Heute wird THE IRISHMAN seine Premiere auf dem New York Film Festival feiern.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit Blick auf einen Film von einer solchen Vorfreude erfüllt war!
THE IRISHMAN wird der neunte Film werden, in welchem Scorsese mit De Niro zusammenarbeitet. Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Größen war stets auf geradezu unheimliche Weise fruchtbar und kulminierte in vielen Fällen in nichts weniger als Filmgeschichte. Roger Ebert sagte einst, dass durchaus dafür argumentiert werden könnte, dass Scorsese mit TAXI DRIVER den besten Film der Siebziger-, mit RAGING BULL den besten Film der Achtziger- und mit GOODFELLAS den besten Film der Neunzigerjahre geschaffen hat. Ob man dem nun zustimmt oder nicht, spielt keine Rolle. Aber das es gute Gründe dafür gäbe, lässt sich nur schwerlich bestreiten und dies allein zeigt schon, welch ein Gigant Scorsese ist und was er - gerade auch im Verbund mit De Niro - für die Filmkunst geleistet hat.
Es darf allerdings keinesfalls der Fehler begangen werden, De Niro in der Zusammenarbeit mit Scorsese als bloßen Darsteller zu betrachten. Um nur ein Beispiel herauszugreifen:
De Niros Vorarbeit für RAGING BULL betrug sagenhafte sechs (!) Jahre. Es war De Niro, der das Potential in Jake LaMottas Biographie entdeckte, nachdem der Boxer sie ihm zusendete und er dann mehrere Jahre (!) brauchte, ehe er Scorsese für den Stoff begeistern konnte. In der mehrere Jahre andauernden Pre-Production des Films überwachte De Niro dann jeden einzelnen Aspekt des Films und war auch an mehreren Drehbuchentwürfen beteiligt. Obschon meistens Paul Schrader und Mardik Martin für das Drehbuch gelobt werden, darf nicht vergessen werden, dass De Niro jederzeit die entscheidende kreative Kraft während des Schreibprozesses darstellte und er es war, der zusammen mit Scorsese die finale Drehbuchfassung schrieb. All dies geht übrigens aus den sog. "Robert De Niro Papers" hervor, die im Harry Ransom Center der Universität Texas archiviert sind.
Dasjenige, was De Niro rund um das Meisterwerk RAGING BULL geleistet hat, ist m. E. in der Geschichte des Schauspiels ohne Beispiel. De Niro war nicht nur die treibende Kraft hinter dem Projekt, welches ohne sein Engagement niemals realisiert worden wäre. Er war überdies auch an allen Aspekten des Films beteiligt, schrieb obendrein die finale Drehbuchfassung, recherchierte über Jahre (!) das Leben und Umfeld LaMottas, kontrollierte sogar die Korrektheit der im Film verwendeten Requisiten und hat schlussendlich das method acting im Jahre 1980 geradezu revolutioniert, indem er es weitergetrieben hat als alle anderen vor ihm. Sein Schauspiel in Kombination mit seiner körperlichen Transformation ist noch heute das Maß aller Dinge. Man muss kaum erwähnen, dass es natürlich De Niro selbst war, der darauf drängte die Produktion vier (!) Monate zu pausieren, um knappe 30Kg zuzunehmen.
Zurück zu THE IRISHMAN:
Auch bei THE IRISHMAN verhielt es sich übrigens abermals so, dass es De Niro war, der das Potential eines Stoffes erkannte als er das Buch I HEARD YOU PAINT HOUSES von Charles Brandt las, welches schlussendlich die Vorlage des nun kommenden Films wurde, nachdem er es schaffte Scorsese für das Werk zu begeistern.
Scorsese betont immer wieder, dass die Welt, die er in Filmen wie MEAN STREETS oder GOODFELLAS darstellt, eine ist, die ihm deswegen so nahe ist, weil er in einer solchen aufgewachsen ist. Er wuchs in Little Italy in der Lower East Side auf. Scorsese verhandelt im Übrigen in diesen Filmen ja überdies meist universelle Konflikte und moralische Dilemmata. Er erzählt dergleichen nur mittels kleinkrimineller Protagonisten, die er deswegen so gut porträtieren kann, weil er in ihrem Umfeld aufgewachsen ist. Scorsese betont auch immer wieder, dass er an De Niro so sehr schätzt, dass dieser die Welt, in welcher er aufwuchs, so gut versteht wie kaum ein anderer. Und gerade dies macht MEAN STREETS, RAGING BULL, GOODFELLAS und CASINO so herausragend.
Scorsese selbst ist m. E. genau dann am besten, wenn er von den Dingen und Typen erzählt, die er kennt. Er hat das Milieu, dass er so gut wie kein anderer porträtieren kann, schlichtweg erlebt und erfahren. Dies hat ihn auch einst zu der Aussage veranlasst, dass er nicht zu dem Schlag von Regisseuren gehören würde, die ein Stück von Shakespeare oder Eugene O'Neill verfilmen wollten. Ganz einfach deswegen, weil er sich in einem Milieu wohler fühlt, das er genau kennt.
THE IRISHMAN wird allerdings - nach allem, was ich bisher gehört habe - ein eher ruhiges Werk von Scorsese. Es wird kein GOODFELLAS bei dem Scorsese es seinerzeit darauf anlegte soviel movement in den Film zu bekommen wie nur irgend möglich, was schlussendlich u. a. durch einen geradezu frenetischen Schnitt realisiert wurde. In CASINO entschied sich Scorsese bekanntermaßen für eine vergleichbare Inszenierungsweise.
THE IRISHMAN wird diesbezüglich aber wohl einen anderen Weg gehen, da der Film als eine epische, mehrere Jahrzehnte umfassende Retrospektive angelegt ist, die einem idealiter nicht nur etwas über die Protagonisten, sondern auch über eine Epoche und schlussendlich etwas über das Leben selbst sagen könnte. Scorsese und De Niro sind mittlerweile 76 Jahre alt und dieses Werk wird diesem Faktum Rechnung tragen. Im Alter neigt man dazu zurückzublicken und gewisse Dinge Revue passieren zu lassen. Gegebenenfalls wird der ein oder andere dabei auch melancholisch. Aber eines wird diese Rückschau garantiert nicht: moralisierend. Dafür aber schonungslos, ehrlich und nie vergessend, dass sich auch in den bittersten Momenten stets ein wenig Komik verbirgt.
Nicht vergessen werden sollte auch die Besetzung von Harvey Keitel. Denn es war Harvey Keitel, der die Hauptrolle in Scorseses Spielfilmdebüt bekam. Der Film namens WER KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR? war ein Studentenfilm und von allen Bewerbern um die Hauptrolle war es Keitel, der Scorsese zu überzeugen vermochte, obschon er zu jenem Zeitpunkt nicht einmal ein ausgebildeter Schauspieler, sondern Protokollführer bei Gericht war.
In diesem Werk wird sich idealiter die ganze Lebenserfahrung Scorseses und De Niros widerspiegeln und in einem Meisterwerk kulminieren, welches, wenn wir Glück haben, von einem solchen Schlage ist, dass Rogert Ebert, hätte er die Chance gehabt es zu sehen, es zum besten Werk der 2010er küren würde...
Ach, habe ich schon erwähnt, dass ich aufgeregt bin? So sehr, wie seit Jahrzehnten nicht mehr!