Literatur-Experten wissen alles besser?

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
... behaupten sie zumindest. Nicht alle - klar -, denn natürlich gibt es auch welche, die nicht so anmaßend sind (ich kenne mindestens einen namens Joel Barish). Habe mich nur ein wenig in die Haare bekommen mit einer selbsternannten Expertin, die mir in einem Buchforum vorgeworfen hat, anmaßend zu sein, weil ich die selbsternannten Experten selbsternannte Experten genannt habe. Nun die Frage an euch, bei der ich auf Objektivität hoffe: wissen die Literatur-Stundenten besser, was "gute" und was "schlechte" Literatur ist? Es ging darum, dass ich gesagt habe, ich fände Umberto Eco's "Der Name der Rose" zu ausschweifend und reißerisch (schwule Mönche im Mittelalter), und dass sein Pendel-Buch noch schlechter sei. Daraufhin meinte eine Literaturstudetin, Eco's Bücher seien absolut toll, weil sie "angesehen" sind. Ich meinte, ist mir doch egal, was irgendwer meint, und sie sagte, es sei sehr anmaßend und überheblich von mir, die Meinung der Experten nicht als Tatsache anzuerkennen. Von ihrem eigenen Eindruck hat sie nichts gesagt. Als ich sagte, dass ich zum Beispiel "Der Turm der Kathedrale" von William Golding deutlich besser fand, meinte sie, es klänge nach Trivialliteratur wie Ken Follett. Meinen Einwand "Aber Golding schreibt keinesfalls trivial oder oberflächlich (wie ich), du kennst doch "Herr der Fliegen" von ihm?" Ihre Meinung bezog sich wieder nur darauf, welches Ansehen Golding in der Literatur hat, und wieder hieß es sinngemäß: "Du bist zu überheblich, wenn du die Meinung der Experten nicht als Tatsache anerkennst".

Also die Frage: ist es anmaßend, die Meinung der Experten - selbsternannten Experten sage ich stumpf wieder - zu ignorieren und sich eine eigene Meinung zu bilden? Oder - um Gottes Willen - gar die Literaturstudien in Frage zu stellen?
Ja, ich gebe zu, dass ich bei dieser Sache nicht ganz objektiv bin. Deshalb dieser Thread. Liege ich wirklich so falsch, bin ich wirklich nur eingebildet? Sollte ich meine minderbemittelte (weil ohne Studium) Meinung fallen lassen und den Experten blind vertrauen? Hat man alles zu mögen, was die Experten für gut erklären?
 

Joel.Barish

dank AF
Ach Tyler, da merkt man doch sofort, dass man sich über so eine Maulheldin gar nicht aufzuregen braucht. Die erzählt doch - wenn du es einigermaßen korrekt hier dargestellt hast - nur Müll bzw. schlecht argumentierte Banalitäten. Sollte sie wirklich Literaturwissenschaftsstudentin sein, hat sie entweder nicht aufgepasst oder alles vergessen. Dass ein Buch bzw. Autor "angesehen" sind, ist überhaupt kein Argument. Insbesondere dann nicht, wenn es ja scheinbar um persönliche Leseeindrücke ging. Vielleicht meinte sie, dass Eco zum Kanon gehört (wobei dann eher seine literaturtheoretischen Sachen und/oder "Das foucaultsche Pendel), aber selbst dann ist es einfach nur peinlich, lächerlich und für dich, Tyler, gar nicht nötig sich darüber aufzuregen, wenn sie mit diesem Argument das keines ist deinen Leseeindruck als "falsch" begründet. Selbst kanonische Literatur muss hinterfragt werden, wird zudem auch nicht einseitig positiv aufgenommen. Und wenn sie wirklich Literatur studiert, sollte ihr klar sein, dass es oft genug auch gerade um die Frage geht, warum etwas zum Kanon gehört. Und selbst wenn man sich nicht mit der Kanonsfrage befasst, geht es eigentlich immer um das Buch an sich. Inhalt, Stil, Technik, Aussage, historische Positionierung etc. etc.

Man kann über jede Art von Literatur erstmal alles sagen. Wichtig ist, dass man es begründet und logisch argumentiert. Das gilt für deine Leseeindrücke, Tyler, und auch für die Ablehnung dieser durch diese merkwürdige Person, von der du hier sprichst. Expertenmeinungen können gar keine Tatsachen sein, weil sich verschiedene Experten regelmäßig widersprechen und ebenfalls darüber streiten. Hat diese Person denn nie das literarische Quartet gesehen? :huh:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Aufgeregt bin ich nicht, ich finde es nur schade, solche Meinungen lesen zu müssen. Und ich hatte mehrmals zu der Expertin gesagt: "Ist halt Geschmacksache, ob man die Details von Eco mag oder nicht", aber auf meinen Kompromiss wollte sie einfach nicht eingehen. Sie meinte nur: "Du bist zu überheblich", weil ich nun mal die offizielle Meinung der Experten nicht annehmen wollte. Sie war die einzige, die in dem besagten Forum meine Lieblingsautoren kannte (Vonnegut, Selby, Palahniuk, Kerouac, Welsh usw.), aber sie las sie nur weil sie die Bücher im Rahmen ihres glorreichen Studiums lesen musste. Es ist schwer, mit solchen Experten zu diskutieren. Und wetten, dass ich das Wort "Experten" häufiger verwendet habe ich jemand sonst bei dieser Kürze des Beitrags? Ein Experte hätte bestimmt was daran auszusetzen :biggrin:
 

Woodstock

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Tyler Durden schrieb:
und wieder hieß es sinngemäß: "Du bist zu überheblich, wenn du die Meinung der Experten nicht als Tatsache anerkennst".

Du kannst ja der Dame mal friegen wie die Welt aussehen würde wenn Galileo Galilei , Marx oder EInstein auf sogenannte "Experten" gehört hätten. Sie studiert! Das heißt sie erhält eine wissenschaftliche Ausbildung und das bedeutet nicht sich blind nach der Masse zu richten. Es bedeutet eher das man sich Wissen aneignet um sich seine eigene Meinung zu bilden.

Aber das ist genau das Verhalten das ich von vielen Politik und Jura Stundeten kenne. Die eigene Meinung wird abgelegt und die der Masse angenommen, nur weil es bequemer ist. Das es bei Literaturstudenten auch so ist, wußte ich nicht.

Ich persönlich kann mit vielen der sogenannten großen Autoren und Werke auch nichts anfangen. Ist aber auch immer so eine Stimmungssache.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Der Unterschied zu Einstein oder anderen Wissenschaftlern ist, dass Literatur immer noch Kunst und Geschmacksache ist. Das ist in meinen Augen keine Wissenschaft. Es kann eine Tatsache sein, dass 2+2 gleich vier ist, aber es kann keine Tatsache sein, dass dieses oder jenes Buch gut oder schlecht ist.
Ich mag viele Bücher, die auch von den Experten hochgelobt werden, aber nicht weil sie es loben, sondern weil es mir gefällt. Dostojewski oder Shakespeare finde ich genial, Hemingway ebenfalls, während ich die englische Literatur des 19. Jahrhunderts furchtbar finde. Viktorianisch nennt man sie, glaub ich - bin ja kein Experte:squint:
David Copperfield von Charles Dickens zum Beispiel fand ich sehr schwach und weinerlich und kitschig. Er leidet und alle sind so ungerecht zu ihm - das zieht sich dann über Hunderte von Seiten, ohne dass er daraus stärker wird, ohne Charakterentwiklung. Jane Eyre ebenso. Danach habe ich mich gefragt: Was sollte das alles bitte? Tausende unglaubhafte Zufälle, und die Damen halten sich eine Hand an die Stirn, wenn sie beim Erfahren von unangenehmen Dingen in Ohnmacht fallen. Muss man das mögen? Ich lehne mich weit aus dem Fenster und behaupte: Nein, das braucht man nicht. Kann man lesen, muss man nicht.

EDIT: Es sollte nicht um die Aussage dieses eines Mädchens gehen, ich wollte lediglich das Thema allgemein anschneiden.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Man kann vielleicht feststellen, dass manche Werke zu manchen Zeiten großes Ansehen besitzen, aber das heißt ja wissenschaftlich nun nicht, dass es sich faktisch um Qualitätsarbeit handelt. Nur um populäre.

Man kann sich auch Experte nennen, wenn man Kubrick zb nicht mag. Man sollte erkennen, welches Ansehen er hatte oder welchen Einfluss er auf andere hat, aber das verpflichtet nicht es gleichzuempfinden.
 

Shins

Well-Known Member
Joel.Barish schrieb:
Man kann über jede Art von Literatur erstmal alles sagen. Wichtig ist, dass man es begründet und logisch argumentiert.
Woodstock schrieb:
Es bedeutet eher das man sich Wissen aneignet um sich seine eigene Meinung zu bilden.
Jay schrieb:
Man kann sich auch Experte nennen, wenn man Kubrick zb nicht mag. Man sollte erkennen, welches Ansehen er hatte oder welchen Einfluss er auf andere hat, aber das verpflichtet nicht es gleichzuempfinden.
Tyler, dein Thread ist unfassbar interessant! Ich wollte eigentlich direkt dazu etwas schreiben, weil ich selbst Germanistik studiere. Aber die Zitate der Kollegen über mir sagen eigentlich schon komplett alles, was ich dir mit anderen Worten geschrieben hätte.

Ich kenne solche Leute aber auch, die einfach nur sagen, etwas ist gut, weil es als hochseriös und gebildet gilt, wenn man es gut findet. Häufig werden die dann Lehrer :ugly:
 

Dr.WalterJenning

Düsterer Beherrscher
Woodstock schrieb:
Sie studiert! Das heißt sie erhält eine wissenschaftliche Ausbildung und das bedeutet nicht sich blind nach der Masse zu richten. Es bedeutet eher das man sich Wissen aneignet um sich seine eigene Meinung zu bilden.

Leider geht Bildung nicht zwingend mit Intelligenz oder gar Intellekt einher... :wink:

Shins schrieb:
Ich kenne solche Leute aber auch, die einfach nur sagen, etwas ist gut, weil es als hochseriös und gebildet gilt, wenn man es gut findet. Häufig werden die dann Lehrer :ugly:

In meinem speziellen Fall war es ein Religionslehrer :biggrin:
 

Mrs. Rotwang

New Member
Vielleicht sollte man folgendes nochmal klar unterstreichen:
Dr.WalterJenning schrieb:
Leider geht Bildung nicht zwingend mit Intelligenz oder gar Intellekt einher... :wink:
In meiner ersten Sprachwissenschaftsvorlesung erdreistete sich eine junge Dame in der ersten Reihe vor ~250 Leuten zu fragen, was die Mehrzahl von Schal wäre. Auch später wird das nicht besser. Sogar Professoren sind häufig fachblind und egozentrisch und jeder wird dir zum Thema "Experten" oder "Kanonisierung" etwas anderes erzählen. Beispiele:

Bis zur letzten Faksimile-Ausgabe (und dabei will ich mich nicht festlegen, ich bin nämlich keine Expertin) von Kafka hat man jahrzehntelang mit falsch editierten Geschichten und Texten Kafkas herumgespielt. Der gute Max Brod hatte bei der zugegebenermaßen etwas krakeligen Handschrift Kafkas eminente Probleme gehabt und so Wörter, Passagen und teilweise ganze geschichten geändert. Ich erinnere mich an eine Geschichte, deren letzte Sätze vollkommen unzusammenhangsmäßig auf den rest folgten. Viele so genannte Experten sahen das als Hinweis darauf, dass Kafka in seiner Lesart transzendental sei und eine neue Metaebene eröffne. Tatsächlich waren die letzten Sätze dieser Geschichte einfach die ersten einer Neuen. Was dabei herauskommt, dass der eine auf den anderen vertraut und niemand vielleicht losgelöst von anderen Experten denkt und stattdessen einfach macht, kann man daran vllt ganz gut erkennen.

Dann zum Thema Kanonisierung, was der Dame und vielen anderen "Experten" sehr wichtig erscheint. Der Kanon ist eine Metainstrument, um einen Leitfaden zu bilden. Damit man beispielsweise als Lehrer ständig darum kämpfen müsste, warum man nun dieses und nicht jenes Buch lese oder aber auch nur um grob festzuhalten, welche Bücher vor allem für den deutschsprachigen Raum historisch, sozial und oder allgemeinbildungstechnisch wertvoll sind. Was man hier betonen muss, ist dass er ein Leitfaden ist. Dieser Leitfaden enthält nicht mal ansatzweise die Bücher, die tatsächlich relevant sind. Andersherum enthält er aber auch Bücher, die nur historisch oder sonstwie interessant sind und heute vllt als trivial oder einfach nur abgedroschen und langweilig geltbar sein können. Dass dieses System durchaus angreifbar ist, sieht man zB an "Der Vorleser" von Bernhard Schlink. Jahrelang unbeachtet von den Deutschen wurde er zuerst von den Amerikanern gelesen und kanonisiert und ist erst wirklich spät in die deutsche Kanonisierung eingetreten. Das alles hat also auch etwas mit Trends und Politik zu tun.

Ich finde es übrigens sehr erfrischend auch mal gegen kanonisierte Werke zu sein. Shame on me, ich hasse Kafka. Ich halte ihn für ein Vatersöhnchen, dass ausschließlich rum-mimit und außer der Strafkolonie hat mir keiner seiner Geschichten etwas gebracht. Was habe ich also getan? Ich bin in Kafkaseminare gegangen, habe Sekundärliteratur durchwälzt und mit Leuten diskutiert. Der Unmut Kafkas gegenüber hat also gebracht, dass ich mehr über ihn weiß, als über viele andere Autoren...
Und nochwas: meine Professorin meinte letztens noch "Und wenn mir hier jemand mit Brecht oder Hesse ankommt, dann kotz ich ihm auf den Tisch". Jap, zwei Doktortitel und die Professorenwürde.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Kafka ist schon ziemlich melancholisch, aber ich mochte "Die Verwandlung", "Der Prozess" und "In der Strafkolonie". "Das Schloss" hat mich hingegen gelangweilt. "Amerika" (bzw. "Der Verschollene") liegt noch ungelesen bei mir, mal sehen wann ich dazu komme. Ein paar Passagen kenne ich schon, die wurden ja als Erzählungen veröffentlicht (z.B. Der Heizer).
Und Hesse gehört zu meinen Lieblingsautoren, vor allem Siddhartha und Steppenwolf :top:
 

Constance

Well-Known Member
Wenn schon jemand nur versucht, durch die Hervorhebung und aufgrund einer "Expertenmeinung" zu diskutieren, sollte man diese Person einfach dezent ignorieren.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Hast du meinen Beitrag übersehen?:wink: Und ich könnte mir vorstellen, dass ich nicht der einzige bin, der ihn nicht hasst. Als Fan würde ich mich zwar auch nicht bezeichnen, aber die eine oder andere Sache von ihm hat mir gefallen.
 

Mrs. Rotwang

New Member
Woodstock schrieb:
Dr.WalterJenning schrieb:
Mrs. Rotwang schrieb:
...ich hasse Kafka. Ich halte ihn für ein Vatersöhnchen, dass ausschließlich rum-mimit...
http://4.bp.blogspot.com/_l_973yyUq3A/R6hV732W3kI/AAAAAAAABAc/H3thHPFzZ78/s400/you_make_my_day.jpg

Gott, wer hasst Kafka nicht? :confused:
Extrem viele Leute. Wobei ich dem Großteil davon unterstelle es aus prätenziösen Gründen zu tun. Ähnlich denen die vor Bildern stehen und "pittoresk" sagen. Genau die, die sich selbst zu Experten ernennen.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Kenne von Kafka nur "Die Verwandlung" und das gefiel mir ausgesprochen gut.

P.S. Muss bei Kafka (nur dem Namen) noch irgendwer immer an die Szene aus "Congo" denken?
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Klar, als Laura Linney mit einem Laser Albinogorillas niedermähte. Das war kafkaesk.

:ugly:

Der Prozess ist gut.
 

Dr.WalterJenning

Düsterer Beherrscher
Woodstock schrieb:
Gott, wer hasst Kafka nicht? :confused:

Reich-Ranicki zum Beisepiel oder, wie bereits erwähnt, eine Menge sogenannter bzw. selbsternannter "Experten"!

Revolvermann schrieb:
P.S. Muss bei Kafka (nur dem Namen) noch irgendwer immer an die Szene aus "Congo" denken?

Hier, ich! :biggrin:

Forscher stellt, eingeschüchtert von der Miliz und der surrealen, kafkaesken Situation, folgendes fest : " ...Das ist hier ja wie bei Kafka..."
Darauf erwiedert ein congolesischer Soldat fauchend, in der Hoffnung, jener Forscher habe mit dieser Äusserung einen vermeintlichen Mitverschwörer entlarvt: " Wer ist dieser Kafka???"

Großartig, musste herzhaft lachen :thumbsup:
 

Joel.Barish

dank AF
Ich mag Kafka. Sehr sogar.

Und ich verwehre mich ganz entschieden dagegen, einfach nur ein Möchtegern, ein Pseudo-Experte oder sonst irgendwas Dämliches zu sein. Habe ich Spaß, wenn ich Kafka lese? Nur bedingt. Aber es faziniert und beschäftigt mich wie nicht viele Autoren. Ich würde - vielleicht abgesehen vom Proceß, der ja nun wirklich Pflicht ist - jedem generell aber auch eher die Kurzgeschichten und Erzählungen empfehlen. Die bieten die Faszination Kafkas komprimiert und weniger ausladend. Außerdem kann man eigentlich keinen Roman bzw. kein Fragment unbefangen anpacken, ohne zumindest mal eine kommentierte Ausgabe durchflogen zu haben. Und ich verwehre mich auch dagegen, Kafka sei nur Weltschmerz und Vaterkomplex. Das sind sicherlich sehr präsente Themen, aber bei weitem nicht die einzigen Themen. Und auch wenn diese Geschichte Vaterkomplex pur ist, so ist "Das Urteil" für mich quasi der Archetypus dessen was Kafka so spannend macht.
 
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