Story LI - Ohne Titel, aber dafür mit Mett

Clive77

Serial Watcher
Bei der Toxoplasmose handelt es sich um eine für die meisten Menschen harmlos verlaufenden Infektionskrankheit, bei der die Betroffenen es normalerweise nicht mal mitbekamen, dass sie überhaupt jemals daran erkrankt waren. Und wenn das der Fall war, brauchten sie sich darum eh keine Gedanken mehr zu machen. Ein Problem wurde es nur dann, wenn eine Frau schwanger wurde und zuvor noch nie mit dem Erreger in Kontakt gekommen war. Zwar würde sie eine Infektion mit Toxoplasmose noch immer nicht sonderlich beeindrucken, aber für das ungeborene Kind konnte es durchaus gefährlich werden. Neben Schädigungen im zentralen Nervensystem waren in extremen Fällen sogar Totgeburten möglich. Eine Ansteckung erfolgt beispielsweise durch infizierten Katzenkot oder rohen Fleischwaren wie zum Beispiel Mettbrötchen.
Jennifer hatte nie eine Katze, sie hatte ich noch nie mit Toxoplasmose infiziert, also auch nie Anti-Körper entwickelt und sie hatte noch nie einen dringenden Hang nach einem Mettbrötchen. Bis zu dem Zeitpunkt als ihr Arzt ihr bis zur Geburt ihres Kindes dringend vom Verzehr eben dieser abriet. Seit diesem Tag konnte sie es kaum erwarten, dass dieses verdammte Balg endlich ihren Leib verlassen würde, und sie ihre Zähne in ein frisches mit gewürfelten Zwiebeln bestreutes Mettbrötchen schlagen konnte.
Sie war eine Woche zuvor wegen vorzeitiger Wehen ins Krankenhaus gekommen. Sie bekam Wehenhemmer und eine Spritze zur Beschleunigung der Lungenreife. Nur wenige Tage später war die Geburt in vollem Gange. Doch dann tat sich zunächst nichts mehr. Es ging weder vor noch zurück. Nach zweiundfünfzig Stunden in den Wehen klappte sie endgültig entkräftet zusammen und selbst dem PJler Dr. Hartgel war klar, dass dieses Kind nicht auf natürliche Weise auf die Welt kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste Jennifer nicht, dass Dr. Hartgel in Wirklichkeit nicht Dr. Hartgel, sondern Uwe hieß, und es war ihr auch egal. Am Ende bekam sie weder die Geburt ihres Sohnes Leonidas mit, noch wie nah sie sich tatsächlich an der Schwelle des Todes befand.
Ihr Ehemann Dennis entging jedoch nichts davon. Zwei Tage war er nicht von ihrer Seite gewichen, nicht zuletzt, weil sie es auch nicht zugelassen hätte, und sie sich weigerte seine Hand loszulassen. Nachdem die ganze Zeit ohne Schlaf Jennifer beigestanden, ihre Hand gehalten, wüste Beschimpfungen ausgehalten und mehrere beinahe Ohnmachtsanfälle überstanden hatte, musste er mit ansehen, wie sie die völlig bleiche Jennifer in den Operationssaal schoben. Er selbst durfte ihr nicht folgen und musste eine qualvoll dauernde Ewigkeit warten, bis Uwe, den er bislang für Dr. Hartgel gehalten hatte, mit dem echten Dr. Hartgel an ihn herantrat. Sie redeten lange mit ihm, aber er nahm ihre Worte gar nicht wirklich wahr. Nur ihren besorgten Gesichtern konnte er entnehmen, dass es wohl recht ernst war.
Dann ließ man ihn wieder allein. Zwar wusste er nicht, wie viel Zeit am Ende wirklich vergangen war, aber es hatte ausgereicht, sämtliche Punkte an den Deckenpaneelen des Wartezimmers zu zählen. Kurz nachdem er begonnen hatte, mit den Pünktchen auf dem Teppichboden fortzufahren, kam jemand zu ihm und führte ihn zur Frühchenstation. Dort sah er zum ersten Mal seinen kleinen Sohn. Ein winziges bleiches Würmchen in einem Kasten aus durchsichtigen Kunststoff und an unzähligen Kabeln und Schläuchen angeschlossen. Dennis starrte ihn an und der Kleine tat ihm sehr leid. Er hatte noch immer nicht begriffen, dass das kleine zerbrechliche Ding dort vor ihm tatsächlich sein Sohn, sein eigen Fleisch und Blut war, und niemals hätte er geahnt, dass dieses unscheinbare etwas dort nur acht Jahre später mit seinem Fahrrad und einer selbst gebauten Rampe zwei Mülltonnen überspringen und dann auf dem Dach des Gartenhauses landen und dieses so zum Einsturz bringen würde, nur um dann zu erklären, es sei ganz von selbst passiert.
Doch zu diesem Zeitpunkt wollten die väterlichen Gefühle nur ganz langsam aufkeimen. Die Sorge um Jennifer hingegen bohrte sich beständig in seine Gedanken. Kaum hatte er die Frühchenstation verlassen, bat er darum, seine Frau zu sehen. Wieder folgten lange Erklärungen mit vielen Fachausdrücken, die er allesamt nicht verstand. Letztendlich ließ man Dennis zu ihr.
Die Ähnlichkeit zu ihrem Sohn viel ihm sofort ins Auge. Ihre Haut hatte denselben blassen Farbton angenommen, und auch sie war an unzähligen Kabeln angeschlossen. Ein nicht piepsender Monitor überwachte ihre Herztöne und die Atmung. Ihr Mund stand offen und sie sabberte ganz genauso wie wie Leonidas es ein paar Räume weiter tat.
Dennis zog sich einen Stuhl heran und nahm neben Jennifer Platz. Todmüde saß er einfach da und wartete ab. Falls er eingeschlafen war, hatte er es nicht bemerkt, doch als er ein lautes schnorchelndes Geräusch hörte, schreckte er auf und sah, dass Jennifer die Augen geöffnet hatte. Er war sich dennoch nicht ganz sicher, ob sie wach war oder ihn überhaupt erkannte, denn beide Augen zeigten in ganz unterschiedliche Richtungen. Doch dann kamen hässliche Geräusche aus ihrer Kehle und er vermutete, dass sie versuchte zu sprechen. Sofort ergriff er vorsichtig ihre Hand.
»Es ist alles in Ordnung mein Schatz! Du hast es geschafft!«
»Nschssiss…«
»Wie bitte?« Er beugte sich vorsichtig vor.
»N´Scheiß is in Ornuhn…«
Sie gab einen fürchterlichen Laut von sich und verzog angestrengt das Gesicht. Dennis glaubte, dass sie versuchte, ihre Augen in dieselbe Richtung zu bewegen, was ihr nur zum Teil gelang.
»Isch fühl misch wie das, was übbich bleibt, wenn´n Ehefant auf ne Banane latscht…«
»Es wird alles gut mein Schatz. Du hast das Schlimmste überstanden. Sag, gibt es etwas, dass ich für dich tun kann?«
»Mhm…«
»Was denn?«
»Isser draußen?«
»Wer? Leonidas?«
»Der Name is kagge…«
»Aber Du hast ihn doch ausgesucht.«
»Ist trotzdem scheiße. Aber du sagtest, er ist endlich draußen?«
»Ja, und es geht ihm gut. Den Umständen entsprechend.«
Jennifer seufzte und schloss die Augen. »Endlich«, sagte sie erleichtert.
Dennis streichelte sanft ihre Hand.
»Die letzten Tage waren furchtbar, und ich kann nicht mal im Ansatz nachvollziehen, wie es wohl für dich gewesen sein muss, aber nun ist es vorbei. Du hast wirklich Großartiges geleistet.«
»Ich will ein Mettbrötchen«, sagte sie mit geschlossenen Augen.
»Was?«
»Ich kann seit Monaten an nichts anderes mehr denken, und nun da der kleine Scheißkerl endlich aus mir draußen ist, will ich ein verdammtes Mettbrötchen. Hier und jetzt!«
Dennis lächelte und tätschelte sanft ihre Hand.
»Schlaf ein wenig. Gleich morgen früh fahre ich zum Bäcker und hole für dich Mettbrötchen.«
Innerhalb einer Sekunde hatte sie sich aufgerichtet und Dennis am Shirt gepackt. Sie zog ihn zu sich heran und starrte ihn wütend mit einem Auge an, während das andere eher in Richtung Fernseher schielte.
»Jetzt!«
Dennis hatte kein Glück. Es war inzwischen dunkel geworden, und der Kiosk im Krankenhaus hatte längst geschlossen. Obwohl er keine großen Hoffnungen hegte, suchte er den Snackautomaten auf. Dort hätte er zwar eingepackte Sandwichs mit trockenem Käse bekommen können, aber eben kein Mettbrötchen.
Da er sich nicht traute Jennifer ohne ein Mettbrötchen unter die Augen zu treten, verließ er das Krankenhaus und ging auf gut Glück los und wanderte durch die Nacht. Je weiter er sich dabei vom Krankenhaus entfernte, desto ruhiger wurde es. Schon bald ließ er das Unigebäude und die anliegende Mensa hinter sich, überquerte den großen Parkplatz und verschwand anschließend in der Dunkelheit.
Nachdem er mehrere Minuten in denen er so gut wie nichts sehen konnte und sich nur äußerst vorsichtig voran wagte, näherte er sich dem schwachen Schein einer Straßenlaterne. Ganz allmählich wurde ihm auch bewusst, dass er nicht nur seit längerer Zeit keinen Schlaf bekommen, sondern auch wirklich großen Hunger hatte. Eine plötzliche Schwäche überkam ihn, und das Geräusch, das sein Magen nun von sich gab, ließ einen Hund in einem der umliegenden Häuser aus dem Schlaf fahren und sich ängstlich winselnd zusammenkauern. Davon bekam Dennis selbstverständlich nichts. An einer Bushaltestelle ließ er sich kurz auf die Sitzbank nieder, um einfach ein wenig Ruhe zu finden. Sein Hintern hatte kaum das Holz der Bank berührt, als Dennis Kopf bereits nach vorne sackte und er selbst in einen unruhigen Schlaf fiel.

Etwa zur selben Zeit saß Markus in ganz ähnlicher Position im großen Flughafenterminal auf einer grünen Plastikbank. Nur war sein Kopf nach hinten gekippt und er schnarchte mit weit offenem Mund, während das große Schild aus Pappe mit der Aufschrift »Willkommen Josh« von seinem Schoss rutschte und dann vor seinen Füßen auf dem Boden liegen blieb. Im Schlaf gab er einige Laute von sich, die dafür sorgten, dass die übrigen Leute lieber nicht so dicht neben ihm sitzen wollten.
Vor nicht ganz vier Stunden hätte der Flug aus Texas bereits landen sollen, aber auch nicht weiter genannten Gründen hatte sich dieser zuerst nur ein wenig und letztendlich ganz erheblich verspätet. Die Hälfte der Zeit hatte Markus ohnehin verschlafen, und träumte von einem Schokoladenkuchen, der Jagd auf ihn machte, um ihn zu verspeisen.
Er bekam nicht mit, dass zwei junge Männer sich zu ihm setzten, ihn mit den Fingern anstießen und dann geschickt seine Brieftasche aus der Jacke zogen. Still triumphierend hielt der eine die Geldbörse in die Luft und stand auf. Beide grinsten über das ganze Gesicht, aber nur so lange, bis sie ihre Beute öffneten und genauer in Augenschein nahmen. Der Erste der beiden erschrak sich, als eine Spinne aus den Tiefen der Geldbörse ans Licht kam, und sein Kumpel starrte erst enttäuscht in die schwarze Leere und dann mitleidig zu Markus. Nach einem kurzen Blickwechsel zückte jeder von ihnen einen fünf Euro-Schein und steckte ins Portemonnaie, bevor sie es dann ebenso geschickt wieder dorthin verschwinden ließen, wo sie es Markus zuvor entwendet hatten.
Was Markus jedoch mitbekam, war, dass ihm jemand von hinten auf die Schulter schlug und laut rief: »Mensch Markus, schön dich zu sehen, mein Freund!«
Markus schreckte auf und wollte im ersten Augenblick schreien, da er dachte, der Schokoladenkuchen hätte ihm am Ende doch noch erwischt. Nach einer Schrecksekunde jedoch sah er sich irritiert um, und stellte fest, dass er sich noch immer im Terminal befand. Er sah sich um und hob dann den Kopf, um in das Gesicht seines alten Freundes Josh zu blicken, der ihn glücklich angrinste. Noch etwas benommen stand er schließlich auf und umarmte Josh.
Es war das erste Mal seit zwei Jahren, dass sie sich sahen. Bisher hatte Markus Josh stets in Amerika besucht, aber sein alter Freund war ganz versessen darauf endlich einmal Deutschland zu besuchen, und das Land, das ihn so faszinierte mit eigenen Augen zu sehen. Um sich anzupassen, hatte er sich sogar in seine Interpretation der hiesigen Trachtenmode gekleidet.
»Josh, herzlich willkommen! Es ist auch schön, dich zu sehen. Was ist passiert? Du hättest schon vor Stunden eintreffen sollen.«
Josh zuckte mit den Schultern, dann knurrte sein Magen.
»Gab es im Flugzeug nichts zu essen?«
»Doch, aber ich wollte warten, bis ich hier angekommen bin, denn ich wollte mir den Appetit doch nicht verderben, wenn ich ein typisch deutsches Frühstück genieße.«
Markus sah auf die Uhr.
»Du hast echt Glück. In etwa einer Stunde macht Klaus den Laden auf, da bekommst du das beste deutsche Frühstück, das du hier finden kannst?«
»Rührei mit Speck? Oder Toast mit Marmelade?«
»Noch so was und du kannst den nächsten Flieger nach Hause nehmen. Nein, wenn du echte deutsche Spezialitäten willst, dann gibt es nur eines …«

Dennis irrte nach einem kurzen unruhigem Nickerchen durch die Dunkelheit. Zwar war er bereits an zwei Tankstellen vorbeigekommen. Konnte man in früheren Tagen dort nur tanken und vielleicht noch eine Zeitung und Zigaretten kaufen, machten nicht wenige von ihnen den normalen Ladengeschäften Konkurrenz. Und ab einer gewissen Zeit bekam man dort auch belegte Brötchen oder Croissants. Leider war diese gewisse Zeit noch nicht erreicht. Beide Tankstellen waren geschlossen, und man konnte nur per Bankkarte eine der Zapfsäulen freischalten.
Sein Weg führte ihn schließlich weiter, einen Kanal entlang bis er in eine schmale Straße einbog, die sich als Fleischhauerstraße herausstellte. Hoffnungsvoll deutete er dies als gutes Zeichen und folgte eben dieser. Dort befanden sich eine ungewöhnlich große Anzahl an Friseurgeschäften, ein alter Hutladen, ein Schlüsselmacher, eine große Werkstatt für orthopädische Schuhe und viele andere, die absolut gar nichts mit dem zu tun hatten, was er suchte.
Und dann, beinahe am Ende der Straße, kam er an einem Bäcker vorbei. Keines dieser Franchiseunternehmen, die allenfalls morgens vorgebackene Rohlinge geliefert bekamen, sondern eine seit vier Generationen geführte Familienbäckerei. Zumindest entnahm er das dem Schild, das neben der Tür im Eingang hing.
Leider war der Laden geschlossen.
Dennis ging näher heran und spähte durch das große Schaufenster. Soweit er sehen konnte, erkannte er eine leere Theke und eine Gruppe von Tischen, auf denen noch kopfüber Stühle standen. Dennis hatte keine Uhr, aber dafür ein Handy. Er holte es nun heraus, um auf dem Display die Uhrzeit abzulesen. Selbstverständlich hatte er nicht daran gedacht, es aufzuladen. So wusste er nicht, ob es sich noch um Minuten oder Stunden handeln würde, bis dieser Bäcker öffnete.
Frustriert trat er einen Schritt zurück, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und blickte sich um. Erst jetzt erkannte er, dass sich neben dem Bäcker eine Schlachterei befand. Das Firmenschild wies darauf hin, dass der Inhaber mit dem der Bäckerei verwandt war. Dennis bemaß diesem Umstand fürs Erste keine Bedeutung bei, zumal etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte. Eine breite Auffahrt führte zum hinteren Teil der Schlachterei und dort sah er einen Lichtschein. Neugierig ging er an dem Gebäude entlang und gelangte zum Hintereingang. Die breite Doppeltür stand einen schmalen Spalt offen. Dennis wusste nicht, was ihn dazu bewegte durch die Tür zu schielen, und genau genommen dachte er auch gar nicht wirklich darüber nach.
Er öffnete die Tür und warf einen Blick ins Innere. Dieses sah in etwa auch genau so aus, wie man sich eine Schlachterei vorstellte, und zwar mit allem, was dazugehörte. Mit einer Ausnahme vielleicht. Unter anderen Umständen hätte Dennis vielleicht würgen müssen, aber in seinem jetzigen Zustand war er gerade mal in der Lage sich zu wundern. Nun betrat er die Schlachterei ganz, und ließ den Blick schweifen. Ganz offensichtlich wurde hier bereits gearbeitet, und wenn das der Fall war, konnte man ihm vielleicht sagen, wann der Bäcker öffnen würde.
Er glaubte, eine Stimme zu hören, und ging neugierig darauf zu. Es war der monotone Singsang eines kleinen Mannes, der neben dem Fleischwolf auf dem Boden saß. Er hatte die Arme um die Knie geschlungen und wippte ständig vor und zurück. Dennis schien er dabei gar nicht wahrzunehmen.
»Hallo?«, fragte Dennis zaghaft.
»Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr …«, sang der kleine Mann ständig vor sich her.«
»Was ist denn los?«, fragte Dennis, aber der kleine Mann gab ihm keine Antwort.
»Alles in Ordnung?«
Nun endlich sah der Mann auf dem Boden zu ihm auf und deutete mit dem Finger zum Fleischwolf.
»Ich WILL nicht mehr und ich KANN nicht mehr!«, sagte er.

Klaus Faschingbauer nahm eine weiter Ladung Brötchen aus dem Backofen und stellte sie zum Abkühlen hin. Nun begann er die Regale mit frischen Backwaren zu füllen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, bis er den Laden öffnen musste. Als Nächstes nahm er die Stühle von den Tischen, bereitete die große Kaffeemaschine vor und begann schon mal, die frischen Brötchen zu belegen. Er hatte von der Unart gehört, statt Butter Remoulade auf die Brötchen zu schmieren, aber solche Unarten konnte man bei ihm nicht finden.
Hin und wieder warf er einen nervösen Blick auf die Uhr. Gerade heute war es wichtig, pünktlich zu öffnen. Nun fragte er sich jedoch, wo sein Bruder Manuel blieb. Eigentlich hätte er längst frische Wurstwaren, Zwiebelmett und die spezielle Bestellung rüberbringen müssen.
Durch eine Tür gelangte er an die angrenzende Schlachterei und fand recht schnell seinen Bruder neben einem Edelstahltisch sitzen. Den Kopf auf die Hand gestützt und einen Becher dampfenden Kaffee neben sich stehen. Er sah echt übel aus.
»Manuel, alles klar?«
Manuel hob den Kopf und sah Klaus mit trüben roten Augen an.
»Ich will das nicht mehr.«
»Ach Klaus. Das hatten wir doch schon alles. Es ist doch nur hin und wieder ein kleiner Gefallen. Wir sollten dankbar sein. Ohne ihn hätten wir beide Läden damals dichtmachen können. Und wenn er hin und wieder einen besonderen Wunsch hat, dann machen wir es halt. Ist doch keine große Sache.«
»Arschloch.«
»Bist du denn fertig geworden?«
Manuel deutet auf den Kühlraum.
»Alles da drin. Aber …«
»Aber?«
»Irgendwie war es schon komisch. Da kam vorhin so ein Mann rein.«
Klaus Augen weiteten sich und sein Herzschlag ging eine Spur schneller als eben gerade noch.
»Und was wollte er?«
»Das war so eine Art Heinzelmännchen. Er hatte mich gerade in so einer Art Stimmungstief überrascht. Aber eigentlich war er ganz nett und hat diese Sache da …« Er deutete erneut zum Kühlraum. »Für mich erledigt.«
»Oh. Und dann?«
»Dann ist er gegangen.«
»Einfach so?«
»Ich habe ihm vorher noch ein Mettbrötchen mitgegeben.«
»Warum das?«
»Na, er hatte danach gefragt. Aber ich musste ein Brötchen von gestern nehmen, weil die anderen noch nicht fertig waren. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse.«

Als Klaus nur wenige Minuten später die Bäckerei für Kundschaft öffnete, war es draußen noch stockfinster, aber dennoch hatten sich die ersten Leute vor der Tür versammelt und warteten ungeduldig.
»Moin!«, rief Klaus und lies sie herein.
»Moin!«
»Guten Morgen, schön ist es hier. Wie geht es ihnen?«, rief Josh begeistert. Klaus brummte nur und verschwand dann hinter der Theke, wo er sich auch am wohlsten fühlte. Mit einem schönen Abstand zwischen ihm und der Kundschaft.

Josh und Markus betraten die Bäckerei, und Josh blickte sich begeistert um.
»Hier gibt es aber viel Brot. Wie kommt es, dass ihr hier bei euch so viel Brot esst?«
Markus zuckte mit den Schultern. Er hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht und wollte jetzt nicht damit anfangen. Er suchte für sich und Josh einen Platz und ließ seinen texanischen Freund dort zurück. Dieser studierte noch immer begeistert seine Umgebung als hätte er bei sich daheim niemals etwas Vergleichbares gesehen.
Als Markus zurückkehrte, stellte er ein großes Tablett mit zwei dampfenden Bechern und zwei Tellern vor sich und Josh ab. Dieser wusste anscheinend nicht so wirklich etwas damit anzufangen. Vorsichtig schielte er in die große Tasse und berührte sie vorsichtig mit dem Finger. Sofort zog er ihn zurück und verzog das Gesicht.
»Das ist ja heiß!«
»Was sonst, ist ja auch Kaffee.«
»Und was ist das?«
Josh deutete auf die zwei Brötchenhälften vor sich auf dem Teller. Er legte den Kopf schief und beäugte sie skeptisch.
»Deswegen sind wir hier,« sagte Markus. »Die besten Mettbrötchen der ganzen Stadt.«
Josh stieß eine Brötchenhälfte an und schaute, als würde er erwarten, dass sie sich kurz darauf von selbst bewegen könnte.
»Und was ist da drauf?«
»Zwiebelmett. Wird aus Schweinefleisch gemacht.«
»Sie haben es nicht gebraten.«
»Wozu sollte man? Man isst es so.«
Josh riss die Augen auf. Die Überraschung, welche auch eine Spur Entsetzen und viel Ekel enthielt, war ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ihr esst es roh?«, fragte er angewidert.
Markus nickte. Joss schaute ihm entgeistert ins Gesicht und dann auf die beiden Brötchenhälften auf dem Teller.
»Das kannst Du doch nicht essen. Wisst ihr hier nicht, wie gefährlich das ist? Und es ist eklig.«
»Ja, ja. Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich«, sagte Markus und biss genussvoll vor den Augen des angewidert dreinblickenden Josh in sein Mettbrötchen. Dabei ignorierte er gekonnt, wie Josh sich bemühte, seinen Würgereflex unterdrückte.
Die Tür ging auf und beide wandten sie die Köpfe. Während Markus gelassen einen weiteren Bissen nahm, zog Josh beinahe unmerklich die Augenbrauen zusammen. Ein Mann in ausladender Kleidung und einem langen Bart hatte die Bäckerei betreten, dich gefolgt von seiner Frau, die sich mit einem dunklen Kopftuch verhüllt hatte. Sie nickten Markus kurz zu und gingen an die Theke und legte ein paar abgezählte Münzen auf die Glasplatte.
»Moin!«s, sagte Klaus und legte ein paar Mettbrötchen auf einen Pappteller und schlug sie in Papier ein. Dann reichte er das Paket an den bärtigen Mann, welcher es entgegennahm, nachdem er sich noch mal vorsichtig umgesehen hatte. Beim Gehen nickte er Markus noch mal kurz zu, bevor sie beide den Laden verließen.
Josh sah ihnen hinterher und Markus konnte deutlich sehen, wie dessen Gedanken hinter seiner Stirn arbeiteten.
»Da kannst du mal sehen, wie gut diese Mettbrötchen hier sind.«
Josh blinzelte Markus an, dann blickte er auf das Mettbrötchen. Vorsichtig nahm er eines der Brötchenhälften in die Hand und sah es sich genauer an. Er bemerkte dabei gar nicht, dass er angewidert das Gesicht verzog. Vorsichtig schnupperte er an dem Brötchen. Und dann geschah etwas. Eine unwillkürliche Reaktion seines Körpers. Plötzlich war so etwas wie ein schwarzes Loch in seinem Magen entstanden, das ganz dringend danach verlangte gefüllt zu werden. Gleichzeitig spürte er, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Er fand die Vorstellung noch immer ekelerregend, rohes Mett zu essen, aber sein Körper schien diesbezüglich schon einen Schritt weiter zu sein. Er öffnete den Mund, ohne es bewusst zu steuern. Noch ehe er sich versah, biss er in das Mettbrötchen.
Mit dreizehn Jahren hatte er das erste Mal ein Mädchen geküsst. Ihr Name war Tessa, und sie war eine Klassenstufe über ihn. Es war bei einem Volksfest geschehen und er hatte diesen einen Moment, in dem er zum ersten Mal ihre süßen Lippen spürte, niemals vergessen. Dieser Moment hier war zwar nicht damit zu vergleichen, aber auch diesen ersten Bissen würde er niemals vergessen und für immer in seinem Herzen bewahren.

Als Dennis das Krankenhaus erreichte, dämmerte es bereits. Die Füße taten ihm weh, und sein Magen knurrte unablässig, da er die ganze Zeit über den Duft der mit Zwiebeln bestreuten Mettbrötchen in der Nase hatte. Ein wenig fürchtete er sich davor, ins Jennifers Zimmer zu treten. Als er davor stand, atmete er noch ein letztes Mal tief durch. Dann öffnete er die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer.
Jennifer döste nur. Als sie ihn hörte, hob sie den Kopf und strahlte über das ganze Gesicht, sobald sie ihn erkannte.
»Da bist du ja«, sagte sie glücklich und streckte die Hände nach ihm aus. »Ich habe so lange auf dich gewartet.«
Erleichtert ging Dennis zu ihrem Bett und streckte die Arme aus. Noch bevor er sie ganz erreicht hatte, nahm sie ihm den Pappteller aus der Hand und schlug das Papier beiseite. Für einen kurzen Moment hielt sie inne und sog den Duft der Mettbrötchen durch die Nase.
»Gott sei dank kein Schnittlauch«, sagte sie erleichtert und nahm eines der Mettbrötchen in die Hand. Sie biss in das Brötchen, schloss dabei die Augen und gab einen Seufzer von sich, von denen Dennis sich gewünscht hätte, so etwas wenigstens in der Hochzeitsnacht zu hören. Genussvoll kaute sie und nahm weitere Bissen.
Irgendwann verzog sie das Gesicht und pulte sich mit den Fingern in den Zähnen herum. Sie holte etwas heraus, das sich als Fingernagel herausstellte. Fragend sah sie Dennis an, und er blickte einfach nur ratlos zurück. Während er überlegte, ob der traurige Mann von heute Nacht vielleicht Mett vom falschen Blech genommen hatte.
Jennifer zuckte kurz mit den Schultern, schnipste den Fingernagel zur anderen Seite des Zimmers und verspeiste dann auch den Rest des Mettbrötchens.
 
Zuletzt bearbeitet:

MamoChan

Well-Known Member
Zuallererst will ich mal erwähnen, wieviele Fehler mir hier aufgefallen sind. Nicht nur Rechtschreib- und Zeichenfehler, sondern auch mal das beliebte das/dass. Da hätte man sehr viel mehr Sorgfalt an den Tag legen können.
Tja, inhaltlich erscheint es mir etwas unstrukturiert. So wirklich will es mir nicht schmecken.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Ich würde sagen, dass die Fehler sich noch in Grenzen halten. Die Dialekte oder das Nuscheln der Frau nach der Entbindung sind für mich keine Fehler.
Die Story fand ich recht gut und unterhaltsam. Vielleicht etwas verworren strukturiert, aber das ist nicht so schlimm, dass ich dafür Punkte abziehen würde. Zählt zu meinen Favoriten.
 

Clive77

Serial Watcher
Diese Geschichte wäre mein dritter Platz gewesen. Besonders nett, dass es eigentlich mehr als nur eine Geschichte ist, die hier ineinandergreifen. Da hat der Autor sich schon einiges überlegt und trotzdem das (eigentlich banale) Thema gut eingebaut. Hut ab dafür.
Allerdings konnte ich (vielleicht, weil es ein wenig aufgesplittert wirkt) nicht so ganz in alle Handlungsstränge hineinkommen. Wenn man alles noch ein wenig ausbaut (die Haupthandlung ist schon gut, der fehlt nicht viel), dann wäre das wirklich ein richtig cooles Ding. Mit anderen Worten: Etwas ausbauen und die Story ist super.

Fehler interessieren mich übrigens nicht mehr. Gibt es bei so ziemlich jeder Geschichte und so lange sie einen nicht komplett rausreißen, ist das okay.
 

McKenzie

Unchained
Diese würde ich so zusammenfassen - Ambitioniert, aber strukturell unfokussiert. Prinzipiell find ich die Idee der episodischen Erzählweise mit scheinbar nicht zusammenhängenden Handlungssträngen, die letzten Endes doch zusammenlaufen durchaus erfrischend, allerdings ist es wie gesagt etwas verworren. Es kommt kein richtiger Spannungsbogen zustande, und teils ist man nicht sicher, welche Stimmung grade vermittelt werden soll. Die Einzelszenen für sich sind, von den Tippfehlern abgesehen, durchaus solide, nur das Gesamtbild ist ein wenig unrund. Hier könnte man durch ein wenig umstrukturieren und umformulieren sicher noch mehr rausholen.
 

TheRealNeo

Well-Known Member
Finde auch hier wird gut mit den verschiedenen Handlungssträngen jongliert und es wird nie wirklich langweilig, wenn auch am Ende deutlich wird, dass jeder Strang für sich, außer der von Dennis, vielleicht noch etwas mehr..Würze..hätte vertragen können.
 

Sittich

Well-Known Member
Ich mag diese Geschichte. Der Schreibstil gefällt mir gut, insbesondere der humorvolle Grundton gespickt mit interessanten Formulierungen und Bildern. Außerdem ist das Mettbrötchen mit all seinen Eigenschaften zentraler Antrieb der Geschichte(n), das Thema ist also 100% getroffen.
 

Jizzle

Well-Known Member
Dass der Titel fehlt, stört mich schon.

Ich kam nur schwierig in diese komplexe Geschichte rein. Die Fleischwolfgeschichte ist nicht sonderlich kreativ.

Aber diese Stränge alle miteinander zu verknüpfen ist verdammt schwer und dafür nicht perfekt, aber gut gelungen. Starke Leistung!

Vom Stil her eine Mischung aus Pulp Fiction und Tatsächlich Liebe.


Tatsächlich Mett wäre mein Titelvorschlag :smile:
Schließlich wurde das Thema auf so vielen Ebenen gut durchdrungen, besonders die Faszination für Mett wurde perfekt rübergebracht. Ich glaube, dass ich dafür einen punkt abdrücken könnte. Es wird aber schwierig.

Zwei Geschichten igeln sich um Platz 2!
 

MamoChan

Well-Known Member
So, diese Geschichte ist von mir. Konzeptioniert als eine Art Mini-Anthologie, in der Protagonist verschiedene einzelne Mett-bezogene Geschichten verbindet. Am Ende wurde es jedoch zu knapp, weshalb ich ein paar Geschichten, die ich letztendlich doch zu blöd fand, weg ließ, andere veränderte und andere Teile kombinierte. Letztendlich war es gut, da ich viele dieser Ideen einfach nicht mehr gut finde.
Außerdem wurde die zeit am Ende etwas knapp, da ich bereits die traditionelle Verlängerung um 2 Wochen fest eingeplant hatte. :ugly:

Habt vielen Dank für eure Kommentare und eure Kritikpunkte. :smile:

Finde auch hier wird gut mit den verschiedenen Handlungssträngen jongliert und es wird nie wirklich langweilig, wenn auch am Ende deutlich wird, dass jeder Strang für sich, außer der von Dennis, vielleicht noch etwas mehr..Würze..hätte vertragen können.

Das stimmt leider. EIgentlich war auch noch viel mehr geplant, aber irgendwann musste ich auch einsehen, dass die Geschichte so wie ich sie mir vorgestellt hatte zu lang geworden wäre und wohl auch nicht geklappt hätte. Deshalb habe ich mich auf einen Charakter konzentriert, der sich dann auch Elemente aus einem anderen Handlungsstrang einverleibt hat.

Dass der Titel fehlt, stört mich schon.

Das ist der Titel der Geschichte. Noch bevor auch nur ein Wort niedergeschrieben wurde, stand der Titel fest. Es ist eine Anspielung auf eine alte Geschichte, die in einer früheren Runde des Wettbewerbs gepostet wurde, die den Titel trug "Ohne Titel (aber mit Geflügel)". :smile:
 
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