NOCHE DE FUEGO
von Tatiana HuezoIn einem mexikanischen Bergdorf leben die Mütter und ihre Kinder einen ärmlichen Alltag im Würgegriff des Drogenkartelles. Männer gibt es dort kaum noch, da die meisten ins Ausland gegangen sind, um Geld zu verdienen. Die Frauen arbeiten meist auf den Mohnfeldern oder dem eigenen kleinen Stück Land. Regelmässig werden die Töchter vom Drogenkartell entführt. Deswegen schneidet Rita ihrer achtjährigen Tochter Ana die Haare ab. Und hinter dem Haus hat sie ein Loch gebuddelt, in dem sich Ana verstecken muss, sobald sich die schwarzen Geländewagen des Kartells nähern.
Ana und ihre Freundinnen nehmen das Leben auf ihre eigene Weise war. Das Verschwinden anderer Mädchen stellt für sie ein geheimnisvolles Mysterium dar. Ana ist eine aufgeweckte Schülerin und wird von ihren Lehrern sehr gelobt. Doch die Lehrer bleiben oft nicht lange an der Schule, da sie sich vor dem kartell fürchten. Mit dem Heranwachsen wird es für Rita immer schwieriger Ana an der kurzen Leine zu halten und ihre Weiblichkeit zu verdecken.
Man merkt den ersten Einstellungen sofort an, dass hier hinter den Kameras eine eigentliche Dokumentarfilmerin zugange war. Und so braucht es auch eine gewisse Zeit, bis die eigentliche Erzählung in Fahrt kommt und der Film sich von den dokumentarischen Bildern und Sequenzen zu lösen beginnt. Das bedeutet einerseits einige sehr beeindruckende Aufnahmen der Natur und Umgebung, in der der Film spielt, andererseits verlangt es den Zuschauenden auch etwas Geduld ab. Doch ist man Willens dem Film die Zeit zu geben, entwickelt er einen immer stärkeren Sog. Insbesondere die drei Mädchen, anfangs Kinder, später Jugendliche wachsen einem immer mehr ans Herz.
Die dauernde Bedrohung, jeden Moment könnte das Kartell auftauchen, und eines der Kinder entführen, tut das Übrige, um dem eine eigentümliche Spannung zu verleihen.
8/10
Trailer: Noche de Fuego
PETITE NATURE / SOFTIE
von Samuel TheisDer zehnjährige Johnny ist mit seiner Mutter, Sonia, seinem grösseren Bruder und seiner kleinen Schwester erst gerade in eine Sozialsiedlung im Nordosten Frankreichs gezogen. Die Situation zuhause ist schwierig, denn seine Mutter ist mit ihrer Situation ziemlich überfordert. Ihre Beziehung zu Johnny pendelt zwischen Zärtlichkeit, Zuwendung und Wut und Streit hin und her.
In der Schule fühlt sich Johnny zu seinem neuen Lehrer Jean hingezogen, da dieser auf sensible Weise die Kinder abzuholen weiss. Johnny beginnt sich immer stärker nach dessen Zuwendung zu sehnen. Nach einem heftigen Streit mit seiner Mutter, rennt er davon und steht plötzlich vor Jeans Tür.
Im ersten Moment erinnert der Film von seinem Look and Feel ein wenig an Systemsprenger, was sicher auch mit dem Hauptdarsteller und seinen langen blonden Haaren zusammenhängt. Doch im Gegensatz zu Benni ist Johnny eben gar kein harter Kerl, der seine Aggressionen nach aussen tragen würde. Im Gegenteil, in einer Szene, nachdem ihn mehrere andere Jungen gemobbt haben, schreit ihn seine Mutter an, dass er endlich härter werden und sich zu wehren lernen müsse.
Die Stärken des Films liegen auch genau in dieser Betrachtung von Johnnys Familiensituation, seiner Beziehung zu seiner Mutter und seiner kleinen Schwester. Hier gelingen ihm sehr schöne Szenen und eine komplexe, realistische Figurenzeichnung. Leider konzentriert sich der Film aber mit zunehmender Laufzeit auf Johnnys Beziehung zu seinem neuen Lehrer und hier liegt die grosse Schwachstelle des Films. Jean ist keine wirklich allzu interessante Figur und auch sein Darsteller bleibt eher blass. Zudem ist das Verhalten Johnnys, der zunehmend extremere Mittel nutzt, um seinem Lehrer nahe zu sein, ebenso wenig glaubwürdig, wie die Reaktion des Lehrers darauf. Das ist ziemlich ärgerlich, und macht den Film ein wenig kaputt. Gegen Ende geht dem Film aber auch ganz generell ein wenig die Luft aus und scheint nicht so recht zu wissen, was er jetzt genau eigentlich möchte.
Insgesamt eher enttäuschend.
6/10
THE INNOCENTS / DE USKYLDIGE
von Eskil VogtDie 9-jährige Ida zieht mit ihrer Familie in einen Hochhauskomplex am Waldrand irgendwo in Norwegen. Mit ihrer älteren, autistischen Schwester Anna ist der Alltag nicht einfach, da diese in ihrer eigenen Welt gefangen scheint. Auf der Suche nach neuen Spielgefährten trifft Ida auf den Nachbarsjungen Ben. Er führt ihr vor, wie er mit seinen blossen Gedanken Objekte bewegen kann. Aisha wohnt ebenfalls in dieser Siedlung. Seit Ida und Anna's Ankunft steht sie mit Anna in einer Art telepathischem Kontakt, spürt ihre Schmerzen und hört ihre Gedanken. Schliesslich trifft sie Anna auf dem Spielplatz und Ida bemerkt, dass Anna und Aisha miteinander kommunizieren können. Es stellt sich heraus, Aisha, Ben und Anna sind irgendwie miteinander verbunden. Sie können ihre Gedanken lesen und können mit ihren Gedanken Dinge bewegen. Mit der Hilfe Aishas schafft es Anna gar, zu sprechen.
Doch dann zeigt sich immer mehr, dass Ben zu Wutausbrüchen neigt, bei denen er seine Kräfte benutzt, um anderen zu schaden. Als es in der Gruppe zwischen den Kindern zum Konflikt kommt, richtet sich seine Wut plötzlich auf Aisha, Anna und Ida.
Das Zurich Filmfestival preist den skandinavischen Film als Arthous-Horror an und tatsächlich könnte sich der Film bald einmal zu einem Horror-Geheimtip mausern. Mit einfachsten Mitteln schafft es Regisseur Eskil Vogt, eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen, die sowohl Aspekte des Sozialdramas mit denen von Fantasy-Horror verknüpft, und an dabei die Spannungsschraube stetig weiter anzuziehen. Dabei machen die Kinderdarstelle eine gute Figur. Einzig Ben's Figur hätte noch etwas nachvollziehbarer entwickelt werden dürfen.
Dabei spielt der Film stark mit dem Bild, dass Kinder eben doch sehr grausam sein können. Eben nicht nur Ben, sondern auch Ida hat eine durchaus sadistische Seite, die im Film ein paar Mal zu tragen kommt. Entsprechend gefährlich ist es eben, wenn dann gerade Kinder in so einem jungen Alter solche Kräfte entwickeln. Auf der anderen Seite betont der Film auch die Spaltung von der Welt der Erwachsenen und der Kinder. Als die Gefahren dringender werden ist es keine Option, die Eltern um Hilfe zu bitten, sie würden den Kindern ja nicht glauben. Nein, der Film geht noch weiter, die Eltern werden evtl sogar zu einem weiteren Risiko, dem sie ausgesetzt sind. Die Eltern jedenfalls können in diesem Film den Kindern keinen Schutz bieten, stehen ihnen im Gegenteil noch im Weg, wenn sie sich schützen wollen.
Es dürfte nicht jedermanns Geschmack sein, wenn sich Kinder, alle etwa zehn Jahre, einen teilweise doch recht brutalen Telekinese-Kampf bieten und die ein oder andere wüste Gewalttat ausüben. Insbesondere weil das Setting eben doch sehr realistisch anmutet und eben nicht so überzeichnet ist, wie etwa in einem Film wie "Omen".
7/10
Trailer: The Innocents