Darf ich das hören/sehen?

nachoz

New Member
Hi ho. Ich habe keine Ahnung ob es dieses Thema hier schon gibt oder gab. Habe dazu jedenfalls nichts gefunden.

Seit ein paar Tagen beschäftigt mich folgende Frage: Darf ich dieses oder jenes von Künstler XY noch hören/sehen und auch gut finden?

Gerade in der MeToo Bewegung gibt es ja etliche Beispiele (ob begründet oder nicht), bei denen es fragwürdig sein könnte, bestimmte Kunstwerke noch zu schauen oder gar gut zu finden.
Als konkretes Bsp. will ich die Band Lostprophets nennen. Die mochte ich früher wirklich sehr. Doch ich muss gestehen, seit ich davon hörte, dass der Sänger Pädophil ist, hab ich es nie wieder gehört. Obwohl ich die Songs bestimmt immer noch gut finden würde.
Bei Weinstein ist das Unbehagen dagegen kaum vorhanden. Immerhin war er "nur" Produzent. Was ist aber mit Kevin Spacey oder anderen Künstler, die richtig nah dran waren?

Anmerkung: Es geht hier nicht um #metoo, sondern um wirklich nachgewiesene, teils schlimme Verbrechen, die von Künstlern begangen wurden.
 

Manny

Professioneller Zeitungsbügler
Also ich trenne da immer den Künstler von dem (Un-)Menschen. Heißt, wenn ich z.B. einen Film immer gut fand, in dem Schauspieler XY mitspielt oder der von Regisseur XY gedreht wurde und zu diesem kommt raus, dass er Frauen vergewaltigt/ Kinder missbraucht hat (oder was es eben sonst noch schlimmes gibt), gucke ich den dennoch wieder, weil das, was er privat schlimmes macht, an seiner schauspielerischen Leistung ja nichts ändert. Mancheine/r entwickelt da starke Hassgefühle und kann und/oder will sich die Filme dann nicht mehr angucken. Auch völlig legitim. Aber man sollte da niemandem vorschreiben, dass er von XY keine Filme mehr gucken darf.

Gleiches gilt für Serien, Musik oder meinetwegen auch Videospiele.
 

TheGreatGonzo

Not interested in Naval Policy
Klar darf man. Wenn man es irgendwie mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Ich denke Kunst und Künstler muss man nicht zwingend aus moralischer Sicht betrachten, außer es schlägt sich auch eindeutig in der Kunst nieder. Aber ich habe auch gemerkt, dass es mir oft nicht egal sein kann, Beispiel Woody Allen, von dem ich eigentlich viel mag, aber dessen Werk immer auch irgendwie von dem Missbrauchsskandal überschattet sein wird.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Dürfen ja. Habe aber auch festgestellt, dass manche Sachen einen komischen Beigeschmack bekommen, wenn ein Künstler erwiesenermaßen ein schweres Verbrechen begangen hat. Ist umso schwieriger, je mehr er (oder sie) im Vordergrund steht. Bei Sängern ist das noch schlimmer als bei Schauspielern, da würde ich keinen Film bewusst boykottieren, nur weil ein "Mitarbeiter" ein Täter ist. Es wäre unfair allen anderen gegenüber, die an dem Film mitgearbeitet haben.
Und es kommt auch darauf an, ob die jeweilige Tat irgendwie mit dem Inhalt zusammenhängt, den man in dem Film sieht (oder in einem Lied hört). Bei Kevin Spacey wäre American Beauty ein gutes Beispiel. In dem Film hat sein Nachbar ja die Vermutung, dass Spaceys Figur irgendwas mit seinem jugendlichen Sohn am Laufen hat. Seit die Sache mit Spacey und den Jugendlichen bekannt geworden ist, wirken diese Szenen anders. An dem Film habe ich keinen Spaß mehr, obwohl ich ihn früher richtig gut fand. An einem Film wie "Die üblichen Verdächtigen" hat sich dadurch für mich aber nichts geändert.
 

TheReelGuy

The Toxic Avenger
Ich bin da relativ unbeständig, wenn es um solche Themen geht. Bei Filmen von Woody Allen oder Roman Polanski kann ich solche Sachen irgendwie ausblenden, auch wenn es dabei auch wirklich nur für die Laufzeit des Films gilt. Im Fall von Kevin Spacey weiß ich noch nicht, wie meine Reaktion sein wird, weil ich seit dem Lautwerden der Vorwürfe tatsächlich keinen Film mit ihm gesehen habe. In so Filmen wie "Sieben" wird es sicherlich noch funktionieren, aber wie schon erwähnt, wird es bei "American Beauty" wahrscheinlich wieder eine ganz andere Story sein. Da Johnny Depp in den letzten Jahren kaum etwas Sehenswertes gedreht hat, ist es sehr einfach ihn auszublenden. :ugly:

Auch so unschöne Geschichten wie die Dreharbeiten zu "Blau ist eine warme Farbe" sind beim Schauen natürlich auch immer im Hinterkopf.

Eine richtige Grenze ziehe ich seltsamerweise nur bei Victor Salva. Die Story und wie er damit umgegangen ist, ist einfach nur widerlich.

Es ist irgendwie schwierig, auch wenn ich natürlich auch versuche Kunst vom Künstler zu trennen. Am Ende sind es immer noch Menschen, die sich möglicherweise bessern können, denen bewusst werden kann, wieviel Leid sie verursacht haben und dann auch wirklich wieder ins Rampenlicht treten können. Es ist da, denke ich, immer eine sehr persönliche Sache, ob man diese Menschen dann wieder aufnehmen möchte oder sie eben ignoriert. Als Louis C.K. neulich wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist, habe ich das z.B. eher negativ aufgenommen, weil eben keine Entschuldigung kam und einfach so getan wurde, als wäre nichts gewesen. Wie gesagt, es ist echt ein komplexes Thema.​
 

serd

Well-Known Member
Wie die meisten hier finde ich, dass man es rein theoretisch natürlich weiterhin gut finden darf, wenn man in der Lage ist für sich Kunst und Künstler zu trennen. Schwierig wird es da eher, wenn die Kunst direkt "unschöne" Einflüsse des Künstlers klar offenlegt. Wenn z.B. ein pädophiler Regisseur offenkundig Minderjährige sexualisiert. Dann finde ich es doch grenzwertig, dass noch ohne Gedanken darüber zu konsumieren.

Ich habe jedoch persönlich festgestellt, dass ich - wenn ich etwas richtig gut finden oder zu meinen Favoriten zählen will - es mir nicht gelingt, Kunst und Künstler zu trennen. Würde z.B. demnächst bekannt, dass Regisseur X in seiner Freizeit die Haustiere seiner Nachbarn jagt, wäre es mir nicht mehr in der Lage die Filme von X gut zu finden. Das mag rein daher liegen, dass ich Leuten, die ich menschlich absolut verachtenswert finde, keinen Sieg gönnen will oder vllt. an anderen Gründen.
 

Revolvermann

Well-Known Member
Interessantes Thema.
Natürlich darf man. Man kann auch "Mein Kampf" lesen, obwohl es nicht "nur" künstlerischer Output eines Verbrechers ist, sondern ganz zweifellos Teil des verbrecherischen Plans.
Deswegen ist man danach nicht zwangsweise umgekrempelt oder hat sich moralisch irgendwie falsch verhalten. Ich würde sogar sagen, als halbwegs anständiger, halbwegs gebildeter Mensch ist man danach reicher an Wissen im Bezug auf eine verachtenswertes, verbrecherisches Weltbild.
Wenn es sich nicht gerade um Hitler handelt, kann die Sachlage bei einem Künstler natürlich noch verzwickter sein. Erstens handelt es sich oft, wie nachoz bereits anmerkte, um Anschuldigungen. Ob es schlimme Anschuldigungen sind oder eher etwas harmloses ist dabei erstmal egal. Denn Fakt ist, das von uns Ottonormalverbaucher hier niemand genau sagen kann was vorgefallen ist. Ich meine, manchmal brauchen ja selbst Gerichte Jahre oder Jahrzehnte um zur Wahrheit vorzudringen und es besteht trotzdem noch die Gefahr eines Irrtums. Und dann will mir Max Mustermann, hier drei Straßen weiter beim Grillen, mit ner Kanne Pils in der Hand erzählen was diese Person für eine verabscheuungswürdige Sau ist? Nee. Lass mal.
Zweitens kennt man die Umstände meistens nicht und es gibt immer auch den Fall der Läuterung. Ein bekanntes Beispiel sind die Bösen Onkelz. Bei deren Musik schon früher zur Debatte stand: Darf man das hören? Sind die rechtsradikal oder waren sie es? Fakt ist, ich mochte die Onkelz noch nie. Überhaupt nicht. Fakt ist aber auch, das sie sich ganz klar von ihren Jugendsünden distanziert haben und sich sogar gegen radikales Gedankengut ausgesprochen haben. Natürlich gibt es trotzdem noch Idioten, die Aufgrund der Vergangenheit bei Konzerten aufschlagen und gerade wegen diesem von vielen Medien forcierten Außenseiterstatus auf die Band abfahren. Vielleicht sollte man, wie vor einiger Zeit mal von Campino vorgeschlagen, anfangen die Onkelz als ganz normale Hardrock Band zu betrachten. Ich glaube allerdings das war vor den Fahrerflucht Eskapaden des Sängers.
Man kann...nein man muss das aber auch alles einfach außen vor lassen und aus dem Bauch, mit Blick auf das eigene Gewissen entscheiden. Ob man Künstler und Kunst klar trennen kann oder will ist jedem selbst überlassen und somit vor allem natürlich eine sehr persönliche Frage.
Gefährlich wird es nur, wenn Leute versuchen diese Frage für andere zu entscheiden. "Das kannst du doch nicht hören. Das ist von XY!"
"Ach, du magst also Woody Allen. Also magst du Kindesmissbrauch?" Wenn man irrationalerweise also vom Künstler auf den Konsumenten schließt. Gibt sogar Leute, die schließen von fiktiver Kunst oder von simpler Berichterstattung auf den Konsumenten. Dann ist man nämlich ganz schnell im finsteren Mittelalter angelangt.
 

Raphiw

Guybrush Feelgood
Ich kann es komplett ausblenden. Finde heute auch noch da Vinci eine interessante Figur, obwohl er auch fragwürdige Dinge getan hat. Ich finde das sollte man schon trennen.
 

nachoz

New Member
Ich fürchte ich hätte das darf in Anführungszeichen setzen müssen. Also "Darf".
Natürlich darf man das. Man darf vieles. Es geht eher darum, ob ich dabei ein "seltsames" Gefühl habe oder es - wie von einigen schon gesagt - komplett ausblenden kann.
Onkelz ist ein gutes Beispiel. Ich hab deren Musik ehrlich gesagt gerne gehört. Auch mit dem Wissen um ihre Vergangenheit. Allerdings haben sie in meinen Augen als Band viel getan um gegen diese Vergangenheit Abstand zu nehmen.

Roman Polanski auch ein gutes Beispiel. Wobei ich von seinen Taten auch erst während der MeToo Debatte gehört hatte.
Ich denke es kommt auch echt drauf an wer was verbrochen hat. Nach dem Motto: Wenn der Vorzeigespieler einer Mannschaft richtig Mist baut, ist man von ihm doppelt enttäuscht und wendet sich womöglich ab.
 

delta

Ghost in the Wire
Kernfrage fuer mich ist da: Muss ich dafuer noch Geld bezahlen/Bekommt der Taeter dadurch Geld/Gage etc. Steht die DVD oder BluRay schon im Regal?
:shrug:

Kuck/Hoer ich mir das noch an? Gute Frage, eventuell. Ich kann schlecht ausblenden und hab das dann immer im Hinterkopf.
 
Oben