Presko schrieb:
Schwierige Fragen, haben wir ja auch schon im Falle von Spielen und Filmen besprochen. Ich sehe es überall ähnlich. Grundsätzlich stellt sich halt die Frage, wodurch entsteht Verantwortung. Ich denke, immer wenn ich mit einem Ereignis kausal verbunden bin, trage ich irgendeine Art von Verantwortung. Sei das, weil ich zu dem Ereignis beitrage, es auslöse, davon profitiere etc. Das gilt für alle Bereiche des Lebens. Als Konsument bspw. trage ich eine gewisse Mitverantwortung für die lebensunwürdigen Arbeitsbedingungen von Arbeitern in Drittweltländern, von deren Ausbeutung ich profitiere.
Und wenn du ein Produkt kaufst, ohne zu wissen, dass es unter solchen Bedingungen hergestellt wurde? Bist du dann trotzdem mitverantwortlich?
Ich habe den Eindruck, dass du dich einflussreicher und mächtiger fühlst, als du tatsächlich bist
Die Verantwortung für solche Arbeitsbedingungen liegt beim Arbeitgeber. Deiner "Logik" nach wäre eine Frau, die ihren Mann provoziert und daraufhin geschlagen wird, mitschuld. Ich finde aber, dass die Schuld immer bei dem tatsächlichen Täter liegt und nicht bei anderen Leuten, die ihn mit ihren Worten oder Taten vielleicht dazu verleitet haben. Oder wenn eine Frau sich sehr freizügig kleidet und daraufhin vergewaltigt wird, kommen ja immer wieder Stimmen, die sagen, sie sei mitschuld. Ich finde es unangebracht, wie die Schuld von Tätern genommen und auf die ganze Gesellschaft verteilt wird. Konkretes Beispiel: Waren die Mädchen, die den Amokläufer abgewiesen haben, schuldig an seinem Amoklauf? Deiner Ansicht nach müssen sie ja eine große Mitschuld tragen.
Und wir als Endkunden haben noch weit weniger Einfluss auf die Arbeitsbedingungen am anderen Ende der Welt. Also bitte, hör auf, den Menschen schlechtes Gewissen für die Verbrechen anderer Leute einzureden
Das sind größenwahnbedingte Schuldkomplexe, wenn man mich fragt.
Beim Buch setze ich etwas in die Welt, und möchte, dass es gelesen, vielleicht gekauft wird. Ich trage mit meinem Buch, ganz egal, ob es Unterhaltung oder Sachbuch oder was auch immer zur Kultur bei. Kultur prägt die Gesellschaft. Als aufgeklärter Mensch heute weiss ich um die Problematiken, die es gibt, ich kann mir überlegen, wie ein Buch aufgenommen wird, wie es verstanden werden könnte und ich kann mich auch fragen: gehe ich damit zu weit, könnte das bspw. als Aufruf zur Gewalt verstanden werden, oder transportiert es rassistische Stereotype, werden Figuren darin diskriminiert und ist das für die Geschichte nötig etc.
Du vergisst anscheinend, dass es nicht nur geistig gesunde Menschen gibt. Ein Verrückter kann ÜBERALL etwas hineininterpretieren, sowas kannst du gar noch vorhersehen. Du kannst nur dann sicher sein, kein schlechtes Ereignis auszulösen, wenn in deinem Buch sich alle lieb haben, es keine Leiden auf der Welt gibt und niemand stirbt. Also weit von der Realität entfernt.
Und was die Diskriminierung und Stereotype angeht, ist es noch schwieriger, weil hier auch viel hineininterpretiert wird. Die Frage ist: Soll man die Welt so zeigen, wie sie ist oder so, wie sie sein sollte? Denn anscheinend wird es von vielen bereits als rassistisch gewertet, wenn in einem Buch ein krimineller Afroamerikaner vorkommt. Man darf nur noch Weiße als Kriminelle zeigen, als gäbe es keine Verbrecher mit dunkleren Hautfarben. Ich hatte mal gelesen, wie einer "Kick-Ass" als rassistisch verurteilt hat, weil dort eine Gruppe von Afroamerikanern als Verbrecher gezeigt wurde. Dass es auch den schwarzen Kumpel von Big Daddy gab, der bei der Polizei arbeitete und eine absolut positive Figur war, interessierte den aufgebrachten Kritiker nicht. Außerdem darf man keine oberflächlichen "schuhgeilen" Frauen zeigen, weil es "frauenfeindlich" ist. Man muss so tun, als gäbe es nur emanzipierte, gutmütige, ehrliche Frauen.
Über weiße Männer darf man natürlich weiterhin alles schreiben.
Es muss ja nicht darum gehen, ob jemand dann gleich glaubt, dass es Vampire gibt. Aber wenn du einen extrem brutalen Horrorroman geschrieben hättest, könnte man sich fragen, ist er nicht ein Teil eines Kulturtrends, der seinen Konsumenten Gewalt auf eine Art verkauft, die womöglich problematisch ist. Dass sich ein Trend einstellt, durch welchen Gewalt verherrlicht oder irgendwie halt normalisiert wird. Gewalt als reines Unterhaltungsprodukt und dass es viele Menschen gibt, die sich so in diese Gewaltkultur reingeworfen haben, dass ihnen ein gewisses Mass an Empathie verloren gegangen ist. Oder wie gesagt, bei Selbstjustizstoffen. Dass der Leser ein gutes Gefühl dabei kriegt, wenn der Held Rache übt und das Gefühl bekommt, eigentlich ist das gerecht, eigentlich wäre das richtig und nicht diese Kuscheljustiz von heute. (das sind keine eindeutigen Meinungen von mir, sondern sind einfach sehr vereinfachte und zugespitzte Beispiele
Mein Horrorroman ist nicht extrem brutal und verherrlicht keine Selbstjustiz. Aber ich lese auch Extremhorror und bin froh, dass es dort (fast) keine Zensur gibt. Ich bin mir immer darüber im Klaren, dass es nur ein Buch ist, und habe genug Verstand, um es nicht nachzumachen. Es wäre doch schade, wenn alle Autoren nur noch das schreiben würden, was ganz bestimmt niemanden aufregt und keine Gewalt zeigt, nur weil irgendwelche Spinner Fiktion und Realität nicht auseinanderhalten können.
Ich glaube einfach, dass es ein Fehschluss ist, zu meinen, man könne so einfach zwischen fiktiver Geschichte und Sachbuch unterscheiden. Fiktive Geschichten setzen sich in der Regel auch mit Menschen und Gesellschaften auseinander. Häufig mit gesellschaftlichen Fragen. Sie nehmen oft auch Stellung zu Problemen ein und stellen Probleme in einem bestimmten Licht dar. Ich würde sogar sagen, häufig haben Meinungen und Werte, welche über fiktive Stoffe vermittelt werden, einen grösseren Effekt, als eindeutig politische Informationen oder Sachbücher, weil sie unbewusst aufgenommen werden und häufig über Emotionen vermittelt werden.
Klar muss man einen Unterschied zwischen Sachbüchern und Fiktion machen. Die Ersteren erheben nämlich den Anspruch, nur die Tatsachen zu schildern, während das Letztere zugibt, erfunden zu sein. Sachbücher wollen die Leser belehren, während Belletristik in erster Linie unterhalten will.
Oder machst du auch keinen Unterschied zwischen Dokumentationen und Spielfilmen? In beiden kommen ja Menschen und Tiere vor.