Breaking the Waves ~ Lars von Trier

Joel.Barish

dank AF
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(Breaking the Waves | Dänemark, Schweden, Norwegen, Island, Frankreich, Niederlande 1996)

Drehbuch + Regie:
- Lars von Trier (Dancer in the Dark, Dogville, Antichrist)

Darsteller:
- Emily Watson (Punch-Drunk Love, Red Dragon, Equilibrium)
- Stella Skarsgard (Insomnia, PotC)
- Jean-Marc Barr

Genre: Drama
Laufzeit: 153 Minuten
imdb.com

Inhalt: Die schüchtern-naive und zutiefst gläubige Bess heiratet den lebensfrohen Arbeiter Jan, der die meiste Zeit auf einer Bohrinsel arbeitet und lebt. Eines Tages kehrt Jan verletzt ans Festland zurück und ist fortan gelähmt. Bess stürzt sich selbstopfernd und blind vor Liebe und religiösem Pflichtgefühl in die Idee, Jan zu helfen und ihm seine Wünsche zu erfüllen, was zur Katastrophe führt.

Trailer (imdb)(click)

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Als erster Teil von Lars von Triers inoffizieller und lose zusammenhängenden Goldherz-Trilogie (gefolgt von "Idioten" und "Dancer in the Dark"), funktioniert sein Dogma-fizierter Realismusversuch besser als in irgendeinem anderen seiner Filme. "Dancer in the Dark" lebt vom Kontrast zu den Musical-Szenen, doch "Breaking the Waves" ist zutiefst reales, schmerzhaftes und packendes europäisches Kino. Emily Watson wurde damals völlig überraschend weltweit bekannt, hatte zuvor nur eine kleine TV-Rolle gehabt und arbeitete sonst am Theater. Sie spielt hier wohl die Rolle ihres Lebens und war damals völlig zu Recht oscarnominiert. Allein für ihre hochintensive Leistung, lohnt sich der Film.

"Breaking the Waves" ist kein einfacher Film und kein fröhlicher Film, aber ein erstklassiges, intensives Drama um Liebe, Leid und Bigotterie. In Kapiteln erzählt, die in den Zwischentiteln durch Technicolorfarbintensität und Musik (sonst gibt es, ganz Dogma-gerecht, nur Musik die eine Quelle in der Handlung hat) stark herausfallen, steuert der Film uneinholbar auf eine schmerzhafte Katastrophe zu. Wer realistische europäische Dramen mag, wird um diesen Film kaum herum kommen.
9/10
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Ich kopiere meine Meinung einfach mal aus dem Zuletzt-geschauter-Film-Thread hier rein:

Hat mir wirklich gut gefallen.
Emily Watson spielt ihre Rolle ausgezeichnet, Stellan Skarsgard konnte mich hingegen nicht so recht überzeugen. Er ist okay, könnte aber wesentlich besser sein.
Was mir besonders gut gefiel, waren die Gebets-Szenen
Und die Einleitungen der einzelnen Kapitel mit den wunderschönen Naturaufnahmen und der passenden Musik waren traumhaft.
Die Story war originell und interessant. Die religiösen Fanatiker haben mich echt aufgeregt. :squint:
Trotz seiner Länge (rund 150 Minuten) hat mich der Film nicht gelangweilt.
Nur das Ende mit dem
Glocken-Wunder
hat mir nicht gefallen.

Nicht ganz so intensiv wie "Dancer in the Dark", aber trotzdem ein sehr guter Film.

8,5/10

EDIT: Wobei Skarsgard gar nicht so viele Möglichkeiten hatte, sich zu entfalten. Seine Rolle war einfach zu passiv geschrieben.
 

Joel.Barish

dank AF
Weil der "zuletzt geschaut"-Thread ja irgendwann gelöscht wird, können wir das hier noch mal hinpacken, wenn auch leicht überarbeitet.:squint:

Tyler, ich freue mich, dass der dir auch gefallen hat und da sind wir ja fast komplett auf einer Wellenlänge. Inklusive dem etwas zwiespältigen Ende mit den Glocken. Die Gebetsszenen, wenn Bess in der Kirche hockt und "mit Gott spricht" sind echt klasse. Irgendwie beängstigend auch. Emily Watsons Leistung gehört mit zu den besten darstellerischen Leistungen der letzten 15 Jahre.

Nur würde ich dem Film knappe, wie du oben siehst, 9/10 verteilen, weil ich Stellan Skarsgard zwar auch "nur gut", aber besser als okay finde.
Wie fandest du hier die "Wackelkamera"? Die war dir ja bei "Das Fest" teilweise etwas zu wackelig.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Original von Joel.Barish
Wie fandest du hier die "Wackelkamera"? Die war dir ja bei "Das Fest" teilweise etwas zu wackelig.
Hier hat mich das gar nicht gestört, ist mir ehrlich gesagt gar nicht so aufgefallen (was ja ein gutes Zeichen ist).

Die Gebetsszenen, wenn Bess in der Kirche hockt und "mit Gott spricht" sind echt klasse.
Auf jeden Fall. Vielleicht wollte Lars von Trier mit diesen Gebeten (oder besser gesagt Selbstgesprächen) den inneren Dialog symbolisieren, den jeder (oder zumindest die meisten) von uns kennen. Dialog nicht im Sinne von "Und was machst du heute Abend so?" - "Ach, wahrscheinlich nur rumhängen", sondern den normalen Gedankenverlauf, bei dem man über etwas nachdenkt. Vor allem wenn man in einem inneren Konflikt steckt und beide Möglichkeiten gegeneinander abwiegt.
Ich meine damit sowas wie: "Soll ich meiner Frau ihren Seitensprung verzeihen? Es war ja ihr erster Ausrutscher und sie sagt, es war nichts Ernstes" - "Aber vielleicht hat sie mich ja schon vorher betrogen, nur habe ich es nicht mitbekommen?" - "Nun sollte ich aber nicht paranoid werden" - "Aber wenn ich ihre jetzt verzeihe, werde ich sie wahrscheinlich die ganze Zeit verdächtigen und das Vetrauen wird nie wieder da sein" und so weiter und so fort.

Ich hoffe, ich habe hier jetzt nicht wirr in den Wald geredet. :ugly: :wink:
 

Joel.Barish

dank AF
Ich glaube ich verstehe was du meinst :smile:D) und stimme dir halbwegs zu. Es spiegelt einen inneren Konflikt höchst anschaulich wider. Ich finde aber, dass man fast den Eindruck erhalten könnte, Bess sei besessen. Sie macht ihre Probleme nicht mit sich aus, sie ist, glaube ich jedenfalls, davon überzeugt, mit Gott zu sprechen und seinen Willen auszuführen. Letztendlich hat sein Wort mehr Gewicht als ihre Entgegnungen. Die tief in ihr verwurzelte Religion befällt ihr Gewissen und das nimmt hier den "Gesprächspartner" ein.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Original von Joel.Barish
Sie macht ihre Probleme nicht mit sich aus, sie ist, glaube ich jedenfalls, davon überzeugt, mit Gott zu sprechen und seinen Willen auszuführen.
Klar, ich würde sogar sagen, sie ist geistesgestört und hat Wahnvorstellungen. :squint:
Sie glaubt wirklich mit Gott zu sprechen, und wenn sie jemand mit einer Kamera beim Beten filmen und ihr den Film zeigen würde, wäre sie wahrscheinlich sehr überrascht.
Ich meinte ja nur, dass der Regisseur damit etwas andeuten wollte, mehr nicht. :wink:
 

Puni

Well-Known Member
Den find ich auch klasse. Zwar nicht ganz so ergreifend und toll wie Dancer in the Dark, welcher mein absoluter Lieblingsfilm von Trier ist, aber durchweg berührend, emotional und einfach "rund". Emily Watson hat wohl die Rolle ihres Lebens (die seh ich sowieso immer gerne, z.B. in "Der Boxer"), aber auch alle anderen sind glaubwürdig. Der Film wirkt allgemein sowieso extrem authentisch und echt, nicht zuletzt auch wegen dem Setting. Das Ende erinnerte mich übrigens sehr an Faust, gings da noch einem hier so?

Punktetechnisch mal wieder schwer, aber 8.5 / 10 sind schon drin.

Und kann mir einer erklären (ja du bist gemeint Joel), wieso von Trier ein Jahr nach Einberufung des Dogma so extrem auf Dogma scheißt? Gerade die Einleitungen zu den einzelnen Akte sind ja schon ein Faustschlag in Dogmas Gesicht, oder nicht?
 

Joel.Barish

dank AF
Na ja, ich möchte nicht behaupten von Trier zu kennen oder gar zu verstehen. Letzteres will ich evtl auch gar nicht.:squint: Aber der Herr ist ja allgemein relativ wankelmütig und erfindet sich ständig neu. Du musst mal die Filme vor Dogma95 gucken. "Element of Crime" zum Beispiel. Und gerade Dogma ist so eine Geschichte. Der Lars kann nicht mit und kann nicht ohne. Sein einziger echter Dogma-Film "Idioten" ist meiner Meinung nach nicht nur der schwächste von Trier, sondern in sich auch schon widersprüchlich zu den Vorgaben. Da sind die Kapiteldesigns plus Lied nur der nächste Schritt sich davon zu lösen. Außerdem - wobei man bei ihm ja nie sicher sein kann, wie er es gemeint hat - meinte von Trier selbst, dass Dogma rückblickend betrachtet ziemlicher Käse war. Ist ja eigentlich auch direkt ersichtlich, wenn man sich mal klar macht, dass Dogma besagte, die Freiheit des Films durch ein strenges Regelwerk zu bewirken. Ist ja auch schon in sich widersprüchlich. Beibehalten hat Lars also für einige Zeit den realistischen Stil mit Handkamera und seine merkwürdige Jump-Cut-artige Schnittsetzung. Aber wenn es der Film verlangt oder von Trier gerade gut gefällt, dann kommt es so in den Film. Seien es die Kapiteldesigns hier oder die Musical-Szenen bei "Dancer in the Dark". Funktioniert ja nicht zuletzt auch als emotionale Kontrastierung. Und mal ganz davon ab ist "Life on Mars" eines meiner absoluten Lieblingslieder, also werde ich einen Teufel tun, mich darüber zu beschweren, wenn es so toll eingesetzt wurde. :biggrin:

Aber freut mich natürlich, dass dir der Film gefällt. Die Authentizität und die damit verbundene Emotionalität sind ja eh die Stärken von Lars von Trier. Aber Faust? Meinst du den literarischen Faust? Goethe? Pakt mit dem Teufel, Gretchen und Co.? Und das Ende? Erinnert es dich an das Ende im "Faust" oder wie? Bitte genauer. Klingt nämlich interessant, noch aber eher verwirrend. :wink:
 

Puni

Well-Known Member
Okay, ich versuch es mal zu erklären, vielleicht befinde ich mich auch auf dem Holzpfad. Riesen Spoiler, jeder der den Film noch nicht kennt soll nicht weiter lesen, da ich Spoilertags bei etwas längeren Texten hässlich finde und ebenfalls finde, dass ihr durch meinen langen Satz hier schon genug gewarnt wurdet. :wink:

Bei Faust 1 wird Gretchen ja am Ende, trotz ihres Kindsmord sowie dem versehentlichen Mord ihrer Mutter und der Teilschuld am Tode ihres Bruders, nicht der Hölle und damit Mephisto übergeben, sondern von Gott zu sich in den Himmel geholt - Gretchen wurde in jungen Jahren verführt, ihre naive Liebe zu Faust und der damit verbundenen Schwangerschaft trieb sie ins Abseits der religiösen Gesellschaft, obwohl sie, blind vor Liebe, niemandem etwas Böses wollte. Schon halb wahnsinnig tötet sie ihr Kind, da das Kind unehelich ist, niemand sie akzeptieren würde und Faust nach dem Mord von Gretchens Bruder sowieso gesucht wird und aus der Stadt fliehen musste. Dennoch entgeht sie am Ende der Hölle, trotz des schlimmen Vergehens, ein ungetauftes Kind zu töten, da sie an sich nur Gutes wollte.

Bess wiederum wollte, naiv, jungfräulich verliebt und sehr unerfahren, auch nur ihren Mann glücklich machen und niemandem etwas Böses. Nun verheddert sich aber nach dem Unfall von Jan alles und endet - größtenteils Medikamentenbedingt, aber auch, weil Beth in ihrer naiven Sicht auf Liebe und Sexualität im Irrglauben ist, Jan würde wollen, Erfahrungen mit anderen Männern würden Bess helfen, sich neue sexuelle Fantasien für ihn am Krankenbett auszudenken - in einem großen Unglück. Durch den Ehebruch und die Prostitution, aber auch, da sie sich der Kirche mehr oder weniger quer stellt bzw. es an einer Stelle hinterfragt, steht fest, dass auch sie nicht in den Himmel kommen darf. Die Gesellschaft ist ähnlich religiös und konservativ wie in der Faust'schen Welt, durch die gesellschaftliche Ausgrenzung leidet ihre labile Seele noch mehr, begreift andererseits aber auch nicht, was sie eigentlich anrichtet.
Nach ihrem Tod wird vom Pfarrer ganz unverblühmt gesagt, dass Bess in die Hölle kommen wird, was auch heißt, dass ihr auf der Beerdigung keinerlei Respekt entgegengebracht wird, sondern sie mit einer erklärenden, ohne sich in die Situation, in der Bess war reinzuversetzenden, beleidigenden Rede quasi in die Hölle geschickt wird. Jan will das nicht, sondern wirft sie, abseits des Einflusses der Dorfgesellschaft (wird ja auch am Verhalten der Männer auf der Bohrinsel deutlich, im Dorf hätte sich so mit Sicherheit niemand verhalten; auf der Bohrinsel aber tickte die Uhr anders) von der Bohrinsel ins Wasser.
Die Himmelsglocken, die ich sehr stark und passend fand, zeigen dann am Ende nur noch auf religiöser Ebene, dass sich Bess durch ihre naive Aufopferung kein Vergehen schuldig gemacht hat, ihre Seele gerettet ist und der Himmel sie aufnehmen wird.

Was hälst du davon? Ist der Vergleich nachvollziehbar?
 

Joel.Barish

dank AF
Der Vergleich leuchtet einigermaßen ein, aber ich frage mich, warum es unbedingt Faust sein muss. Gretchen ist ja nun nicht die Hauptfigur im Faust und die ganze Sache mit dem zentralen Teufelspakt und Heinrichs Drang, das Wesen der Welt und des Menschen zu ergründen, fällt bei dem Vergleich ja irgendwie raus.

Vorallem ist Gretchen ja nicht in erster Linie naiv, sondern Opfer höherer Mächte. Heinrich will sich ihr mit Mephistos Hilfe bemächtigen und dieser trickst Heinrich herum, selbst Gretchen zu verführen. Die ist ja auch wesentlich jünger, wenn auch, ganz richtig, tatsächlich ein wenig naiv. Aber eben Opfer. Bess' Liebe zu Jan fehlt dieser Charakterzug. In ihrem Scheitern ist sie ein Opfer, aber beim Faust ist es viel früher, schon bei Heinrichs Absichten, problematisch. Dass beide Frauen zu Außenseitern der Gesellschaft werden, weil sie in den Augen der Religion gesündigt haben, trifft allerdings zu. Ebenso wie die eigentlich ehrbaren oder zumindest positiven Grundziele, -absichten.
...aber auch, weil Beth in ihrer naiven Sicht auf Liebe und Sexualität im Irrglauben ist, Jan würde wollen, Erfahrungen mit anderen Männern würden Bess helfen...
Ich würde sagen, Bess hat nicht direkt eine naive Sicht auf Liebe und Sexualität, sondern in erster Linie eine naive, weil unreflektierte und unaufgeklärte Sicht auf die Ehe. Sie hält am christlich geprägten Bild des Ehe-Sakraments fest und das degradiert sie als Frau nicht nur klar als Untergebene des Mannes, sondern lässt sie sich in falschem Pflichtgefühl selbst der Sünde zuwenden. Sie erkennt nicht, dass Jans Anweisungen nicht aufrichtig sind, nicht christlich.

Jans finale "Rettung" vor der christlichen Verdammung würde ich allerdings auch so sehen. Und die Analogie zwischen den Glocken und der "Ist gerichtet" - "Ist gerettet" Passage im "Faust" erschließt sich auch sofort. Ob das allerdings in direkter Verbindung steht, würde ich bezweifeln. Ich bin relativ sicher, dass von Trier Goethes "Faust" kennt, aber so direkt sehe ich die Verbindungen in den Geschichten oder in den Frauenfiguren nicht. Zumindest nicht so stark, dass man sich sofort denkt: "Jau, Faust, ganz klar. Sieht man doch sofort."
 
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