Schreiben

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
@Revolver
Nein nein, keine Sorge. Natürlich hat Lesen einen unschätzbaren Wert. :squint: Ich meinte damit, dass wir mit dem Material, das wir lesen, in keinem Wettkampf stehen.

@Tyler
Da bin ich ganz deiner Meinung. Man muss ja nicht zwingend auf Bücher beschränken, aber ja, wer sich freiwillig mit immer wieder neuen und anderen Perspektiven und Geschehnissen auseinandersetzt, dürfte immer verständnisvoller und empathischer werden.

In einer solchen Situation kannst du ja mal fragen, ob Romeo und Julia, Hamlet und MacBeth auch Problemliteratur seien. Denn darin geht es ja um Selbstmord, Neid und Verrat, und wenn man solche Stoffe liest, setzt man sich ja auch freiwillig mit unschönen Menschenfiguren und deren Absichten aus. Nach deren Statement heißt man das ja dann gut, oder?

Magische Monsterclowns, die Kinder essen und Kannibalen, die anderer Leute Gesichter als Maske tragen mögen da sehr viel schlimmere Übel sein, aber sich mit denen zu befassen steht doch auf der gleichen Linie wie mit Königsfamilien, die sich gegenseitig hintergehen und abstechen. Das heißt man ja selbst auch nicht gut, und man will gewiss anschließend niemanden erstechen oder hintergehen, aber man findet es interessant. Selbiges gilt doch für Pennywise und Hannibal.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Sehe ich auch so.

Als der Zensur-Prozess gegen "Naked Lunch" von William S. Burroughs lief, meinte er sinngemäß, dass er Morde/Hinrichtungen und Folter in aller Hässlichkeit zeigen wollte.
Es gibt ja Bücher und Filme, in denen Kriege oder Morde verharmlost werden, indem sie nicht gezeigt, sondern nur so "nebenbei" erwähnt werden. Zum Beispiel "Pearl Harbor", der so sauber, glatt und einseitig war. Die Beschreibungen bei Erich Maria Remarque und Norman Mailer sind schon weit abschreckender, so dass nur noch gestörte Typen nach solcher Lektüre einen Krieg wollen würden.
Heißt jetzt nicht, dass alle Kriegsfilme viel Splatter haben sollen, aber die Schrecken sollten schon erkennbar sein.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Was ist wirkungsvoller: Zu zeigen, wie böse die Bösen sind (als Abschreckung) oder wie gut die Guten sind (als Ansporn)?

Und fast noch wichtiger: womit erreicht man mehr: wenn man in einer einfacheren Sprache eine Message für die "breite Masse" bringt oder wenn man in einer anspruchsvollen, überkünstelten Sprache schreibt, um mehr Zuspruch und Bewunderung von Gleichgesinnten und Akademikern zu bekommen? Denn machen wir uns nichts vor, die breite Masse wird nie die "hohe Kunst" zu schätzen wissen. Sie werden nicht ins Kino gehen, um sich dreistündige Homodramen und Antikriegsfilme anzusehen. Diese Filme und Bücher werden größtenteils von Menschen angesehen und gelesen, die sowieso schon tolerant sind und pazifistisch. Also erreicht man damit im Prinzip nur Leute, die eine solche Message gar nicht mehr brauchen.

Also tendiere ich dazu, dass es wohl besser ist, für die Otto-Normalverbraucher zu schreiben, wenn man ein bisschen was verändern will (wobei mir bewusst ist, wie wenig ich damit bewirke). Aber mehr als wenn ich für meine Gleichgesinnten schreiben würde.

Wie seht ihr das?

EDIT: Soll jetzt nicht heißen, dass ich NUR irgendwelche Botschaften verbreiten und die Meinungen der Menschen verändern will. Nein, in erster Linie schreibe ich weil es mir verdammt viel Spaß macht. Ich finde auch nicht, dass JEDE Story eine Botschaft braucht, sie kann auch einfach spannend oder gut geschrieben sein. Aber meistens versuche ich schon, ein bisschen Sinn reinzubringen und die Leser irgendwie zum Nachdenken zu bringen, und sei es nur ein wenig.

Behauptung: Stepheny Meyer und Dan Brown haben mehr Einfluss auf die heutige Gesellschaft als Goethe oder Ghandi. Leider.
Ich versuche schon, ein bisshen Anspruch reinzubringen, aber es sollte sich schon flüssig lesen, finde ich.
 

serd

Well-Known Member
Bezüglich hohe oder einfache Sprache:

Ich kann da jetzt auf die schnelle nur für meinen Eindruck aus dem Bereich von Fachliteratur geben. Ich denke jeder von uns hat im Laufe seines Lebens schonmal Fachliteratur zu irgendwelchen Themen in der Hand gehabt. Sei es in Schule, Beruf oder Studium.

Hier habe ich oft den Eindruck, dass fast schon erzwungener Massen auf eine hohe Sprache und komplizierte Ausdrucksweise gesetzt wird. Aber ist das nicht genau das falsche? Ist es nicht sehr viel beeindruckender, wenn jemand schwierige und komplizierte Inhalte einfach und sofort nachvollziehbar darlegen kann?

Ich will damit sagen, dass eine hohe Sprache meiner Meinung nach nicht immer besser oder auch anspruchsvoller ist.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Puh, Riesenfass. Ich schreibe nachher mal mehr dazu, find ich sehr interessant. :squint:

"Kommt drauf an" wär jetzt erstmal meine gröbste Antwort, aber ich gehe nochmal auf Details ein.
 

Woodstock

Verified Twitter Account ☑️
Mir geht es gerade wie Jay. Ich würde auch sagen "Kommt darauf an" und dann vielleicht noch das Thema etwas erweitern aber nicht mehr heute Abend.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Ich bin da bei Woody und Jay. Es kommt ganz drauf an.
Wobei ich finde das in beide deiner Fragen genau die Kunst einer guten Geschichte aufzeigen. Im Idealfall erreicht man ein möglichst großes Publikum mit seinem Anliegen. Dabei besteht die Kunst darin es lyrisch so ausgefeilt und doch so verständlich rüber zu bringen, dass komplexe Sachverhalte einfach rüberkommen und dennoch ein wunderschönes Leseerlebnis erzeugen.

Dieselbe Ambivalents legt man im Idealfall bei dem Thema gut und böse an den Tag. Denn niemand ist nur böse oder nur gut. Im Philosophischen ist man gerade dabei sich von diesen Wörtern zu trennen, weil es sie als eigentlich gar nicht gibt. Ich will da jetzt nicht zu weit abschweifen aber z.B. den Marvelbösewichten wird doch immer eine gewisse Eindimensionalität vorgeworfen. Weil sie einfach böse sind um böse zu sein aber das ist uninteressant und unrealistisch. Einem jeden dünkt sein weg ist recht.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
serd schrieb:
Bezüglich hohe oder einfache Sprache:

Ich kann da jetzt auf die schnelle nur für meinen Eindruck aus dem Bereich von Fachliteratur geben. Ich denke jeder von uns hat im Laufe seines Lebens schonmal Fachliteratur zu irgendwelchen Themen in der Hand gehabt. Sei es in Schule, Beruf oder Studium.

Hier habe ich oft den Eindruck, dass fast schon erzwungener Massen auf eine hohe Sprache und komplizierte Ausdrucksweise gesetzt wird. Aber ist das nicht genau das falsche? Ist es nicht sehr viel beeindruckender, wenn jemand schwierige und komplizierte Inhalte einfach und sofort nachvollziehbar darlegen kann?

Ich will damit sagen, dass eine hohe Sprache meiner Meinung nach nicht immer besser oder auch anspruchsvoller ist.
So sehe ich das auch. Auch bei fernöstlichen/buddhistischen Philosophen galt eine Aussage umso beeindruckender, je kürzer und treffender jemand einen Gedanken zusammenfassen kann. Wenn jemand zehn lange Sätze braucht und sich unnötig umständlich ausdrückt, ist das keine hohe Kunst.

Gegen die "hohe" Sprache habe ich nichts, aber manchmal wirkt das zu erzwungen, als würde der Autor oder die Autorin nur zeigen wollen, was sie in ihrem Germanistik-Studium gelernt haben. Dann können sie sich schön selbst auf die Schulter klopfen und bekommen vielleicht Lob von anderen Akademikern, aber was genau erreichen sie damit?
Eine einfache Sprache ist nicht zwangsläufig anspruchslos. Hemingway und Fitzgerald haben sich zum Beispiel auch ziemlich einfach augedrückt. Ich finde es besser, wenn der Anspruch im Inhalt steckt und nicht im Satzbau. Das ist nur scheinbarer, oberflächlicher Anspruch.
 

McKenzie

Unchained
Tyler Durden schrieb:
Gegen die "hohe" Sprache habe ich nichts, aber manchmal wirkt das zu erzwungen, als würde der Autor oder die Autorin nur zeigen wollen, was sie in ihrem Germanistik-Studium gelernt haben. Dann können sie sich schön selbst auf die Schulter klopfen und bekommen vielleicht Lob von anderen Akademikern, aber was genau erreichen sie damit?
Sehe ich auch so. Allerdings muss ich umgekehrt auch sagen, ist ein Roman zu simpel geschrieben, ohne jegliche Kreativität mit der Sprache (in jeglicher Form), ergibt das bei mir u.U. einen leicht schundigen Ersteindruck, der mich das Interesse am Buch schon beim reinlesen verlieren lässt. Natürlich kann ein Buch auch simpel geschrieben sein, aber auf das "wie" kommt es natürlich wie immer an. Wolf Haas z.B. schreibt sicherlich nicht im Stil einer Doktorarbeit (wobei ich ihm zutraue dass er das könnte, aber er wählt ja bewusst die Einfachheit), aber sein Stil ist markant und gewitzt.
Auch ein Stephen King schreibt nicht übermäßig kompliziert, aber man merkt ihm dennoch stellenweise an, dass er Spaß mit der Sprache hat.

Naja, letztlich kommt es sowieso immer auf den Stil des Buches / der erzählten Geschichte an. Ein The Beach muss einfach anders geschrieben werden als ein Herr der Ringe.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
McKenzie schrieb:
Allerdings muss ich umgekehrt auch sagen, ist ein Roman zu simpel geschrieben, ohne jegliche Kreativität mit der Sprache (in jeglicher Form), ergibt das bei mir u.U. einen leicht schundigen Ersteindruck, der mich das Interesse am Buch schon beim reinlesen verlieren lässt. Natürlich kann ein Buch auch simpel geschrieben sein, aber auf das "wie" kommt es natürlich wie immer an.
Da stimme ich dir auch zu.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Tyler Durden schrieb:
Was ist wirkungsvoller: Zu zeigen, wie böse die Bösen sind (als Abschreckung) oder wie gut die Guten sind (als Ansporn)?

Und fast noch wichtiger: womit erreicht man mehr: wenn man in einer einfacheren Sprache eine Message für die "breite Masse" bringt oder wenn man in einer anspruchsvollen, überkünstelten Sprache schreibt, um mehr Zuspruch und Bewunderung von Gleichgesinnten und Akademikern zu bekommen? Denn machen wir uns nichts vor, die breite Masse wird nie die "hohe Kunst" zu schätzen wissen. Sie werden nicht ins Kino gehen, um sich dreistündige Homodramen und Antikriegsfilme anzusehen. Diese Filme und Bücher werden größtenteils von Menschen angesehen und gelesen, die sowieso schon tolerant sind und pazifistisch. Also erreicht man damit im Prinzip nur Leute, die eine solche Message gar nicht mehr brauchen.

Also tendiere ich dazu, dass es wohl besser ist, für die Otto-Normalverbraucher zu schreiben, wenn man ein bisschen was verändern will (wobei mir bewusst ist, wie wenig ich damit bewirke). Aber mehr als wenn ich für meine Gleichgesinnten schreiben würde.

Wie seht ihr das?

EDIT: Soll jetzt nicht heißen, dass ich NUR irgendwelche Botschaften verbreiten und die Meinungen der Menschen verändern will. Nein, in erster Linie schreibe ich weil es mir verdammt viel Spaß macht. Ich finde auch nicht, dass JEDE Story eine Botschaft braucht, sie kann auch einfach spannend oder gut geschrieben sein. Aber meistens versuche ich schon, ein bisschen Sinn reinzubringen und die Leser irgendwie zum Nachdenken zu bringen, und sei es nur ein wenig.

Behauptung: Stepheny Meyer und Dan Brown haben mehr Einfluss auf die heutige Gesellschaft als Goethe oder Ghandi. Leider.
Ich versuche schon, ein bisshen Anspruch reinzubringen, aber es sollte sich schon flüssig lesen, finde ich.

Sorry, hat etwas gedauert,aber jetzt hab ich Zeit.

Ich würde sagen, am besten ist es, wenn du beides verbindest. Bolls Ausschwitz zb zeigt nur KZ-Leid. Spielbergs Schindlers Liste hingegen zeigt KZ-Leid und Helden, die sich dagegen einsetzen. Was wirkt besser? Anstatt nur das gut und böse zu zeigen, sollte man vielleicht mehr Wert darauf legen, warum sie das sind. Wie es dazu kam oder kommen kann, wo es anschließend hingehen kann. Dass ein Mörder beispielsweise ein gesellschaftsfeindliches Individuum ist, muss man keinem sagen. Das wissen dann schon alle. Wieso er aber so wurde und was man mit ihm machen könnte oder sollte, das ist schwierig. Und schwierig ist interessant.

Du kannst das aber nicht so pauschal sehen, was das Zielpublikum betrifft. Es gibt nicht die verschlossene breite Masse und Leute, die extrem offen für neue Gedanken sind. Das ist ein großes Spektrum, mit einer Menge im Graubereich. Wer Shakespeare liest, ist nicht unbedingt offen für gewisse religiöse oder moralische oder politische Themen, und wer Shakespeare liest, kann auch Twilight im Schrank stehen haben. Und wer bloß Twilight im Schrank hat, ist vielleicht ab seinem nächsten Buch urplötzlich für neues offen.

Die Frage ist, was man verändern will. Willst du Rassisten dazu bringen, dass sie sich mal in Frage stellen? Wird bei den meisten nicht funktionieren. Kann bei einigen funktionieren. Kann die Leute, die es sowieso schon so sehen, noch verstärken in ihrer Meinung. Kann dazu führen, dass sie es noch mehr veräußern, was widerum Effekt haben kann auf die Rassisten, die sich nie durch ein Buch ändern würden. Die Wege sind weit und es wird so schnell keiner ein Buch schreiben, das Menschen massenweise ändert. Das hat bei der Bibel und dem Koran geklappt, aber auch nur mit viel Werbung und viel Geduld. Ansonsten werden Stoffe auch schnell falsch verstanden, siehe zb Scarface oder Wall Street. Beides zynische Werke die eigentlich zeigen, wie wahnsinnig oder schlecht es ist, Drogenbaron oder Geldhai zu sein. Stattdessen werden Scarface und Gekko noch heute von gewissen Leuten vergöttert, weil sie Werte und Erfolge verkörpern, die zwar gegen die der Masse gehen, die aber ihre Fantasie ausfüllen. Endlich mal der Boss, der reiche, der am Drücker sein. Keine Rücksicht aufs Gesetz oder andere geben.

Es gibt keinen richtigen Weg zu schreiben, aber die Konsequenzen müssen dir bewusst sein. Wenn du wie eine zwölfjährige beim Twittern schreibst, verschreckst du Leute, die Wert auf Sprachstil geben. Wird das aber zu schwierig, verschreckst du Leute, die nur Sachen runterlesen wollen. Andererseits kann auch der am leichtesten geschriebene Superroman völlig unbeachtet bleiben, ebenso wie das genialste Komplexitätswerk aller Zeiten. Am Ende muss es dir ja gefallen, und du kannst den Stil bei jedem einzelnen Projekt neu überdenken.

> Schreib nach Instinkt. Ist ja auch ein Kanal, ein Ausdruck deiner Gefühle, deiner Ideen. Versuche nicht dich Leserwünschen möglichst anzupassen. Das kannst du zum Teil machen, aber die Kontrolle liegt bei dir.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Obwohl ich von solchen Kategoriesierungen nichts halte, würde ich sagen, dass man die meisten Autoren und Autorinnen in "Illusionisten" und "Desillusionisten" einteilen kann. Das Folgende ist nicht abwertend gemeint:
Bei den ersteren gibt es nur Happy-Ends, es sterben keine Kinder, das Gute gewinnt immer, die Fuguren sind entweder nur gut oder nur schlecht. Also Wunschfantasie.

Bei den letzeren gibt es selten Happy-Ends, und wenn, dann sind es sehr fragliche "Happy"-Ends. Jede Figur kann jederzeit sterben, selbst wenn es ein Kind ist (wie in der Realität). Die Bösen leben oft im Luxus und werden 100 Jahre alt, während manche guten Menschen schon sehr jung ums Leben kommen. Manchmal gewinnt der Böse. (mir ist klar, dass "gut" und "böse" eine sehr einfache Einteilung wäre. Wenn ich "gut" sage, meine ich: Er/sie tötet keinen, vergewaltigt keinen, unterdrückt keinen, lebt einfach sein/ihr Leben. Mit "Böse" meine ich skruppellose Geldmacher, die Kindern innere Organe rausschneiden, um sie an reiche Kriminelle zu verkaufen. Oder eben Vergewaltiger, Serienmörder, Massenmörder etc.) Eben das, was man normalerweise als gut oder böse bezeichnet.

EDIT: Oder man könnte sagen, die Illusionisten beschreiben die Welt wie sie sich wünschen, die Illusionisten beschreiben sie wie sie ist oder sein könnte.

Aber was ist in euren Augen besser oder "richtiger"? Den Menschen als AutorIn eine bequeme Illusion vermitteln, damit sie nach dem Lesen mit einem guten Gefühl ins Bett gehen? Oder die unschönen Dinge offenlegen und die Leserinnen und Leser deprimieren und unglücklich machen? Beides gleichzeitig ist extrem schwierig.
 

Rantman

Formerly known as Wurzelgnom
Wieso muss denn eines von beiden richtig oder besser sein? Haben nicht beide Arten des Schreibens ihre Vorteile? Je nachdem worauf man gerade Lust hat, sucht man sich das seine eben aus.

Ich persönlich mag ja am liebsten das Mittelding aka Grau
 

Woodstock

Verified Twitter Account ☑️
Das kommt gänzlich auf den Anspruch an den man hegt. Will man hoffnungsvoll, deprimierend oder realistisch sein? Ich persönlich sehe deine Begriffeinteilung ein wenig zynisch (keinesfalls persönlich gemeint). Es wirkt als ob man entweder ein hoffnungsloser Träumer oder ein resignierter Zyniker ist. Beides bewegt sich stark in der Welt der Fiktion, denn Tatsache ist, in der Welt geht nicht nur alles gut oder schlecht aus. Die Begriffe "Illusionist" und "Desillusionist" wirken kategorisch surreal. Daher würde ich den Begriff "Realist" noch hinzufügen. Schreckliche Dinge können ein trauriges Ende haben auch es kann auch alles gut werden. Der Protagonist kann seine Geschichte überleben oder eben auch nicht.

Daher kann ich mit beiden Extremen nichts anfangen. Selbst in der fiktivsten Geschichte brauche ich einen gewissen logischen Aufbau. Wenn die Helden wirklich alles überleben und es auf Biegen und Brechen ein Happy End geben muss, dann kaufe ich das der Geschichte nicht ab aber genauso wenig, wenn es einfach genauso erzwungen ein trauriges Ende gibt. Wenn der Held neun Schusswunden überlebt oder die junge Frau ihre große Liebe einfach durch einen sinnlosen Unfall verliert. Klar sowas kann ich echt passieren aber in manchen Geschichten hat es den Wunder-Effekt und in einer Geschichte die davor gänzlich ohne sowas ausgekommen ist wirkt dieses Ende deplaziert und ruiniert den Fluss der Geschichte.
:smile:
 

Mestizo

Got Balls of Steel
Auch das Leben schreibt Happy Ends. Das am Ende irgendwann jeder das Zeitliche segnet, ist ja auch bei Happy End Stories nicht ausgeschlossen. Der Abschluss der Geschichte ist halt einfach früher. Ich finde beide Herangehensweisen haben ihren Reiz, solange alles in sich stimmig ist. Ich benötige nicht auf Teufel-komm-raus, Geschichten, bei denen man immer damit rechnen muss, dass jemand der liebgewonnenen Figuren stirbt, weil der Autor unbedingt "anders" sein möchte. Ich brauche aber auch nicht zwingend Geschichten, in denen man von Beginn an weiß, welche Figuren überleben werden und welche nicht. Gibt da in meinen Augen einfach kein richtig oder falsch. Jeder Mensch ist anders, jeder Mensch hat seinen Anspruch und deswegen finden diese vielen verschiedenen Autoren auch ihre Leserschaft. Ich fände es, im Gegenteil, eher bedauerlich, wenn immer alles nach dem selben Schema ablaufen würde. Völlig egal, ob das immer ein deprimierender Schluss oder stets ein Happy End wäre, wäre ich dem sehr schnell überdrüssig.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
So sehe ich das auch. Ein Happy End muss nicht sein, aber es muss auch kein erzwungenes böses Ende sein. Es sollte schon halbwegs unvorhersehbar und möglichst realistisch sein. Das negativste Beispiel wäre für mich ein Buch wie "Acht Stunden Angst" von Nicci French. Da ist die Hauptfigur eine 40-jährige Frau, die erstmal über ihr Altern jammert, und dann wird ihre Tochter entführt. Nach vielen wilden Zufällen findet die Hauptfigur das Mädchen dann am Strand, irgendwo angekettet, und wegen der Flut steigt der Wasserstand, und das Mädchen droht zu ertrinken. Dann läuft die Frau zu ihrem Auto, öffnet den Kofferraum und findet dort ein Geburtstagsgeschenk, reißt es auf und es ist Tauchausrüstung. Kein Witz.
Und die Autorin hat nicht einmal glaubhaft dargelegt, weshalb die Protagonistin überhaupt zum Auto läuft, während ihre Tochter im steigenden Wasser zu ertrinken droht. Wahrscheinlich hatte sie einfach so ein Bauchgefühl und folgte ihrem Herzen. Mit solchen Enden kannman mich wirklich jagen.

Muss natürlich jeder Autor halten wie er/sie will, aber wenn man schon unbedingt das fiktive Mädchen retten will, dann muss man sich wenigstens eine plausible Erklärung ausdenken und nicht so eine "Fügung des Schicksals". Solche Zufälle beweisen nur die Einfallslosigkeit der Autorin (in diesem Fall). Bei männlichen Autoren gibt es aber auch zu oft solche Deus ex machina.
 

MamoChan

Well-Known Member
Es kommt auf den Fluss der Geschichte an. Im Grunde mag ich Happy Ends, aber sie dürfen, wie schon erwähnt, nicht erzwungen völlig aus der Luft gegriffen sein. Ja, die Hauptperson darf gerne auch sterben, wenn es der Lauf der Geschichte erfordert. Aber ebenso will ich kein erzwungenes Happy End. Der Schluss einer Geschichte hat manchmal unheimlich viel Macht. Es ist der letzte EIndruck der Geschichte und die gesamte Stimmung kann damit kippen. Durch einen schlechten Schluss kann man eine ansonsten gute Geschichte völlig versauen.
Im Grunde mag ich es, wenn Geschichten positiv enden. Wenn ich den Charakteren durch die Geschichte folge, ihre Mühen und Bestrebungen lese und mit ihnen mitfiebere, dann habe ich es auch gerne, wenn mag ich es, wenn am sie am Ende ihre Belohnung erhalten. Genauso möchte ich aber auch gerne, dass die Bösen dann ihre verdiente Strafe erhalten. Dann kann ich ein aufgesetztes negatives Ende genauso wenig leiden wie ein erzwungenes Happy End bei düsteren Geschichten. Aber eigentlich... Die Realität ist schon scheiße genug, da kann man wenigstens bei der Realitätsflucht mal ein wenig was Positives haben. :biggrin:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Die Frage ist wohl: Will man beim Lesen die Realität verdrängen oder verarbeiten?

Ich bin für eine gesunde Mischung aus beidem, bzw. für Abwechslung. Deswegen lese ich nicht nur Horror, sondern auch mal schönere Bücher :wink:
Muss aber natürlich jeder für sich entscheiden. Die süße Lüge oder die bittere Wahrheit? Hmm. :wink:
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Ich glaub nicht, dass alle Leser der irrsinnig beliebten Serienkillerromane unbewusst zu diesen Stoffen greifen, weil man so real existierende ähnliche Vorkommnisse verarbeiten kann. Würde eher sagen, dass Menschen generell eine selten gern ausgesprochene Faszination für das Töten haben. Zum einen den Täter betrachtend: wie kann man so werden, was sind das für Menschen, die diesen Respekt vor dem Leben abgelegt haben etc, zum anderen, weil es unseren Überlebensinstinkt anstachelt. Wir begegnen jeden Tag so vielen Menschen, da liegt der Thrill nahe, dass einer von ihnen so sein könnte. Sprich, das ist als Vision noch sehr viel greifbarer als Dämonen oder Monster als Täter.

Auch ist es halt instinktiv unterhaltend - selbst Einzeller fressen andere oder werden von größeren gefressen, tiefer könnte es nicht im Gencode drin stecken - deswegen "morden" die meisten auch täglich in Games ohne Ende, und wenns nur Super Mario ist.

Sachromane über reale Serienmörder sind ja hingegen kaum beliebt. Wieso aber, wenn es doch sehr ähnlich ist? Ich glaube, das liegt daran, dass wir mit real auch automatisch nachvollziehbare Gefühle und Folgen verbinden. Wenn Joe im Roman stirbt, ist das maximal tragisch, aber wenn ein Joe im echten Leben stirbt, wissen wir sofort, dass da Familie und Bekannte dran hängen, die durch den Tod weiter leiden werden. Da ergibt sich ein ganz anderer Respekt als vor einem erdachten Joe, oder Bowser aus Super Mario. Da springt man dann ganz achtlos drauf.

Also um auf deinen Süßvergleich zurück zu kommen: ich denke, es wäre dann eher süße Lüge und bittere Lüge, statt bittere Wahrheit. Letzteres wären dann eher die Sachromane, die reale Geschhnisse dokumentieren und auf ganz andere Art klar machen: jo, das gabs echt. Ich glaube in dem Zusammenhang auch, dass beides auf dem gleichen Niveau ist. Viele lächeln abfällig über Liebesromane, aber ist die Story einer mitreißenden Liebe eine so viel weniger erfüllende Vision eines geschriebenen Geisterhauserlebnisses? Oder ist es so, dass man 1) in einer Beziehung längst erfüllt genug ist oder 2) außerhalb einer Beziehung nichts mit einer reinen Fantasie anfangen kann und dadurch ggfs bloß deprimierend erinnert wird, sowas nicht zu haben?

Die abfälligste Hauptkritik an Liebesromanen ist ja, dass sie so vorrausschaubar sind. Sie kriegt ihn, lalala, happy end. Aber kann man diese Kritik überhaupt anbringen? Bei Liebesromanen geht es ja überhaupt nicht darum, an der Nase herumzuführen und zu überraschen, was bei Polizeiromanen aber essentielles Element ist. Es liest ja keiner den Roman um rauszufinden, ob sie sich kriegen, sondern wie. So wie bei Alex Cross auch nie Frage ist, ob er überleben wird, sondern wie er überleben wird.

Was das Happy End betrifft: Nehmen wir nur mal Schweigen der Lämmer. Wenn Hannibal kurz durchgibt, mit Childs zum Essen verabredet zu sein, was ist das dann? Ein Happy End für Hannibal, weil er frei ist und sich an jemanden rächen kann, der ihm Leid zugefügt hat? Oder ist es ein böses Ende für alle anderen, weil der Kriminelle Lecter frei ist?
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Jay, du hast mich anscheinend missverstanden. Meine Einteilung geht nicht so sehr nach Genres, sondern nach dem Inhalt eines Buches. Viele Thriller würde ich zu der Kategorie "Illusionismus" zählen (siehe auch mein Beispiel über "Acht Stunden Angst"), während sogar manche Liebesromane eher zum Desillusionismus gehören (z.B. "Anna Karenina"). So reine 0815-Thriller lese ich übrigens kaum noch, weil sie entweder zu unglaubhaft, zu platt, zu einfallslos oder zu vorhersehbar sind (was bei einem Thriller schon ein starkes Manko ist).
Ich weiß ja nicht, was du beim Lesen einer Mordszene empfindest, aber ich finde das nicht so "faszinierend" (was bei dir schon fast nach "geil" klingt) und ich finde es nicht richtig, so etwas den Lesern zu unterstellen. Es gibt zwar wirklich welche, die sowas "voll geil" finden und am liebsten Bücher lesen, die möglichst viel Blut und möglichst wenig Story enthalten. Aber so sind bei weitem nicht alle. Ich war mal eine Weile in einem Forum für Horror und Thriller, und da konnte man solche "Gorehounds" wirklich an einer Hand abzählen. In einem anderen, allgemeineren Forum hat sich die große Mehrheit immer wieder darüber ausgelassen, wie krank und abscheulich die Leser von Horror sein müssen, dass sie sowas lesen. Und ich werde schon von anderen angefahren, wenn ich ein Genre (nicht die Leser dieses Genres!) kritisiere.

Die Sachbücher über reale Mordfälle und Serienkiller (nennt sich True Crime) sind meines Wissens gar nicht so unbeliebt. Ich glaube, ich habe noch keines davon gelesen. Aber es gibt auch Figuren in Psychothrillern, die auf realen Personen basieren. Zum Beispiel Buffalo Bill (aus Schweigen der Lämmer), der viel von Ed Gein hat. Thomas Harris hatte ja ne ganze Weile als Kriminalreporter gearbeitet und hatte deswegen Zugang zu vielen Informationen und Details (z.B. über die Vorgehensweise eines Täters), die in den offenen Medien nicht zu finden waren.
(Und nein, für mich ist das Ende von Schweigen der Lämmer kein Happy End).

Über Liebesromane habe ich hier gar nichts gesagt (an anderen Stellen schon) :biggrin: Es gibt da auch Ausnahmen wie die erwähnte Anna Karenina, aber sonst kenne ich keine guten Liebesromane (habe aber auch nur ein paar gelesen). Ich sage ja nichts gegen die Leute, die das gerne lesen. Aber als ein entschiedener Bekämpfer von Sexismus finde ich die Nackenbeißer-Cover sehr unangebracht, weil es die Männer zu Sexobjekten degradiert! Immer diese halbnackten durchtrainierten großen jungen Männer auf den Covern :ugly:
Aber jetzt im Ernst: ich glaube, dass solche Bücher die Leser nur kurzfristig "glücklich" machen, auf lange Sicht aber eher das Gegenteil bewirken. Während des Lesens tauchen sie in diese traumhafte Welt ein, wo das größte Problem eine Entscheidung zwischen zwei Verehrern ist und alles so gerecht ist, dass die Fieslinge immer ihre Strafe bekommen und die Guten am Ende belohnt werden. Dann legen sie das Buch weg und werden wieder mit der Realität konfrontiert, die danach nur enttäuschen kann. Sie sehen die Nachrichten über Kriege und Terror und Mord. Und nach dem Traumprinzen (oder Traumfrau) aus dem Buch finden sie sich neben ihrem realen Partner wieder, der oder die ihre Macken hat und nicht so zuvorkommend ist wie die fiktive Figur aus dem Buch. Wenn sie immer nur Bücher darüber lesen, wie schön die Welt sein könnte, werden ihre Ansprüche und Erwartungen an das Leben unrealistisch hoch, was zu Enttäuschungen und Depressionen führt.
Überhaupt sind (meiner Meinung nach) so viele Menschen in diesem Land nur deswegen so depressiv und unglücklich, weil sie zu viel vom Leben erwarten. Aber damit schweife ich unnötig ab.

Zum Thema "süße Lüge und bittere Wahrheit": "Im Westen nichts Neues" von Remarque wäre ein Beispiel für die bittere Wahrheit. Aber es muss nicht einmal ein autobigrafischer Roman sein. Wenn ein Buch zum Beispiel auf eine realistische Weise die Kinderprostitution oder blutige Diamanten thematisiert, dann ist die bittere Wahrheit natürlich nicht, dass es der fiktiven Figur X widerfahren ist, sondern dass diese Missstände tatsächlich existieren. In einem Liebesroman wird sowas selten thematisiert, weil es die schöne Illusion nur stören würde. Mit "verdrängen oder verarbeiten" meinte ich: will man sich der Illusion einer gerechten, schönen Welt hingeben, oder will man mit den unschönen Dingen konfrontiert werden? Wie ich schon zu Anfang sagte, meine ich das nicht abfällig oder abwertend. Würde sogar empfehlen, abwechselnd solche und solche Bücher zu lesen, um einen gewissen Ausgleich zu schaffen.
Und natürlich lassen sich nicht alle Bücher und Autoren in diese zwei Kategorien einteilen, aber das sagte ich ja auch schon.
 
Oben