Spencer - Pablo Larraín inszeniert Kristen Stewart als Lady Diana

TheRealNeo

Well-Known Member
JACKIE (2016) war ein vielschichtiges, eigenes und besonderes Biopic über die damalige First Lady Jackie Kennedy kurz nach dem Attentat auf John F. Kennedy. Pablo Larraín hat scheinbar weiter Lust Damen neben wichtigen Männern zu porträtieren und möchte sich nun Princess Diana widmen. Mit Kristen Stewart hat er auch schon seine Hauptrolle für den Film namens SPENCER besetzt.
Der Film soll an drei Tagen spielen in den frühen 1990er Jahren, als Diana entschied, dass ihre Ehe mit Prinz Charles nicht funktionierte und dass sie von einem Weg abweichen musste, der sie dazu brachte, eines Tages Königin zu werden.
Es soll also nicht ihr späterer tödlicher Unfall im Mittelpunkt stehen.

It’s only three days of her life, and in that very small amount of time, you’re able to get into a wider, bigger perspective of who she was. We all know her fate, what happened to her, and we don’t need to go there. We’ll stay in this more intimate space where she could express where she wants to go and who she wants to be

Quelle

Ist das was?
JACKIE gesehen und gemocht?
 

Joel.Barish

dank AF
"Jackie" ist nicht ohne Grund auf meiner Top 100 Dekadenliste gelandet. Ich bin eigentlich überhaupt kein Biopic Freund, aber "Jackie" hat enorm viel enorm richtig gemacht. Von daher bin ich auch hier interessiert, auch wenn das praktisch nichts mit der Biopic Natur oder Lady Di zu tun hat. Pablo Larraín ist auch so ein super spannender Regisseur. "No" war auch enorm stark. Und von seinem "Ema" habe ich auch schon sehr viel Gutes gehört.

Aber dass sich Kristen Stewart einem weiteren internationalen Auteur verschreibt, ist ein gutes Zeichen und ein weiterer Beweis, dass sie es ernst meint und dass sie es kann. Vielleicht können sie und Larraín ja auch in Zukunft bei einem originalen Script kooperieren. Wäre Stewart aber meine erste Wahl für Lady Di? Eigentlich nicht. So ein Akzent ist nicht alles, aber es wäre so leicht, das zu umgehen, eine Darstellerin zu finden, die nicht zusätzlich noch einen ganz speziellen Akzentton treffen muss, während sie eine komplexe Rolle spielt. Natalie Portman in "Jackie" war mit ihrem seeehr speziellen Akzent ein Beispiel für eine gelungene Variante dieses "Extras", aber ich denke, für Lady Di hätte ich erst einmal prinzipiell eine britische Darstellerin gesucht und davon ausgehen dann Rolle inklusive Stimmlage mit ihr konzipiert.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Habe den Film gestern im Rahmen des Zürich Filmfestivals gesehen und ja, der kann schon was. Hat mir gut gefallen.
Wie Neo eingangs schon geschrieben hat, spielt der Film an drei Tagen, nämlich an Weihnachten 1991. Diese verbringen die Mitglieder der Royal Family gemeinsam auf ihrem Anwesen Sandringham in Norfolk. Die Feierlichkeiten laufen nach einem strengen königlichen Protokoll ab. Tradition steht im Zentrum. Dafür, dass das Protokoll auch eingehalten wird, hat man Major Alistar Gregory abbestellt (Falkenblick Timothy Spall), der mit strengem Blick die Abläufe überwacht und insbesondere die unzuverlässige, widerspenstige und psychisch labile Diana im Auge behält.

Das sind dann auch die Attribute, welcher Diana anhängen - in der Royal Family und in der Presse. Die Leute scheinen nur darauf zu warten, dass sie verrückt wird und zusammenbricht. Und tatsächlich bringen sie diese drei Tage auch an den Rand des Wahsninns. Schon zu Beginn des Films macht die Diana des Films einen verlorenen und verwirrten Eindruck. Dass in der Nähe des Anwesens, wo sie Weihnachten verbringen, ihr Elternhaus steht, in dem sie aufgewachsen ist, verstärkt noch das Gefühlschaos, in dem sich Diana wiederfindet.

Die bevorstehenden drei Tage mit der Royal Family belasten Diana sichtlich. Das wird umso mehr verstärkt, als sie auf Major Gregory trifft, der ihr gleich bei ihrem Eintreffen zu verstehen gibt, dass er dafür sorgen wird, dass auch sie sich an die Regeln der Tradition unterordnet. Der Druck unter dem Diana leidet, steht ihr ins Gesicht geschrieben - ein Zwangskorsett aus Traditionen, Pflichten und Regeln, das ihr die Luft abzuschnüren droht. Fröhlich und gelöst wirkt sie eigenltich nur, wenn sie mit ihren beiden Kindern alleine ist. Ihre einzige Vertraute ist ihre Assistentin und Einkleiderin Maggie, die allerdings schon nach dem ersten Tag von Charles weggeschickt wird, was Dianas Verzweiflung noch weiter bestärkt.

Der Film lässt keine Zweifel offen, Pablo Larrain und Screenwriter Steven Knight hegen für die Königsfamilie keine besonderen Sympathien. Die Royals, insbesondere Charles werden als pflichtbewusste und kalte Menschen dargestellt, die für Dianas Leiden keinerlei Verständnis aufbringen. Wobei gesagt werden muss, dass Charles oder die Queen nur sehr wenig Screentime erhalten und entsprechend auch als Charaktere bewusst blass gehalten werden.

Die Welt der Royal Family inszeniert Larrain als eine Art Totalitarismus im Kleinen. Individuelle Freiheiten haben hier keinen Platz. Alles ist bis ins kleinste Detail vorgegeben, ein sich selbst auferlegter Determinismus sozusagen. Immer wieder verhandelt Diana mit den Ankleiderinnen, Charles oder Major Gregory über die Kleider, die Diana anziehen soll. Für jede Mahlzeit und für jeden Anlass wurde ihr ein Kleid vor-ausgewählt, das sie zu tragen hat. Und es entwickelt sich zu einem steten Ringen, dass Diana diesen Vorgaben auch nachkommt. Denn Diana entpuppt sich eben nicht nur als leidende, sondern auch als widerspenstigte Frau, die sich gegen diese Vorgaben immer wieder auflehnt. Dieses Auflehnen inszeniert Larrain als eine ständige Kraftanstrengung, die Diana alles abverlangt. Ein ständiges Anrennen gegen Wand, von dem stets neue Verletzungen davon trägt.

Es ist ein schmaler Grat, diesem Leiden und Rebellieren Dianas so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Denn die Gefahr droht, dass man als Zuschauer mit der Zeit ein wenig die Geduld mit ihr verliert oder sie als Drama-Queen daherkommt, also genauso, wie man es ihr im Film auch vorwirft. Umso wichtiger sind die Momente, welche Diana von einer anderen Seite zeigen. Insbesondere, wenn sie mit ihren Söhnen zusammen ist. Dann ist sie sie liebende, fürsorgliche Mutter, die sich liebreizend um ihre Kinder kümmert. Irgendwie fühlte ich mich in diesen Szenen mit den Kindern ein wenig an den Film "Finding Neverland" erinnert.

Kristen Stewart ist ohne Frage fantastisch in der Rolle. Ganz unabhängig davon, ob sie jetzt die reale Diana gut portraitiert oder nicht. Sie spielt einfach phänomenal und man vergisst eigentlich sofort, dass Kristen Stewart da auf der Leinwand steht. Es ist eine recht wilde Mischung aus Zerbrechlichkeit, Kampfeswille, Zärtlichkeit, Verunsicherung, Naivität und Charme, die sie unter einen Hut bringen muss, was ihr aber grossartig gelingt.

Zwei Nebenfiguren haben mir zudem besonders gut gefallen. Sally Hawkins als Maggie und Dianas engste Vertraute. Sie ist neben den Kindern jene Figur, welche die wärmsten Momente mit Diana im Film hat. Auch grossartig Sean Harris als sympathischer Küchenchef, der auch für ein paar Lacher sorgt.

Die Inszenierung ist eh grossartig. Wir haben es hier natürlich nicht mit einem realistischen Portrait oder Millieustudie zu tun, sondern mit einem künstlerischen Werk, das insbesondere optisch stark durchstilisiert ist. Das Spiel mit den Kleidern und der Mode passt da natürlich super dazu. Aber auch sonst bietet der Film diverse inszenatorische Einfälle, denen man einfach gerne folgt. Seien das ganze Sequenzen, Farben oder Kameraeinstellungen. Der Film bietet auf der Ebene enorm viel zu entdecken. Und dieser starke Stilwillen passt eben auch wunderbar. Denn damit betont er das Märchemotiv, das im Film steckt: Die Prinzessinengeschichte, aber eben auf den Kopf gestellt.
Im Gegensatz zu Jackie (ist aber auch lange her, dass ich ihn gesehen habe) ist Spencer trotz vieler düsterer und beklemmender Momente doch leichter und auch humorvoller geworden. So sehr Diana auch leidet, letztlich ist es ihre Stärke und ihre Widerspenstigkeit, welche im Zentrum stehen.

Richtige Royalkenner werden bestimmt auch viel zu nörgeln haben. Ich gehe nicht davon aus, dass der Film ein adäquates oder unbedingt allen gegenüber faires Bild zeichnet. Wie gesagt, ich denke, die Sympathien und Antipathien von den Machern sind klar verteilt.

8.5-9/10
 
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Reaktionen: Jay

Jay

hauptsache bereits gesehen
Teammitglied
Ich halte es auch für schwierig, das völlig positionslos zu inszenieren. Das ist einfach ein Thema, bei dem man schnell in einem der beiden Lager steckt. Die Kritik zeichnet den Film auf jeden Fall interessanter als es der Trailer vermochte, find ich.
 

TheRealNeo

Well-Known Member
Einer der besten Trailer des Jahres für einen (hoffentlich) der besten Filme des Jahres?

Ohja!
Zumindest, wenn man ihn auch hierzulande noch zum Jahrgang 2021 zählen möchte.
SPENCER ist wirklich sehr, sehr gelungen und ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich anfangen soll mit dem Schwärmen.
Ich habe Kristen Stewarts Karriere in den letzten Jahren eher passiv beobachtet. Heißt ich habe mehr darüber gelesen, was sie macht und wie, als es mir selbst anzuschauen. Was keine bewusste Entscheidung war, sondern sich meistens nie ergab. Umso mehr ist mir hier demnach aufgefallen, wie sehr sie sich in ihrem Schauspiel mittlerweile entwickelt hat. Mit welcher Souveränität, Stärke und Zerbrechlichkeit sie diese Rolle spielt, hätte man ihr womöglich nach TWILIGHT nicht zugetraut, wenn auch dort zugegebenermaßen das Problem nicht nur an ihr lag und sie war damals eben noch jünger. Aber das war hier eine ganz große Leistung. Sie ist das Zentrum des Films und trägt diesen auch problemlos.
Die Kameraarbeit von Claire Mathon trägt dazu ausnahmslso auch bei. Der entsättigte Look steigert nicht nur die Kühle des ganzen Geschehen, denn gleichzeitig klebt ihre Kamera wie die eines Paparazzi an Stewarts Figur. Umso deutlicher und bedrückender wird dies besonders, wenn mehr als eine weitere Person mit im Raum sind. Durch eine starke Fokusierung der Kamera auf sie verschwindet der Rest buchstäblich in der Unschärfe, und isoliert sie noch mehr. Eine Dinnerszene gehört somit auch zu den besten Szenen des Films, der voll davon ist und an die man sich noch am Ende des Jahres erinnern wird. Dazu gehören auch zwei längere Szenen mit ihren Söhnen, wo man auch Debütant Jack Nielen einmal erwähnen sollte.
Ein weiterer Meister seines Fachs bleibt Jonny Greenwood, der hier den Score komponiert hat. Seine Mischung aus Free Jazz und experimenteller Klassik, nenne ich es mal, erzeugt von Anfang ein bedrückendes, wenn auch passendes, Gefühl für den Film. Zwischenzeitlich schafft er es im Einklag mit den Bildern, dass man sich fast wie ein einem europäischen Horrorfilm der 70er Jahre fühlt.

Ja SPENCER ist wirklich ein erstes großes Highlight zu Beginn des Jahres. Der Vor- oder Nachteil, dass bei uns potentielle Oscarfilme erst mit Beginn eines neuen Jahres ausgewertet werden. Man darf gespannt sein auf die nächsten Wochen (LICORICE PIZZA, BELFAST). Die Messlatte für dieses Jahr ist damit schonmal ziemlich hoch gelegt worden.

Oscars für Film, Regie, Drehbuch, Kostüm, Hauptdarstellerin, Nebendarsteller (Timothy Spall), Kamera und Score wären nicht unverdient...
 

squizo

Zillion Dollar Sadist
Oh Scusi. Ich korrigiere - die Kinogänger sind wohl sehr gespalten. Da schneidet er nicht so gut ab.
 

Puni

Well-Known Member
Ich frag mich auch wirklich, wer hier die Zielgruppe sein könnte. Omas, die Abonnenten von Fachliteratur wie "Das goldene Blatt" sind, wohl kaum. :hae:
 

Joel.Barish

dank AF
Ich habe den Film im Kino gesehen und fand ihn großartig. Ich fand ja auch schon "Jackie" großartig und die Verwandtschaft der Filme ist nicht von der Hand zu weisen. Für mich schwer vorstellbar, jemand könnte einen der Filme mögen und den anderen negativ finden. Ich mag ja Biopics nicht so sehr bzw. störe mich an der Simplifizierung eines Lebens und einer Pesönlichkeit. "Spencer" macht alles richtig, denn nicht nur hält der Film den zu betrachtenden Zeitraum klein, die Handhabe von Diana als Person ist auch weniger Biopic einer berühmten Persönlichkeit sondern Psychogramm eines Menschen.
Pablo Larraín inszeniert das wie ein Könner. Manche mögen ihm gewollte artifizielle Art oder Affektiertheit unterstellen. Für mich war alles der Geschichte bzw. dem Innenleben Dianas untergeordnet. Allein die Szenen im alten Spencer-Familiensitz und die "getriggerten" Flashbacks sind der schiere Wahnsinn. Vielleicht eckt man auch mit Kristen Stewarts ähnlich "affektierter" Interpretation der Rolle an, wie ja auch Natalie Portman in "Jackie" u.a. mit dem Akzent so manchen Zuschauer provozierte. Ich fand Stewart hier großartig. Das alles unterstützt von einer großartigen Ausstattung und einem sensationallen Kostümdesign - die Outfits sind so oft explizit Teil der Handlung, sind Text statt Subtext. Jacqueline Durran verdient mal wieder sämtliche Oscars. Oh und natürlich Jonny Greenwood, dessen abermals sensationeller und ungewöhnlicher Score einen wilden Spagat von "klassischen" Streicherpassagen hin zu psychedelischen Jazz-Passagen macht. Großartig.

Aber ja, wie auch Puni frage ich mich, wer hier die Zielgruppe war. Mit mir waren (an einem popeligen Dienstagabend) kaum eine Handvoll Leute im Kino. Deren Reaktionen klangen - reine Spekulation meinerseits - aber eher negativ. Ich würde auch sagen, dass Leser:innen von Gala, Bunte und Co. den Film wohl zu 99% hassen werden oder ihm zumindest nichts abgewinnen werden können. Auch "The Crown" Fans dürften es recht häufig schwer haben, würde ich schätzen. Bleibt das Programmkino-Publikum, welches aber oftmals von der Kombi aus dem "Royals" Thema und einer populären Darstellerin wie Stewart abgeschreckt werden könnte, Ist schwierig, so eine Einschätzung. Generell neugierige Kinogänger sollten aber auf jeden Fall einen Blick riskieren,.
 
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