*GG*/German Genre: „Die Vierhändige“ (D 2017, R: Oliver Kienle)
Deutschland und Genrefilme? Das geht ja gar nicht! Geht ja wohl!
Es ist die immerwährende Diskussion: Deutschland hat, Deutschland kann keine Genrefilme produzieren. Denkt man an den deutschen Film können viele nur fremdschämig grinsen (*gg*!). Das Fernsehen habe zu viel Macht, die Förderer*Innen fördern nur die- und dasselbe und generell fehlt der Mut auf Geldgeberseite und die Neugier und das Vertrauen der Zuschauerschaft. In jedem dieser Punkte steckt etwas Wahrheit, aber auch etwas Klischee- und Schubladendenken. Wir wollen uns ab sofort 14-tägig auf die Suche begeben. Nach Gründen. Ursachen. Und natürlich nach Genrefilmen. Deutschsprachige, die es schon gibt und schon immer gab. Aber entweder kennt sie keiner, sie konnten keinen bleibenden Eindruck hinterlassen oder die Probleme lagen ganz woanders. Wir wollen Filme besprechen, doch auch Bücher zur Thematik vorstellen und vielleicht auch mal das ein oder andere Interview mit Filmemacher*Innen führen und hier präsentieren. Desweiteren soll natürlich auch der Genre-Begriff ansich diskutiert werden. Das sollte ursprünglich mal den Anfang bilden, doch nun kam es anders.
Doch so soll es nun In medias res und zum ersten Film gehen.
DIE VIERHÄNDIGE (D 2017)
Regisseur: Oliver Kienle
Cast: Frida-Lovisa Hamann, Friederike Becht, Christoph Letkowski u.a.
Ein Psychothriller aus Deutschland. Der Ausdruck mehr Schein als Sein erhält bei diesem Film eine ganz eigene Konnotation.
© Camino Filmverleih
Deutschland und seine Genrefilme. Es gibt sie, man muss sie nur finden. Filmemacher Oliver Kienle bewies bereits mit seinem Diplom-Abschlussfilm BIS AUFS BLUT (2010), dass seine Filme mit einer überraschenden Härte aber durchweg spannenden Geschichte daherkommen können. DIE VIERHÄNDIGE kann hierbei wie ein ähnlicher Genre-Hybrid verstanden werden. Vordergründig vielleicht ein Drama mit Thriller- und auch Mystery-Elementen, überlässt es am Ende der Film dem Zuschauer was er daraus macht und wie er den Film liest. Dies gibt ihm einen Anspruch mit und fordert den Intellekt des Zuschauers, wie man es wiederum mehr aus Filmen des Arthouse-Sektors gewohnt ist und man vor allen Dingen aus den 60er/70ern des europäischen Autorenkinos kennt. DIE VIERHÄNDIGE also nur ein Pseudo-Genrefilm?
Es ist schwer über einen Film zu schreiben, wenn man doch eigentlich nicht zu viel verraten möchte. Ein Satz in einer Inhaltsbeschreibung oder eine Einstellung in einem Trailer, kann schon zu viel sein. Dabei erweckt solch eine Herangehensweise vielleicht direkt einen falschen Eindruck vom Film. DIE VIERHÄNDIGE hat eine gewisse Doppelbödigkeit und arbeitet als Verwirrspiel und mit einer finalen Wendung, doch anders als man dies in anderen Genrevertretern vielleicht gewohnt ist, wird der Zuschauer nie zum Komplizen und der Film bietet sich nie als Erklärbar an. Der Film schafft ein Szenario, welches wie seine Figuren nach Antworten fragt und doch spielt sich das eigentlich Interessante nebenher ab. Die Stärke liegt dabei daran, dass sich der Film selbst immer ernst nimmt und nie versucht sich oder seine Figuren für den Zuschauer zu hinterfragen. Die Reflektionsleistung bleibt dem Publikum überlassen.
© Camino Filmverleih
Oliver Kienle konstruiert dafür eine Stadt der anonymen Orte. Keine bekannten Fixpunkte helfen dem Zuschauer bei der Orientierung. Der Film etabliert mehrere Handlungsorte, doch bleibt die Stadt eine Unbekannte. Schon das einsame Familienhaus im Schatten größer Industrieanlagen mutet unnatürlich an. Und doch ist es der einzige Ort, der durch einen Establishing-Shot etabliert und später durch einen Top-Shot symbolisch aufgeladen wird. Erdrückt hier noch die Industrie die Weite, so ist es ansonsten die völlige Abwesenheit von jeglichen Einstellungen zur Etablierung von Orten. Ähnlich beim Umgang mit den weiblichen Hauptfiguren, lässt Kienle auch zwischen den Orten ohne klare Übergänge schneiden. Der Zuschauer befindet sich ständig im Modus der Orientierung und Re-Orientierung. Man bekommt die Puzzleteile nach und nach zugeworfen, ja der Film nimmt sogar die wohl offensichtlichsten Gedanken auf und spielt mit ihnen. Seine eigentliche Geschichte ist gleichzeitig reichlich klar. Und auch wenn man wohl nicht alles einordnen gar glauben kann, was man sieht, steht vor allen Dingen das Visuelle im Vordergrund. Jede Einstellung kann etwas verraten und ein Augenzwinkern könnte schon zum Verpassen eines entscheidenden Hinweises führen. Doch Hinweis wofür eigentlich?
DIE VIERHÄNDIGE schafft es ein Film zu sein, der eine Ebene eröffnet, die womöglich gar nicht mit nüchternen Elementen zu erklären ist, doch bemüht er sich auch schließlich gar nicht darum. Dies mag der Punkt sein, der den Film etwas von seinen Genrebestrebungen wegbringt. Er lässt sich seine Form nie diktieren. Er eignet sich Genreelemente an, lässt sie aber genauso wieder fallen. Und wenn man glaubt das Prinzip durschaut zu haben, kommt es doch wieder anders. Wer am Ende triumphiert und meint die Wendung schon gekannt oder schon oft gesehen zu haben, der hat nichts verstanden, denn am Ende gehen unsere Figuren weiter und der Zuschauer bleibt zurück.
Was klar sein sollte. Wer den Film einmal gesehen hat, wird ihn sich bestimmt noch einmal ein zweites Mal anschauen wollen/müssen.
Kurz: M. Night Shyamalan bittet Michelangelo Antonioni um ein paar Drehbuchkorrekturen. So in etwa könnte man Oliver Kienles DIE VIERHÄNDIGE im groben konzeptuell wiedergeben. Ein spannender Psychothriller, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob man ihm das Unfokusierte ankreiden soll oder es hier vielmehr Mittel zum Zweck ist.
© Camino Filmverleih
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