Story XLVIII - Mittelfingermittwoch

Clive77

Serial Watcher
Es war einer dieser richtig beschissenen Tage. Natürlich ein Mittwoch. Das letzte Wochenende war zu lange her. Das nächste noch zu weit entfernt. Am Morgen stritten meine Frau und ich uns um Banalitäten. Ich hatte den Müll nicht rausgebracht und sie mir mein Hemd nicht gebügelt. Nach 12 Jahren Ehe kann das schon mal ein Kommunikationshighlight sein. Ein negatives zwar, aber immerhin reden wir noch miteinander. Ich bin für den morgendlichen Transport der Kinder zum Kindergarten zuständig und natürlich fehlte an diesem Morgen Henriettes Knuffel. Ein alter Teddy den wir in der gesamten Wohnung suchen mussten. Und als wir ihn endlich gefunden hatten, musste Karl noch einmal groß. Was bei einem 1 ½ jährigen komplette Eskalation bedeutet. Von vorne bis hinten voll mit dem gestrigen Abendessen in leicht abgewandelter Form. Also musste Karl ausgezogen, erneut gewaschen und wieder frisch angezogen werden. Jetzt hieß es Gas geben. Schweißperlen sammelten sich zu Flüssen auf meiner Stirn und ich hatte ein ungutes Ziehen im Bauch, jedes Mal wenn ich auf die Uhr schaute. Als wir endlich mit dem Auto unterwegs waren, waren gefühlt alle Ampeln rot.
Im Endeffekt 20 Minuten zu spät im Büro. Mein Chef, ein Choleriker in den 50ern, dem nur seine Absätze auf 1,70 Metern Körpergröße brachte, pumpte schon bei meinem Anblick durch seine Glastür.
Das bedeutet Extra-Aufgaben für die am nächsten Tag stattfindenden Meetings.
Ich saß also gegen 16 Uhr an einem Protokollentwurf als die Putzfrau versehentlich mit ihrem Wischer den Stecker des Rechners erwischte. Ja genau. Wenn dann alles auf einmal. Ich kam mir vor, wie in einer Ben-Stiller-Komödie. Nur das ich nicht wirklich lachen wollte.

Zwei Stunden später habe ich es geschafft und mich ins Auto gesetzt. Es regnete und war dunkel. Ich schnaufte kräftig durch. Jetzt nur noch nach Hause. Während der Fahrt, brauchte ich einfach Musik zum abreagieren. Also habe ich meine alte Slipknot-CD rausgekramt und angeschmissen. Fuck it all – Fuck this world. Ich brüllte ins Auto und kniff vor Wut meine Augen zu. Dann der Knall. Scheiße, was war das? Gefühlt 300 Meter zu spät ging ich so sehr in die Eisen, dass die Reifen quietschten.
Mit aufgerissenen Augen sah ich in den Rückspiegel und erkannte nichts. Ab es hat geknallt. Sehr sogar. Also stieg ich aus, holte einen Regenschirm aus dem Kofferraum und kontrollierte mein Auto. Kleine Delle vorne rechts. Ich sah mich erneut um. Meine Augen hatten sich nun an die Dunkelheit gewöhnt und da lag tatsächlich ein Tier auf der Straße.
„SCHEISSSEEE“ brüllte ich und lies den Frust des Tages aus mir heraus. Daraufhin bewegte sich das Tier und ich erkannte was es war. Ein Mann. Es war kein Tier. Ich hatte einen Fußgänger erwischt. Oh Gott…was würde nun geschehen? Ich würde sicher eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung bekommen, meinen Führerschein abgeben müssen. Wie sollte ich dann, die Kinder morgens wegbringen? Zur Arbeit kommen? Was ist mit dem Mann? Wird er dauerhafte Schäden von sich tragen? Mit diesen Gedanken stand ich nun dort wie angekettet und regte mich nicht. Dann kam es mir in den Sinn. Hatte das überhaupt jemand bemerkt? Ich sah mich um. Die Straße lag in einem Gewerbegebiet und um diese Zeit war hier nicht viel los. Seit dem Zusammenstoß war kein Auto weit und breit zu sehen. Jedenfalls konnte ich mich an keins erinnern. In den Gebäuden ringsumher war alles dunkel. Die spärliche Straßenbeleuchtung war alles, was noch blieb. Ich könnte einfach verschwinden. Aber meine Füße trugen mich nun langsam zu dem Mann. Soweit das ich über ihm stand und mein Regenschirm ihm Schutz bot. Sein linkes Bein war schlimm verdreht und Blut lief über seine Stirn. Oder war es Dreck? Er sah mich mit aufgerissenen Augen an und keuchte. Sein Atmen war ein einziges Rasseln. Nun trat auch Blut aus seinem Mund. Mit jedem Atemzug mehr und er begann zu husten. Nur ein paar Mal. Bis er sich nicht mehr regte. Die ganze Zeit über starrte ich in seine Augen. Die langsam teilnahmslos und glasig wurden. Sie drifteten ab und sahen an mir vorbei. In eine andere Welt.
Was hatte ich getan? Was war, wenn der Mann Familie hatte, wie ich? Wer würde es seiner Frau beibringen? Seinen Kindern die nun ohne Vater aufwachsen mussten? Was würde geschehen, wenn sich ihre Leben, dadurch ins absolute Chaos stürzen würde. Absturz in der Schule, Ausgrenzung von den Freunden, Drogenkonsum. Die Frau könnte zur Alkoholikerin werden, die ihre Kinder aus Überforderung und Frustration schlägt. Wie viele Geschichten dieser Art hatte man schon gehört?
Wie viele Leben, hat er beeinflusst? Wie viele Erinnerungen, haben andere Menschen an ihn? Ich konnte mich schließlich auch noch an vereinzelte Freunde aus meiner Kindheit erinnern und weiß noch einiges, was sie zu mir gesagt haben und dadurch mein Leben ein Stück weit geprägt haben. Wie viele hat er geprägt?
War er ein wichtiger Teil seiner Firma? Würde morgen die Hälfte seiner Kollegen ins totale Chaos stürzen, weil keiner seine Arbeit beherrscht? War er vielleicht sogar selbst Arbeitgeber? Hat er noch lebende Eltern? Oh Gott, was wenn sein Vater ihn zu Grabe tragen muss? Ich stellte mir vor, wie ich Karl bestatten müsste und schluchzte laut. Weinte ich etwas schon die ganze Zeit? Was wurde nun aus mir? Was würde meine Frau denken? Meine Kinder? Wie könnte ich je wieder ein gutes Vorbild sein, nachdem ich jemanden getötet habe? Ich senkte unbemerkt den Schirm der langsam auf die Straße fiel und sich mit Regenwasser füllte. Meine Tränen mischten sich mit dem kühlen Nass. Ich zitterte am ganzen Leib und schluchzte lautstark. Wie konnte ich nur daran denken weiter zu fahren? Es war mein Fehler. Ich musste dafür einstehen. Das erwartete ich doch von meinen Kindern schließlich auch immer. Aber dieser Fehler war so grauenhaft. So erdrückend. Ich weiß nicht wie lange ich dort stand und den Mann weiterhin anstarrte. Irgendwann hörte das Schluchzen auf und ich dachte einfach an nichts mehr. Meine innere Gedankenwelt glich einer schwarzen Wand.
Daher hörte ich auch nicht die Schritte hinter mir, die langsam dichter kamen. Bis mir jemand auf die Schulter fasste. Ich drehte mich langsam um und sah einen Mann mit dickem Grinsen im Gesicht. Einer Pornobrille auf den Haaren und einen weißen Regenschirm in der Hand. Er hatte einen dicken Schnäuzer im Gesicht und einen weißen Anzug an.
„Tja…“ sagte er noch immer lächelnd und mir zunickend. Der Mann sah aus, als würde er immer lächeln.
„Blöd gelaufen mein Freund nicht wahr? Ich habe das hier von meinem Büro aus gesehen. Du musst dich jetzt ziemlich beschissen fühlen, oder? Diese Welt ist echt schon mies. Ich habe da aber eine Idee, die dir gefallen könnte. Nennen wir es ein Spiel. Ich lasse den hier verschwinden und du kommst für einen Abend mit in mein…Etablissement? Und glaube mir, danach sind deine Sorgen vom Tisch.“
Ich dachte nicht viel nach und fragte nur: „Wer sind Sie?“
„Nenn mich einfach den Showmaster mein Freund. Du wirst mir noch sehr dankbar sein.“
Dabei zwinkerte er mir zu, legte den Arm um meine Schultern und ging mit mir im Regen fort.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Die Geschichte hat mir recht gut gefallen, obwohl ich das Ende nicht ganz verstanden habe. War das ein Zuhälter?
Ich bin ja eher der klassische Montaghasser, aber eine Bekannte von mir hat sich auch oft über den Mittwoch ausgelassen, weil das ihr "Pechtag" war.

Ach ja, die Kommata wurden hier ein bisschen willkürlich eingesetzt. An manchen Stellen fehlen sie, an anderen sind sie überflüssig. Wie zum Beispiel in "Wie viele Leben, hat er beeinflusst?"
Aber das fällt nicht so stark ins Gewicht.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Das Ende hab ich ebenfalls nicht ganz verstanden. Kommt mir vor, wie ein Prequel zu einer anderen Geschichte, die hier mal veröffentlicht wurde.
Ansonsten fand ich den Anfang ziemlich gelungen. Hätte mir gewünscht, die Geschichte wäre in diese Richtung weitergegangen und bissiger geworden.
Aber schön zu lesen.
 

Rhodoss

Well-Known Member
Mir gefiel der Anfang noch recht gut. Aber das Ende ist einfach ein fremdkörper zum Rest der Geschichte. Als ob demjenigen kein gutes Ende eingefallen ist...
 

Sittich

Well-Known Member
Hat mir auch gefallen. Das Ende war mir auch lange Zeit unklar. Ich dachte eher in die übernatürliche Richtung und hielt den mysteriösen Mann für den Teufel oder ähnliches, was aber auch nicht so richtig Sinn ergab.

Dank Revolvers Kommentar ist bei mir aber nun der Groschen gefallen und ich mag's :biggrin: Mehr will ich dazu auch nicht sagen, da die Geschichte auch eigenständig funktionieren sollte. Und das tut sie leider nur bedingt, auch wenn der komplette Aufbau bis zum Ende recht kurzweilig und interessant gestaltet ist.

Clive77 schrieb:
Daher hörte ich auch nicht die Schritte hinter mir, die langsam dichter kamen
Wenn er die Schritte nicht hört, dürfte er keine Ahnung haben, dass sie langsam näher kommen :wink:
 

Rhodoss

Well-Known Member
Die Geschichte war von mir. Die Grundidee geisterte schon ewig in meinem Kopf. Mir viel bloß kein passendes Ende ein. Und da viel mir sittichs und meine kleine idee vom letzten Wettbewerb ein, den Showmaster meiner letzten Geschichte mit einzubauen. Mir gefiel das Ende aber selbst überhaupt nicht und kann jeden Kritiker daher verstehen. :netflix:
 
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