Die Verantwortung von Filmemachern und Autoren

serd

Well-Known Member
Durch den wiederaufkommenden FightClub-Thread ist mir eine Frage wieder in den Sinn gekommen, die ich mir schon lange stelle. Vor allem die sicht der -doch recht vielen- Autoren hierzu würde mich interessieren.

Ich habe gelesen, dass Fincher und Co. ursprünglich echt Bombenanleitungen und -rezepturen im Film verwenden wollten, dann jedoch davon absahen. Es schien ihnen nicht vertrettbar, sollte jemand anschließend auf die Idee kommen, die gesehenen Anleitungen zu nutzen und anderen zu schaden.

Wie ist es, falls zum Beispiel ein Autor in seinem Thriller eine neue Methode einbaut, unerkannt einen Mord zu begehen und ein Leser des Buches macht es nach. Ohne das Buch wäre er nie auf die Idee gekommen, jetzt gibt es einen Toten?

Seht ihr in solchen Fällen die Verantwortung bei den Kreativen möglichen Nachahmern wenig Material zu geben? Oder darf und kann ein Filmemacher oder Schreiber niemals für die Umsetzung seiner Ideen verantwortlich gemacht werden. Sollte auf mögliche Leser, die in ihren schon davor bestehenen Störungen mehr aus dem Buch nehmen, geachtet werden oder steht das Werk als solches und in seiner unbeeinflussten Form eher im Vordergrund.
 

Schneebauer

Targaryen
Not guns kill people - people kill people.

Genauso sehe ich es bei Büchern und Filmen. Ich werde ja nicht gezwungen einen Mord in einem Krimi nachzustellen. Das läge in meiner Verantwortung/Macht.
 

Woodstock

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Wer aber eine Anleitung schreibt, darf sich nicht wundern wenn sie einer befolgt.

Aber ich habe bisher noch kein Buch gelesen oder Film gesehen, wo jede Komponente oder jeder Schritt im Detail erläutert wird. Autoren schmücken aus oder lassen weg. Der eigene künstlerische Anspruch verhindert bereits, eine sterile Anleitung zu schreiben. Außerdem gibt es tatsächlich Menschen die Tag ein Tag aus sich Filme und Büchern widmen, um sowas herauszulesen und up to date zu bleiben. Autoren sind stellenweise ziemlich schräge und kreative Köpfe, von denen sogar Ermittler was lernen können.

Insgesamt liegt die Verantwortung aber nicht beim Autoren. Außer er ruft tatsächlich dazu auf, ein Verbrechen zu begehen.
 

Joel.Barish

dank AF
Woodstock schrieb:
Insgesamt liegt die Verantwortung aber nicht beim Autoren. Außer er ruft tatsächlich dazu auf, ein Verbrechen zu begehen.
Würde ich auch so sehen. Alles muss erlaubt sein, aber gezielte Hetze muss aufgezeigt, kritisiert und ggfs. unterbunden* werden. Siehe "Birth of a Nation" - obwohl das sicherlich auch der Entstehungszeit geschuldet ist und man nicht heutige Maßstäbe auf 100 Jahre alte Werke ansetzen sollte. Also ein anderes Beispiel. Hm ... "Project X"? :ugly: :clap:

*"unterbunden" heißt nicht Zensur. Aber Hetze, insbesondere und insbesondere aktuell (wieder) die Volksverhetzung ist eine Straftat und da gibt es juristische Mittel und Wege jenseits der bloßen (und oftmals übereilten) Zensur, dagegen vorzugehen.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
So sehe ich das auch. Solange es keine direkte Hetze/Aufforderung ist, ist alles erlaubt.

Charles Manson wurde für seine Taten sehr stark von den Beatles inspiriert. Helter Skelter.
Und wenn mich nicht alles täuscht, gab es nach Goethes "Werther" sehr viele Selbstmorde unter den Jugendlichen, ich meine an die 2.000 Menschen.
Über die Bibel will ich gar nicht erst anfangen. Was die Autoren uns dort eingebrockt haben, stellt alles andere in den Schatten :ugly:
 

MamoChan

Well-Known Member
"Killerbücher! Wer Bücher liest, wird zum Amokläufer!" :cursing:
Ok, sowas habe ich noch nicht gehört, obwohl es in Büchern oftmals sehr viel schlimmer zugeht als in allen Filmen, die ich je gesehen habe. Natürlich kann sich jemand bei Krimis Inspiration für einen Mord holen, vielleicht ist dies sogar schon geschehen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man einen Autor nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden, wenn jemand sein Werk als Vorlage nutzt. Allerdings würde es an mir ganz schön nagen, wenn ich wüsste, dass jemand durch eine meiner Gseschichten zu einem Verbrechen inspiriert wurde. Ich denke, wenn sowas passiert, wird diese Tat eh dem Autor auf der Seele liegen, egal ob er dafür verantwortlich ist, oder nicht.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Ein kranker Geist findet seine Inspiration. Kein Buch, kein Spiel, kein Film machen jemandem zum Killer.
Auch keine Bombenanleitung würde mich dazu verleiten irgendetwas in die Luft zu sprengen. Denn ganz ehrlich: Wer eine Bombe bauen will ,braucht dazu keine Anleitung aus einem Film. Die bekommt man auch woanders.
Der eine Mörder zieht sich an wie Neo in der Matrix, der Nächste glaubt in Helter Skelter die Ankündigung für den bevorstehenden Weltuntergang zu hören. Lennons Mörder widerum, verehrte "Der Fänger im Roggen".
Und wenn gar nicht mehr geht oder es keine andere Inspiration gibt, wird, wie Woody schon sagte, immer gerne der jeweilige Glaube vorgeschoben.
Kein Autor ist für kranke Köpfe verantwortlich.
 

Woodstock

Verified Twitter Account ☑️
Revolvermann schrieb:
Ein kranker Geist findet seine Inspiration. Kein Buch, kein Spiel, kein Film machen jemandem zum Killer.
Kann sein, muss nicht. Manche Taten werden durch manche Veröffentlichungen getrickert. Ob diese Täter auch ohne das jeweilige Werk, jemals den Mut gefunden hätten, ist einfach nicht zu beweisen.
Revolvermann schrieb:
Und wenn gar nicht mehr geht oder es keine andere Inspiration gibt, wird, wie Woody schon sagte, immer gerne der jeweilige Glaube vorgeschoben.
Ich glaube, das war Tyler und nicht ich. :wink:
 

Revolvermann

Well-Known Member
Ups, war Tyler.

Da hätte es sicherlich einen anderen Auslöser gegeben. Natürlich lässt sich das nicht beweisen aber man kann es unter anderem schon daran sehen, wie unterschiedlich die Trigger sind. Beim einen wars der Fänger im Roggen. Beim nächsten war der Nachbar zu laut.
Der Mensch fühlt sich halt besser, wenn er irgendwo mit dem Finger draufzeigen kann.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Tricker? Ihr meint Trigger oder? Oder den vierten Bruder von Tick, Trick und Track?

:ugly:

Ich schließe mich den vorherigen Meinungen an. Letzten Endes liegt die Verantwortung bei denen, die was Bedenkliches damit machen. Sofern man nicht gezwungen oder von kleinauf zum Killer konditioniert wurde, a la Beasts Of No Nation, ist man immer selbst verantwortlich.

Trotzdem sollte kein Film/Buch/Spiel lehren, wie man Massenvernichtungswaffen herstellt. Bei aller kreativer Freiheit, aber das kann zu nichts Gutem führen.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Welcher Autor weiß schon, wie man Massenvernichtungswaffen herstellt? Und welche Leser haben schon das Material dazu?

Ich habe ja gehört, dass zerschredderte Andrea-Berg-CDs, vermischt mit Plutonium und Katzenfutter, die Sprengkraft von 100 Wasserstoffbomben erzeugen können. Aber ich habs noch nicht selbst ausprobiert, dazu fehlen mir die Andrea-Berg-CDs.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Ich glaube, ihr macht es Euch etwas zu einfach. Jeder, der sich in der Öffentlichkeit äussert, der etwas in die Welt hinausschickt, etwas veröffentlicht und vor allem Leute, die sich gezielt an eine grosses Pbulikum richten, tragen grundsätzlich eine Verantwortung. Vielleicht müsste man auch fragen, was Verantwortung heisst. Verantwortung heisst ja nicht, man trägt die Alleinschuld, nicht einmal unbedingt man trägt Mitschuld.

Wenn ich beispielsweise gesehen habe, dass die Freundin oder Ehefrau eines Kollegen fremd geht und es diesem sage und der daraufhin die Ehefrau in einem Streit schwer verletzt, (nehmen wir einen Extremfall) oder sogar tötet. Ich denke, ich trage eine Verantwortung für das, was ich gesagt habe und Tatsache ist, was ich gesagt habe, hat zu dieser Tat beigetragen. Was heisst, das jetzt, dass ich eine Verantwortung für meine Aussage trage. Es heisst, ich sollte solche Aussagen nicht einfach unbedacht äussern, ich solle mir überlegen und abwegen, ist es richtig, das jetzt zu sagen oder sollte ich vielleicht einen anderen Weg wählen.

Filmemachern oder Autoren Verantwortung zuzuschreiben, heisst einfach erst einmal, dass ihr Tun eine gewisse Kraft besitzt und Dinge bewirken, mitbewirken können. Sie können einer Stimmung zuträglich sein, sie können die Überzeugungen von Menschen beeinflussen, Leute zu etwas animieren etc.

Wenn Kunst etwas sehr positives auslöst, dann haben wir auch kein Problem, den Künstler dafür zu loben oder zu feiern. Umgekehrt ist der Abwehrreflex stärker.

Rassismus ist so ein Beispiel. Die ewig Bösen Russen, Araber, Mexikaner etc. etc. Filme, die sich besonders in solchen Stereotypen suhlen, tragen meiner Ansicht nach klar zu einem bestimmten Weltbild bei. Dasselbe gilt mit dem Umgang von Gewalt in Filmen. Verherrlichung von Gewalt kann nicht nur für extreme Einzelfälle als Vorbild für reale Gewalttaten hergezogen werden, sie können auch eine grundsätzliche Stimmung beeinflussen. Selbstjustiz in Filmen kann durchaus für viele eine Bestätigung ihrer Überzeugung darstellen, die moderne europäische Justiz ist viel zu lasch.
In dieser Beziehung verweise ich immer gerne auf die absurd klingende 24-Geschichte, wo sich US-Militärs eingemischt haben und baten die Folterthematik runterzuschrauben, weil sie darüber klagten, dass viele Rekruten mit der Überzeugung ins Militär oder in den Irak kämen, die Methoden Bauers seien die einzig richtigen. Das heisst nicht, man muss die Filme verbieten oder ihnen Schuld zuweisen, aber die Macher tragen eine Verantwortung, weil sie etwas (mit)bewirken, beeinflussen.
 

Joel.Barish

dank AF
Presko schrieb:
Jeder, der sich in der Öffentlichkeit äussert, der etwas in die Welt hinausschickt, etwas veröffentlicht und vor allem Leute, die sich gezielt an eine grosses Pbulikum richten, tragen grundsätzlich eine Verantwortung.
Aber ist das jetzt wirklich so anders wie das, was hier steht? Zudem ist ja vor dir noch niemand argumentativ ins Detail gegangen. Ich zum Beispiel meinte nicht, dass ein Künstler* unüberlegt alles machen darf, was er will, ohne Konsequenzen. Nach ihm die Sintflut und so. Nein, sicherlich nicht. Natürlich hat ein Künstler oder jemand, wie du sagst, der sich in der Öffentlichkeit äußert, seinen Standpunkt nach bestem Wissen und Gewissen zu formulieren. Was aber meiner Meinung nach nicht Aufgabe und Verantwortung eines Künstlers sein sollte, ist, seine Aussage auf sämtliche Interpretationen und "#problematic" Gefahren abzuklopfen und anzupassen. Wir werden eh alle irgendwann von irgendwem missverstanden und wer sich so anpasst und seinen ursprünglichen Standpunkt verwässert, braucht ihn gar nicht erst zu äußern. Das schließt Filmemacher mit ein, aber eben auch Leute wie aktuell Donald Trump. Es ist unsere Aufgabe als Konsumenten und Empfänger, darauf reagieren. Wir alle reagieren individuell und subjektiv und wenn uns etwas nicht passt, dann äußern wir das oder stimmen den Leuten, die in der Öffentlichkeit mehr Gehör kriegen, zu, die am ehesten unsere Punkte vertreten. Das ist ein Dialog. Daher gibt es Medienkritik. Dafür gibt es Foren, um im kleinen Makro-Rahmen Eindrücke auszutauschen, Kontexte und Horizonte zu erweitern. Ggfs. quittieren wir dem Künstler eine so empfundene "Verantwortungslosigkeit", indem wir ihn beim nächsten Mal nicht mehr unterstützen. Dein Argument mit der Stereotypisierung von anderen Nationen oder Minderheiten ist z.B. ein gutes Beispiel. Gehört das verboten oder reicht es, über die medialen Möglichkeiten, die sich uns heutzutage bieten, aufzuklären, unseren Standpunkt des Missfallens und der Missbilligung darzustellen und einfach kein Geld mehr für Fortsetzungen von "Taken" auszugeben?

Kunst bzw. öffentliche Meinungen sollten erst dann im größeren Rahmen angeklagt und - in welcher Form auch immer - bestraft werden, wenn gewisse extreme Grenzen übertreten sind. Ich möchte nämlich nicht, dass wir eine Serie wie "24" vorschnell verbieten, obwohl sie mir schon in Staffel 2 so sehr auf die Nüsse ging, dass ich seitdem nichts mehr gesehen habe. Wir sollten in der Lage sein einen Diskurs zu starten, zu argumentieren, warum man eine thematisch ähnliche Serie auch anders (differenziert) darstellen kann. Und vielleicht, in kleinen Schritten, verlieren die Leute die Lust an der Serie und uns bleiben neue Folgen erspart. Oder sie sehen ein, dass die Realität anders funktioniert als die Fiktion und konsumieren diese nur noch als das, was sie ist, als "unterhaltsam" dramatisierte Fiktion.

*und ich bin ja immer mehr der Meinung, dass wir nicht jeden, der als "Regisseur" einen Film auf den Markt wirft, als Künstler bezeichnen sollten.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
@Presko: Verwechselst du gerade Realität mit Fiktion? Ist doch wohl ein sehr großer Unterschied, ob jemand z.B. ein fiktives Buch über fiktive Personen schreibt, die sich unmoralisch benehmen, oder ob dieser Jemand in der Realität reale Äußerungen macht, die Einfluss auf seine Umwelt haben.
Ich fände es schrecklich, wenn Autoren nur noch über vorbildliche Figuren schreiben würden und immer mit erhobenem Zeigefinger. Das wäre das Ende der Kunst.
Es ist unangebracht, einem Autor etwas zur Last zu legen, was irgendjemand in seine Bücher hineininterpretiert oder fehlinterpretiert.

Nur die Autoren von "Sachbüchern" tragen diese Verantwortung. Also zum Beispiel solche, die über die "jüdische Verschwörung" etc. schreiben.

Wenn jemand seine Bücher oder Filme mit rassistischen und sexistischen Stereotypen vollpackt, wird das auch kritisiert, und mehr kann und sollte man nicht machen. Alles andere wäre Zensur.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Joel.Barish schrieb:
Kunst bzw. öffentliche Meinungen sollten erst dann im größeren Rahmen angeklagt und - in welcher Form auch immer - bestraft werden, wenn gewisse extreme Grenzen übertreten sind.

Tyler Durden schrieb:
Ich fände es schrecklich, wenn Autoren nur noch über vorbildliche Figuren schreiben würden und immer mit erhobenem Zeigefinger. Das wäre das Ende der Kunst.

Ich wollte eher darauf hinaus, den Verantwortungsbegriff anders auszulegen. Verantwortung ist für mich ein vorbelasteter Begriff, da ich mich in meiner MA stark damit auseinandergesetzt habe, bin hier also ein wenig kleinlich :ugly: Künstler, Filmemacher etc. prägen die Kultur, in der die Menschen leben stark mit. Die Kultur, in der wir aufwachsen, prägt unsere Werte, Überzeugungen und unser Bild von der Realität. Daraus folgt, dass Kulturschaffende eine sogar grosse Verantwortung haben. Daraus folgt noch nicht, dass jeder Kulturschaffende, der nicht wahnsinnig moralisch wertvolle Kunst macht, deswegen zu verurteilen ist. Das ist gar nicht die Frage. Es geht nur um die Akzeptanz dessen, dass das eigene Kulturschaffen etwas bewirkt. Wenn ich sage, jeder deutsche Staatsbürger hat eine Verantwortung als politischer Bürger, weil er Möglichkeiten hat (eingeschränkte natürlich), die Politik seines Landes zu beeinflussen, heisst das nicht, dass ich jeden verurteile, der nicht wählen geht oder der AfD wählt. Es heisst nur, diese Person hat eine bestimmte Machtmöglichkeit, mit der er etwas bewirken kann.
Es geht also um keinen Zeigefinger oder um gute - schlechte Literatur. Es geht darum, anzuerkennen, dass man mit seiner Literatur etwas zur Kultur beiträgt, welche wiederum in ihrem ganzen die Menschen prägt, welche in ihr aufwachsen. Aber ich finde durchaus auch, dass die Wachowskys eine Mitverantwortung tragen, wenn irgendwo ein paar irre einen Amoklauf nach ihrem Vorbild starten. Damit will ich nicht sagen, die Wachowskis sind schuld. Aber ihre Inszenierung steht in einem klaren kausalen Zusammenhang zur Tat. Sie haben etwas beigetragen und diesen Fakt müssen sie akzeptieren. Das ist ihre Verantwortung. Inwieweit sie die Tat getriggert haben, oder "nur" was zur Optik der Täter beigetragen haben, weiss ich nicht. Das heisst nicht, es soll solche Szenen in Filmen nicht mehr geben. Das ist eine Bewertung, welche über die grundsätzliche Frage der Verantwortung hinaus ginge.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Sehr spannendes, sehr schwieriges Thema.

Wie weit ist man da moralisch haftbar? Wenn jemand einen Stuhl kauft und ihn draußen dafür benutzt, Leute auf dem Parkplatz zu vermöbeln, hat der Stuhlverkäufer Schuld? Der Stuhlhersteller? Der längst verblichene Stuhlerfinder? Jeder, der je dazu beigetragen hat, dass Stühle zu gesellschaftlich normal empfundenen Objekte wurden?

Wenn man wollte, könnte man das beliebig weit ausdehnen. Sind all die Menschen, die Hitler vor seiner Machtergreifung nicht getötet haben, Mitschuld an dem, was er verursacht hat?

Jeder, der von sich aus oder mit einem bestimmten Objekt Kontakt zu anderen Mitmenschen hat, muss rein theoretisch in Kauf nehmen, dass einer davon etwas schlimmes damit macht. Gut, ein Actionfilm, der Gewaltszenen verherrlicht ist noch was anderes als ein Stuhl, aber es kommt immer auf de Perspektive an. Ein Stuhl kann in der Tat eine sehr praktische Waffe sein. Ein Film kann auch bloß ein Film sein, aufgezeichnete Momente von Menschen, die so tun, als wären sie in bestimmten Situationen.

Nehmen wir nur das Beispiel Big Bang Theory. Grob gesehen ist das eine witzige Serie über ein paar Nerds und wie sie Freundinnen kriegen. Sie soll eventuell zeigen, wie sympathisch sie trotz ihrer Nerdigkeit sind. Dabei vertieft sie womöglich zig Vorurteile über eben solche und stempelt sie umso fester als anders und seltsam ab. Vielleicht frustriert es sogar zahlreiche pickelige Pokemon D&D C++ Unity Übernerds, weil ihre Realität halt nicht so aussieht, dass sexy Penny nebenan einzieht und alsbald Pizza und Bett mit ihnen teilt.

Es stimmt schon, dass wirklich alles ineinander greift und zusammengehört. Vieles löst anderes aus. Vieles löst anderes schon durch reine Existenz aus. Die wenigsten Dinge werden auf nur eine Art verstanden und akzeptiert. Kann man für die unendlichen Möglichkeiten der Resonanz zur Rechenschaft gezogen werden, und wenns nur moralisch ist?
 

Joel.Barish

dank AF
Presko schrieb:
ch wollte eher darauf hinaus, den Verantwortungsbegriff anders auszulegen. Verantwortung ist für mich ein vorbelasteter Begriff, da ich mich in meiner MA stark damit auseinandergesetzt habe, bin hier also ein wenig kleinlich :ugly: Künstler, Filmemacher etc. prägen die Kultur, in der die Menschen leben stark mit. Die Kultur, in der wir aufwachsen, prägt unsere Werte, Überzeugungen und unser Bild von der Realität. Daraus folgt, dass Kulturschaffende eine sogar grosse Verantwortung haben. Daraus folgt noch nicht, dass jeder Kulturschaffende, der nicht wahnsinnig moralisch wertvolle Kunst macht, deswegen zu verurteilen ist. Das ist gar nicht die Frage. Es geht nur um die Akzeptanz dessen, dass das eigene Kulturschaffen etwas bewirkt.
Ja, aber weiterhin: Ist das wirklich eine so stark andere Position als das, was hier sonst so steht? (Oder ich überschätze die Dringlichkeit, mit der du schreibst. :biggrin:) Du gehst beim Verantwortungsbegriff mehr ins Detail, aber auf mich wirkt es nicht so, als wolle irgendwer einem Künstler einen generellen Verantwortungsfreifahrtsschein ausstellen. Ich zumindest meinte mehr oder weniger das, was du schreibst, mit dem Verweis auf "Kunstausübung" nach besten "Wissen und Gewissen". Denn natürlich haben Kunst, Kultur und Medien einen Einfluss. Einen gewaltigen Einfluss sogar. Nicht zuletzt deswegen finde ich es so bedauerlich wie gefährlich, jeden großen Blockbuster (der von Millionen Menschen weltweit gesehen wird) per "Einfach Hirn aus" Argument von jeglicher Verantwortung zu befreien. Ich bin da ganz bei dir, Presko. Und ich denke, diese Verantwortung ist den meisten Kunstschaffenden durchaus bewusst. Mal mehr, mal weniger. Die Frage ist, wie sehr man das an sich ranlassen sollte und wie stark und häufig man als Konsument daran erinnern sollte.
Ich bin bei so was nur immer besorgt, dass zu deutliche oder häufige Verweise auf diese Verantwortung ein Eigenleben entwickeln. Grundsätzlich gute und richtige Ideen, die irgendwann beinahe das Gegenteil von dem bewirken, was sie ursprünglich aufzeigen sollten. Siehe Political Correctness. Denn die Wachowskis daran zu erinnern, dass sie einen Amoklauf inspiriert oder auch nur "designt" haben, könnte auch dafür sorgen, dass sie sich beim nächsten Mal selbst zensieren und zurücknehmen. Und das halte ich für eine vermeidbare Reaktion. Andererseits habe ich ja auch zuvor geschrieben, dass es an uns ist, einen Dialog zu starten. Und daran halte ich fest. Also muss man Künstlern wie es scheint sowohl das Wissen um ihre Verantwortung zutrauen, als auch ein Selbstbewusstsein, sich nicht jedes öffentliche Kontra als schwere Last und Bürde anzuhängen.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Die Kultur, in der wir aufwachsen, prägt unsere Werte, Überzeugungen und
unser Bild von der Realität. Daraus folgt, dass Kulturschaffende eine
sogar grosse Verantwortung haben.
Der Mensch ist aber nicht nur ein Produkt seiner Umgebung. Ich halte es für falsch, jedes Mal die Schuld oder die Mitschuld bei den Filmen, Büchern, Games, Medien, Lehrern, Eltern oder Nachbarskindern zu suchen. Ich sage es mal so: Es gibt Geschwister, die in absolut gleichen Verhältnissen aufwachsen und die gleichen Probleme haben. Aus dem einen wird irgendwann ein Lehrer oder ein Abteilungsleiter, während der andere zu einem Kleinganoven wird. Der erstere findet vielleicht einen Ghandi toll, während der letztere Pablo Escobar und Al Capone bewundert. Jeder sucht sich seine Vorbilder selbst aus, nicht umgekehrt. Es liegt immer an der jeweiligen Persönlichkeit bzw. dem Charakter eines Menschen, wie er mit der Welt klarkommt und wie er sich den Anderen gegenüber verhält. Wieso werden immer die Anderen oder noch allgemeiner "Die Gesellschaft" für alle Taten (mit)verantwortlich gemacht? Traut man den Menschen keinen eigenen Willen zu, keine eigene Persönlichkeit?
Vor allem wenn wir hier über fiktive Werke von Autoren sprechen, finde ich das ganz komisch. Soll ich mir wirklich bei jeder Geschichte und jeder Figur Gedanken darüber machen, ob unter den sieben Milliarden Menschen nicht einer dabei sein könnte, der die fiktive Tat einer fiktiven Figur nachmacht? Und falls einer es macht, soll ich mich schuldig fühlen? Die logische Konsequenz daraus wäre ja, dass man nur noch positive und vorbildliche Charaktere beschreibt, die nur positive und vorbildliche Sachen machen und niemals eine schlechte Tat begehen.
Deswegen meinte ich ja, dass es das Ende der Kunst wäre.
Nur bei Kinderbüchern oder evtl. auch Jugendbüchern würde ich ein bisschen mehr aufpassen, was man da vermittelt. Den Erwachsenen traue ich genug eigenen Willen und eigene Gedanken zu, um die Fiktion Fiktion sein zu lassen.

Viel mehr Einfluss auf unsere unmittelbare Umgebung haben wir durch unser Verhalten den Anderen gegenüber. Jemand, der alle nur verachtet, für niemanden ein Lächeln übrig hat, immer nur Hasstiraden vom Stapel lässt oder gar gewalttätig wird, ist in meinen Augen wirklich viel schlimmer als jemand, der über irgendwelche Fantasiewesen schreibt, die sich bekriegen.

Anders ist es vielleicht beim öffentlichen Auftreten von Berühmtheiten. Wenn jemand Millionen von Teenagern als Fans hat, die einen anhimmeln, dann sollte man durchaus nachdenken, was man in der Öffentlichkeit sagt. Ich habe mich ja auch schon ein paar Mal über Justin Bieber aufgeregt, als er Abtreibungen verteufelte (und auf die Frage hin, wie es mit Frauen aussieht, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind, meinte er sinngemäß, dass es wohl Gottes Wille war, dass diese Frau schwanger wird, und dass man trotzdem nichts dagegen unternehmen darf). Solche "Künstler", die wirklich stark in der Öffentlichkeit stehen und Jugendliche oder Kinder als Zielgruppe haben, müssen oder sollten schon mehr darauf achten, was sie da sagen.
Ansonsten würde ich sagen, dass jeder Autor selbst nach eigenem Ermessen entscheiden darf, wie moralisch oder unmoralisch er seine Werke und Figuren darstellen will. Stephen King hat sein Buch "Amok" vom Markt genommen, nachdem ein Jugendlicher in den USA Amok lief und man das Buch in seinem Spind fand. So kann es gehen, muss es aber nicht.
Jay schrieb:
Nehmen wir nur das Beispiel Big Bang Theory. Grob gesehen ist das eine witzige Serie über ein paar Nerds und wie sie Freundinnen kriegen. Sie soll eventuell zeigen, wie sympathisch sie trotz ihrer Nerdigkeit sind. Dabei vertieft sie womöglich zig Vorurteile über eben solche und stempelt sie umso fester als anders und seltsam ab. Vielleicht frustriert es sogar zahlreiche pickelige Pokemon D&D C++ Unity Übernerds, weil ihre Realität halt nicht so aussieht, dass sexy Penny nebenan einzieht und alsbald Pizza und Bett mit ihnen teilt.
Da ist was dran, aber man könnte es auch andersrum sehen. "Die Wissenschaftler" werden doch meistens (besonders in Horrorfilmen) als größenwahnsinnige Frankensteins dargestellt, die völlig sinnlos die ganze Welt in Gefahr bringen, indem sie Riesenspinnen oder superatomare Klone züchten. Big Bang Theory zeigt sie hingegen etwas realistischer, oder zumindest nicht als solche verantwortungslosen Bösewichte. Ein anderes verzerrtes Bild von Wissenschaftlern ist ja, dass sie sich gegen die Gesellschaft verschworen haben und ihr z.B. neue Medikamente oder technische Entwicklungen vorenthalten; oder dass sie aus purer Sturrheit alle neuen Theorien ablehnen und blind alles glauben, was in den alten Büchern steht. Mit diesen Vorurteilen räumt Big Bang Theory auch auf.
Also man zeigt sie zwar freakiger und nerdiger als sie vielleicht sind, aber wenigstens nicht mehr so böse oder dumm. :squint:
 
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