*GG*/German Genre: „LUZ“ (D 2018, R: Tilman Singer)
Deutschland und Genrefilme? Das geht ja gar nicht! Geht ja wohl!
Eigentlich steht die Berlinale genau für die Art von Film, die vom allgemeinen sogenannten Massenpublikum kaum wahrgenommen wird. Damit fällt auch der deutsche Genrefilm oft durch das Raster des Festivals, weshalb seit 2013 auch mehr oder weniger regelmäßig die sogenannten Genrenale parallel zur Berlinale läuft (Ausnahme 2019, da fand sie erst im Mai parallel zur Verleihung des Deutschen Filmpreises statt), und ins Leben gerufen wurde um eben jenen Filmen eine Plattform zu bieten, die im Festivalprogramm des großen Festivals ansonsten keinen Platz finden bzw. generell in der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft. Doch 2018 gab es eine Besonderheit, denn mit LUZ fand man in der Berlinale Sektion ‚Perspektive Deutsches Kino‘, einen Genrefilm, der dort seine Weltpremiere feierte, aber gleichzeitig vorab auch schon etwas Buzz bekam und so nicht von wenigen gespannt erwartet wurde. Anschließend bekam der Film, trotz seiner kinounüblichen Laufzeit von gerade einmal 70 Minuten, einen kleinen Kinostart und darauffolgend eine Heimkinoauswertung auf Blu-ray vom Label Bildstörung samt Audiokommentar, Making Of und zwei weiteren spannenden Kurzfilmen des Regisseurs Tilman Singer, die er auch bereits mit vielen Crewmitgliedern von LUZ realisiert hatte.
LUZ ist seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Und ja es ist genau dort an Filmhochschulen, wo gerade bei Abschluss- oder Zwischenprüfungsprojekte auch Genrefilme entstehen, nur gesehen werden die im Anschluss von kaum Jemandem. Denn nicht jede/r Filmemacher*in hat zu Beginn die Ambinitionen, die Filme zu machen, die die deutschen Fernsehsender oder Instutionen für förderbar oder unterstützungswert halten. Natürlich sollte man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass Filmhochschulen immer der große Spielplatz sind. So wie ähnlich vor allen Dingen in der Feuilleton-Kritik von Filmen versucht wird dem Werk eines oder einer Filmemacher*in ein Thema zu verleihen, dass seine Filmographie durchzieht, so wird auch an den Schulen versucht die Student*Innen frühstmöglich in Schubladen zu packen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, wie man auch bei Singer sieht, dessen zwei Kurzfilme nochmals ganz andere Herangehensweise an unterschiedliche Themen präsentieren.
© KHM
Doch Tilman Singer ging nun auch nicht den klassischsten Weg, den man mit einer Filmhochschule gehen kann. Bevor er sein Studium an der KHM begann, drehte er nämlich zum Spaß ein Stop-Motion-Skatervideo, was nicht nur eine halbe Millionen Klicks auf YouTube generierte, sondern auch das Interesse von Skatefirmen, für die er eine kurze Zeit Werbevideos in Florida oder Paris drehen durfte. Doch sein Ziel war eigentlich die KHM, mit dem Gedanken dort u.a. Videokunst zu machen, da dort das Studieren und die Studierende relativ breit aufgestellt ist und aus vielen Bereichen zusammengesetzt wird. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass seine bisherigen Arbeiten vor allen Dingen auch immer ein klares nicht nur audiovisuelles, sondern auch inhaltliches Konzept haben, was nicht unbedingt einer konsistenten Erzählweise folgt. Also hier steht Genre nicht für generisch und dem Folgen von vorgefertigten zu erwarteten Spuren, sonderm dem neu- und andersartigen.
Und genau diesen Geist durchströmt auch LUZ. Gedreht auf 16mm und mit durchgehenden Kratzspuren auf dem Filmmaterial, hat der Film rein schon von seiner medialen Präsentation etwas lebendiges und gleichzeitig zeitlich unnahbares. Wann der spielt bleibt deshalb unklar, ist aber für den weiteren Verlauf des Films auch völlig unwichtig. Der Film beginnt damit, dass die titelgebende Hauptfigur (Luana Velis), eigentlich Taxifahrerin, eine Polizeistation betrifft. Eine statische, lange Kameraeinstellung zeigt sie, wie sie sich langsam reinschleppt, zum Getränkeautomaten läuft und schließlich auf dem am Empfang sitzenden Polizeibeamten auf Spanisch einredet, der dies stoisch zur Kenntnis nimmt…oder auch nicht. Parallel dazu lernen wir den Psychologen Dr. Rossini (Jan Bluthardt) kennen, der in einer Bar auf Nora (Julia Riedler) trifft, die Luz zu kennen scheint. Mehr sollte man eigentlich nicht verraten, auch wenn der Film nicht nur storydriven ist, aber gerade das ergründen der Geschichte und all seiner Facetten zu mehrmaligen Sichtungen einlädt. Denn schließlich trifft Rossini auf Luz und soll mittels Hypnose das Rätsel hinter einem Unfalll entschlüsseln, doch dabei offenbart sich noch viel mehr.
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Wie aus der Not eine Tugend wird, zeigt sich in einer der zentralen Sequenzen des Films, wenn unter Hypnose der Unfall im Polizeipräsidium nachgestellt wird und dabei nur auf die tatsächliche Tonebene zurückgegriffen wird. Denn budgettechnisch konnte man nicht mit Taxi am Flughafen drehen, doch das macht dem Ganzen keinen Abbruch. Im Gegenteil wird einem vor Augen geführt, welche zentrale und bedeutende Rolle auch der Ton spielt in einem Medium, was vornehmlich mit seiner Visualität in Verbindung gebracht wird. Und so wirkt der Film nie gewollt oder billig, sondern durchdacht und die Mittel, die vorhanden waren vollends ausnutzend. Singer lieferte natürlich mit seinem Debüt nicht direkt den perfekten Film ab. Den gibt es auch nicht, aber es wird deutlich, dass er mit seinem Team eine Sprache gefunden hat, die nicht imitiert oder größeren Vorbildern nacheifert. Wo ein klares Konzept zu erkennen ist, welchem man gespannt folgt. Und damit ist schon einiges gewonnen.
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Man darf gespannt sein, mit welchem Projekt Tilman Singer als nächstes um die Ecke kommt. Bislang gibt es dazu noch nichts offizielles zu finden, doch bleibt es auch ein ungeschriebenes Gesetz im Filmbuisness, dass der zweite Film noch schwerer zu realisieren ist, als das Debüt. Die Unterstützung der Hochschule fällt weg und man hat erstmal nur seinen letzten Film als Visitenkarte. LUZ ist keine schlechte Visitenkarte, nur bleibt die Frage ob Markt und Geldgeber*Innen einen zweiten Film dieser Art ermöglichen. Singer hätte bestimmt keine Kopie im Sinne, aber ein Sozialdrama im Berliner Plattenbau, wäre wohl auch nicht seine erste Fall.
(Anmerkung: Damit sollen keineswegs deutsche Dramen o.ä. diskreditiert werden. Ganz im Gegenteil. Dafür gibt es viel zu viel gelungene Sozialdramen und Filme*macherin, die mit solchen Filmen eine starke Stimme gefunden haben. Viel mehr soll ein weiteres Mal darauf hingewiesen werden, dass es noch so viel mehr an filmischen Ausdrucksmöglichkeiten gibt, die genauso gefördert und ermöglicht gehören.)
Kennt Ihr LUZ oder habt nun Interesse an ihm? Wie ist eure Meinung zu dem Film? Diskutiert mit uns im Forum!
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