Als der Lockdown begann, war ich gerade zwischen Arbeitsstellen. Master in der Tasche, die letzten Arbeitsverträge liefen aus und die ersten Bewerbungen gingen raus. Dann ging es los. Richtung Winter nehmen die Stellenanzeigen sowieso ab, dafür erhöht sich deren Anzahl im Frühling und Sommer rapide. Aber diesen Frühling blieb dieser Anstieg komplett aus. Forschung, Uni, Institute, selbst die Wirtschaft hat keinen in meinen Bereichen gesucht. Bekannte haben ihre neuen Arbeitsverträge gekündigt bekommen, noch bevor sie die Stellen antreten konnten, ich erhielt mehrfach die Rückmeldung, dass die Stelle kurzfristig gestrichen wurde und die Bewerbungen daher vernichtet werden.
Dementsprechend erhöhte sich die Anzahl der Bewerber auf die verbliebenen Positionen, was die Chance für andere drastisch reduzierte. Ich hatte Bewerbungsgespräche mit stellenweise 80 Mitbewerbern und habe bei anderen, wenn überhaupt, erst nach vier bis fünf Monaten Rückmeldungen erhalten. Homeoffice + unsicherer finanzieller Zukunft der Einrichtung + dramatisch erhöhte Anzahl der Bewerber ließ den einzelnen Stellen keine andere Wahl. Ich habe noch Bewerbungen von Januar laufen (Z.B. Max-Planck-Institut) die noch immer "in Bearbeitung" sind.
Positionen die normalerweise für Nachwuchswissenschaftler gedacht sind, werden jetzt von Promovierten überrannt, welche dann auch genommen werden, da die Arbeitgeber sich freuen, einen vollends etablierten Wissenschaftler für ein paar Pennys zu erhalten. Toll für den Arbeitgeber, schlecht für alle die eigentlich jetzt ihre Karriere starten wollten. Ich wurde angenommen an einer Position, mit der Dreistigkeit, dass sie mich nur nehmen, wenn ich plötzlich auf ein Viertel des versprochenen Gehalts verzichte. Dafür fuhr ich 11 Stunden ICE. Ich lehnte ab.
Andere Bereiche sind komplett weggefallen. Forschungsgruppen werden aufgelöst, ganze Institute kämpfen ums Überleben. Die Gesundheitsämter erhalten einen Ansturm an Bewerbungen, da sich viele dort sichere und stabile Jobs erhoffen aber diese nehmen mittlerweile keine Epidemiologen oder anderweitige Gesundheitswissenschaftler mehr, sondern nur noch Fachärzte, wodurch ganze Berufszweige prinzipiell plötzlich sinnlos wurden. Wahrscheinlich nur temporär. Ich habe mehrfach erfahren, dass bei den meisten Positionen, obwohl anders ausgeschrieben, nun mal der Arzt der Vorzug erhält, auch wenn er für die meisten Aufgaben nicht ausgebildet ist.
Ich bewerbe mich weiter aber eine eigentlich sowieso schon schwierige Berufssuche für einen angehenden Nachwuchswissenschaftler, wird momentan unmöglich gemacht. An Promotion ist für mich mittlerweile nicht mehr zu denken. Während ich Ende letzten Jahres wöchentlich drei Bewerbungen auf Promotionsstellen verschicken konnte und es damit nur eine Frage der Zeit war, bis ich etwas bekommen würde, kann ich mittlerweile froh sein, wenn ich alle drei Monate eine Promotionsstelle finde, auf welche ich mich bewerben kann.
Mein Vitamin B ist eingefroren oder überlegt die Rente vorzuziehen. Keiner weiß was kommt, die Semester finden online statt und die Unis dem Präsenzunterricht haben werden, sind bereit sofort wieder alles zu schließen, wenn erforderlich. Niemand kann irgendwas mit Sicherheit sagen, keiner will Versprechungen machen. "Ein gutes Wort einlegen" hat momentan keine Bedeutung.
Eine meiner Betreuerinnen meiner Masterarbeit hat mir gesagt, und das wurde mir an anderer Stelle bestätigt, dass ich mich nicht hätte exmatrikulieren sollen. Ich exmatrikulierte mich, bevor Corona ein großes Thema war. Je länger man aus dem Fach "raus ist", umso schwerer wird es wieder angenommen zu werden. Wenn Corona vorbei ist, werden sie überall die frischen Absolventen des Jahres nehmen, da diese keine "Pause" hatten. Sie meinte, meine Karriere ist eigentlich zu Ende gegangen bevor sie anfing.
Ich fühle mich absolut elend. Ich haue eine Bewerbung nach der anderen raus, um irgendwas zu bekommen, aber ich kann diese Formate, diese Anträge, Lebensläufe, individuellen Bewerbungsschreiben nicht mehr sehen. Es kotzt mich an. An manchen Instituten, Museen, Ämter, Firmen Verlagen etc. suchen sie eierlegende Wollmilchsäue für einen Bruchteil des normalen Lohns, denn jetzt können sie es sich erlauben, so richtig wählerisch zu sein. Ich ziehe alle um mich runter und bin bereits tief in der Depression. Mein einziger Lichtblick ist meine Freundin (Fernbeziehung) aber sie hat auch ihre Probleme (Familie und Kurzarbeit). Ich fürchte meine Freunde mittlerweile nur noch runterzuziehen, da es immer schwerer wird positiv zu bleiben.
Das Schlimmste ist, anfangs habe ich noch geschrieben, habe die Chance genutzt, um meine eigenen Projekte zu verfolgen, wollte auch hier wieder am Schreibwettbewerb mitmachen. Ich wollte wieder richtig durchstarten, da ich endlich nach Abschluss und dem Ende von drei Jobs gleichzeitig (darunter einer mit einem toxischen Chef der dem Rechtsradikalismus verfiel) und nach einer schwierigen Beziehung, endlich wieder durchatmen konnte. Ich wollte wieder lesen, Filme nachholen und ordentlich Sport machen. Näher zu meinen Freunden ziehen, mir endlich wieder ein richtiges Sozialleben aufbauen. Auch mal Feierabend haben und dann andere Dinge tun.
Und jetzt spüre ich nur diesen elendigen Druck im Hinterkopf. Ich habe keine Lust auf Essen, auf große Aktivitäten, der Sport ging zurück, ich breche jedes Buch und jeden Film ab. Ich zocke ab und an aber komme extrem langsam voran. Ich - verdammt nochmal - schreibe wieder nicht!
Früher hatte ich immer eine Stimme im Kopf, welche mich aufforderte für die Uni oder die Arbeit zu schreiben: "Das geht vor "Mach das zuerst", "Du kannst nichts anderes vorher machen" und wenn ich jetzt an etwas eigenem Schreiben will, kommt die Stimme "Überarbeite lieber nochmal die Bewerbung", "du kannst kein Buch schreiben, wenn du keine Arbeit hast", "du bist faul, du hast nur einen Nebenjob und ansonsten Hartz aber trotzdem sitzt du an einer Fantasiewelt" und ich schließe das Dokument wieder. Selbst wenn ich an dem Tag drei Bewerbungen abgeschickt habe, bleibt dieses Gefühl und ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren.
Therapie? Gerne aber die müsste ich, sobald ich umziehe, sofort wieder abbrechen und woanders neu anfangen und einen Platz kriege ich momentan sowieso nicht. Meine Versicherung sagte sowieso nein. Wenn ein Umzug bevorsteht, zahlen sie keine, da ich abbrechen würde. Ich wechsle demnächst meine Versicherung.
So, genug von mir. Wenn du das bisher gelesen hast, dann hast du meinen Dank. Ich wollte das nur mal runterschreiben, da ich echt am Rad drehe. Es kann ja nicht nur mir so gehen. Vielleicht hast du ja auch das ein oder andere Problem im Moment und möchtest es davon berichten. Ich würde es gerne lesen, sofern du es teilen möchtest.