Zuletzt gelesenes oder gehörtes Buch

Puni

Well-Known Member
Bin mir bei den Büchern die du sonst liest ziemlich sicher, dass dir auch das gefallen wird. :squint:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
J.G. Ballard - Das Reich der Sonne

Es geht um einen Jungen, der mit seinen englischen Eltern in Shanghai lebt, als die Japaner (während des Zweiten Weltkriegs) China angreifen. Das Buch ist sehr autobiografisch, da Ballard selbst in Shanghai geboren wurde und mit seinen Eltern im japanischen Kriegsfegangenenlager landete. Allerdings gibt es auch einige Abweichungen, u.a. dass er im Buch von seinen Eltern getrennt ist und sich allein durchschlagen muss. Man vergleiche Ballards Autobiografie "Wunnder des Lebens" mit "Das Reich der Sonne" - viele Übereinstimmungen, aber auch manche Unterschiede.
Ich fand beide Bücher sehr gut und empfehlenswert.

Paul Tremblay - A Head Full Of Ghosts

Eine moderne Mischung aus "Der Exorzist" und "Shining", erzählt aus der Sicht einer Frau, deren Schwester vor vielen Jahren vom Teufel besessen war (oder auch nicht).
Es ist gut geschrieben und hat eine schöne dichte Atmosphäre. Mit der ersten Hälfte war ich sehr zufrieden, mit der zweiten weniger. Ich wartete darauf, dass da noch irgendein Knaller oder ein Twist kommt, was leider nicht passiert ist. Vielmehr gibt es keine wirkliche Auflösung, und obwohl ich nichts gegen Spielraum für Interpretationen habe, ist es in diesem Fall dann doch zu viel, was am Ende offen und ungeklärt bleibt.

Dann habe ich noch ein paar Sachen von Philip K. Dick aus den 1960er Jahren nachgeholt - "Nach der Bombe", "Das Jahr der Krisen" und "Warte auf das letzte Jahr". Wie so oft, stechen auch in diesen Werken einzelne sehr gute und originelle Ideen heraus, während die Handlung und das Gesamtkonzept zu sprunghaft und undurchdacht wirken. Als hätte der Autor zu viele Ideen im Kopf und würde sie wahllos irgendwo reinknallen, ohne sich um die Kontinuität zu kümmern und ohne die Texte wenigstens einmal zu überarbeiten. Bücher wie "Ubik" und "Der dunkle Schirm" machten in dieser Hinsicht einen besseren Eindruck.

Friedrich Nietzsche - Ecce homo

Es gibt Autobiografien, in denen die Selbstbewunderung des Autors nicht zu übersehen ist, aber keine davon kommt auch nur ansatzweise an "Ecce homo" heran. Allein schon die Überschriften der ersten Kapitel ("Warum ich so klug bin", "Warum ich so weise bin", "Warum ich so gute Bücher schreibe") lassen erahnen, wie stark die Selbstliebe Nietzsches ausgeprägt war. Und nein, diese Überschriften sind keinesfalls ironisch gemeint.
Trotzdem habe ich das Buch (oder eher Büchlein) gern gelesen, weil ich seinen Schreibstil sehr mag und seine Überlegungen wertschätze. Seine Bücher sind sehr lebensbejahend und kraftvoll, und auch wenn ich mit ihm nicht immer einer Meinung bin, lassen sich die Texte sehr angenehm lesen. Schade, dass sein Ruf unter haltlosen Anschuldigungen gelitten hat, denn er war weder Antisemit (er war gegen Antisemitismus), noch ein Nationalist (er hat die Nationalisten oft genug kritisiert und verspottet). Eigentlich hatte er polnische Vorfahren, wurde stark von Dostojewski (neben Schopenhauer u.a.) und von der zoroastrischen Kultur geprägt und machte auch in diesem Buch klar, dass ihm das "typisch Deutsche" überhaupt nicht gefällt.
Das Problem mit seinem Ruf liegt vielleicht darin, dass seine Schwestern nach seinem Tod die Urheberrechte bekam und (als überzeugte Nationalistin) für die Zwecke der Partei einsetzte. Das heißt unter anderem, Textpassagen aus dem Zusammenhang reißen und sie zu neuen Texten zusammenfügen. Auch sein "Übermensch" hatte nicht das Geringste mit Nationalitäten zu tun, sondern mit Charakteren. Da er bei den Nazis beliebt war, galt er für die anderen als "rechts" - oft, ohne dass sie einen Text von ihm gelesen hätten.

Ecce homo ist bei weitem nicht so gut wie "Also sprach Zarathustra" und "Der Antichrist", aber ich mochte es trotz der grenzenlosen Selbstbewunderung, von der das Buch geprägt ist.

Lustig fand ich auch einen Spruch darin, den Nietzsche von Stendhal zitiert: "Die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existiert."
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Eher nicht, würde ich sagen. Er hat schon recht unterschiedliche Sachen geschrieben - die älteren sind mehr Sci-Fi als die jüngeren. Als Einstieg würde ich z.B. "Betoninsel" und "High-Rise" empfehlen. "Crash" wäre auch ein Kandidat, aber die Geschichte kennst du wahrscheinlich schon durch Cronenbergs Film. Wobei das Buch noch ein Stück bizarrer ist.

EDIT: Im Englischen gibt es übrigens schon den Begriff "Ballardesque", und typisch Ballard ist ein Buch wie "Das Reich der Sonne" nicht. Noch besser wäre "Die endgültige Stadt" als Einstieg, aber leider ist das Buch im Deutschen voller Schreibfehler, anscheinend mangelhaftes oder fehlendes Korrektorat.
 

Puni

Well-Known Member
Ah super, danke. Crash hab ich kürzlich erst nochmal gesehen, deshalb werde ich wahrscheinlich nach der Betoninsel mal Ausschau halten.
 

Puni

Well-Known Member
J. M. Coetzee - Schande
Geht um einen Uniprof in Südafrika, der durch eine Affäre mit einer Studentin in Ungnade fällt und gekündigt wird, um schließlich bei seiner Tochter auf dem Lande unterzukommen. Dort findet ein schweres Verbrechen statt, dass alles verändern soll.
Ein sehr interessanter, schwer zu fassender Roman, der vor allem von der Einsicht ins Innenleben des Protagonisten lebt, der ein ziemliches Arschloch ist. Mir kam der ganze Roman wie ein riesiger Mittelfinger in Richtung Bildungsbürgertum vor, zudem ist auch spannend - aber genauso schwer greifbar - wie das alles in die Identität Südafrikas in Zeiten der Post-Apartheid eingewoben wird.

Dror Mishani - Drei
"Drei" ist eine Art unkonventioneller Kriminalroman, bei dem es um eine frisch geschiedene Frau geht, die im Internet jemanden kennen lernt. Wohin das alles führt und was sonst noch passiert würde wahrscheinlich die Spannung nehmen; nur so viel kann ich noch zur Handlung sagen: es wird ziemlich nervenaufreibend, aber nie abgedroschen.
Ich muss sagen, der Roman hat mir richtig gut gefallen. Die Handlung spielt hierbei in Israel, und ich genieße es schon immer sehr, wie mir durch Medien verschiedene Orte und Lebensrealitäten näher gebracht werden; Ansichten der Protagonisten sich von den eigenen oft aber einfach überhaupt nicht unterscheiden. So auch hier, denn was Mishani wirklich drauf hat ist die Charakterisierung seiner Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dazu werden auch viele zwischenmenschliche Situationen und Verhaltensweisen beschrieben - insbesondere im Hinblick auf Dating - die sich realistischer nicht hätten anfühlen können. Aber auch die Geschichte ist super spannend und bitterböse mit einem ordentlichen Tempo, das die Figuren aber nicht vernachlässigt, und einem fast schon malerisch-poetischen Ende.

Heinz Strunk - Sommer in Niendorf
Da isser wieder, mein Heinz! "Ein Sommer in Niendorf" vereint genau die Elemente, die ich beim Heinzer so mag: wie immer toll beobachtete zwischenmenschliche Gewohnheiten und Verhaltensweisen und selbst in der größten Tragik noch das Absurd-komische sehen zu können. Dazu kommt dieses Mal noch etwas sehr lebensbejahendes - waren "Das Teemännchen" und "Es ist immer so schön mit dir" teilweise schon fast nihilistisch, gibt das Scheitern hier sowas wie Hoffnung auf einen Neuanfang, was mich sehr berührt hat.
 

Puni

Well-Known Member
Wusste bis gerade nicht einmal, dass es da eine Verfilmung zu gab. :biggrin: Stell ich mir bei so introspektiven Romanen auch echt immer schwer vor, das adäquat zu verfilmen.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Wusste bis gerade nicht einmal, dass es da eine Verfilmung zu gab. :biggrin:
Du, das ist keine Schande:clap: Der Film lief, glaub ich, auch eher unterm Radar.
Bin mir bei den Büchern die du sonst liest ziemlich sicher, dass dir auch das gefallen wird. :squint:
"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" gefällt mir übrigens wirklich gut. Sogar je weiter ich höre, desto besser:top:
 

Puni

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Don Winslow - City on Fire

Geht um einen Bandenkrieg zwischen Iren und Italienern in Providence Mitte der 80er.

Der neue Winslow-Roman hat mich leider enttäuscht. Winslows große Stärke, nämlich Geschichten kurzweilig und flott zu erzählen ist gleichzeitig manchmal auch seine größte Schwäche - mir ging das alles ein bisschen zu schnell, und es wird oft ziemlich durch die Handlung gehetzt, ohne eine besondere Tiefe oder Atmosphäre aufzubauen. Auch thematisch hat mich das leider nicht wirklich angesprochen, obwohl ich das "Iren-Milieu" eigentlich ziemlich spannend finde. Trotzdem fühlt es sich größtenteils nach Altbekanntem an und Winslow liefert hier absolut keine neuen Einblicke oder Ideen - die ganze Geschichte wirkt wie ein Best of bekannter Gangsterstorys aus Film und Literatur, was wirklich schade ist, denn sonst empfand ich Winslows Geschichten immer als deutlich cleverer.
Klingt jetzt auch alles negativer als es eigentlich ist, denn City on Fire ist ein kurzweiliger, "netter" Roman, der sich bestimmt gut als Einstieg in die Gangsterthematik eignet, aber leider nichts neues bietet.
 
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Cimmerier

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Hm, das ist ja ernüchternd. Wollte ich nach Lockwood als nächstes lesen. Werde ich ohnehin machen, aber meine Erwartung ist ein wenig gedämpft. Wobei das ja durchaus vorteilhaft sein kann. Ich mag Winslow ja und Broken hat mir kürzlich auch sehr gut gefallen. Bin gespannt, wo sich City on Fire einreihen wird.
 

Puni

Well-Known Member
Fühlte sich wirklich nur wie ein Best of bekannter Mafia- und Gangsterklischees und Geschichten ohne Tiefgang oder Überraschungen an, so als hätte man das alles schon zig mal gesehen oder gelesen. Bin aber gespannt was du dazu sagen wirst, vielleicht gehts ja auch nur mir so.
 

Cimmerier

Administrator
Teammitglied
Muss ja sagen, das bei mir die Tage der Toten und Co. fließend in Narcos und Sicario übergegangen ist. Ich hab manche Sachen visuell vor Augen, weiß aber gar nicht, ob ich das gelesen oder gesehen habe. Was ich damit sagen möchte, auch dort hat er ja teilweise viel wiederverwertet, was man schon kennt. Dabei war das alles immer sehr packend geschrieben. Kann mir also vorstellen, dass mich das hier vielleicht gar nicht so sehr wurmt. Wird noch ein paar Tage dauern, aber dann nehme ich mir das Buch auch vor.
 

Puni

Well-Known Member
Nathanael West - Miss Lonelyhearts

Was für ein verrücktes Buch! Es geht um Miss Lonelyhearts; ein Redakteur, der für eine Zeitung in den 30ern eine Kolumne schreibt, in der Leser:innen auf ihre Sorgen gute Ratschläge bekommen können.
Das ganze ist aber nur der Aufhänger, denn eigentlich geht es um die namenlosen Hauptfigur, die ähnlich wie andere transgressive Protagonisten durchs Leben streift und dabei die ein oder andere Schandtat verübt - immer in Kombination mit seinem starken Glauben, der hin und wieder psychotisch wirkt.
Ich war die vollen 100 Seiten auf jeden Fall sehr, sehr angetan. Die Geschichte ist hin und wieder anstrengend, oft genauso gut und intensiv wie Romane von Hubert Selby und genauso schwer greifbar, fordernd und undurchsichtig. Insbesondere die Nebencharaktere sind stark geschrieben, und am Ende hätte ich noch gerne viel mehr aus dieser gefühlt realistischen, gemeinen Welt erfahren. Wenn man im Anschluss sich noch die Biographie des Autors anguckt, wird das ganze dann noch interessanter. Toller Roman, den ich erstmal sacken lassen muss.
 
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Revolvermann

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@Puni
Habe übrigens bereits vor einiger Zeit "Tage der Toten" beendet und fand es ganz gut.
Schade das dir City on Fire nicht so gefallen hat, denn in Tage der Toten gefiel mit die Storyline um Callan in Hells Kitchen eigentlich am besten.
Und City on Fire soll ja in eine ähnliche Richtung gehen. Oder würdest du sagen, das ist ganz anders?
 

Puni

Well-Known Member
@Revolvermann

Tage der Toten bot mir inhaltlich sehr viel neues - das, was die CIA bzw die Contras damals im Kalten Krieg in Mittelamerika verbrochen haben wusste ich grob, aber viele Details natürlich nicht, und genau das hat der Roman wirklich toll und intensiv eingefangen - vor allem bei allem, was in Mexico passiert ist. Dazu war der Roman einfach kurzweilig auf die verschiedenen Charaktere aufgeteilt und irgendwie mochte man fast jeden stark geschrieben Charakter darin.

Bei City on Fire handelt es sich meiner Meinung nach um ein Best of aller Gangsterfilme, die man in seinem Leben geschaut hat und bot leider gar nichts neues. Das flotte Tempo tut den meisten Charakteren überhaupt nicht gut, zudem ist die Geschichte auch einfach zu schnell erzählt, was gerade hier, auf 200 Seiten, zu einer einzigen Abhandlung verkommt. Dabei hab ich mit so einer Herangehensweise sonst überhaupt kein Problem - Bobby Z von Winslow mochte ich zum Beispiel sehr. Spätestens ab der Hälfte ging mir das alles einfach zu schnell, ohne großartig Tiefe aufzubauen. Aber da der Roman ja wirklich schnell wegzulesen ist wäre ich natürlich auf deine Meinung gespannt. @Cimmerier sieht das ganze glaube ich auch etwas anders als ich, also von daher, go for it! :biggrin:
 

Revolvermann

Well-Known Member
Vielleicht mache ich das mal. Klingt aber nicht so gut. :biggrin:
Wenn ich die anderen tausend Sachen gelesen habe, die ich so im Kopf hab und zu Winslow zurückkehre, würde ich wahrscheinlich erst die Trilogie beenden.
 

Cimmerier

Administrator
Teammitglied
Wenn dir Tage der Toten nur gut gefallen hat, würde ich City on Fire wohl skippen. Ich bin gerade dran und mir gefällt es. Kurzweilig, temporeich, aber, wie Puni schon sagte, teilweise einfach altbekannt. Für mich aber gerade genau das Richtige.
 
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