentiniens mitbringt, da HIntergründe und Entwicklungen oft kaum erklärt werden und gewisse Entwicklungen nicht ganz leicht verständlich sind.

 
Zuletzt bearbeitet:

Presko

Well-Known Member

Blackbird Blackbird Blackberry​

von Elene Naveriani

In einem ländlichen Dorf Georgiens führt die alleinstehende 48 jahre alte Etero einen Kosmetikartikelladen. Nach einem beinahe-Unfall während ihrer Lieblingsbeschäftigung - dem Blaubeerenpflücken am Fluss - beginnt sie eine Affäre mit ihrem Lieferanten Murman. Nur zögerlich lässt sich Etero auf weitere Treffen mit dem verheirateten Murman ein, der ihr immer weider seine Liebe schwört (in diesem Moment läuft grade die Hauptdarstellerin an mir vorbei und bedient sich beim Desinfektionsmittelspender).
Im weiteren Verlauf beobachten wir, wie sich Etero ganz langsam ihrer Umwelt gegneüber öffnet, und lernen mehr über ihre Geschichte kennen. Der Film ist voller trockenem Humor, mit einer ebenso kämpferischen, dickköpfigen wie auch verleztlichen Heldin, die man als Zuschauer:in schnell ins Herz schliesst. Ein toller Film mit einem überraschendem und rührenden Ende, das einen noch eine Weile lang über die Figur Eteros nachdenken lässt, und wie es wohl für sie weiter gegangen ist, nachdem der Film zu Ende ging.



A Little Prayer​

von Angus MacLachlan

Der für mich bisher emotional bewegendste Film des Festivals ist A Little Prayer. Darin spielt David Strathairn Bill, einen Firmenbesitzer, Vietnamveteranen, Ehemann und Vater zweier inzwischen erwachsener Kinder. Sein Sohn David arbeitet bei ihm im Unternehmen und wohnt mit seiner Frau Tammy auf dem Grundstück der Eltern. Bill hat seine Schwiegertochter Tammy besonders ins Herz geschlossen. Die beiden sitzen oft morgens zu zweit beim Frühstück und tauschen sich über dies und das aus.
Als Bill erfährt, dass David eine Affäre hat, macht er sich grosse Sorgen und weiss nicht recht, was er nun tun soll. Der Sohn geht seinen Gesprächsversuchen aus dem Weg. Und wäre das nicht genug, taucht eines Tages auch noch plötzlich Tochter Patti mit ihrer kleinen Tochter auf, nachdem sie sich mit ihrem Mann heftig gestritten hat und von zuhause ausgezogen ist. Bill plagen nicht nur Sorgen um seine erwachsenen Kinder sondern auch Zweifel an ihm als Vater. Immer weiter drängt ihn sein Bedürfnis den Kindern zu helfen, dazu etwas zu unternehmen.

In den ersten Minuten könnte man das Gefühl haben, die xte typische Indie-Tragikomödie hier vorgesetzt zu bekommen. Doch damit tut man dem Film unrecht. Denn es gibt ein entscheidendes Merkmal, das den Film sehr von anderen ähnlich gelagerten Dramen abhebt und das ist die Perspektive. Nämlich die eines alternden Vaters, der hilfllos mitansehen muss, wie seine inzwischen erwachsenen Kinder mit dem Leben hadern. Regisseur Angus MacLachlan, der auch das Drehbuch geschrieben hat, arbeitet das wunderbar präzise heraus und hat mit seinem ganzen Cast, zuvorderst aber David Stratham und Jane Levy das perfekte Ensemble dafür gefunden. Das Ende ist vielleicht dann einen Ticken rührselig. Aber bis dahin, gibts da nix dran auszusetzen.

Mandoob​

von Ali Kalthami

In seinem Filmdebüt schickt Regisseur Ali Kalthami seinen Protagonisten Fahad Nassi auf einen gefährlichen Trip. Fahad hat gerade seinen Job im Callcenter verloren und hat nun nur noch seinen Job als nächtlichen Kurier zum Geldverdienen. Dabei ist er dringend auf das Geld angewiesen, da er damit seinen kranken Vater und seine alleinerziehende Schwester unterstützt. Als er eines Tages bei seinem Kunden einen anderen Kurier trifft, der mit illegalem Whiskey dealt und sieht, wieviel dieser dafür bekommt, verfolgt er kurzerhand den Dealer und raubt schliesslich dessen Lager aus. Fortan versucht er selbst den Whiskey an den Mann zu bringen. Doch die ursprünglichen Besitzer sind ihm schon auf den Fersen.
Manoob ist eine Mischung aus Komödie, Thriller und Drama und man merkt ihm recht gut an, dass es sich um einen Debütfilm handelt. Das Timing stimmt noch nicht so ganz. Für ein Drama fehlt die emtionale Wucht, für eine Komödie das Tempo und für den Thriller die Spannung und Suspense. Der Film ist schön gefilmt und vor allem toll gespielt, dennoch bleibt alles ein wenig belanglos.

 

Presko

Well-Known Member

Slow​

von Marija Kavtaradze

Die Tänzerin Elena lernt eines Tages bei einem Tankurs für gehörlose Jugendliche den Gebärdensprachdolmetscher Dovydas kennen. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Doch dann erklärt ihr Dovydas überraschend, dass er asexuell sei und kein sexuelles Verlangen empfinde. Für Elena, in deren Leben Sinnlichkeit und Sexualität eine grosse Rolle spielen ein kliener Schock. Trotzdem entscheiden sich die beiden, miteinander eine Beziehung einzugehen und es zu probieren. Obwohl es auf der Gefühlsebene keine Zweifel gibt, wie sehr sich die beiden lieben, kommt es immer wieder zu Unsicherheiten, Missverständnissen und schliesslich auch Konflikten im Bezug auf ihren Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität.

Das littauische Liebesdrama der Drehbuchautorin und Regisseurin Marija Kavtaradze, welche in einem ausführlichen Q&A dem Publikum noch lange Rede und Antwort stand und offen über ihre Unsicherheiten im Bezug auf den Stoff, die Geschichte und ihre Hauptfiguren sprachen, besticht durch seinei natürlichen, oft sehr witzigen Dialoge, die grossartige Chemie seiner Hauptdarsteller:innen und sein sinnlicher Umgang mit Körperlichkeit. Obwohl ich den Film nie als Komödie beschreiben würde und er eigentlich auch gar kein einfaches Thema behandelt, fühlt sich der Film über weite Strecken sehr leichtfüssig an, und es wurde mehr gelacht, als in so mancher Komödie. Und trotzdem geht dabei die Komplexität des Themas, der Figuren und ihrer Gefühlswelt zu keinem Zeitpunkt unter. Der Film nimmt seine Figuren sehr ernst und es gelingt auf grandiose Weise die Figuren und ihre Konflikte spürbar und nachvollziehbar zu machen, ohne dass sie ellenlang in Dialogen ausgebreitet werden.
Ganz stark!



Fremont​

von Babak Jalali

Seit acht Monaten lebt die Afghanin Donya in der US-Kleinstadt Fremont in direkter Nachbarschaft mit anderen Afghan:innen zusammen. Sie ist über ein Spezialvisa nach dem amerikanischen Abzug aus Afghanistan in die USA evakuiert worden, weil sie zuvor als Dolmetscherin für das Militär tätig gewesen war und in Afghanistan ihr Leben bedroht wäre.Sie arbeitet in einer Glückskecksfabrik, wo sie schliesslich zur Autorin der Glückskeckstexte aufsteigt. Donya leidet unter Schuldgefühlen und Einsamkeit und besucht regelmässig einen Psychiater, um so zu ihren Schlaftabletten zu bekommen. Eine Arbeitskollegin, mit der sie sich angefreundet hat, ein leicht schräger Psychiater, der ihr ständig vom Roman Wolfsblut vorschwärmt, ein Restaurantbesitzer mit einer liebe für arabische Soaps und andere schräge Figuren bevölkern ihre melancholisch gefärbte Umgebung.
Von seiner Machart und vom Ton erinnert der in schwarz weiss gedrehte Film Fremont an Filme wie Nebraska oder Lonesome Jim, thematisiert dabei aber ein hochaktuelles Thema. Leider bleibt der Film aber gerade in dieser Hinsicht etwas zu oberflächlich. Wo der Film hingegen wahnsinnig Spass macht, ist in der Einbettung seiner verschiedenen mal mehr mal weniger skurrillenFiguren. Die sind alle auf ihre Weise wahnsinnig liebenswert und stets präzise gezeichnet. Da überrascht es dann auch nicht, dass das Ensemble spielfreudig sein Bestes gibt. Leider entscheidet sich der Film im letzten Akt Fremont und die Figuren hinter sich zu lassen, indem er Donya auf einen kleinen Roadtrip zu einem Blinddate schickt. Schliesslich wird der Film in einer charmanten Girl-meets-Boy-Szenerie aufgelöst. Das ist liebevoll-schrullig, aber auch irgendwie für das zugrundeliegende Thema fast zu harmonisch und harmlos und es ist einfach auch schade, dass die ganzen liegewonnenen Nebefiguren keine Rolle mehr spielen. Trotzdem insgesamt hatte ich wahnsinnig viel Freude an dem Film.



Hors-saison​

von Stéphane Brizé

Der französische Filmstar Laurent flieht in ein Kurort irgendwo an der französischen Küste, nachdem er aus Panik das Theaterprojekt verlassen hatte, mit dem er eigentlich sein Theaterdebüt geben wollte. Geplagt von ständigen Selfieanfragen und Designkaffeemaschinen, die er nicht zu bedienen weiss, verkriecht er sich in Selbstmitleid suhlend am liebsten in seinem Zimmer. Doch dann meldet sich plötzlich Hélène bei ihm, mit der er früher zusammen war und die er vor fünfzehn Jahren, als es mit seiner Karriere richtig losging, verlassen hat.
Die beiden treffen sich und schnell entflammen die alten Gefühle füreinander wieder neu, obwohl sie wissen, dass es keine Zukunft für sie als Paar gibt, weil sie beide ihre Partner, Helene sogar Familie hat.
Narzistischer Filmstar in der Midlifecrisis meets nette Frau, die als Klavierlehrerin arbeitet und mit Selbstzweifeln über ihren Lebensweg hadert.
Das hört sich etwas schablonenhaft an, ist es im Grunde auch. Dazu kommt eine formal recht strenge Inszenierung. Gerade wenn ich den Film mit Slow vergleiche, muss ich sagen, dass Hors-Saison in Sachen Intimität zwischen den Figuren, und Chemie zwischen den Darsteller:innen nie an Slow herankommt. Er ist definitiv toll gespielt, insbesondere Alba Rohrbacher als Helene fand ich ganz toll. Etwas undankbarer ist die Sache für Guillaume Canet, der den narzistisch angehauchten Laurent spielt. Diese Figur wird von Brizé leider so wenig sympathisch eingeführt, dass man nicht so richtig mit ihm mitfühlen mag, bzw. gar nicht recht versteht, was die liebenswürdige Hélène überhaupt an ihm findet.
Es gibt einige wirklich sehr tolle Einzelszenen. Bspw. gibt es ein mehrminütiges Interview mit einer alten Frau, die Hélène als ihre beste Freundin beschreibt, in dem Hélène sie über ihr Leben und vor allem Liebesleben ausfragt. Denn die alte Frau hat erst nach dem Tod ihres Ehemannes entschieden, dazu zustehen, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt und erst so ihre "wahre Liebe" gefunden. Eine ganz tolle Szene, wobei ich fast glaube, dass es sich dabei um ein richtiges Interview handelte - wenn nicht, ist das etwas vom schauspielerisch fantastischsten, was ich je gesehen habeo, so authentisch wirkt das. Dann gibt es gegen Ende noch einen Monolog von Hélène, der mich sehr berührt hat. Den Inhalt will ich hier nicht verraten, der ist aber ebenso stark geschrieben, wie vorgetragen.

Ansonsten ist der Film immer dann am stärksten, wenn er sich auf das Krerieren von melancholischer Stimmung konzentriert. Das Meer, die Küste, die Klippen, die Musik von Vincent Delerm, der Nebel und die guten Schauspieler harmonieren in den Momenten perfekt zusammen und man möchte sich in diese wohlig-melancholisch Melange regelrecht reinlegen.

 

Revolvermann

Well-Known Member
Sind ja wieder ein paar interessante Filme vorhanden.
Ärgere mich immer wieder das hier in der Nähe sowas nicht stattfindet.
 

Presko

Well-Known Member

Fair Play​

von Chloe Domont

Fair Play ist eine Mischung aus Beziehungsdrama und Beziehungsthriller sowie Satire mit scharfem Blick auf die Themen Gender, Machtbeziehungen, toxische Männlichkeit und toxisches Arbeitsumfeld. Kompetent inszeniert, stark gespielt und vor allem flott erzählt wird einem dabei auch nie langweilig. Zudem schafft es der Film durch eine gewisse Ambivalenz in der Darstellung des zunehmenden Beziehungskonflikts und dem Hin- und her im Machtgefüge zwischen Emily und Luke so etwas wie Komplexität aufrechtzuerhalten.

Zur Story: Emily und Luke arbeiten beide als Finanzanalysten bei einer grossen Finanzfirma. Dass sie ein paar sind und zusammenwohnen halten sie von ihren Kollegen und Kolleginnen sowie ihrem Arbeitgeber geheim, da es gegen den Unternehmenskodex verstossen würde. Trotzdem hält Luke eines Abends bei einer Feier um Emilys Hand an, welche den Antrag auch annimmt. Kurz darauf wird einer ihrer Vorgesetzten entlassen. Emily hört das Gerücht, dass Luke die Beförderung bekommen soll, doch dann erhält sie überraschend den Job, und Luke muss von nun an unter ihr arbeiten.

Von da an nehmen die Spannungen zwischen Emily und Luke immer mehr zu. Zwar betont Luke immer wieder, dass er sich für sie freut und nicht eifersüchtig sei, dennoch ist es augenscheinlich, dass ihm ihre Beförderung zusetzt. Doch auch Emily verändert sich durch ihren neuen Job, wenn sie etwa versucht gegenüber ihren neuen Kollegen von der Firmenleitung als Gleichgestellte aufzutreten, indem sie mit ihnen den Stripclub besucht und bei frauenverachtenden Anekdoten höhnisch mitlacht. Trotzdem scheinen beide, sowohl Luke als auch Emily durchaus zu versuchen, ernsthaft die Situation irgendwie so zu managen, dass ihre Beziehung gerettet werden kann. Bis dahin könnte man durchaus für den Film argumentieren, dass er dank dieser Ambivalenz zu Diskussionen anregt. Man könnte den Plot auch folgendermassen zusammenfassen: Charakterlich hässliche Menschen tun sich in einem moralisch verkommenen Umfeld hässliches an und ziehen sich damit gegenseitig in den Abgrund.

Im letzten Drittel kippt die Erzählung allerdings und diese Ambivalenz für einen Film m.it klarer Botschaft gegen toxische Männlichkeit und für die Ermächtigung von Frauen geopfert. Das Ende nimmt dann recht absurde Wendung, die auch noch äusserst fragwürdig ist. Allerdings eben nicht auf eine Weise, die Diskussionen anregt, sondern eher verunmöglicht, da die Botschaft plötzlich ganz klar ist.




Tatami​

Von Guy Nattiv, Zar Amir

Für die iranische Judoka Leila schaut es an den Judo-Weltmeisterschaften nach den ersten beiden Kämpfen richtig gut aus. Zuhause verfolgen Familie und Freunde das Turnier übers Fernsehen und feuern sie begeistert an und auch ihre Trainerin, Maryam, steht hinter ihr. Doch dann meldet sich plötzlich der iranische Judoverband bei ihr und ihrer Trainerin und verlangt im Auftrag der Regierung, dass Leila aus dem Wettbewerb aussteigt, weil man nicht will, dass sie gegen ihre israelische Kontrahentin antritt. Doch Leila weigert sich. Das Regime setzt sowohl die Kàmpferin wie auch die Trainerin in der Folge immer weiter unter Druck, um sie doch noch zum Aufgeben zu bewegen, und bedroht sogar deren Familien.

Mit Guy Nattiv und Zar Amir wurde der Thriller unter iarnisch-israelischer Co-Regie gedreht. Eine Art Kammerspiel in Schwarz-weiss. Die Prämisse und Ausgangssituation sind schon mal mega interessant, und dem Film gelingt es wunderbar, eine zermürbende Atmosphäre aufzubauen und das Gefühl der Bedrohung aufzubauen, ohne, dass wahnsinnig viel passieren muss. Eine Schwäche besteht vielleicht darin, dass es nie so ganz klar wird, was genau nun für die Kämpferin, die Trainerin, das Team und deren Familien eigentlich auf dem Spiel steht. Geht es wirklich um Leben und Tod, setzt Leila bewusst das Leben so vieler Menschen aufs Spiel oder geht sie davon aus, dass nur ihr eigenes in Gefahr ist? Das wird nicht so ganz eindeutig klar und erschwert es daher dem Publikum ihre Handlungen und Entscheidungen zu beurteilen.


 

Presko

Well-Known Member

How to Have Sex​

by Molly Manning Walker

Der Film, der bisher den längsten und heftigsten Nachhall bei mir hinterliess. Tara, Skye und Em, drei 17-järhige Britinnen reisen nach Griechenland um so richtig durchzufeiern. Party, Alkohol, Spass und nicht zuletzt eben Sex. Vor allem für die noch jungfräuliche Tara soll es nun zum ersten Mal soweit sein. Da kommt es ganz gelegen, dass ihre Hotel-Nachbarn ebenfalls aus einer dreiköpfigen Gruppe trinkfester Partygängern besteht, mit denen sie sich die folgenden Nächte um die Ohren schlagen. Doch was als oberflächlicher Spass beginnt, wird für Tara nach und nach zu einer immer brutaleren Erfahrung, insbesondere als sich ihr einer der Nachbartypen immer mehr aufzudrängen versucht und sie sich immer wieder in Situationen und Konstellationen wiederfindet, in denen Druck auf sie ausgeübt wird.

Molly Mannings Walker's Regiedebüt ist brutal authentisch, intensiv und beeindruckend subtil. "Subtil" hört sich natürlich in diesem Kontext vielleicht etwas merkwürdig an. Denn oberflächlich gesehen ist an der ganzen Szenerie wenig subtil. Da wird gesoffen, rumgegrölt etc. Auch Tara ist alles andere als ein Unschuldslamm, gibt sich als grossmäuliges und selbstbewusstes Partygirl, tut so, als ginge es hier nur um Spass, Saufen und Sex. Doch schon in der ersten Filmhälfte, in der sich Manning Walker dem Zurschaustellen dieser ausschweifenden übersexualisierten Partykultur (Ballermann lässt grüssen) widmet, streut sie auch immer wieder kleine feine Beobachtungen ein, die aufzeigen, dass sich eben unter dieser Oberfläche insbesondere bei Tara - aber auch bei den anderen - ganz viel Unsicherheit verbirgt und der Wunsch nach Zuneigung und Verbundenheit der eigentliche Antrieb ist. Das Partyleben wirkt nur kurz wirklich ausgelassen und spassig. Als Zuschauer kommt man nicht darum herum (zumindest ging es mir so) bald das Gefühl zu haben, dass das alles eigentlich mehr Arbeit wie Arbeit als Erholung wirkt, wie sie sich jeden Tag nach jedem Suff wieder aufraffen müssen, um sich wieder sexy anzuziehen und wieder auszugehen, obwohl sie doch eigentlich kaputt und völlig ausgelaugt sind.

In der zweiten Filmhälfte spielt dann vor allem aber auch die Sprachlosigkeit eine wichtige Rolle. Tara, die sich mehr und mehr unwohl fühlt und Grenzüberschreitungen erlebt, ist nämlich nicht in der Lage dies zu äussern, nicht einmal ihren besten Freundinnen gegenüber. Dieses Gefühl der Bedrängnis und Hilfosigkeit weiss Manning Walker als auch ihre Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce in beeindruckender Weise zu transportieren. Mit zunehemnder Laufzeit wird dieses Gefühl auch für das Publikum immer bedrückender und nur zu gern würde man vom Kinositz aufstehen und ins Geschehen eingreifen. Umso stärker wirken dann auch die immer mal wieder kurz eingestreuten Momente, sanfter Zwischenmenschlichkeit, wenn für einen Moment dieser ganze Druck in den Hintergrund rückt und sich Figuren kurz auf authentische Weise näher kommen.

Insgesamt ein wirklich unheimlich beeindruckendes Spielfilmdebüt, das lange nachhallt und unbedingt auch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich genau in dieser Welt bewegen, wie es Tara tut, geschaut und besprochen werden sollte.

 

Presko

Well-Known Member

Maestro (oder: Bradley Cooper will unbedingt, wirklich unbedingt einen weiteren Oscar)​

von Bradley Cooper

Bradley Coopers neuestes Werk als Regisseur, Mitdrehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller ist dieses Biopic über den amerikanischen Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein und seine Ehe mit der Schauspielerin Felicia (Carey Mulligan), mit der er drei Kinder hatte. Insbesondere seine anhaltenden Affären mit anderen Männern stellen die Ehe auf eine harte Probe.

Die erste Hälfte des Films ist recht klassische Biopic-Kost, was seine Struktur anbelangt. Famos inszeniert rast der Film Stationen im Leben Bernsteins, seiner Karriere und vor allem seiner und Felicias Beziehung durch. In Schwarz-Weiss, unterlegt von wilden Szenenübergängen, spektakulären Kamerafahrten, pompösem Score und anderen Spielereien wie etwa einer Musicalszene.

Als es sich der Fokus dann auf das kriselnde Eheleben der beiden verschiebt, wird das Bild farbig und das Tempo etwas gemächlicher. Wobei Ausstattung, Score und Kamera natürlich weiterhin gerade zu perfekt sind, vielleicht zu perfekt, weil darunter Authentizität und Natürlichkeit ledien.

Cooper wurde vor der Veröffentlichung für seine Nasenprothese kritisiert. Die Maske spielt tatsächlich im Film eine grosse Rolle. Insbesondere die Maske für den alten Bernstein ist wirklich, wirklich beeindruckend. Die Sache deutet aber auch schon ein Problem an. Maske, Stimme, Manierismen, Körperhaltung etc. alles auf den Punkt und beeindruckend von Cooper rübergebracht. Doch bei all der grossartigen Imitation geht das menschliche verloren. Warum dieser Bernstein von allen geliebt wird, auch von seiner Ehefrau trotz aller Probleme bis zum Schluss, bleibt irgendwie unklar. Wenn dann am Ende eine echte Aufnahme von Bernstein beim Dirigieren über die Leinwand flimmert, ist in dessen Blick so viel mehr Emotionalität und Tiefe als Bradley Cooper, der in fast jeder Szene raucht, sie im ganzen Film zu transportieren weiss.
Und das wird noch deutlicher im Angesicht seiner grossartigen Leinwandpartnerin Carey Mulligan. Die ohne grosse Maske so viel mehr rüberbringt. Mit Blicken, dem verziehen eines Mundwinkels. Sie ist wirklich fulminant. Und das obwohl ihr das Drehbuch nicht wahnsinnig viel zur Hand gibt. Maestro gibt vor, dass der Film ebenso von Felicia handle wie von Leonard Bernstein, aber in Wahrheit ist Felicia in der zweiten Fimhälfte über weite Strecken einfach die eifersüchtige vergrämte Ehefrau. Die unter dem ausschweifenden Lebensstil des Künstlergenies zu leiden hat. Zwar wirft sie ihm an einer Stelle allerhand weitere Sachen vor, aber das wird vom Film nie mit Szenen unterfüttert. Genausowenig, warum sie beide dann eben doch so aneinanderhängen, wie es der Film vorgibt.

So bleibt es bei einem inszenatorisch famosen, zeitweise überbordernden, durchwegs überambitionierten, gut bis grossartig gespielten Film, der inhaltlich allerdings sehr oberflächlcih bleibt und gerne viel mehr wäre, als er wirklich ist.


 

Presko

Well-Known Member

Melk​

von Stefanie Kolk

Nachdem Robin eine Totgeburt erlitten hat, produziert ihr Köper trotzdem Milch, welche sie abzupumpen beginnt. Mit ihrem Partner zusammen entscheidet sie sich nach einer Weile die Milch beim Krankenhaus zu spenden, für Mütter, die selber keine oder zuwenig Multermilch produzieren. Doch aufgrund einer lange zurückliegenden Infektionskrankheit wird sie als Spenderin abgelehnt. Robin macht sich nun im Internet auf die Suche nach einer alternativen Möglichkeit ihre Milch zu spenden. Während sich die Flaschen mit Muttermilch immer weiter mehren, versucht Robin wieder Fuss im Leben zu fassen, Hilfe findet sie unter anderem in einer Schweige-Wandergruppe.

Das holländische Drama behandelt die zwischenmenschliche Kommunikation und Kommunikationsunfähigkeit auf subtile und bedächtige Art und Weise. Ohne viele Dialoge oder Emotionalisierung begleitet der Film eine Mutter bei der Verarbeitung ihres schweren Verlusts und der Unähigkeit von ihr und ihrem Umfeld darüber zu reden. Das präzise, zurückgenommene Spiel der Hauptdarstellerin als auch ein sehr gutes Auge für die kleinen zwischenmenschlichen Gesten zeichnen dieses ruhige, aber keineswegs langweilige besonders Drama aus.



Un amor​

von Isabel Coixet

Ich gebs zu, das neue Drama der spanischen Regisseurin Isabel Coixet hat mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Der Film handelt von der Dolmetscherin Nat, die hauptsächlich Interviews von geflüchteten übersetzt. Nat ist gerade eben in das abgelegene spanische Dorf La Escapa gezogen, wo in einem heruntergekommenen Haus lebt. Ihr gehässiger Vermieter reagiert genervt von ihren Hinweisen auf die Probleme im Haus und händigt ihr kurzerhand einen sichtlich schlecht zugerichteten Hund aus.
Auch das baufällige Dach ist er nicht bereit, zu reparieren. Doch dann taucht eines Tages Andreas auf, den alle im Dorf, den Deutschen nennen, ein grosser, dicker und äusserlich etwas dumpf daherkommender Typ. Er bietet Nat an, ihr das Dach zu reparieren, wenn er mit ihr schlafen darf. Natürlich lehnt sie sein Angebot zuerst ab, doch dann überlegt sie es sich doch anders. Tatsächlich repariert Andreas nach einem gemeinsamen Schäferstündchen auch tatsächlich ihr Dach und macht auch keinerlei weitere Annäherungsversuche. Bis Nat von sich aus eines Tages ihn aufsucht und eine Affäre beginnt. So beginnt eine merkwürdige Liebesbeziehung, über die bald das ganze Dorf spricht.

Ein Problem, das mich den ganzen Film über begleitete, waren die beiden Fragen, was will die Regisseurin mit dem Film eigentlich und vor allem, was geht in ihrer Hauptfigur vor. Warum benimmt sie sich so? Wieso bandelt sie mit diesem Andreas weiter an und was sind das für Dämonen, die sie gegen Ende immer stärker bedrängen? Ich erwartete darauf, irgedwann eine Antwort zu bekommen, doch wurde ich enttäuscht. Diese ganze Beziehung war zwar irgendwie durchaus interessant, aber auch sehr wenig unterfüttert. Dazu kommen einige klischeehafte Nebenfiguren und ein merkwürdiges Ende. Die schönsten Szenen sind jene zwischen Nat und ihrem Hund. Denn auch hier entwickelt sich langsam eine Liebesbeziehung zwischen den beiden. Welche Liebe nun genau titelgebend war, die zwischen Nat und dem Hund oder Nat und Andreas - who knows.
Kein schlechter Film, aber irgendwie am Ende für mich zu diffus und zu bedeutungsschwanger.

 

Presko

Well-Known Member

Green Border​

von Agnieszka Holland

Der in mehrere Akte aufgeteilte Film beginnt mit der Flucht einer syrischen Familie und einer Afghanin über die belarusisch/polnische Grenze. Dort werden sie von polnischen Grenzbeamten aufgegriffen, die sie gewaltsam wieder durch den Zaun nach Belarus drängen, von wo aus sie späte wiederum von den Grenzwächtern auf die polnische Seite gebracht werden. Dabei sind sie ständer Wilkür, Gewalt und Erniedrigung ausgesetzt.
Der zweite Akt widmet sich den polnischen Grenzbeamten, welche schon in ihrer Ausbildung eingebläut bekommen, kein Mitleid mit Migrant:innen und Asylsuchenden zu haben, diese seien blosse Waffen des belarusischen Machthabers und müssen bekämpft werden. Trotzdem setzen die Erfahrungen an der Grenze das gewaltsame Zurückschicken von Kindern und schwangeren Frauen auch einem der Beamten zu, der selber im Begriff ist frischer Vater zu werden. Der Dritte Akt wiederum konzentriert sich auf die Bemühungen von NGO's und Aktivist:innen, die zwar den Migrant:innen helfen wollen, dabei allerdings immer Gefahr laufen, in die Illegalität gedrängt zu werden. Eine Psychologin, die zufällgi eine geflüchtete Afghanin sowie den Sohn der syrischen Familie vom Anfang im Wald findet, wo sie nachts im Schlamm zu ertrinken drohen und zusehen muss, wie der Junge dann auch stirbt, entschliesst sich den Aktivist:innen anzuschliessen.
So wechselt der Film immer wieder die Perspektiven hin- und her und versucht ein möglichst komplexes Bild der Problematik zu zeichnen und die Grausamkeit, der die Migrant:innen an den europäischen Grenzen ausgesetzt sind, deutlich zu machen. Zu Beginn fühlt es sich so an, als habe die Regisseurin hier fast 1:1 Erfahrungsberichte von Migrant:innen, wie sie eben an der polnisch-belarussischen oder auch serbisch-ungarischen Grenze erleben und etwa vom Border Violence Monitoring zahlreich dokumentiert wurden. Böswillig könnte man ein wenig von Leidvoyerismus sprechen, positiver formuliert, dass man vom gezeigten Schrecken, der nun mal Realität und belegt ist, aufgerüttelt wird.
Umso weiter der Film voranschreitet und die verschiedenen Figuren und Handlungsstränge eingeführt werden, umso mehr wirkt der rote Faden etwas gar brüchig. Der Versuch eine zusammenhängende komplexe Geschichte zu schreiben, ist nur bedingt aufgegangen. Hier wäre ein klarerer Fokus wünschenswert gewesen. Teilweise kommen dann in der zweiten Hälfte auch noch tonale Unstimmigkeiten wie komisch eingestreuter Humor dazu und ein plötzlicher Hang zum White-Saviour-Stereotyp, wenn die Aktivist:innen immer mehr in den Fokus geraten.

Trotzdem war der Film für seine über 150 Minuten sehr spannend und mit Sicherheit nicht schlecht gemacht. Wer sich mit der Thematik nicht so gut auskennt, dem sei er schwer empfohlen.


Sleep​

von Jason Yu

In diesem äusserst kurzweiligen und gewitzten koreanischen Grusler geht es um ein junges Päärchen werdender Eltern. Er, Hyun-su, beginnt nachts im Schlaf ein immer merkwürdigeres Verhalten an den Tag zu legen. Zuerst murmelt er im Schlaf, dann kratzt er sich die Wange blutig oder läuft zum Kühlschrank und stopft rohes Fleisch in sich rein. Der Arzt attestiert ihm eine Schlafstörung und neben Schlafpillen gibt er dem jungen Ehepaar eine Broschüre mit verschiedenen Therapietips mit. Doch nichts davon schlägt an und Hyun-su's Verhalten wird immer extremer. Als dann das Kind zur Welt gekommen ist, macht sich seine Mutter, Soo-jin immer grössere Sorgen und fürchtet, er könnte im Schlaf dem Baby etwas antun.

Sleep ist ein irgendwie durch das sympathische Spiel der Hauptdarsteller:innen ein anfangs sehr liebenswürdiger Grusler, der aber dann plötzlich immer fieser wird und dann gegen Ende einen ziemlich Sprung in der Eskalationsschraube nimmt und plötzlich richtig abdreht. Wenn man da mitgehen mag, ist das eine wirklich kurzweilige und raffinierte Achterbahnfahrt. Ich jedenfalls hatte Spass.


Transition​

von Jordan Bryon, Monica Villamizar

Der New York-Times-Reporter und Afghanistanberichterstatter ist einer der wenigen Medienschaffenden, der auch nach dem Abzug der USA in Afghanistan bleibt und die Erlaubnis bekommt, die Taliban aus nächster Nähe zu begleiten. Die Aufnahmen dieser Reise könnten irritierender für westliche Augen kaum sein. Präsentieren sich doch die jungen Talibankämpfer, die er begleitet, als sympathische Kumpeltypen, die herzlich und fast schon liebevoll-naiv daherkommen. Was sie nicht ahnen ist, dass der australische Reporter, den sie da kennen lernen, biologisch den Körper einer Frau hat und erst gerade mit einer Hormonbehandlung begonnen hat und bald seine Brüste entfernen lassen wird, denn Jordan Byron ist trans.

Der Film begleitet nun Jordan Byron einerseits durch seine Transition zum Mann als auch durch die Zeit der Transition in Afghanistan, wo die Taliban wieder die Macht übernehmen. Für ihn stellen sich ganz praktische Fragen, (wie, soll ich mich bei der Flughafenkontrolle bei der Frauen- oder der Männerkontrolle anstellen) als auch eher etwas Abstraktere (wie, bin ich den Taliban, über die ich hier heimlich einen Film mache und die mir vertrauen, verpflichtet, die Wahrheit übe rmeine Identität zu sagen). Zudem ist da noch sein afghanischer Begleiter und Übersetzer, Farzad, den er aus Afghanistan rausbringen will, weil er dort nicht mehr sicher ist.

Transition ist ein sehr interessantes Experiment und zeigt Einblicke vor allem in das Leben der Taliban, wie sie uns sonst verschlossen bleiben. Gleichsam ist es ein beeindruckendes Poträt dreier Journalist:innen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um über die Geschehnisse in Afghanistan zu berichten.

 

Presko

Well-Known Member

Concrete Utopia​

by Um Tae-hwa

Im südkoreanischen Seoul ereignet sich ein fürchterliches Erdbeben und zerstört grosse Teile der Stadt. Ein einziges grosses Appartmenthaus übersteht als scheinbar einziges in der Nachbarschaft mehr oder weniger intakt die Katastrophe. Schnell kommen Überlebende von überallher, um Schutz zu suchen. Doch die Apartmentbewohner:innen sorgen sich um ihre Sicherheit, zudem bemerken einige, hätten die Nachbarn früher ständig auf sie heruntergeschaut, weil sie in teureren Appartments gewohnt hätten. Sie entscheiden sich schliesslich die Schutzssuchenden zu vertreiben. Als sich diese weigern kommt es zu gewalttätigen Zusamamenstössen, doch schliesslich gelingt es den Apartmentbewohnern. Sie riegeln nun ihr Gelände rigoros ab und bauen unter der Führung des zum Delegierten gewählten Kim Young-Tak eine Art Polizeitruppe auf, welche gegen innen wie aussen für Ordnung sorgt. Täglich begeben sich die Männer nach draussen, um nach Lebensmitteln und Ressourcen zu suchen, die mit ausbleibender Hilfe des Staates immer knapper werden. Dabie schrecken sie auch vor Gewalt nicht zurück, um diese an sich zu bringen. Als schliesslich herauskommt, dass einer der Bewohner im Haus Fremde bei sich versteckt, kommt es zur nächsten Eskalationsstufe und der Delegierte greift mit seiner Polizeitruppe rigoros auch gegen innen durch.

Im Zentrum des diesjährigen südkoreanischen Oscarkandidaten für bester ausländischer Film steht das junge Ehepaar Min-seoung und Myeong-hwa see. Während er sich vom Pathos der eigenen Überlegenheitsgefühle gegenüber allen anderen ausserhalb des Apartmentkomplexes mitreissen lässt und sich auch in der Polizeitruppe an vorderster Front engagiert, beobachtet sie, eine ehemalige Krankenschwester, das Geschehen und die Veränderung der Menschen ihre fortschreitende Verrohung den Hass gegen Aussenstehende mit grosser Sorge.

Um Tae-hwa bietet in seiner dystopischen Parabel wenig Spektakel und konzentriert sich sehr viel mehr auf die Psychologie und die sich abspielenden Gruppendynamiken. Über weite Strecken ist das visuell schön aufgefangen, packend und bitterböse, allerdings inhaltlich auch sehr durchschaubar. Grundsätzlich hat man das alles schon gesehen und es ist von Beginn weg recht klar, wohin die Geschichte führt. Bestes Beispiel dafür ist die Figur des mysterkösen Kim Young-Tak. Ein eher unscheinbarer Mann, der mehr aus Zufall zum Anführer gewählt wird und erst noch unsicher und mit wenig Begeisterung diese Rolle annimmt, schliesslich aber immer machttrunkener wird und sich immer mehr in der Rolle des prophetengleichen Führers zu geben und dabei immer brutaler gegen alles vorgeht, um seine Macht aufrechtzuerhalten. Das ist zwar durchaus gut dargestellt und geschrieben, aber eben auch ein sehr bekanter Typus.

Einen Kinobesuch ist der Film defintiv wert. Oscar als bester ausländischer Film eher nicht.

 
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