Story II - Heimkehr

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Heimkehr

Sowie die Wellen in der Mitte zusammentrafen in immer neuen kleinen Schüben und das rhythmische Dröhnen langsam an Intensität zunahm fühlte er, dass der Tag gekommen war.

Gut, soll es so sein, er kann nicht sagen, er hätte es nicht erwartet oder zumindest damit gerechnet. Sein Blick schweifte zurück auf seine Tasse Kamillentee, in dem jetzt plötzlich eine trügerische Ruhe eingekehrt war. Keine zusammenschlagenden Wellen mehr.
Er betrachtete den langen Riss an der Seite, direkt am Griff, den er mit so viel Mühsal zu kitten versucht hat. Aber es ist bei einem sehr jämmerlichen Versuch geblieben. Immer noch leckte die Tasse und sein Untersetzer schien schon mehr vom Tee gehabt zu haben als er selbst.

Er hätte natürlich auch eine intakte Tasse nehmen können, aber so konnte er zumindest den bitteren Schmerz der Erinnerung genießen, als das Bild wieder hochkam, wie Clarisse im Moment des tiefsten Entsetzens die Kontrolle über ihre Hand verlor.
Verständlich, war doch grade der Anruf gekommen, Richard sei in dem großen Krieg gefallen. Ein Jahr ist das nun her, aber kann man überhaupt jemals über den Tod des einzigen Kindes hinwegkommen? Clarisse hat es auch nicht verkraftet. Oh wie oft sie auf ihrem letzten Leidensweg in den folgenden 8 Monaten den Versuch mit Ihm unternommen hat, zu einer Verarbeitung anzusetzen. Wie oft hat sie ihn angefleht, ihn angeschrien, ihn angespuckt.
žIch stoße mich an dir, berühre dich, ich schrecke zurück und spüre deine Festigkeit. Doch verlange ich ein festes Wort, so löst du dich vor meinen Augen auf in diese gottverdammte Unnahbarkeit. Das war das Letzte was sie zu ihm mit flüsternder, aber vor Verzweiflung leise bebender Stimme sprach, bevor er sie am Morgen unten auf der Couch fand, erdrückt von der Last des Schicksals.
Natürlich empfand er eine seltsame Art von Schuld, aber allein der Gedanke an sie ließ seinen Atem stocken. In kurzen Stößen atmete er die Erinnerungen aus, die in einem Überschwang der Empfindung aufkamen und bei aller Kälte vor seinen Augen in Ihrer kurzen Vergänglichkeit einen Hauch von materialistischem Vorhandensein erreichten, bleiche Luft, als hätte sie jemand zu lang im Wasser liegen lassen.

Allein hat er sie beerdigt. Er wollte keine Geistlichen dabei haben, nicht diese bigotten Kapitalismus-Kirchenmänner. Seiner Aussprache mit Gott sah er eh unmittelbar bevor und als er jetzt die gigantischen Erschütterungen wieder vernahm, neigte sich sein Bewusstsein zurück in die Gegenwart und er blickte aus dem Fenster. žMy Heart and I have decided to end it all.... Wie passend, was ihm da grade aus seinen Boxen entgegenschallte. Björks Version des Gloomy Sundays war vielleicht kaum Trost, aber zu diesem verregneten Sonntag passte es allemal, auch wenn die Schreie, die aus der Stadt herübertönten mit dem ganzen anderen infernalischen Lärm alles zu übertönen begannen.

Aus seinem kleinen Haus konnte er nur Schemen erkennen aber mehr schien es auch nicht zu erkennen zu geben. Grad stürzte der Börsenturm in sich zusammen und irgendetwas schien mit aller Macht die große Kathedrale auf die Seite zu drücken. Dabei dachte er kurz, wie doch ursprünglich da heute die Konferenz zum päpstlichen žEntertainment-Projekt stattfinden sollte...
Er hörte Sirenen und sah, wie plötzlich unten auf der Straße zur Stadt eine Gruppe Bewaffneter von unsichtbarer Hand erschlagen und versprengt wurden. Der große Moloch Großstadt versank in einem stinkenden Chaos aus Blut und Asche.

Er hatte die Nachrichten seit der Beerdigung kaum mehr verfolgt. Seit den Umstürzen blickte man eh kaum mehr durch. Es schmeckte nach Apokalypse und zum Henker, ihm war es dabei egal, ob hier grad Mutter Natur Rache nimmt, die Yrr aus den Ozeanen emporkriechen, irgendein Staat seine neuen Spielereien erprobt oder E.T. persönlich zum Hallosagen anklopft.
Was ihn grade eher interessierte war die Sicht zum Damm, wo ein weiterer Riss, der ihn wieder an die kleine Tasse hinten in seiner Lese-Stube denken ließ, das Fass zum Überlaufen brachte, könnte man wohl trefflich sagen. Mit einem gewaltigen Rums barst die Beton-und Stahl Konstruktion und ein Meer begann, sich seinen unaufhaltsamen Weg in seine Richtung zu brechen.
Und er, war er nicht selbst auch ein Meer der Leidenschaften, Gedanken und Erinnerungen, an dessen Begrenzungen es viel zu viele Risse gegeben hat und dessen Erschütterungen seiner Seele in seinem Innersten eine kleine Implosion ausgelöst hatten?
Mit einem Anflug von Ironie erinnerte er sich der letzten Strophen seines Lieblings-Gedichtes von Benn:
žAch, als sich alle einer Mitte neigten
und auch die Denker nur den Gott gedacht,
sie sich dem Hirten und dem Lamm verzweigten,
wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht,

und alle rannen aus der einen Wunde,
brachen das Brot, das jeglicher genoß -
o ferne zwingende erfüllte Stunde,
die einst auch das verlorne Ich umschloß.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben.
Sieben Schritte.
Sieben Schritte um die Überbleibsel seiner Existenz, seines Schaffens zu durchqueren. Er strich über den Rahmen an seiner Haustür, dem Haus, das er größtenteils mit seinen eigenen Händen gebaut hatte. Nur Sekunden verblieben, aber seine äußerliche Existenz ruhte bereits in sich selbst, trotz aller instinktiven Auflehnung, in Erwartung der Flut.
Sein Haus, sein Leben. Definiert man sich nicht über seine Taten? Wer soll ihn oder sonst jemand verurteilen, wenn doch unsere Handlungen nur durch ihre Folgen und unsere absurden Bemessungen anschließend gewertet werden. Es gibt kein schlechtes Handeln, nur wenn man es später dazu macht. Er hat sich vor dem großen Entscheidungszwang lange gefürchtet, erst die Liebe von und zu Clarisse konnte ihm zu einem Durchbruch verhelfen. All dies zersprang mit ihrem Dahinscheiden wieder zu dem Scherbenhügel der verlorenen Hoffnung und des Zweifels. Er hatte in der großen Lebens-Lotterie wohl doch ein verdammt schlechtes Los gezogen.
Zerrissen von Sehnsucht nach dem Großen in der Welt, nach einer Vollendung seiner selbst, auf dem zögerlichen Punkt vor der Aktion einerseits und andererseits dem großen Bildungs-Bewusstsein einer schon lange zerdachten Welt, die wir immer maroder durchlöchern und damit das naive, aber ursprüngliche Gesamt-Bild verbrannt haben auf dem Scheiterhaufen der Wissenschaft. Die typisch dekadente Fin du Siecle Krankheit, könnte er es wohl nennen.
Wie passend, angesichts der Umstände, von einem letzten Zeitalter zu sprechen.

Zurück sollte es nun gehen, das Wasser brach durch das Haus, untergehen im Ursprung des Seins, im Element der Elemente. Aufsteigen aus dem orpheusschen Seelen-Gefängnis, der Hölle, in die wir seit Anbeginn unserer Zeit verdammt wurden. Letzte Sekunden, die bereits seltsamerweise die vorausgenommene Ewigkeit hätten sein können.
Wird es ein Sprung zurück in die Arme des Einen sein, die letzte ewige Eintracht auch mit seiner Familie? Umfangend umfangen, fühlte er in Anbetracht der Hoffnung und der Fluten, die nun sein Sichtfeld und seine ganze Welt umschlungen hatten.
Typisch, selbst sein letzter Gedanke war nicht der seine. Aber auch Ganymed, dessen Sagenstoff Goethe so vortrefflich bearbeitet hat, soll ja durch den Sturm zum Olymp gekommen sein.
Er breitete die Arme aus, der Rausch der letzten Momente, der Bilder, der Erinnerung verebbte und an dessen Stelle brach das Wasser ihm mit kältester Wucht alle Knochen im Leib....
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Hm, interessante Geschichte. Ich fand aber den Schreibstil etwas schwierig zu lesen, vielleicht lag das aber auch daran, dass du so grosse Absätze gemacht hast.
 
T

Thomas

Guest
Original von j.@.c.K.
Jo, die Geschichte ist echt schwer zu lesen. Ist aber auch nicht so ganz mein Genre.

Dito. Trotzdem nett. :wink: Nur irgendwie hab ich nich alles verstanden. Lag vielleicht dran das es so schwer zu lesen war.
 

Joel.Barish

dank AF
Wunderbar geschrieben mit einem tollen Vokabular und guten Vergleichen. Dazu Referenzen an Björk, Benn, griechische Mthologie und Goethe - Wunderbar. Vom Schreibstil her schon mal 1A. Z.B. dieser Satz:
"Zerrissen von Sehnsucht nach dem Großen in der Welt, nach einer Vollendung seiner selbst, auf dem zögerlichen Punkt vor der Aktion einerseits und andererseits dem großen Bildungs-Bewusstsein einer schon lange zerdachten Welt, die wir immer maroder durchlöchern und damit das naive, aber ursprüngliche Gesamt-Bild verbrannt haben auf dem Scheiterhaufen der Wissenschaft."

Allerdings sind deine extrems verschachtelten Sätze manchmal in der Tat nicht gerade einfach zu fassen, besonders, wenn du so viele Informationen auf einmal hast. Z.B. ist es zu viel, vom Tod des Sohnes zu berichten, dann von Clarisse, seiner Frau und dann plötzlich 8 Monate zusammenzufassen und zu überspringen.

Außerdem kreierst du ja eine eigene Realität, was sehr gut ist, aber ein wenig Einfühlungsvermögen für den Leser braucht. Denn ein Großer Krieg ist ja ein wohl der Weltkrieg und der Mensch scheint eindeutig aus dem hier und jetzt zu kommen.

--> Also ich finds wunderbar. Wenn du dich hier und da ein wenig zügelst und der Wortflut Pause gönnst, stattdessen den Leser ein wenig mehr bei der Hand nimmst, wäre ich richtig begeistert.
 

Deathrider

The Dude
Schön geschrieben. Manchmal wirklich etwas viel auf einmal, aber trotzdem sehr gut.
Gefällt mir bisher am besten.
 
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