Joel.Barish schrieb:
Quffreahlzo schrieb:
Nun ist er zu Ende und ich frage mich immer noch, wer ist die Zielgruppe? Das ist kein Liebesfilm, den man sich mit seiner besseren Hälfte anschaut, kein Drama, dass zum Denken anregt (höchstens über diese Frage hier). Ich wüsste nicht, wem ich empfehlen sollte, den FIlm zu gucken.
Bitte nicht angegriffen fühlen, ich frage nur neugierig nach, aber wenn du am Ende so hilflos mit dieser Frage nach Sinn und (Verwendungs-)Zweck dieses Films dastehst, scheint dir grundsätzlich der Zugang zu Filmen zu fehlen, die nicht im modernen Sinne unterhalten wollen, sondern das mehr oder weniger "wahre" Leben abbilden. Das hier wird doch aber kaum der erste Film dieser Art gewesen sein, in dem eine realistische Geschichte mit realistischen Figuren erzählt wird, oder? Die Geschichte des europäischen Films besteht doch spätestens mit Aufkommen des Tonfilms zu mindestens zwei Dritteln aus Filmen, die sich mit den Irrungen und Wirrungen der Menschen der (jeweiligen) Gegenwart befassen. Vielleicht meintest du auch genau das mit deiner Frage und ich schwafle nur dummes Zeug (
). Wenn dir wirklich dran gelegen ist, zu verstehen, was andere Menschen (in diesem Fall u.a. mich) bewegt, bin ich gerne bereit dazu ein paar Worte zu verlieren. Es würde helfen, wenn du vergleichbare Beispiele aufzählen könntest, wie deine Reaktion zu mehr oder weniger ähnlichen Filmen aussieht.
Tatsächlich kenne ich kaum europäische Filme. In der Regel meide ich auch Filme, wenn mir vorher klar ist, dass es nichts für mich ist. Ab und an gebe ich aber einem Film mal eine Chance, weil es ja doch möglich ist, positiv überrascht zu werden. So habe ich eher durch Zufall (ja es war eine Frau involviert) mal Midnight in Paris geschaut (heißt der so?) und fand den eigentlich ganz unterhalsam. Hatte zum Glück aber auch den speziellen Kniff, der ihn für mich interessant gemacht hat. Ist natürlich mit dem Film hier nicht vergleichbar. Weil ich mich an die Kontroverse erinnern konnte und wie sehr du den Film hier gelobt hast, war er bei mir im Hinterkopf. Weil er jetzt zufällig auf Netflix war, hab ich ihn mir angeschaut, ansonsten wäre es wohl nie dazu gekommen. Ich kann dir jetzt auf Anhieb auch keine vergleichbaren Filme nennen, weil es mir schwer fällt den FIlm überhaupt mit was zu vergleichen. Ich weiß nicht mal, in was für ein Genre ich den Film einordnen soll. Falls ich solche Filme geschaut habe, habe ich es vermutlich bereits vergessen.
Grundsätzlich ist es aber erstmal wirklich so, dass ich es als überaus reizvoll empfinde, quasi-echte Menschen zu beobachten.
Quffreahlzo schrieb:
Wenn ich Realität will, dann spreche ich mit realen Menschen und führe mein reales Leben.
Diesen Einwurf finde ich da allerdings wirklich ein wenig unerfreulich, weil es so simpel dann eben doch nicht ist. Kino entfaltet für mich seine größte Kraft, wenn ich meinen Horizont erweitern kann, wenn ich die Welt um mich herum besser verstehe oder mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet kann, wenn ich etwas "Reales" sehe, welches ich ohne Kino nie so wahrnehmen könnte. Oder wenn ich sehe, wie andere Personen etwas durchmachen, was ich selbst so oder so ähnlich durchgemacht habe. Das ist für mich spannend, faszinierend, berührend - je nach dem.
Horizont erweitern, Welt besser verstehen, andere Blickwinkel kennenlernen, all das finde ich persönlich super. In diesem Film, den ich als banale Liebesgeschichte empfinde, ist aber im Grunde nichts dergleichen zu finden. Auf die Themen, die meinen Horizont erweitern könnten bzw mir andere Blickwinkel zeigen könnte, ist der Film ja eben nicht eingegangen. Ganz kurz, als sie sich gegen ihre Schulfreunde gewehrt hat, kam Konfliktpotential auf. Wie geht sie damit um, ist sie bereit, sich selbst zu akzeptieren, vertraut sie sich ihren Freunden an, gibt es irgendwann ein Outing, setzt sie eine Maske auf und lügt alle an.... all diese Punkte wurden dann durch einen plötzlichen mehrjährigen Zeitsprung übersprungen. Als sie mit Emma bei ihren Eltern war und gelogen hat, war für mich schon fast die spannendste Szene des Films. Wie würde Emma reagieren? Mitspielen oder beleidigt sein, weil Adele sich nicht selbst akzeptiert? Der Film ist 3 Stunden lang, aber es gibt kein einziges Gespräch zwischen den Hauptdarstellerinnen, wie es ist Homosexuell zu sein, Angst zu haben sich zu offenbaren oder ähnliches. Statt dessen wurde nach dem Elternbesuch direkt zu einer Sexszene geschnitten. Dabei hatten wir davon mehr als genug. Die interessanten Gespräche wurden ignoriert. (Ja, es gab ein GEspräch, wie es für sie war, zum aller ersten mal eine Frau zu küssen etc. aber da war der Fokus des Gesprächs völlig anders)
Man kann argumentieren, es geht in dem Film nicht um dieses Thema, es geht um eine Liebesgeschichte und daher sind dies randnotizen, die man weglassen kann. Für mich persönlich bedeutet dies aber, dass die Möglichkeiten, neue perspektiven zu entdecken und andere Blickwinkel einzunehmen, in diesem Film einfach vollkommen verspielt worden sind.
Und hier kommt wohl der Unterschied zwischen dir und mir. Wenn mir ein Film nichts neues bietet, dann langweilt mich das. Dich berührt es, etwas zu erleben, was du selbst ähnlich durchgemacht hast. Bei mir ist das eben nicht so, ich schau mir das an und fühle mich davon nicht abgeholt. Im besten Fall finde ich Charaktere sympathisch und baue auf diese Weise eine emotionale Verbindung auf. Allerdings kann ich Adele recht früh schon nicht leiden und daher war dies nicht möglich.
Du deutest an, von den Zeitsprüngen und den Ellipsen, den Auslassungen im Film ein wenig irritiert zu sein, aber auch das ist ein gezielter Impuls des Films, der uns zunächst Material gibt und dann Lücken füllen lässt. Brauchen wir wirklich eine Einblendung "5 Jahre später", wenn Adéle plötzlich Lehrerin ist? Erkennen wir nicht sofort, dass "ein paar Jahre" vergangen sind und liegt der Reiz nicht gerade darin, dass wir nicht Teil dieser "paar Jahre" wurden? Das gibt uns doch - je nach Kontext, aber jetzt auf "Blau" bezogen - eher noch einen Hinweis auf die Hauptfigur, wie sie das Davor, das Danach und das Dazwischen emotional aufgenommen hat. So ein Zeitsprung, so eine Auslassung kann ein harter, emotionaler Schlussstrich sein. Das ist nicht faul, sondern involviert und vergrößert das Spektrum, in dem der Film wirken kann. Durch nahezu jeden Film, auch diesen, ziehen sich mehrere mal größere, mal kleinere Problemstellungen und für mich ist es wirklich die eigentlich Magie des Kinos, spannende, nachvollziehbare Figuren innerhalb eines gezielt dramatisierten (!) Kontexts an diesen Problemstellungen arbeiten zu sehen, sie daran wachsen oder scheitern zu sehen.
Ich stimme dir in der Theorie total zu, nur hat das für mich hier eben in keiner Weise funktioniert. In der ersten Stunde des Films wird unglaublich viel aufgebaut (und die erste Stunde fand ich auch sehr gelungen) aber letztlich wird dann nur eine einzige Geschichte zu Ende erzählt, die Liebesgeschichte. Wie bereits gesagt, die Problemstellungen, die der Film aufgeworfen hat (sie wurden ja definitiv angesprochen), wurden dann fallen gelassen und ignoriert. Ein weiteres Beispiel wäre die Schulfreundin, die sie geküsst hat und daher weiß, dass sie eine Lesbe ist. Man sieht bei der Streiterei auf dem Schulhof, wie sie sich das anschaut. Aber das wars dann. Es hätte positiv (Freudin kommt auf sie zu, redet mit ihr, zeigt Verständnis etc) oder negativ (erzählt über den Kuss und so) enden können. Wurde dann aber wie fast alles einfach fallen gelassen. Mich stört nicht der Zeitsprung, sondern das Weglassen von wichtigen Lebensabschnitten und Momenten. Vielleicht lag es einfach an meiner Erwartungshaltung. Liebesgeschichten, positive und negative, habe ich zur Genüge gesehen. Filme, die sich vernünftig mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzen, kenne ich persönlich jetzt nicht besonders viele. Dass dann die Dinge, die mich neugierig gemacht haben, einfach weggelassen worden sind, trug dann natürlich stark dazu bei, dass der Film mich einfach nicht abgeholt hat.
Und da komme ich zurück auf meine Ausgangsfrage. Es gibt um die banale Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich kennenlernen, verlieben etc. Das hat man tausend mal gesehen, nur dass es jetzt eben 2 Frauen sind (wobei auf dieses Thema ja eben nicht tiefgehend eingegangen wird). Was genau macht der Film jetzt so richtig, dass du den FIlm so gut findest? Sind es Kriterien, die du bei anderen Filmen generell auch magst oder ist es etwas spezielles, was dich persönlich angesprochen hat? So ganz kann ich noch nicht herauslesen, was diesen Film von anderen im positiven abhebt.
Ich kann es nicht beurteilen, habe mich aber natürlich gefragt, ob der Film gerade für Lesben interessant ist. Laut einiger Kommentare scheint aber genau das Gegenteil der Fall zu sein.