Liebe ~ Haneke [Kritik]

Presko

Well-Known Member
Gestern gesehen und muss schon sagen, puh, der ging unter die Haut. Definitiv kein Wohlfühlfilm und einer, der mich sehr zum Nchdenken angeregt hat, auch,weil ich ein konkretes Problem mit dem Film hatte - dazu gleich mehr. Zuerst einmal ist der Film für seine totale Nüchternheit und seine beiden phänomenalen Hauptdarsteller zu loben. Wie man ihnen bei ihrem Kampf und dem dahinvegetieren von Anne, dem sich Abmühen und leisen Scheitern Georges, das seinen Höhepunkt in einer absolut undramatischen Szene findet, in der er seine Geduld verliert und
seine Frau ohrfeigt
ist enorm beeindruckend. Ich fand am schlimmsten die Szenen, als Anne anfing, dauernd um HIlfe zu rufen - ganz heftig. Auch die letzten Minuten
nach dem Anne bereits tot ist
, sind wunderschön und bedächtig inszeniert, ohne sich irgendeinem Drang nach einem letzten Paukenschlag in irgendeine Richtung hinzugeben. Auch die Szene mit dem Besuch des alten Schülers von Anne fand ich sehr schön. Der Darsteller hat mich sehr beeindruckt, wie er mit seiner Mimik all seine Gefühle über den unerwarteten Zustand seiner Lehrerin wiedergibt, war toll gespielt.
Ein kleiner Wehrmutstropfen ist die Darstellung der Tochter. Sie ist blass und ziemlich unsympathisch geschrieben. Bei ihrem Umgang mit dem Vater kann man sich eigentlich nur noch an den Kopf langen. Fand ich etwas schade, weil es mir etwas zu eindimensional daherkam.
Jetzt zu meinem Hauptkritikpunkt am Film. Ich fand es schade, dass der Film in seiner Haltung zum Thema Alter und vor allem gegenüber dem Zerfall im Alter und der Würde bzw. Würdelosigkeit so eindeutig war. Der Film macht keinen Hehl daraus, dass Anne sterben möchte. Sie sagt es ja früh ganz klar. Er stellt die Krankheit und die Umstände auch so dar, dass es so gut wie keine Lichtblicke gibt. Alles ist düster, der Zerfall ist absolut - der reine Niedergang
Es gibt eine wunderschöne Szene, die relativ plötzlich gegen Ende kommt, in der den beiden ein kurzer Moment gegönnt wird, indem sie noch einmal einander erreichen und etwas gemeinsames Glück erhalten, als sie sich an einen Tanzabend erinnern, aber sonst gibts nur Elend
. Daraus folgt, dass sich für den Zuschauer eigentlich nie die Frage stellt, was wäre das Richtige. Stattdessen denkt man, dass der Tod die einzige Erlösung sein kann und hofft für Anne, dass sie endlich von diesem Dahinvegetieren durch den Tod erlöst werde. Die Pflege und die Abhängigkeit von ihr wird als würdelos oder würderaubend dargestellt.
die eine näher gezeigte Pflegerin ist dann auch gleich ein totales Negativbeispiel einer kalten, herzlosen Frau.
Ich selber habe ja mit Menschen gearbeitet, von denen andere schon gesagt haben, die sollte man sterben lassen. Meine Eltern waren Altersheimleiter, meine eigenen Eltern sind sehr krank udn der Vater pflegebedürftig. Ich habe daher beide Seiten und insbesondere oft die Position dazwischen gesehen und oft ist es ja so, dass es eben nicht so eindeutig ist, wie es der Film vorgibt. Es gibt Momente des Lichts und wieder Momente des Schattens und es gibt viel Unsicherheit dazwischen. Und das ist ja das noch viel Brutalere, dass man dann, wenn eine Person sich nicht mehr eindeutig äussern kann, die Eindeutigkeit nicht mehr hat, ob der Tod wirklich die gewünschte Erlösung wäre. Stellen wir uns einen Patienten mit fortgeschrittenem Alzheimer vor, der manchmal sagt, er wolle sterben und in anderen Momenten ganz eindeutig wieder Lebensfreude zeigt und am Leben festhält. Oder er hat eine Verfügung geschrieben, er wolle als Pflegefall nicht weiterleben und dann ist er plötzlich schwer verwirrt und ein Pflegefall, aber gleichzeitig hat er dennoch lebensbejahende Momente und kann nicht mehr gefragt werden, was er jetzt will. Was macht man da? Ich will nur sagen, Haneke, der ja selbst in Interviews Altersheim und Pflege - also den Verlust der Autonomie als Verlust der Würde darstellt, zeigt eine Situation, die so eindeutig ist - dass diese Spannung, die fast immer in einer Form da ist, nicht aufkommen kann. Was ich sehr schade finde.
Das andere Problem von mir, das kann man dem Film nicht ankreiden, ist, eben diese Grundhaltung: Liebe heisst, den Menschen nicht ins Altersheim geben - auf Pflege angewiesen sein = Verlust von Würde etc. Es gibt heute dieses Bild vom Älterwerden, das ich für sehr bedänklich und kontraproduktiv halte. Ich glaube, man kann auch durchaus aus Liebe jemanden in ein Heim bringen. Altersheime (der begriff Heim ist blöd) können durchaus sehr gut geführt sein, Orte darstellen, wo sich alte Menschen wohl und zuhause fühlen. Natürlich gibt es viele sehr negative Beispiele. Aber ich glaube, dieses Bild, Alterhseim = Abschieben = schlecht, führt dazu, dass die Gesellschaft sich noch weniger mit der Verbesserung beschäftigt. Stattdessen wäre ein Bild wichtig, das sagt, Hey, es gibt sehr viele positive Möglichkeiten. Palliativpflege, gut geführte "Heime" etc. doch dafür muss man sich auch damit beschäftige, muss man das auch finanzieren und man muss das Bild davon eben ändern. Zeigen, dass Altwerden und auch Pflegebrauche nicht einfach bedeutet, dass man dahinvegetiert und möglichst ein baldiges Ende herbeiersehnt. Die Würde des Menschen kann auch aufrechterhalten werden, wenn der Mensch alt und körperlich oder geistig in seiner Autonomie eingeschränkter wird. Ich finde es darum schade, dass Haneke solche Seiten nicht wenigstens ein wenig angedeutet hat, klar, das ist nicht in erster Linie ein Film zum Thema Alter in seiner ganzen Komplexität, sondern ein Film über das Schicksal zweier Menschen und darum ist es mehr die vorherschende Perspektive auf dieses Thema, in das sich der Film eben sehr gut einreihen lässt, das mich besorgt.
Der Film selbst für sich genommen kriegt von mir aber 9/10 Punkte.
Ist zwar etwas off-topic aber, wie steht ihr dem Thema Alter und Würde im Alter gegenüber? Mich würde das sehr interessieren.
 
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