KRITIK:
THE LOVELY BONES
In meinem Himmel
Regie:
Peter Jackson
Darsteller: Saoirse
Release: 2010
von Christian Westhus
Story:
Susie (Saoirse
Ronan)
ist noch
ein Kind, als sie von einem vermeintlichen Bekannten
in ein Versteck gelockt und von ihm getötet wird.
Ihr Geist landet in einer Zwischenwelt, aus der sie
ihre trauernde Familie (Mark Wahlberg, Rachel Weisz)
sehen kann und verfolgt, wie sie den Mörder ihres
Kindes suchen...

Peter Jacksons Drama ist mit rund
100 Millionen Dollar das teuerste seines Genres |
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Kritik:
Das Tückische an Literaturverfilmungen ist, dass man
am besten beraten ist entweder Film oder Vorlage zu
ignorieren. Selten nämlich kann der Film die
Qualitäten des Buches adäquat auf die Leinwand
übertragen. Schaut man jedoch den Film, bekommt man
oft unweigerlich auch Interesse am literarischen
Vorbild; häufig unabhängig der Qualität des Films.
Liest man die Vorlage, ist man auf die Verfilmung
ebenfalls schnell neugierig.
Da kann man schon fast dankbar sein, dass Peter
Jackson bei seiner Adaption von Alice Sebolds „The
Lovely Bones“ schnell klar macht, dass er sich
einige Freiheiten heraus genommen hat. Er verpatzt
den Großteil des Films nämlich so sehr, dass beide
Parteien eiligst zum Buch rennen sollten, um es
entweder noch lieber zu gewinnen oder um es quasi
therapeutisch gegen das unterkühlte Kinoerlebnis
einzusetzen. Der Film hat auf der einen Seite viel
zu viel, ist auf der anderen Seite erschreckend
leer. War das Buch ein hochemotionales Drama, mit
dem Fokus auf den Charakteren und ihren
Entwicklungen, ist der Film ein großer,
computergenerierter Klotz. Ein Klotz, dessen stetes
Bemühen und Eifern um Emotionen spürbar ist, ohne
dass tatsächliche Regungen im großen Maße möglich
sind. Er lässt kalt, was in einer Geschichte um ein
ermordetes Mädchen so ziemlich das schlimmste Urteil
sein dürfte.

Für seine Darbietung ist Stanley Tucci
2010 für den Oscar nominiert |
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Peter Jackson gilt heute als großer
Bombast-Regisseur und wollte dem mit einem „kleinen“
Drama wohl etwas entgegen wirken. Vor einigen Jahren
galt er noch als schwarzhumoriger Macher blutiger
Splatterfilme und bewies mit „Heavenly Creatures“,
dass er auch die feinen Töne beherrscht. Situation
und Filme sind gut vergleichbar, tauchen in „Heavenly
Creatures“ doch zwei junge Mädchen in eine
fantasievoll gestaltete Traumwelt ein. Dort stand
der Gewaltakt am Ende, hier am Anfang. Leider aber
ist „The Lovely Bones“ kein kleines Drama geworden
und leider funktionierte die fantasiereiche
Traumdarstellung damals besser. Besonders die steten
Wechsel von Erde ins Himmelreich wollen nicht
harmonisch zusammenpassen. Die permanente
Parallelmontage ist in den wenigsten Fällen
zielgerichtet genug. Jackson benötigte beinahe ein
dreistelliges Millionenbudget um diesen Film zu
stemmen, dabei wäre eine gute Adaption des Romans
mit einem Viertel davon mit Leichtigkeit zu machen
gewesen. Die „Weta“ Effektfirma musste wohl
ausreichend beschäftigt werden, denn anders ist
diese Effektüberflutung nicht zu erklären. Jackson
klotzt und protzt und das zwar bildgewaltig, aber
ohne Gefühl und ohne Gespür für eine ausgewogene
Erzählweise.
In Buch und Film ist Susie nach ihrem Tod ein eher
passiver Charakter, doch das Drehbuch reduziert
ihren Erzähleranteil und fügt reichlich Szenen aus
der Zwischenwelt ein, in denen Susie zumeist allein
agiert. Saoirse Ronan ist ein glaubhafter Teenager
und nimmt mit ihren Strahleaugen sofort gefangen,
doch viel mehr wird ihr darstellerisch nicht
abverlangt. Schon die chronologische Strukturierung
des Films simplifiziert das gesamte Geschehen. Statt
mit dem Mord, beginnt der Film mit Susie als
Kleinkind, mit ihren jungen Eltern und kurzen
Impressionen aus Susies Lebzeiten. Wir lernen ihre
Interessen und ihren Schwarm kennen, und die
schicksalhafte Begegnung mit einem Mann aus ihrer
Nachbarschaft ist der radikale Einschnitt. Das kann
man so machen, doch leider ist das was nun folgt die
lineare Geschichte eines Verbrechens und der
Auswirkungen. Die Familie leidet, der Vater sucht
einen Schuldigen, der Täter versucht nicht
aufzufallen und die Zeit vergeht. Die wunderbar
arrangierten, assoziativen „Flashbacks“ des Buches,
mit vielen anschaulichen Szenen aus Susies Leben,
die mit der gegenwärtigen Entwicklung verknüpft
wurden, die fehlen.
Zu sehr schwelgt der Film in den tatsächlich toll
eingefangenen Bildern von Kameramann Andrew Lesnie.
Zumindest in der Welt der Lebenden sitzt die
Inszenierung. Stilistisch jedenfalls. Das 70er
Ambiente ist spürbar; Ausstattung und Kostüme sind
toll. Doch statt gefühlte zehn Minuten bei
gediegenem Kerzenschein die unterirdische Höhle im
Maisfeld zu erkundschaften, täte dem Film ein wenig
Ernsthaftigkeit und Bedrückung gut. Das Warten auf
den unausweichlichen Übergriff des Triebtäters ist
spannend, die Tat selbst ist komplett misslungen,
weil sie quasi nicht existent ist. Wie die ratlosen
Eltern, wissen auch wir nicht, was genau Susie
zugestoßen ist. Nur lebend kam sie aus der Sache
nicht heraus. Die Forderung, mehr sehen zu wollen,
ist quasi ein Novum, aber Jacksons Inszenierung ist
hier so zahm, ja fast feige, dass wir vom Mord kaum
erschüttert sind und Mr. Harvey als Täter kaum so
sehr hassen, wie wir es tun sollten. Den
Originaltitel führt diese Aussparung zudem fast ad
absurdum. Dass Peter Jackson eigentlich ein mehr als
fähiger Regisseur ist, blitzt hier und da kurz
durch. Eine frühe Szene mit Susie im Badezimmer
ihres Mörders ist wahrlich von Meisterhand
gezeichnet. Atmosphärisch, bedrückend und
stilistisch originell. Leider fast ein Einzelfall.
ONatürlich muss man sich
damit abfinden, dass in einer Filmadaption manche
Faktoren der Vorlage zwangsläufig wegfallen müssen.
Jackson und sein Drehbuchteam erleichtern die
Vorlage aber beinahe um jedes entscheidende Detail,
um nahezu jede wichtige Note, und verplempern die
kostbare Laufzeit mit weiteren ausgefallenen,
letztendlich aber redundanten Fantasy-Sequenzen in
der Zwischenwelt. So aufwendig es vielleicht gemacht
sein mag, aber Susie muss mit ihrer Freundin aus der
Zwischenwelt nicht in wallenden Kostümen von
Magazincovern lächeln, und auch nicht über eigene
Grasplaneten hüpfen. Die eigentlichen Figuren
verkommen zur reinen Fassade, besonders die Eltern.
Mark Wahlbergs Vaterfigur wird auf die Tätersuche
reduziert, die Wahlberg auch noch etwas
übermotiviert angeht. Rachel Weisz ist vom Typ her
toll besetzt, doch die Facetten ihrer so wichtigen
Figur werden im besten Falle zaghaft angedeutet. Die
wichtige Entscheidung, die die Mutter irgendwann
trifft, kommt hier so halbherzig begründet, fast
plump und löst sich im Gefühlsvakuum auf, ohne
irgendwelche Konsequenzen zu tragen. Die Szene ist
im Film drin. Das war’s dann auch schon.
Mit am härtesten betroffen ist Susies jüngere
Schwester Lindsay. Im Buch sicherlich eine der drei
wichtigsten Figuren unter den Lebenden, hat sie im
Film nicht mehr zu sein als Stichwortgeberin, deren
Entschlossenheit in einer Hitchcock’schen
Suspense-Szene ihren zwar spannenden, letztendlich
aber wenig ergreifenden Höhepunkt findet. Dass
Lindsay quasi das Leben für Susie weiter führt, dass
sie Susie in das Leben einer Erwachsenen leitet,
wird im Film mit einem einzigen Satz angerissen und
reduziert sich noch auf den schwesterlichen
Konkurrenzkampf, dass sie Susie nun an Erfahrung
überholt hat. Ihr Freund verkommt zur komplett
stummen Randfigur. Ähnliches gilt für Susies Freunde
und Schulkameraden, für den ermittelnden Polizisten,
und auch Oma Salmon, von Susan Sarandon durchaus mit
Feuer gespielt, bleibt unterentwickelt und muss nur
für eine unnötig humoristische Musikmontage
herhalten. Zu allem Überfluss erklärt der
vierjährige Buckley noch, wo genau Susie sich
befindet, nämlich in der Zwischenwelt. Die
Darsteller sind inmitten von zu viel CGI allein
gelassen und müssen mit viel zu wenig Material viel
zu viel kompensieren.
Die Probleme der Familie Salmon sind da und
irgendwie nicht. Die wildesten Heul-Szenen berühren
kaum, weil sie im Film keine Entsprechung finden.
Ja, das Kind ist tot. Das erklärt es jedoch nur,
macht es noch lange nicht fühlbar. Und im Himmel
eiert ein gigantischer Regenbogenball über einen
Bergsee mit Wasserfall, während vor Wahlberg eine
Rose erblüht. Es sind teils unfassbar einfältige
Kitsch-Szenen mit eher wenig subtiler Symbolik, die
hier digital aufgeblasen werden. Stanley Tucci gibt
optisch den Klischee-Päderasten. Von ihm erfahren
wir in geschickt gesetzten Details fast am meisten,
was durchaus fasziniert. Seine Arbeit an
Puppenhäusern hat natürlich starken Symbolcharakter
und ist wieder toll visualisiert. Hier klappt es.
Die Blicke durch die kleinen Puppenstuben, durch den
Mikrokosmos des geschützten Zuhauses im heimeligen
Idealbild, sind sogar stärker als das Motiv der
Schneekugeln und Flaschenschiffe.
Für Nicht-Kenner des Buches, sieht die Sache anders
aus und kommt letztendlich doch auf die gleichen
Kritikpunkte. Die aufwendig gestalteten Bilder sind
hübsch anzuschauen, doch das menschliche Drama will
darunter einfach nicht gedeihen. Viele Handlungen
und Entwicklungen dürften ohne Vorkenntnisse auch
recht verwirrend sein. Susies tatsächliches
Schicksal wird nie wirklich klar und die
Auswirkungen auf ihre Psyche damit auch nicht.
Spätestens beim esoterischen Finale, welches das
Drehbuch erneut viel zu zahm und unschuldig
behandelt, dürfte man sich schnell fragen, was der
Unfug eigentlich soll. Wir können mit den Figuren zu
wenig anfangen, um die Sache richtig zu begreifen
und die Ausmaße zu erfassen.
Ein Mal kriegt uns Jackson dann aber doch. Ein
absoluter Gänsehautmoment, wenn Susie sich mit Mr.
Harveys Vergangenheit auseinander setzt. Schon zuvor
war die Verbindung von Haus und Vorherigem ziemlich
stark in Szene gesetzt, doch als Susie im Himmel
zahlreichen Besuch erhält, richten sich die
Nackenhaare auf. Das liegt jedoch in erster Linie an
Elizabeth Fraser und dem „Song to the Siren“, der
das einfach von Natur aus schafft und mit einer
halbwegs guten Szene fast zum Höhepunkt des gesamten
Films wird. Brian Enos restliche Musik unterstreicht
da wieder den Eindruck, dass der Film häufig mehr
Thriller als Drama sein will. Diese Gewichtung gibt
die Vorlage jedoch nicht her und das Drehbuch, von
Jacksons altbewährtem Team um Ehefrau Fran Walsh,
Philippa Boyens und seiner Selbst, ist sich
inhaltlich zu uneinig.
Alice Sebolds Buch ist ein Meisterwerk und das sieht
Peter Jackson nach eigener Aussage wohl genauso.
Schade nur, dass er dem Meisterwerk kein filmisches
Gegenstück geben konnte. Schade auch, dass er sich
ausgerechnet den platten Schlusssatz, einer der
wenigen Makel des Buches, nicht verkneifen konnte.
Fazit:
Man könnte Peter Jacksons Bestselleradaption
ambitioniert nennen, doch tatsächlich verzettelt er
sich in wilden und aufwendigen Effektszenen und
vergisst darauf Figuren, Entwicklung und Dramatik.
Tolle Bilder können die teils konfuse Inszenierung
auch nicht retten, fügen ihr hier sogar eher Schaden
zu. Vielleicht mal ein etwas anderer, bildgewaltiger
Blick auf ein Drama, aber eigentlich ist man mit der
literarischen Vorlage deutlich besser beraten.
4 / 10
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