@Revolvermann:
Danke für deine ausführliche Antwort! Ich möchte mir einige deiner Aussagen herausnehmen und auf sie eingehen.
"Kein echter Künstler muss sich weder in der Handlung, noch in der
Inszenierung einem unmöglichen Unterfangen gegenübersehen, nur weil der
Stoff, auf den er sich bezieht, bei vielen Menschen als Meisterwerk
gilt. Wo kämen wir hin, ob im Film, der Musik, der Literatur oder
sonstwo,wenn alte Werke nicht neu bearbeitet, zitiert oder manche als
Gesetz betrachtete Großtaten, sogar einfach mal missachtet blieben?"
Ich könnte dir diesbezüglich so gut wie nicht widersprechen. Die Gedanken an ein mögliches Remake kamen allerdings in einem Beitrag von dir zur Sprache, welcher sich auf DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOß bezog. Sicher, ich habe mich in meiner Replik dann eventuell ein wenig zu generell geäußert, indem ich sagte, dass ich wahrscheinlich noch nie den Wunsch nach einem Remake eines John Ford Films gehört habe. Es wäre an dieser Stelle erst einmal sinnvoller gewesen, wenn ich mich nur auf LIBERTY VALANCE bezogen hätte. Dies als Vorbemerkung.
Der Punkt ist - neben jenen, die ich bereits in vorherigen Beiträgen aufzählte - dass ich nicht erkennen kann, inwiefern man die Geschichte von LIBERTY VALANCE dergestalt bearbeiten könnte, dass sie einen Mehrwert für die Gegenwart lieferte; beziehungsweise Daseinsberechtigung erlangen könnte. Ein Mehrwert scheint mir geradezu notwendig bei der Legitimierung eines Remakes. Fords Werk kommt aber so kompakt, so geschlossen daher - von der inszenatorischen Brillianz brauche ich nicht noch einmal anzufangen - dass ich - zumindest gegenwärtig - nicht sehe, was dem Werk noch hinzuzufügen wäre.
Meine Vermutung - und dies ist eine generelle Vermutung, die ich nicht in concreto auf dich bezogen wissen will - ist, dass Remakes in vielen Fällen nur gemacht werden; respektive gemacht werden sollen, um einem älteren Film eine optische Auffrischung (was auch immer das genau sein soll) zu verpassen und ihn somit mittels den Möglichkeiten der neuen Technik einer jüngeren Generation schmackhaft zu machen, die - so vermutet man anscheinend - schon von Profanitäten wie ungewohnter Mode, einer Schwarz-Weiß-Optik oder einer "langsameren" Schnitttechnick abgeschreckt werden könnte.
Der Geschichte selbst wird in den wenigsten Fällen um einen echten Mehrhwert bereichert. Wie du merkst, rückt nun, je tiefergehender sich eine Diskussion Pro- oder Kontra Remake entspinnt auch die Handlung, die Geschichte als solche, immer mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung. Denn ich gehe davon aus, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, dass die Gedanken an ein Remake erst einmal etwas mit der Handlung von LIBERTY VALANCE zu tun gehabt haben. Ich vermute, dass die Überlegungen nichts mit der Inszenierung zu tun gehabt haben, da diese auf Grund von Ford wahrscheinlich einer perfectio sehr nahe kommt.
LIBERTY VALANCE ist ja schon von seiner Prämisse her völlig in seinem Genre verhaftet. Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass die Handlung in eine andere Zeit verfrachtet werden könnte, da Ford mit seinem Werk ja gerade eine gewisse Entmythologisierung des Western selbst abliefert und die Kraft von Legendenbildungen thematisiert. Ich sehe nicht - Pardon, ich wiederhole mich - wo man ansetzen könnte, um ein gerechtfertigtes Remake mit Mehrhwert abliefern zu können. Gerade auch, weil Fords Werk ja zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, in welcher der Western eine nicht gerade geringe Rolle im amerikanischen Kino zukam. Dies ist ja heute obendrein nicht gegeben.
"Es wird sich heute einfach so viel aufgeregt über
Sequels,Prequels,Remakes und Reboots. Viele sehen es ja fast schon als
Beleidigung des Originals oder zumindest ihrer nostalgischen Gefühle
dafür. Ich sehe es eher als Auszeichnung. Es gibt unzählige Western von
denen kein Remake in Planung ist, ganz einfach weil selbst das Original
keine Relevanz mehr besitzt. [...] Nur ist so ein Remake keine Herabsetzung."
Auch hier möchte ich dir größtenteils zustimmen!
Meist scheint es tatsächlich so zu sein, dass die bloße Erwähnung eines möglichen Remakes von Film X, den Person Y sehr schätzt, zu einer
emotionalen Abwehrreaktion der Marke "Das darf nicht sein. Wie können sie nur. Blasphemie!" führt, die oftmals argumentativ nicht unterfüttert wird. So etwas ist freilich menschlich, aber trägt nicht viel zu einer fruchtbaren Diskussion bei.
Ebenso möchte ich dir zustimmen, wenn du sagst, dass ein Remake freilich keine "Herabsetzung" ist.
Ich bin übrigens niemand, der Remakes in toto ablehnte. Es gibt da nämlich zwei - zumindest bei der großen Mehrheit, wenn ich mich nicht grob irre - viel gescholtene Neuinterpretationen eines Klassikers von einem gewissen Herren namens Rob Zombie, welche ich sehr, sehr schätze: HALLOWEEN I und II.
Für mich stellt Zombies Herangehensweise an Carpenters Klassiker eine wunderbare dar, da er zu keinem Zeitpunkt versucht das Original zu kopieren, sondern stattdessen Grundelemente aufgreift und diese mit seiner ganz eigenen Vision unterfüttert. Seine Filme fühlen sich gleichsam an, wie echte Rob-Zombie-Filme, lassen aber die HALLOWEEN-Grundstimmung ebenfalls aufkommen.
Groß war die Empörung von Carpenter-Liebhabern (ich bin übrigens selbst einer) darüber, dass man Myers auf unerhörte Weise entmythologisierte und der Film ja obendrein eh kein HALLOWEEN-Film sei. Wie konnte Zombie nur den Namen HALLOWEEN verwenden, anstatt einen eigenständigen Film daraus zu machen? Freilich kann man das so sehen, mich überzeugen die meisten ins Feld geführten Punkte aber nicht.
Zombie zeigt mit seinen Filmen einen anderen HALLOWEEN. Einen Rob-Zombie-HALLOWEEN, der von den für ihn typischen hochinteressanten Charakteren bevölkert und geprägt wird, die sich in einer ganz besonderen Gesellschaft subkultureller Prägung bewegen, welche eine ganz eigene Atmosphäre erzeugt. Seine typische Bildsprache ist jederzeit sehbar, aber hier und da lässt Zombie auch Carpenter durchblitzen; etwa wenn er mit der Kamera kurz vor dem Sonnenuntergang stehende Herbsttage und das mit ihnen einhergehende zart braune - die tristen Straßen säumende - Laub geruhsam mit der Kamera betrachtet. Darüber hinaus erzählte er aber eben
seine Geschichte von Michael Myers und generierte somit ein Remake - ich finde das Prädikat "Neuinterpretation" an dieser Stelle allerdings sinniger - dass Mehrwert besitzt und den HALLOWEEN'schen Kosmos um eine neue Sichtweise bereicherte.
Sicher, du magst mir jetzt entgegen, dass man sich ebenso einen LIBERTY VALANCE vorstellen könnte, der von der Vision von X geprägt ist. Das will ich gar nicht einmal abstreiten.
Aber ich sehe den Ansatzpunkt schlicht nicht. Carpenters HALLOWEEN ist in seiner Thematik "offener", zugänglicher und eher geeignet dazu - wie andere Horrorfilme auch - auf sinnvolle Weise einer Neuinterpretation unterzogen zu werden, als ein Werk wie LIBERTY VALANCE, welches sich in concreto in seiner Form als Spätwestern auf die Filme bezieht, die in den Jahren unmittelbar vorher entstanden waren und obendrein von John Ford mit Hilfe seiner ganz eigenen Bildsprache erzälht wurde.