The Tree of Life ~ Pitt, Malick [Kritik]

Batou9

Well-Known Member
Ich komme gerade aus dem Kino und bin wirklich begeistert! Überhaupt habe ich in sehr entspannte Gesichter geblickt, als ich den Kinosaal mit unserer Truppe verließ. Die erste halbe Stunde war eine große Erleichterung, da mir Arbeitskollegen bereits von "dem wirrsten Film seit langem" berichteten. Um so mehr musste ich lachen, als sich die ersten großen Fragen im Film offenbarten. Mir ist klar, dass ein großer Teil der heutigen Kinobesucher mit dem Film jede Sekunde überfordert ist. In unserer funktionell geteilten Welt sind nur die baren, geraden Antworten etwas wert, egal wie flach und dumm diese sind; man fragt nicht länger, sondern fürchtet gespannt bzw. lacht auf Knopfdruck!

Deshalb mag ich Malick seine Filme. Sie stehen ganz klar ausserhalb unseren programmierten Gesellschaftswahrnehmung und bieten keinen Platz für reservierte Bewusstseinsbeschränkungen. Sie sind umwerfend natürlich!

Der Film ist in drei große Ebenen geteilt, welche anfangs noch ziemlich wirr erscheinen, spätestens jedoch als Sean Penn für einige Zeit in den Hintergrund tritt, von Minute zu Minute perfekter zusammen spielen. Was vor Jahrmillionen an einem Flußufer zwei Dinosaurier erfahren, dass beobachten wir einige Jahrmillionen später bei zwei kleinen Jungs in der selben Flussgegend. Es ist unser aller Geschichte über Selbstwertgefühl, das Gesetz des Stärkeren und die Fähigkeit seine Fehler und den eigenen Abgrund aus Selbstaufopferung für Anerkennung und Status zu erkennen.

Die Fragen dieses Films sind meine eigenen, dass musste ich oft genug feststellen, als ich in das zweifelnde Gesicht von Sean Penn oder Brad Pitt sah. Die Fragen sind nicht an Gott adressiert, sondern die eigene Erkenntnis, dass unsere Zucht, Bildung und gesellschaftliche Doktrin die eigentliche Gefahr für ein sinnloses Leben darstellen. Die Vorstellung einer Gerechtigkeit auf Erden ist die größte Krankheit unserer Zeit. Und jeder hier wird sich eingestehen, dass er selbst lieber unberührt von der gegenwärtigen Vergewaltigung unserer Freiheit und Versklavung im Hamsterlaufrad bleiben möchte. Irgendwo haben wir alle etwas Vertrautes hinter uns gelassen und warten mit ein wenig Unterhaltung auf den nächsten Akt, ob Krise, Krieg oder der Sechser im Lotto, belügen uns Tag für Tag!

Der Vater der sich selbst belügt, der Sohn, welcher dem Vater in allen Erkenntnissen und Hinterfragungen der kapitalistischen und religiösen Fassade überlegen ist. Da muss der Mensch erst um die Welt reisen um seinen baren Wert zu erfahren: NULL DOLLAR bzw. EURO. Voller Ehrfurcht wird dies in der dritten und meiner Meinung nach bedeutsamsten Ebene vereint: Von Angesicht zu Angesicht stehen sich Vater und Sohn im gleichen Alter gegenüber; verstehen nach der Szene unter dem Baum im Garten wortlos einander!

Den Rest des Films muss ich erst einmal sacken lassen. Die klaren Trennungen in elektrisierende Hektik, in Stahl- und Betonfassade der Gegenwart, sowie in die Natur und Kreativität der Jugend ist wirklich umwerfend eingefangen. Die große dritte Ebene ist ein Versuch, mögliche Antworten unserer tiefsten Sinnesfragen zu geben, auch wenn man Urknall, Zellteilung und frühe Uhrzeit unserer Galaxie niemals angemessen im Film umsetzen wird; der Eindruck von etwas ganz phantastischem Jenseits unserer lebendigen Reise ist durchaus geglückt! Hoffen wir, dass die Sonnenstürme nicht derartige Zerstörung anrichten werden! :uah:

Ein "musst see!", da es ehrlicher kaum geht und es unser eigenes Drehbuch ist, welches da verfilmt wurde!

10/10 Punkten
 

Shins

Well-Known Member
Hört sich alles gut an und werde mir morgen Abend ein eigenes Bild machen. Bin sehr gespannt!
 

Monodrone

New Member
Original von tramp87

Wieso die Dinosauriersequenz? Soll es einfach die Entstehungsgeschichte noch unterstreichen um die Kontroverse zwischen Wissenschaft und Schöpfungsgeschichte zu verdeutlichen?

Welche Kontroverse? Eine biblische Schöpfungsgeschichte ist im Film nicht zu sehen. Malick zeigt die Entstehung des Alls und die Evolutionsgeschichte auf der Erde basierend auf den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Dinosaurier gehören einfach dazu. Ich denke wichtig an der Szene ist, dass diese Spezies, die die Erde beherrscht hat, von einem Meteoriteneinschlag einfach ausgelöscht wird.

Original von tramp87
Jack verändert sich stark, nachdem er gesehen hat, wie der Junge ertrunken ist. Er fragt sich, wie Gott so etwas zulassen kann. Damit einher geht sie Szene in der ein Jungen bei einem Feuer stark verletzt wurde. War dies wirklich der Wendepunkt? Und wie sieht es mit der erneuten Rückentwicklung aus? War das, als er seinem Bruder in den Finger schießt? Oder wieder der Junge mit den Verbrennungen, nachdem er sieht, wie glücklich dieser ist und sie zusammen spielen?

Es gibt keinen "einen" Wendepunkt. Es sind all diese Erfahrungen die du nennst, die Jack erwachsen werden lassen. Interessant ist, dass du von einer Rückentwicklung sprichst, das klingt recht harsch, aber in einem gewissen Sinne hast du recht, denn Jack verliert den Halt, verliert seine Kindheit. In gewissem Sinne ist das aber auch eine Fortentwicklung, ob nun positiv oder negativ.

Original von tramp87
Nun noch das Ende: Sean Penn, der erwachsen gewordene Jack, hat als einziger seiner Familie überlebt! Der Rest ist bereits im Jenseits.
Was ist mit dem Rest seiner Familie passiert? Am Anfang bekommt die Mutter den Brief, dass ihr 19-jährige Sohn gestorben ist. Bleiben noch Mutter, Vater und der 2. Bruder. Die Stimme von Brad Pitt sagt - Sie (die Mutter) wünscht sich tot zu sein, um bei ihrem Sohn zu sein. Scheint auf einen Selbstmord zu deuten. Wie ist es mit dem Schicksal mit Vater und Sohn Nummer 2? Im Jenseits sehen sie alle so aus, wie zu der Zeit als der Hauptplot spielt. Nur Jack ist gealtert. Wobei der eine Sohn doch erst mit 19 Jahren stirbt...

Der Film macht ziemlich deutlich, dass die Vereinigung der Familie sich in Jacks Kopf abspielt. Nach der Szene sehen wir ihn lächelnd vor dem Bürokomplex. Er hat sich mit seiner Vergangenheit versöhnt. Er sieht seinen Bruder und seine Eltern, wie er sie kannte und liebte, wie er sie am meisten kannte und liebte, und das war während seiner Kindheit.
Die Mutter hat keinen Selbstmord begangen, am Anfang des Filmes sehen wir kurz den erwachsenen Jack im Haus seiner Eltern.

Original von tramp87
Jack kommt nun auch ins Jenseits. Er scheint eine Art Unfall gehabt zu haben und fährt dann - symbolisch - mit dem Fahrstuhl nach oben. Man hört bei jedem Stockwerk ein Piepsen, welches meiner Meinung nach das EKG Gerät darstellt. Doch er kommt wieder zurück ins Leben. Wie - ich weiß es nicht! Aber, die große Frage: Wie konnte er noch mit seinem Vater telefonieren? War er in seinem Büro bereits nicht mehr am Leben?

Im Script ist übrigens nicht von "Jenseits" die Rede, die Szene ist mit "The Shore of Eternity" überschrieben. Daher wäre ich vorsichtig mit einer zu eindeutig christlichen Interpretation der Szene. Es geht hier für mich eher um die Überwindung der Zeit, unserem Abgrund zur Vergangenheit. Die Vergangenheit ist nicht verloren, sie läuft in jedem Moment zusammen.
Jack konnte mit seinem Vater telefonieren, weil er nicht tot ist. Malick ist kein Regisseur, der sein Publikum an der Nase herumführt, und Informationen, wie den vermeintlichen Tod der Hauptfigur kryptisch chiffriert (EKG-Geräusche im Fahrstuhl zum Himmel . . .?). Jack lebt, am Ende des Films so sehr und so intensiv, wie seit seiner Kindheit nicht mehr.
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Ich war gestern auch drin, aber nicht ganz so amused. Kann schon mal anteasen, dass ich den Film in meiner Kritik eng mit Transformers 3 vergleiche.
 
S

SlyFan

Guest
Hmm, welchen Film soll ich denn nu gucken?ToL oder Transe 3? Ich entscheide mich für den stumpfesten! :aso:
 

Shins

Well-Known Member
@ Jay: Wie geil :biggrin: Lustigerweise habe ich mir mit nem Kumpel vor dem Ansehen von Transformers 3 auch die Frage gestellt, welcher Film nun einen noch weniger sichtbaren Handlungsbogen hat.
Naja, bei Tree of Life ist es Kunst, bei Transformers 3 unentschuldbarer Blldsinn, nicht wahr? :wink:
 

Joel.Barish

dank AF
Heyheyhey! :nene: Zu behaupten, TOL habe keine Handlung, ist aber auch meilenweit an der Wahrheit vorbei. Ich würde den Film nicht bis aufs Blut verteidigen, weil ich ja auch manches kritisch sehe, aber dieser Vergleich mit TF3 ist mir direkt schon wieder suspekt. Auch wenn mir erschreckend leicht einleuchtet, wie man darauf gekommen ist. :ugly:
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Joel wird meine Kritik nachher uppen, dann kann ich ja gern nochmal erörtern, wie ich das mit TF meine. Bin in der Kritik jetzt nicht soo stark darauf eingegangen, da es ja eine TOL Kritik und kein TOL TF3 Vergleich sein sollte. Aber beim beinrammelnden Wheeljack, die Parallelen sind unübersehbar.
 

Batou9

Well-Known Member
Ich war gestern auch drin, aber nicht ganz so amused. Kann schon mal anteasen, dass ich den Film in meiner Kritik eng mit Transformers 3 vergleiche.

Da bin ich mal gespannt wie du Tag und Nacht in Einklang bringen willst. Wo dem einen die Logik fehlt, da bietet der andere Film lediglich wenigen Zugang für ein tieferes Verständnis. Mir ist gleiches Schicksal wiederfahren, weshalb ich mal gespannt bin wie weit die Wahrnehmungen des Films von deinen entfernt liegen.

Eine stumpfsinnige 200-Millionen-Produktion nach dem Jahrzehnte alten Drehbuchschema, maßgeschneidert für die zahlungswillige Gendergeneration, an ein sich nicht erklären wollenden Experiment auf mehreren Ebenen anzulehnen, Hut ab!

Zufuß wirds kürzer als über den Berg :smile:

Batou
 
S

SlyFan

Guest
Wollt mir den heute mit ner Freundin eig. geben... :gruebel:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Original von SlyFan
Wollt mir den heute mit ner Freundin eig. geben... :gruebel:
Kann man sich ruhig ansehen, schöne Bilder. Ihr solltet aber auch nicht zu viel erwarten, so ganz toll ist der Film dann auch wieder nicht (zumindest in meinen Augen will er mehr sein als er eigentlich ist). Ansehen lohnt sich trotzdem :wink:
 
S

SlyFan

Guest
hmm, nagut, habs ihr ja versprochen. ich persönlich hätte ihn mir erst auf DVD reingezogen.
 

Joel.Barish

dank AF
Mehr als bloß Bilder ist der Film aber auch. Gefällt mir nicht, wie der Film hier als reines Augen-Candy zurechtgestutzt wird. Es ist aber eben auch kein Film, der seine Story offensichtlich und für jeden zugänglich vorgekaut innerhalb von 90 kurzweiligen popcornmampf-Minuten präsentiert. Dass er sich spätestens am Ende etwas zu viel zumutet, ist ne ganz andere Geschichte. Die Familiengeschichte, um die es ganz zentral geht, gehört für mich zum Besten, was es die letzten 12 Monate im Kino gab. Man muss auch ein gewisses Faible für Filme haben, die nicht lehrbuchmäßig B auf A folgen lassen, mit Spannungsbogen, Klimax, Happy End und Abspann.

Jays Kritik geht gleich online.
 
S

SlyFan

Guest
Naja, wir werden sehn. Schreib ja dann sicher watt kurzes dazu.

Bin ma auf Jays Parallelen zu T3 gespannt.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Da kann ich mich Jay größtenteils anschließen. Bewerte den Film zwar ein klein wenig besser, aber insgesamt empfand ich ihn in etwa genauso.

btw. was mir gerade einfällt: fandet ihr nicht auch, dass auch ein Ödipuskomplex hier eine größere Rolle spielt? Zum Beispiel ganz deutlich zu sehen in der Szene, als der Junge zu seinem Vater meint: Sie (Mutter) liebt mich, nicht dich! (Sinngemäß, nicht wörtlich zitiert).
 

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Annotiz:

TF3 lässt seine Schauwerte (Action, FX-Szenen) den Rest überdecken
TOL lässt seine Schauwerte (Naturaufnahmen, Ästhetikaufnahmen) den Rest überdecken
TF3 Score ist nichtssagend pompös (Verbindung zur Handlung fehlt)
TOL Score ist feinfühlig, aber auf Dauer Gedudel (Verbindung zur Handlung fehlt)
TF3 überdramatisiert
TOL unterdramatisiert
TF3 schert sich nicht um seine Figuren und lenkt mit Comedy und Drama ab
TOL schert sich nicht genug um seine Figuren und lenkt mit Symbolik ab
TF3 ist Militärporn und pathetisch
TOL ist Symbolikporn und pathetisch (zynisch gesagt)
TF3 hat viele überflüssige Szenen
TOL hat viele überflüssige Szenen
TF3 meint, die dramatische Liebesgeschichte treffe hart, schlägt fehl
TOL meint, die Symbolik treffe hart, schlägt fehl
TF3 zeigt Frauen als Sexobjekte, reduziert ihre Wichtigkeit als Rolle
TOL zeigt Frauen als Engel, reduziert ihre Wichtigkeit aber auch ebenso

Sprich, wenn wir von einer Ideallinie sprechen, springen sowohl TOL als auch TF3 immer wieder weg, manches Mal auf gegenüberliegenden Seiten, aber dann ähnlich weit weg.

Bei beiden kann man sagen, dass ein guter Teil des Films eigentlich tolle Unterhaltung ist und es verdient hätte, in einem anderen, besseren Film ohne den misslungenen Rest zu stehen.

Wobei Malicks Regie Bays vollkommen in den Boden gaffert, das es nicht mehr lustig ist.

Die religiösen Bezüge rund um Hiob, Genesis, altes/neues Testament, Kain & Abel usw habt ihr mitbekommen oder?
 
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